Online-Casinos droht eine Klagewelle
Das LG Gießen verurteilt ein Online-Casino zur Rückerstattung der Verluste eines Spielers in Höhe von rund 12.000 Euro. Dieses verfüge nur über eine Lizenz in Malta, nicht in Deutschland - ähnlich wie viele andere Anbieter.
Worum geht es?
Anbietern von illegalen Online-Glücksspielen könnte eine Klagewelle drohen: Erstmals hat ein deutsches Gericht ein Online-Casino dazu verurteilt, einem Spieler die kompletten Spielverluste zurückzuzahlen. Die Entscheidung des LG Gießen ist das bundesweit erste Urteil in diesem Kontext.
Glücksspiel in Deutschland
Das Online-Glücksspiel boomt in Deutschland. Schätzungen der Glücksspielaufsichten der Länder beziffern einen Milliarden-Umsatz, den die Anbieter mit Spielern aus Deutschland in den vergangenen Jahren erzielten. Dabei ist die Rechtslage – möchte man meinen – eindeutig: In fast ganz Deutschland ist aufgrund des Glücksspielstaatsvertrages das virtuelle Automatenspielen, Online-Poker und -Roulette verboten. Einzige Ausnahme stellt dabei Schleswig-Holstein dar. In dem nördlichsten Bundesland gilt seit 2011 eine Sonderregelung, wodurch einige legale Lizenzen verteilt werden können und das Online-Casino rechtmäßig ist - allerdings nur für Bewohner in Schleswig-Holstein. Darauf berufen sich viele Anbieter in ihren Werbespots, indem sie am Ende darauf hinweisen, dass das Angebot nur für Menschen mit Wohnsitz in Schleswig-Holstein gilt. Gespielt wird aber dennoch deutschlandweit, eine Kontrolle erfolgt nicht.
LG Gießen: Anspruch aus § 812 I 1 BGB (+)
Die beklagte Betreiberin eines Online-Casinos, zu der insbesondere der bekannte Anbieter „Bwin“ gehört, verfügte über keine legale Lizenz in Deutschland, sondern konnte lediglich eine in Malta vorweisen. Ein Spieler aus Deutschland klagte vor dem Gericht nun auf die Rückzahlung seiner Roulette-Verluste – mit Erfolg. Die Betreiberin muss dem nach eigenen Angaben spielsüchtigen Mann rund 12.000 Euro Spielverlust erstatten.
Der Kläger habe einen Anspruch aus § 812 I 1 Var. 1 BGB. Das Gericht führte aus, dass der Spieler seine Einsätze bei der Beklagten ohne rechtlichen Grund getätigt habe, da der der Leistung zugrundeliegende Vertrag über die Teilnahme am Online-Glücksspiel gemäß § 134 BGB in Verbindung mit § 4 IV GlüStV nichtig sei. Danach ist das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele – mit Ausnahme von Schleswig-Holstein - im Internet verboten. Da die Betreiberin über keine Lizenz verfügte, handele es sich um illegales Glücksspiel. Eine Lizenz in Malta ändere daran nichts, so das Gericht.
Außerdem stehe dem Anspruch des Klägers auch nicht § 817 S. 2 BGB im Wege. Danach ist eine Rückforderung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden ebenfalls der gesetzliche Verstoß zur Last fällt. Auf den ersten Blick erscheint es zwar naheliegend, dass § 817 S. 2 BGB greift – schließlich nahm der Kläger als Spieler am illegalen Online-Glücksspiel teil. Doch die Sperrwirkung des § 817 BGB kann aufgrund teleologischer Auslegung in den Fällen eingeschränkt werden, in denen die Rechtswidrigkeit des Geschäfts auf Vorschriften beruht, die gerade den Leistenden schützen sollen – und so sei es beim Glücksspielstaatsvertrag, argumentierte das Gericht.
“Die Regelungen des GlüStV sind […] dazu bestimmt, dem Schutz der Spielteilnehmer vor suchtfördernden, ruinösen und/oder betrügerischen Erscheinungsformen des Glücksspiels zu schützen.“
Würde man den Anspruch aus § 812 I 1 Var. 1 BGB aufgrund der Regelung des § 817 S. 2 BGB verneinen, würde dies dem Zweck des Gesetzes widersprechen.
Aufbau der Prüfung: § 812 I 1 Var. 1 BGB
Prüfungsrelevante Lerneinheit
Außerdem: § 823 II BGB (+)
Neben den Anspruch aus § 812 I 1 Var. 1 BGB trete außerdem ein Anspruch auf Rückerstattung gemäß § 823 II BGB in Verbindung mit § 4 IV GlüStV. Nach § 823 II BGB macht sich derjenige schadensersatzpflichtig, der gegen ein Schutzgesetz verstößt. Unter ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB fällt jede Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt nicht nur die Allgemeinheit schützt, sondern zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. § 4 IV GlüStV stelle ein solches dar, entschied das LG Gießen.
Die Gegenseite versuchte sich damit zu wehren, dass Bwin seine Angebote rechtmäßig nach dem Unionsrecht veranstalte. Das VG Gießen ließ sich davon allerdings nicht überzeugen. Tatsächlich berufen sich mehrere Online-Casinos seit einiger Zeit darauf, dass das deutsche Glücksspielrecht gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) in der EU verstoße. Die deutsche Rechtsprechung wertet das allerdings anders, wie beispielsweise das OLG Köln unter Bezugnahme auf das BVerwG (Urt. v. 10.05.2019 – Az. 6 U 196/18). Dem schloss sich auch das LG Gießen an: § 4 IV GlüStV sei geltendes Recht.
“Es ist insbesondere weder durch Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, noch des Bundesverfassungsgerichts, noch des EuGH außer Kraft gesetzt oder für nichtig erklärt worden.“
Prüfungsaufbau: § 823 II BGB
Prüfungsrelevante Lerneinheit
Neuer Glücksspielstaatsvertrag kommt
Die Entscheidung des LG Gießen ist noch nicht rechtskräftig, könnte aber bereits jetzt schon für Wirbel sorgen. Laut Informationen von NDR und SZ bereiten aktuell bundesweit zahlreiche Spieler ähnliche Klagen vor. Außerdem würden sich mehrere Kanzleien auf diese Thematik spezialisieren.
Zum 1. Juli 2021 soll in Deutschland allerdings ein neuer Glücksspielstaatsvertrag in Kraft treten, der an das schleswig-holsteinische Modell angelehnt ist. Ab dann dürfen sich Online-Casinos erstmals in ganz Deutschland um eine Lizenz bewerben. Aus diesem Grund werden aktuell die Online-Casinos von den Aufsichtsbehörden „geduldet“. Doch eine solche „Duldung“ könne ein Verbotsgesetz nicht außer Kraft setzen, führte das LG Gießen abschließend aus. Ab Sommer 2021 gelten zwar andere Regeln, doch mögliche Ansprüche sind bereits jetzt entstanden.
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