Nach Flutkatastrophe: StA Koblenz ermittelt wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung im Amt durch Unterlassen

Staatsanwaltschaft sieht Anfangsverdacht und nimmt Ermittlungen auf

Hätten die vielen Todesfälle verhindert werden können? Sind konkrete Personen strafrechtlich für die Opfer mitverantwortlich? Spielt möglicherweise menschliches Versagen und Fahrlässigkeit eine Rolle? Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt gegen den Landrat: Es gebe ausreichend Hinweise, dass zu spät gewarnt wurde und dadurch Menschen zu Tode gekommen seien. 

Worum geht es?

Drei Wochen sind nunmehr seit der verheerenden Hochwasserkatastrophe in Deutschland vergangen, die bislang über 190 Todesopfer forderte. Besonders stark waren die Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz betroffen. Allein im Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz gibt es 140 Todesopfer, über zwei Dutzend Menschen werden noch vermisst.

Während des Wiederaufbaus und der Schadensbeseitigung drängen sich nun zunehmend Fragen auf: Hätten die gravierenden Folgen verhindert werden können? Handelt es sich um menschliches Versagen, das möglicherweise strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich nun die Staatsanwaltschaft Koblenz, die für den Landkreis Ahrweiler zuständig ist. Im Raum stehen die Vorwürfe der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen.

StA ermittelt gegen Landrat und eine weitere Person

Das Verfahren richtet sich gegen den Landrat des Kreises Ahrweiler und eine weitere Person des Krisenstabs. Oberstaatsanwalt Harald Kruse teilte am Freitag auf einer Pressekonferenz mit, dass es nunmehr “zureichende tatsächliche Anhaltspunkte” dafür gebe, dass “Warnungen verspätet und unzureichend waren und Evakuierungen möglicherweise zu spät und unzureichend angeordnet wurden.” Dies begründe den Vorwurf der fahrlässigen Unterlassung und somit “leider den Anfangsverdacht, dass durch Versäumnisse Menschen zu Tode gekommen sind”.

Bei den Ermittlungen gehe es insbesondere um den Tod von zwölf Menschen in einem Haus der Lebenshilfe in Sinzig – bei rechtzeitiger Warnung hätte die Wohngruppe noch aus dem Haupthaus evakuiert werden und in den 2. Stock gerettet werden können. Die Menschen starben jedoch im Erdgeschoss des Hauses.

Zudem habe sich beim zeitlichen Aufriss der Ereignisse ergeben, dass die Einschätzungen zum möglichen Ausmaß des Hochwassers und der extrem steigenden Flutwellen falsch gewesen seien: Bereits am 8. Juli 2021, also sechs Tage vor der Katastrophe, soll das Europäische Hochwasserwarnsystem eine hohe Wahrscheinlichkeit von Überschwemmungen vorausgesagt haben. Am 12. Juli 2021 sollen dann Kreisverwaltungen und Feuerwehren in Rheinland-Pfalz vom Deutschen Wetterdienst gewarnt worden sein. Am Nachmittag des Katastrophentages am 14. Juli veröffentlichte das Landesumweltamt zudem Prognosen über den erwarteten Pegelstand der Ahr. Darin und in weiteren Mails an die Kreisverwaltung gegen 21:30 Uhr sei ein erwarteter Pegelstand von fast sieben Metern genannt worden. Die Einstufung als Katastrophenfall, durch den Sicherheits- und Rettungsmechanismen aktiviert werden, sei aber erst gegen 23:00 Uhr erfolgt. Das Wasser sei aber bereits gegen 17 Uhr im Eifelort Schuld angekommen und habe dort bereits starke Sachschäden angerichtet. In Sinzig sei die Flutwelle gegen 02:30 Uhr angekommen, in diesen neun Stunden habe sich die Lage zunehmend verschlechtert. Aus der Sicht der Staatsanwaltschaft wirft dies die Frage auf, warum die Einstufung als Katastrophenfall und die damit verbundene Warnung an die Bevölkerung erst nach 23 Uhr erfolgt sei.

Das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz hat die polizeilichen Ermittlungen un übernommen. Die Unterlagen und Daten des Krisenstabs des Landkreises Ahrweiler sowie die persönlichen Kommunikationsmittel der beiden Beschuldigten seien sichergestellt worden und sollen nun ausgewertet werden.

Wann leitet die Staatsanwaltschaft eigentlich Ermittlungsverfahren ein?

Nach § 152 II StPO kann ein förmliches Ermittlungsverfahren nur dann eingeleitet werden, wenn zureichend tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat gegeben sind. Sollte dies zu bejahen sein, sind die Strafverfolgungsbehörden zur Aufnahme von Ermittlungen verpflichtet (Legalitätsprinzip). Dem Anfangsverdacht kommt daher eine Schutzfunktion zu: Durch das Erfordernis der zureichend tatsächlichen Anhaltspunkte können und dürfen Ermittlungsbehörden nicht ohne Weiteres gegen bestimmte Personen ermitteln, nur weil sich Vermutungen aufdrängen.

Anlass zur Prüfung von Ermittlungen kann sich aus mehreren Umständen ergeben. So etwa könnten amtlich erlangte Erkenntnisse ausschlaggebend sein, wie etwa Medienberichte über die Hochwasserkatastrophe. Außerdem können Strafanzeigen (§ 158 I StPO) solche zureichend tatsächlichen Anhaltspunkte darstellen: Anders als bei einem Strafantrag (§ 158 II StPO) können Strafanzeigen von jeder Person gestellt werden und bedürfen keiner besonderen Form. Bei ihnen handelt es sich um eine bloße Anregung, in einem bestimmten Sachverhalt zu ermitteln.

Im Falle der Hochwasserkatastrophe sollen bei den Ermittlungsbehörden Strafanzeigen “gegen Unbekannt” gestellt worden seien. Während die Staatsanwaltschaft am 30. Juli noch mitteilte, keine Veranlassung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu sehen, hat sich dies nun geändert haben. Grund dafür könnten die eingegangenen Strafanzeigen sein. Nachdem die Staatsanwaltschaft in den vergangenen Tagen im Rahmen der Vorermittlungen Presseberichte, Feststellungen aus Todesermittlungsverfahren und polizeiliche Hinweise überprüft hat, habe sich der Anfangsverdacht zur Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens ergeben.

Welche Rechte haben die Betroffenen?

Oberstaatsanwalt Harald Kruse erklärte weiterhin, dass nach der inzwischen eingetretenen vorläufigen Stabilisierung der Lage im Katastrophengebiet die Frage nach einer bestehenden strafrechtlichen Verantwortung korrekt gestellt werden müsse – darauf hätten die Betroffenen ein Recht. 

Personen, die durch eine mutmaßliche Straftat verletzt wurden, haben grundsätzlich einen Anspruch auf Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Den Betroffenen steht gegebenenfalls die Möglichkeit eines Ermittlungserzwingungsverfahrens zur Verfügung. Dieses ist in der StPO zwar nicht normiert, ist in der Rechtsprechung aber seit Jahren anerkannt und wird von den Gerichten analog auf die Vorschrift des Klageerzwingungsverfahrens gem. § 172 StPO gestützt

Außerdem können für die Geschädigten Schadensersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht kommen.

Inzwischen steht aber auch der Katastrophenschutz, der nach Art. 72 ff. GG grundsätzlich Sache der Länder ist, auf dem Prüfstand: Die technische Ausstattung und das Warn- und Alarmierungssystem soll bundesweit reformiert werden.

Ob rechtliche Schritte erforderlich sein werden, bleibt nun abzuwarten. Die Staatsanwaltschaft Koblenz teilte mit, dass die Vorgänge rund um die Hochwasserkatastrophe sehr komplex seien.

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