BGH zur Haftung für den Unfall eines dreijährigen Kindes bei einem Reitturnier

BGH zur Haftung für den Unfall eines dreijährigen Kindes bei einem Reitturnier

A. Sachverhalt

Vorbemerkung: Es handelt es sich um zwei getrennte Verfahren beim BGH. Der Einfachheit halber fassen wir beide zusammen. Der Beklagte des ersten Verfahrens ist der Veranstalter, ein Verein. Die Beklagten des zweiten Verfahrens sind die Eltern des verletzten Mädchens. Die Klägerin ist identisch.

Der Veranstalter organisierte auf seinem Vereinsgelände ein Reitturnier, das ohne Zugangsbeschränkung und Eintrittsgeld von Zuschauern besucht werden konnte. Für das Abstellen von Pferdetransportern stellte er den Turnierteilnehmern verschiedene Wiesen zur Verfügung. Eine dieser Wiesen grenzte an einen Weg, der während der Turnierveranstaltung befahren und auch von Besuchern begangen wurde. Entlang des Weges wurden auf der Wiese unter anderem verschiedene Landmaschinen ausgestellt. Dahinter befanden sich von Turnierteilnehmern abgestellte Pferdetransporter und -anhänger. Dort parkte auch die Klägerin, die eine Turnierteilnehmerin begleitete, auf dem ihr zugewiesenen Stellplatz ihr Fahrzeug mit einem Pferdeanhänger. In diesem befand sich neben dem Pferd der Klägerin ein weiteres Pferd der von ihr begleiteten Turnierteilnehmerin. Die Klägerin stellte ihr Fahrzeug weisungsgemäß mit der Front zu dem Weg ab, der an die Wiese anschloss, sodass das Heck des Pferdeanhängers dem Wettkampfgelände abgewandt war. Als die Turnierteilnehmerin, die die Klägerin begleitete, mit den Pferden verschiedene Wettkämpfe bestritten hatte, wurden diese in den Pferdeanhänger verbracht, angebunden und von hinten mit einer Haltestange gesichert. Die Rampe am Heck des Pferdeanhängers und Luken im seitlichen Frontbereich waren wegen der hohen Lufttemperatur geöffnet. Danach verließen die Klägerin und die Turnierteilnehmerin den Pferdeanhänger.

Die Eltern des knapp dreijährigen Mädchens besuchten mit diesem und weiteren Verwandten das Turnier. Dort hielten sie sich im Bereich zwischen dem Springplatz und der Reithalle auf, wo sie verschiedene Verwandte und Bekannte trafen und sich an einen Biertisch setzten. Das Kind begab sich mit einem anderen, etwa vier Jahre alten Kind unbemerkt zu dem Pferdeanhänger der Klägerin. Zunächst fütterte das Kind von außen eines der Pferde. Dann stieg es in den Pferdeanhänger, wo es von einem Huf des Pferdes der Klägerin am Kopf getroffen und schwer verletzt wurde.

Die Klägerin nimmt den Veranstalter und die Eltern auf Feststellung der Pflicht zum Gesamtschuldnerausgleich in Anspruch.

B. Überblick

Zunächst der gewohnte Blick auf die Probleme des Falls.

I. Gesamtschuldnerausgleich

Haben mehrere Personen durch unerlaubte Handlungen einen Schaden verursacht, haften sie als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB). Der geschädigte Gläubiger kann sich aussuchen, welchen Schädiger er in Anspruch nimmt; selbstverständlich kann er die Zahlung aber nur einmal verlangen (§ 421 Satz 1 BGB).

Derjenige Gesamtschuldner, der den Gläubiger befriedigt hat, kann von den anderen grundsätzlich Ausgleich verlangen (§ 426 Abs. 1 BGB; außerdem geht nach Abs. 2 der Anspruch des Gläubigers auf ihn über).

Vorliegend geht es um die deliktische Haftung der Klägerin, des Veranstalters und der Eltern des verletzten Mädchens. Sind für den aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Schaden mehrere nebeneinander verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB).

Entstehung der Gesamtschuld
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Daraus folgt aber nicht zugleich, dass die Gesamtschuldner im Innenverhältnis zu gleichen Anteilen für den Schaden einstehen müssen. So trifft bspw. nach § 840 Abs. 3 BGB denjenigen, der die Rechtsgutsverletzung schuldhaft verursacht hat, die alleinige Haftung im Verhältnis zu solchen Schädigern, die aus Gefährdungshaftung in Anspruch genommen werden, wie zum Beispiel die Klägerin als Halterin eines Reitpferdes (§ 833 Abs. 1 Satz 1 BGB).

II. Feststellungsklage

Die Klägerin hat bislang keinen Schadensersatz an das Mädchen als Gläubigerin des Schadensersatzanspruchs geleistet. Deshalb hat sie auch keine Zahlungsklage gegen die anderen (vermeintlichen) Gesamtschuldner erhoben. Vielmehr begehrt sie die Feststellung, dass diese zum Innenausgleich verpflichtet sind.

Eine solche Feststellungsklage setzt nach § 256 ZPO voraus, dass zwischen den Parteien ein gegenwärtiges feststellungsfähiges Rechtsverhältnis besteht und die Klägerin ein schützenswertes Interesse an dessen Feststellung hat.

Nun kann man sich fragen, warum die Klägerin nicht einfach abgewartet hat, bis sie tatsächlich in Anspruch genommen wird. Die Antwort findet sich im Verjährungsrecht: Der Innenausgleichsanspruch verjährt gemäß § 195 BGB in drei Jahren. Diese Frist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Schuldners erlangt hat (§ 199 Abs. 1 BGB). Entgegen einer verbreiteten Fehlannahme entsteht der Innenausgleichsanspruch nicht erst mit der Zahlung an den Gläubiger, sondern bereits mit der Hauptschuld. Einem unaufmerksamen Gesamtschuldner kann es also passieren, dass sein Innenausgleichsanspruch längst verjährt ist, wenn er den Gläubiger nach einem langen Prozess befriedigt.

Warum hilft der Klägerin hier die Feststellungsklage? Gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB verjähren rechtskräftig festgestellte Ansprüche in 30 Jahren. Sobald also die Ausgleichspflicht des Veranstalters und der Eltern rechtskräftig festgestellt wäre, hätte die Klägerin 30 Jahre Zeit, ihren Zahlungsanspruch durchzusetzen.

Prüfungsaufbau: Verjährung, §§ 194 ff. BGB
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Die Klägerin hätte sich auch auf Zahlung verklagen lassen können und in diesem Prozess den anderen Gesamtschuldnern den Streit verkündet. Dadurch wäre nicht nur die Verjährung des Ausgleichsanspruchs gehemmt worden (§ 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB), sondern die Klägerin hätte die anderen Gesamtschuldner über die sog. Interventionswirkung an das Ergebnis des Prozesses gebunden (§§ 74 Abs. 3, 68 ZPO).

Tatsächlich hat die Klägerin im Prozess gegen die Eltern dem Veranstalter den Streit verkündet und dieser ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin als Streithelfer beigetreten.

II. Aufsichtspflichten der Eltern und Verkehrssicherungspflichten

Im Mittelpunkt der Entscheidungen steht die Frage danach, wer für die schweren Verletzungen des Mädchens haftet.

1. Aufsichtspflichten der Eltern

Gemäß § 1631 Abs. 1 BGB sind die Eltern als die Sorgeberechtigten (§ 1626 Abs. 1 BGB) auch dazu verpflichtet, das Kind zu beaufsichtigen. Der Umfang der gebotenen Aufsicht über Minderjährige bestimmt sich nach deren Alter, Eigenart und Charakter, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen zu verhindern. Kleinkinder bedürfen ständiger Aufsicht, damit sie sich nicht Gefahren in ihrer Umgebung aussetzen, die sie aufgrund ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit noch nicht erkennen und beherrschen können. Diese Gefahren sind für sie allgegenwärtig; sie können schon aus Gegebenheiten erwachsen, die für jeden anderen gänzlich ungefährlich sind. Daher gesteht die Rechtsprechung Kindern erst ab einem Alter von vier Jahren einen Freiraum zu, wobei allerdings eine regelmäßige Kontrolle in kurzen Zeitabständen für erforderlich gehalten wird.

Gegen diese Aufsichtspflichten könnten die Eltern hier verstoßen haben, indem sie ihre dreijährige Tochter unbeaufsichtigt über das Turniergelände laufen ließen.

Daraus wäre zugunsten der Tochter ein Schadensersatzanspruch gegen ihre Eltern entstanden (§ 1664 Abs. 1 BGB), wobei die Eltern nur für diejenige Sorgfalt einzustehen hätten, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen (§ 277 BGB). Wenn sich Eltern auf diesen Maßstab berufen, trifft sie die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie in eigenen Angelegenheiten eine geringere als die im Verkehr erforderliche Sorgfalt anzuwenden pflegen.

2. Verkehrssicherungspflicht des Veranstalters

Der Veranstalter könnte bei der Organisation des Turniers gegen seine Verkehrssicherungspflichten verstoßen haben.

Derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Verkehrssicherungspflichtig ist auch derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine eingetretene Gefahrenlage andauern lässt.

Fraglich ist, ob der Veranstalter verpflichtet war, Vorkehrungen zu treffen, mit denen verhindert worden wäre, dass das Mädchen in den Pferdeanhänger der Klägerin gelangen kann.

Der unter anderem für das Deliktsrecht zuständige VI. Zivilsenat des BGH hat eine Haftung des Veranstalters generell abgelehnt. Wie der BGH seine Entscheidung begründet, schauen wir uns in der nächsten Woche in einem weiteren Beitrag an und besprechen dann auch die wichtigsten prüfungsrelevanten Aussagen zur deliktischen Haftung nach § 823 I BGB und § 833 I BGB und der Haftung der Eltern. Schaue Dir bis dahin schon einmal den Prüfungsaufbau zu den deliktischen Anspruchsgrundlagen an:

Überblick: Deliktische Anspruchsgrundlagen
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