114.000 Euro Synagogensteuer?
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde eines Ehepaares gegen eine automatische Zuweisung zu einer jüdischen Gemeinde und der damit verbundenen Synagogensteuer mit Beschluss vom 20. Mai 2021 nicht zur Entscheidung angenommen. Damit scheiterte das Ehepaar bereits zum zweiten Mal im langjährigen Streit um die Zwangsmitgliedschaft vor den Karlsruher Richtern. Der Fall beschäftigt die Gerichte schon seit vielen Jahren.
Worum geht es?
Das Ehepaar wandte sich in dem Verfahren vor dem BVerfG gegen ein Urteil des BVerwG, mit dem dieses ihre Revisionen unter Verweis auf die Bindung an einen früheren Beschluss des BVerfG als unbegründet zurückgewiesen hat. Das Bundesverfassungsgericht hatte ein erstes Revisionsurteil des BVerwG zuvor aufgehoben.
Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Frage, ob das Ehepaar in der Zeit vom 8. November 2002 bis zum 31. Oktober 2003 mit Wirkung für das staatliche Recht Mitglied der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, einer steuerberechtigten Religionsgemeinschaft, geworden ist.
Die aus Frankreich zugezogenen Beschwerdeführer hatten im Meldebogen des Einwohnermeldeamts unter der Rubrik „Religion“ den Begriff „mosaisch“ angegeben. Die jüdische Gemeinde in Frankfurt am Main schickte den beiden im Anschluss ein Begrüßungsschreiben. Nach der Satzung der Gemeinde, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, ist jeder Mitglied, der jüdischen Glaubens ist und seinen Wohnsitz in Frankfurt hat. Für Zugezogene sieht die Satzung vor, dass sie innerhalb einer Frist von drei Monaten ihrer Mitgliedschaft widersprechen können.
Das französische Paar erklärte aber erst etwa ein halbes Jahr nach seinem Zuzug, dass es nicht Mitglied der Gemeinde sein wolle, und damit nach der Satzung der jüdischen Gemeinde zu spät - dadurch wurden sie automatisch für knapp ein Jahr Mitglieder; obwohl sie die Ausrichtung der Gemeinde als zu orthodox ablehnen. Die Gutverdiener sollten dafür rund 114.000 Euro Synagogensteuer zahlen.
Fall beschäftigt Gerichte schon lange
Der Fall beschäftigt die Gerichte schon seit langem. Beim BVerwG hatte das Ehepaar - anders als in den Vorinstanzen - 2010 Erfolg (Urt. v. 23.09.2010, Az. 7 C 22.09). Das BVerwG argumentierte, dass unter Berücksichtigung aller Umstände davon auszugehen sei, dass die beiden Kläger durch das Eintragen der Religion in den Meldebogen nicht zum Ausdruck gebracht hätten, Mitglieder der jüdischen Gemeinde sein zu wollen.
Dieses Urteil wurde 2014 jedoch vom BVerfG wieder aufgehoben, nachdem die Jüdische Gemeinde Verfassungsbeschwerde dagegen eingelegt hatte (Beschl. v. 17.12.2014, Az. 2 BvR 278/11). Das BVerfG sah die Gemeinde durch das Urteil des BVerwG in ihrem Recht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 Weimarer Verfassung (WRV) verletzt. Demnach können Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten grundsätzlich selbständig ordnen und verwalten. Das gilt auch für Bestimmungen, die den Ein- und Austritt und die Mitgliedschaft regeln.
Prüfungsaufbau: Glaubensfreiheit, Art. 4 I, II GG
Relevante Lerneinheit
Das BVerfG führte aus, dass der Staat solche Regelungen anerkennen müsse. Das BVerwG habe hingegen Bedeutung und Tragweite dieses Selbstbestimmungsrechts verkannt, indem es überzogene Anforderungen an den erkennbaren Willen des Paares gefordert habe, der Gemeinde anzugehören.
Aufgrund der “Bindungswirkung des Kammerbeschlusses des BVerfG” sah sich das BVerwG sodann im zweiten Anlauf dazu gezwungen, der Argumentation der Verfassungsrichter zu folgen (Urt. v. 21.09.2016, Az. 6 C 2.15). Gegen diese Entscheidung erhob das Ehepaar dann erneut Verfassungsbeschwerde - ohne Erfolg.
Grundrechte nicht substantiiert dargelegt
Nach der aktuellen Entscheidung des BVerfG hätten die Eheleute eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 9 EMRK sowie von Art. 103 Abs. 1 GG nicht substantiiert dargelegt (Beschl. v. 20.05.2021, Az. 2 BvR 2595/16).
Das Ehepaar führte im Wesentlichen aus, dass die durch die innerstaatlichen Gerichte anerkannte und vom Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 17. Dezember 2014 als grundrechtskonform angesehene Mitgliedschaft in der Jüdischen Gemeinde nicht auf ihrem Einverständnis beruhe. Dies verletze ihre negative Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 9 EMRK. Das Bundesverfassungsgericht habe verkannt, dass die Gemeindemitgliedschaft der Beschwerdeführer ohne den Willen und ohne das Wissen der Beschwerdeführer entstanden sei.
Im Übrigen sei Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil sich das Bundesverwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil an den früheren Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts gebunden gesehen habe, obgleich dieser unter Außerachtlassung wesentlichen Vortrags der Beschwerdeführer zustande gekommen sei.
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen würden. Die Verfassungsbeschwerde habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da sie unzulässig sei. Die Beschwerdeführer hätten laut BVerfG eine Verletzung ihrer Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte nicht substantiiert dargelegt.
Das Paar hatte es parallel auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg versucht. Dieser hatte 2017 aber gemeint, dass erst das deutsche Verfassungsgericht entscheiden müsse. Ob das Ehepaar erneut vor den EGMR ziehen wird, bleibt abzuwarten.
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