BGH zur Zurechenbarkeit eines Exzesses bei Körperverletzung mit Todesfolge

BGH zur Zurechenbarkeit eines Exzesses bei Körperverletzung mit Todesfolge

BGH stellt Grundsätze zur Zurechnung des qualifizierenden Erfolgs bei § 227 I StGB dar

Wenn sich Personen dazu verabreden, jemanden mit einem Knüppel zu verprügeln, dann werden sie grundsätzlich nicht für den Tod des Opfers durch Messerstiche bestraft, wenn die Täter nicht wussten, dass ein Dritter ein Messer bei sich führte. Der BGH hat die Zurechnung für die schwere Folge in einer aktuellen Entscheidung abgelehnt, da die tödlichen Stiche nicht vom Tatplan umfasst gewesen seien, sondern einen “Exzess” des (unbekannten) Täters darstellen.

Worum geht es?

In der aktuellen Entscheidung des BGH bestanden zwischen dem Angeklagten und dem späteren Tatopfer Unstimmigkeiten über eine vermeintliche, vom Tatopfer bestrittene, Geldforderung. Am Tag vor der Tat kam es deshalb vor der Haustür des Tatopfers zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern, in deren Verlauf das spätere Tatopfer dem Angeklagten mit einem Sandhandschuh die Nase gebrochen hatte. Der Angeklagte verlangte später von dem Bruder des Tatopfers ein “Blutgeld” in Höhe von 5.000 Euro für die entstandene Verletzung – andernfalls werde es das Tatopfer noch bereuen. Als der Bruder nicht zahlen wollte, fühlte sich der Angeklagte gedemütigt und bereitete für das nächste Treffen ein rundlich konfiguriertes Schlagwerkzeug vor (in etwa einem Knüppel ähnlich) und nahm zur Unterstützung zwei weitere Männer mit - nicht wissend, dass einer der Männer darüber hinaus ein Messer mit sich führte.

Die Männer lockten das Tatopfer vor die Tür und schlugen auf es ein, wodurch es eine Riss-Quetsch-Wunde am Kopf und eine Vielzahl Hämatome an den Armen erlitt. Plötzlich zückte ein (unbekannt gebliebener) Angreifer ein Messer und brachte dem Opfer 20 Stich- und Schnittverletzungen bei, an denen es binnen kurzer Zeit verstarb. Der Messerangriff war von dem Plan der Angeklagten nicht umfasst. Das Landgericht Bielefeld verurteilte sie jedoch wegen Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 I StGB zu Freiheitsstrafen von sieben und achteinhalb Jahren. Hiergegen wehrten sie sich vor dem BGH.

Prüfungsaufbau: Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 StGB
Relevante Lerneinheit

BGH: Tod ist Angeklagten nicht zurechenbar

Zunächst stellt der BGH die Grundsätze zur Zurechnung des qualifizierenden Erfolgs gemäß § 227 I StGB dar:

Bei einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung setzt die Strafbarkeit eines Mittäters wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 I StGB nicht voraus, dass er selbst eine unmittelbare zum Tod des Opfers führende Verletzungshandlung ausführt. Es reicht vielmehr aus, dass der Mittäter aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft einen Beitrag zum Verletzungsgescheen geleistet hat. Dabei ist im Grundsatz weiter erforderlich, dass die Handlung des anderen im Rahmen des gegenseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses liegt und dem Täter hinsichtlich des Erfolgs Fahrlässigkeit zur Last fällt. (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2020 – 1 StR 109/20, StV 2021, 120; vom 21. August 2019 – 1 StR 191/19, NStZ-RR 2019, 378, 379; vom 5. September 2012 – 2 StR 242/12, NStZ 2013, 280, 281; Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10 Rn. 55; Beschluss vom 9. Juni 2009 – 4 StR 164/09, NStZ 2009, 631; Urteil vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 39).

Ist der Todeserfolg durch einen über das gemeinsame Wollen hinausgehenden und deshalb als Exzesshandlung zu qualifizierenden Gewaltakt verursacht worden, kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Zurechnung des Todes als qualifizierender Erfolg gemäß § 227 Abs. 1 StGB dann in Betracht, wenn den gemeinschaftlich verübten Gewalthandlungen, die der todesursächlichen Exzesshandlung vorausgegangen sind, bereits die spezifische Gefahr eines tödlichen Ausgangs anhaftet. Dies ist von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs in objektiver Hinsicht etwa in Fällen bejaht worden, in welchen das Opfer durch die mittäterschaftlich begangene Körperverletzung in eine Lage geriet, in der es nachfolgenden Einwirkungen eines gewaltbereiten 6 7 - 6 - Tatbeteiligten schutzlos ausgeliefert war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2020 – 1 StR 109/20, aaO; vom 30. August 2006 – 2 StR 198/06, NStZ-RR 2007, 76; Urteil vom 15. September 2004 – 2 StR 242/04, NStZ 2005, 261) oder in denen dem vom gemeinsamen Willen aller Mittäter getragenen Angriff nach den ihn kennzeichnenden konkreten tatsächlichen Gegebenheiten die naheliegende Möglichkeit einer tödlichen Eskalation innewohnte (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2016 – 1 StR 424/15, NStZ 2016, 400; Urteil vom 10. Juni 2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309; vgl. auch Urteil vom 19. August 2004 – 5 StR 218/04, NStZ 2005, 93 m. Anm. Heinrich).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze werde die Zurechnung des tödlichen Erfolgs nach § 227 I StGB bei beiden Angeklagten aber nicht getragen. Entgegen der Ansicht des LG Bielefeld seien die Messerstiche nicht als fahrlässig herbeigeführte Folge der gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung zu werten. Sie seien den beiden Angeklagten nicht zurechenbar, da sie nicht vom Tatplan umfasst waren. Sie stellen sich vielmehr als “Exzess” des unbekannten Täters dar. Die vom Tatplan umfassten Schläge haben jedoch kein spezifisches Todesrisiko gesetzt – die Täter hätten auch nicht damit rechnen müssen, dass das Opfer plötzlich mit einem Messer verletzt werde, so der BGH.

Das Landgericht hat festgestellt, dass der überraschend erfolgte Einsatz des Messers von dem zuvor gemeinsam gefassten Tatentschluss, das Tatopfer körperlich zu bestrafen, nicht umfasst war und damit über das gemeinsame Wollen der übrigen Angreifer, die von dem Mitführen des Messers keine Kenntnis hatten, hinausging. Dass dem vor dem Einsatz des Messers gemeinschaftlich unter Verwendung eines Schlagwerkzeugs verübten Angriff auf das Tatopfer bereits die spezifische Gefahr einer tödlichen Eskalation anhaftete, ist der Sachverhaltsdarstellung des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen. Nicht jedem von mehreren mit einem Schlagwerkzeug geführten tätlichen Angriff auf einen anderen wohnt per se die tatbestandsspezifische Gefahr eines in seiner Gefährlichkeit für das Leben des Opfers gesteigerten Messereinsatzes inne. Ein spezifischer Gefahrenzusammenhang, der den tatbestandlichen Anforderungen des § 227 Abs. 1 StGB genügt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – 1 StR 109/20, aaO; Urteil vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 37 mwN), kann 8 9 - 7 - insoweit in objektiver Hinsicht nur angenommen werden, wenn sich aus Art und Weise des tätlichen Angriffs einzelfallbezogen konkrete tatsächliche Umstände ergeben, welche die Möglichkeit einer tödlichen Eskalation nahelegen. Solche Umstände hat das Landgericht, das den Verlauf des tätlichen Angriffs auf das Tatopfer nicht hat näher aufklären können, nicht festgestellt.

Die Verurteilungen der Angeklagten jeweils wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 I StGB haben daher keinen Bestand. Der BGH hat die Sache zurückverwiesen.

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