Ein Mann soll den Jungen im Streit um eine Nichtigkeit getötet haben. Die Verteidigung verlangt Freispruch. War es Notwehr?
Ein 13-Jähriger wurde von einem 41-Jährigen erstochen, weil er seine Begleitung beinahe angerempelt habe. Die Anklage plädierte auf Totschlag, der Mann bestreitet seine Tötungsabsicht. War es Notwehr?
Worum geht es?
In der Halloween-Nacht 2020 war der 13-jährige M mit Freunden im Monbijoupark in Berlin-Mitte unterwegs. In einem angrenzenden Tunnel kam es zu der Begegnung mit dem 41 Jahre alten Ü, der mit seiner Begleiterin unterwegs war. M habe auf sein Handy geschaut und sei unachtsam gewesen, heißt es in der Anklage – es sei zu einer Beinahe-Rempelei mit der Begleiterin von Ü gekommen, die dem Jungen ausweichen musste.
Dieser Vorfall habe Ü so erregt, dass er M zur Rede stellte und eine Entschuldigung verlangte. Als die Freunde des Jungen hinzugetreten seien, habe sich der 41-Jährige bedroht gefühlt, ein Messer gezogen und es gegen M angewendet. Ein zehn Zentimeter tiefer Stich durchdrang das Herz des 13-Jährigen, sodass er noch am Tatort verstarb. Außerdem soll Ü einen zu diesem Zeitpunkt 22-jährigen Begleiter des Jungen schwer verletzt haben, der Ü habe festhalten wollen. Laut Staatsanwaltschaft habe Ü erneut sein Messer eingesetzt und den 22-Jährigen schwer im linken Brustbereich verletzt.
Anklage: Totschlag und gefährliche Körperverletzung
Die Staatsanwaltschaft plädierte auf Totschlag (§ 212 StGB) zum Nachteil des M und gefährliche Körperverletzung (§§ 223, 224 I Nr. 2 StGB) zum Nachteil seines Freundes. Der Angeklagte habe den Tod des Jungen „zumindest billigend in Kauf genommen“ und somit den erforderlichen dolus eventualis aufgewiesen, die schwächste Vorsatzform, die für eine Strafbarkeit gemäß § 212 StGB ausreicht. Die Anwälte der Eltern, die als Nebenkläger im Verfahren aufgetreten sind, verlangten einen Schuldspruch wegen Mordes.
Angeklagter weist Tötungsabsicht von sich
Die Verteidigerin des Angeklagten verlangte indes einen Freispruch: Der 41-Jährige hatte eine Tötungsabsicht vehement zurückgewiesen. Er sei nicht aggressiv gewesen, sondern habe „oberlehrerhaft“ eine Entschuldigung von M gefordert. Dieser sei aber in seiner Körpersprache und Tonlage „unheimlich aggressiv“ aufgetreten. Als dann noch seine Freunde hinzugetreten seien, habe er sich bedroht gefühlt. Das Messer habe er in der Hoffnung gezogen, die Gruppe würde sich daraufhin zurückziehen. Ein größerer Jugendlicher habe aber in seine Richtung geschlagen. Im Prozess erklärte Ü:
“Ich wollte abwehren, keine tödliche Verletzung.”
War es Notwehr?
Im Prozess ging es also um die Frage des Vorsatzes oder ob es sich möglicherweise um Notwehr gehandelt haben könnte. Die Notwehr ist in § 32 StGB geregelt und gehört zu den wichtigsten Rechtfertigungsgründen. Sie besteht aus einer Notwehrlage, einer Notwehrhandlung und dem Notwehr- bzw. Verteidigungswillen. Zwar gibt es auch den Notstand gemäß § 34 StGB, doch die Tötung eines Menschen kann hiermit nicht gerechtfertigt werden. Grund dafür ist die erforderliche Abwägung zwischen den Rechtsgütern unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes des absoluten Lebensschutzes: Leben gegen Leben geht im Rahmen der Rechtfertigung nicht.
Doch die Richterin am Landgericht Berlin fand in der Urteilsbegründung recht deutliche Worte. Notwehr kam für sie nicht in Betracht, vielmehr habe Ü den Tod des Jungen billigend in Kauf genommen, um als “Sieger vom Platz” zu gehen:
“Eine unheimlich feige Tat. Es gab keinen Grund, ein Messer zu ziehen. Er wollte den Jungen maßregeln. Er hatte nicht die Absicht zu töten. Aber ein Stich in die Herzgegend kann tödlich enden. Das nahm er in Kauf. Er wollte als Sieger vom Platz gehen.”
Das Landgericht sprach den Angeklagten deshalb des Totschlags sowie der gefährlichen Körperverletzung schuldig. Das Verfahren ist damit aber womöglich noch nicht abgeschlossen, denn die Verteidigung strengt die Revision an.
Klausurrelevante Anknüpfungspunkte
Der tragische Fall bietet für eine Klausur im Strafrecht viele spannende Fragen rund um den Vorsatz und die unterschiedlichen Vorsatzformen, zur Fahrlässigkeit, zum Mord und den Mordmerkmalen sowie zur Notwehr und den Rechtfertigungsgründen: Wann liegt ein gegenwärtiger und rechtswidriger Angriff vor? Wann ist die Notwehrhandlung erforderlich und geboten? Und was sieht das Notwehrrecht eigentlich bei Angriffen von schuldunfähigen Personen, also von Kindern, vor?
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