LG Köln: Anlasslose Videoüberwachung im Stadion rechtswidrig

LG Köln: Anlasslose Videoüberwachung im Stadion rechtswidrig

Polizeiliche Videoaufzeichnungen unterliegen Beweisverwertungsverbot

Eine Entscheidung des LG Köln könnte eine hohe Bedeutung für die Polizeiarbeit in Fußballstadien haben. In dem Fall ging es um „ACAB“, anlasslose Videoüberwachung und „etwas schwabbelige junge Männer die trommeln […]“.

Worum geht es?

Das LG Köln stuft die anlasslose Videoüberwachung von Fanblöcken durch Polizeibeamt:innen als rechtswidrig ein. Es ging um Aufnahmen von einem Regionalligaspiel aus dem August 2016 - auf diesen konnte das Gericht allerdings keine Straftaten erkennen, sondern vielmehr eine „Gruppe meist halbnackter, teilweise etwas schwabbeliger junger Männer, die trommeln, brüllen und grölen“. Dies sei rechtlich nicht zu beanstanden – die Aufnahmen der Polizei hingegen schon.

Der Vorfall im Fanblock

Am 26. August 2016 gewann Rot-Weiß Oberhausen auswärts gegen den 1. FC Köln II, das Spiel endete 1:2. Zwar dürfte dieses Ergebnis für die wenigsten heute noch eine Bedeutung haben, doch was sich beim Spiel in einem der Fanblöcke abspielte, könnte möglicherweise die Arbeit der Polizei in Fußballstadien nachhaltig verändern.

Im Franz-Kremer-Stadion im Sportpark in Köln-Sülz filmte die Polizei mit einer Kamera in den Block der Fans des 1. FCs. Als diese das bemerkten, sollen sie daraufhin eine gegen die Polizei gerichtete Parole gesungen haben: „All Cops Are Bastards“ (ACAB). Aufgrund der Schmähgesänge wurden Strafverfahren eingeleitet. Das AG Köln sah den Tatbestand der Beleidigung aufgrund der „ACAB“-Gesänge allerdings nicht als erfüllt an und sprach die Fans frei.

Gegen die Entscheidung ging die Staatsanwaltschaft in Berufung. Doch vor dem LG Köln wurde der Vorwurf der Beleidigung eher zur Nebensache. Vielmehr fand die zweite Instanz deutliche Worte für die Videoaufzeichnungen der Polizei.

Anlassloses Filmen = Beweisverwertungsverbot?

Die Sache ging also an das LG Köln und sollte dort auch sein Ende finden. Die Berufungsinstanz entschied nämlich, dass die Verwertung der polizeilichen Videoaufzeichnungen, mit denen die behaupteten Beleidigungen belegt werden sollten, einem Beweisverwertungsverbot unterliegen würden. 

Den Beweisen kommt im Strafprozess eine elementare Rolle zu, schließlich soll durch sie die (Un-)Schuld eines Angeklagten festgestellt werden. Doch nicht jeder Beweis, der gewonnen wird, darf auch Einfluss für die Beantwortung dieser Frage haben. An dieser Stelle ist zwischen Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten zu differenzieren.

Beweiserhebungsverbote stehen bereits der Erhebung von Beweisen entgegnen, wozu zum Beispiel die verbotenen Vernehmungsverbote aus § 136a StPO zählen. Von einem Beweisverwertungsverbot spricht man, wenn der Beweis zwar an sich rechtmäßig erhoben wurde, jedoch dessen Verwertung nicht möglich ist. Dies kann aufgrund eines Gesetzes der Fall sein – zu denken ist etwa an den Kernbereich privater Lebensgestaltung, der im Rahmen einer Telekommunikationsüberwachung nicht als Beweis verwertet werden darf (§ 100d StPO). Und dann gibt es noch die Beweisverwertungsverbote, die nicht gesetzlich geregelt sind, sondern durch die von der Rechtsprechung entwickelte Abwägungslehre entstehen. Im Rahmen der Abwägungslehre müssen die entgegenstehenden Interessen abgewogen werden. Nur wenn das Strafverfolgungsinteresse höher zu gewichten ist als die Interessen des Beschuldigten beziehungsweise Angeklagten, darf der Beweis verwertet werden. Ansonsten besteht ein Beweisverwertungsverbot.

Beweisverwertungsverbote
Relevante Lerneinheit

Grundrechtsschutz der Fußball-Fans überwiegt

Die zuständige kleine Strafkammer am LG Köln wertete bezüglich der polizeilichen Videoaufzeichnungen den Grundrechtsschutz der Fußballfans höher als das Strafverfolgungsinteresse des Staates. Eine anlasslose polizeiliche Videoaufnahme im Fußballstadion stelle einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG) dar. Bei dem Regionalligaspiel sollen die Polizist:innen im Stadion immer wieder ihre Kamera auf die Fans im Fanblock gerichtet und diese gefilmt haben. Teilweise sollen die Videoaufzeichnungen bis zu sechs Minuten am Stück angedauert haben. Nachdem sich das LG Köln die Videoaufzeichnungen selbst angeschaut hatte, teilte es seine Einschätzung mit:

Auf den Aufnahmen sieht bzw. hört man eine große Gruppe meist halb nackter, teilweise etwas schwabbeliger junger Männer die trommeln, brüllen und grölen. Das sind, je nach persönlicher Sichtweise, Geschmacklosigkeiten oder Besonderheiten gemeinsamer Freizeitgestaltung, in keinem Fall aber Straftaten.

Vielmehr würde das Filmen als solches gegen Polizeirecht verstoßen. In § 15 PolG NRW ist die Datenerhebung bei öffentlichen Veranstaltungen normiert. Videoaufzeichnungen sind danach nur zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dabei Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begangen werden. Diese Voraussetzungen seien aber nicht gegeben, so das LG Köln. Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin ihre Berufung zurückgenommen.

Bedeutende Entscheidung?

Die Entscheidung des LG Köln könnte eine weitreichende Bedeutung für die Polizeiarbeit bei Sportveranstaltungen, insbesondere in Fußballstadien haben. Da das anlasslose Erstellen von Videoaufnahmen im Fußballstadion ein Eingriff in die allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Fans sei, dürfte die Polizei künftig nicht mehr gezielt die Kamera auf Fanblöcke richten, ohne dass Straftaten vorliegen. Rechtsanwalt Stefan Witte, der auch für die Fanhilfe Dortmund arbeitet, bezeichnete gegenüber der Rheinischen Post die Entscheidung als „überraschendes, aber weitreichendes Urteil“:

Das Urteil unterstreicht, dass das Fußball-Stadion nicht per se ein Kriminalitätsschwerpunkt ist, an dem die Polizei ununterbrochen Filmaufnahmen erstellen darf.

Die Sache mit “ACAB”

Besonders spannend ist die Entscheidung aufgrund der Einstufung des LG Kölns, dass die vorliegenden Videoaufnahmen durch die Polizei einem Beweisverwertungsverbot unterliegen würden. Doch natürlich gibt es auch die weitere, nicht weniger spannende Thematik rund um den Gesang „ACAB“ – Beleidigung ja oder nein? Zumindest vorliegend hatte das AG Köln in erster Instanz entschieden, dass die Parole unter bestimmten Voraussetzungen von der Meinungsfreiheit gedeckt sein kann. Grundlage für die rechtliche Bewertung seien die Ausführungen des BVerfG, die wir Dir in diesem Beitrag zusammengefasst haben (“FCK BFE” kann strafbare Beleidigung sein).

Schaue Dir hier die (prüfungs-) relevanten Lerninhalte oder weiterführenden Beiträge zu diesem Thema an: