OLG Karlsruhe: Arglist des Kraftfahrzeughändlers beim Verkauf eines Gebrauchtwagens ohne Sichtprüfung

A. Sachverhalt

Der Kläger hat drei Beklagte als Gesamtschuldner auf Schadensersatz und Minderung nach Erwerb eines mangelhaften Oldtimers in Anspruch genommen.

Verkäuferin des Fahrzeugs war die Beklagte zu 1. Zu ihr hatte der Kläger allerdings keinen persönlichen Kontakt. Vielmehr erfolgte der Verkauf im Wege eines sog. Agenturgeschäfts durch einen Mitarbeiter der Beklagten zu 3., die ein Autohaus für Neu- und Gebrauchtwagen mit angeschlossener Werkstatt betreibt. Sie wurde als Vermittlungs- und Abschlussvertreterin der Beklagten zu 1. tätig. Im Kaufvertrag war ein Gewährleistungsausschluss vereinbart. Beklagte zu 2. war ein Sachverständigenbüro, das im Auftrag des Klägers vor Abschluss des Kaufvertrages eine Fahrzeugbewertung durchführte, bei der keine wesentlichen Mängel festgestellt wurden.

Im Verfahren vor dem Landgericht ist nach Beweisaufnahme festgestellt worden, dass der Oldtimer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses einen unzulänglich reparierten Unfallschaden aufwies. Das wäre für jeden Fachmann durch eine einfache Sichtprüfung sofort erkennbar gewesen, wenn das Fahrzeug auf einer Hebebühne von unten angeschaut worden wäre.

Daraufhin haben der Kläger und die Beklagte zu 2. einen Vergleich geschlossen. In der Folge hat der Kläger den Rechtsstreit in Bezug auf die Beklagten zu 1. und 3. für erledigt erklärt. Beide Beklagten haben zugestimmt.

In seiner Kostenentscheidung nach § 91a ZPO hat das Landgericht dem Kläger u.a. die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. und 3. auferlegt, weil er ohne die übereinstimmende Erledigung mit seiner Klage gegen beide unterlegen wäre. Die Beklagte zu 1. hätte im Hinblick auf den Gewährleistungsausschluss nicht gehaftet, weil ihr und dem Mitarbeiter der Beklagten zu 3. in Bezug auf den Unfallschaden keine Arglist vorgeworfen werden könne. Die Voraussetzungen einer Eigenhaftung der Beklagten zu 3. hätten nicht vorgelegen.

Hiergegen hat der Kläger sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht Karlsruhe eingelegt.

 

B. Überblick

Zum besseren Verständnis vorab die Grundsätze:

 

I. Gewährleistungsausschluss

Ein Verkäufer kann mit dem Käufer grundsätzlich vereinbaren, dass er für Mängel der Kaufsache nicht haftet. Dies folgt aus § 444 BGB, der aber bestimmt, dass sich der Verkäufer hierauf nicht berufen darf, wenn er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Beschaffenheitsgarantie nach § 443 Abs. 1 BGB übernommen hat.

Der Verkäufer handelt arglistig, wenn er den Mangel kennt und gleichzeitig weiß, dass der Käufer keine Kenntnis hat. Bedingter Vorsatz genügt. Eine Kausalität der Arglist für den Entschluss des Käufers ist – anders als bei § 123 Abs. 1 BGB - nicht erforderlich (BGH V ZR 171/10 Rn. 13).

 

II. Übereinstimmende Erledigung

Die Parteien haben den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Damit ist die Rechtshängigkeit der Klage entfallen (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog). Das Gericht entscheidet nur noch darüber, wer die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Hierfür gilt § 91a Abs. 1 ZPO. Maßstab ist danach das billige Ermessen des Gerichts, wobei die bisherige Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen ist. Entscheidend ist dabei, wie der Rechtsstreit ausgegangen wäre, wenn es den Grund für die Erledigungserklärung des Klägers nicht gäbe. Lässt sich das auf der bisherigen Tatsachengrundlage nicht feststellen, findet keine Beweisaufnahme statt, die Kosten werden dann gegeneinander aufgehoben.

Das Gericht entscheidet durch Beschluss. Hiergegen findet die sofortige Beschwerde statt, es sei denn, der Beschwerdeführer ist nicht mit mehr als 600,00 Euro beschwert (§ 91a Abs. 2 Sätze 1, 2 iVm § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Zuständig ist das nächsthöhere Gericht, also das Landgericht für einen Beschluss des Amtsgerichts und das Oberlandesgericht für einen § 91a-Beschluss des Landgerichts. Das Beschwerdeverfahren richtet sich nach §§ 567 ff. ZPO.

 

C. Entscheidung

Das OLG Karlsruhe hat die Kostenentscheidung des Landgerichts abgeändert und entschieden, dass die Beklagten zu 1. und 3. ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen müssen. Ohne den Vergleich des Klägers mit der Beklagten zu 2., der zu den Erledigungserklärungen geführt habe, wäre die Klage gegen die Beklagten zu 1. und 3. erfolgreich gewesen.

 

I. Beklagte zu 1.

Die Beklagte zu 1. sei dem Kläger zur Minderung und zum Schadensersatz gemäß § 437 Nr. 2, 3 BGB verpflichtet gewesen. Der Oldtimer sei mangelhaft, da er einen nur unzulänglich reparierten Unfallschaden aufweise, der dem Kläger bei Abschluss des Kaufvertrages nicht offenbart worden sei.

Auf den Gewährleistungsausschluss könne sich die Beklagte zu 1. wegen des arglistigen Handelns der Beklagten zu 3. nicht berufen. Da die Beklagte zu 1. nicht selbst gegenüber dem Kläger aufgetreten ist, müsse sie sich das Verschulden der Beklagten zu 3., konkret dasjenige des Zeugen L., der die Verkaufsgespräche geführt hat, gemäß § 278 Satz 1 BGB zurechnen lassen. Auch wenn es sich bei der Beklagten zu 1. um eine Privatverkäuferin handele, würden dabei die üblichen Anforderungen an einen Kraftfahrzeughändler gelten. Hierzu führt das Gericht aus:

„Eine Kraftfahrzeughändlerin wie die Beklagte Ziffer 3 ist bei der Veräußerung eines Gebrauchtwagens grundsätzlich verpflichtet, eine Sichtprüfung durchzuführen, um insbesondere Hinweise auf einen möglichen Unfallschaden zu finden. Diese Anforderung ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt (vgl. BGH, NJW 2015, 1669; Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 3663 ff.). Zu einer solchen Sichtprüfung gehört, dass das Fahrzeug auf eine Hebebühne genommen wird, um einen Blick auf die Unterseite des Fahrzeugs zu werfen (vgl. Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 3664; BGH, NJW 2015,1669, 1670). Der Blick auf den Unterboden ist wesentlich, weil dort nicht selten - wie vorliegend - mit bloßem Auge unzulänglich reparierte Unfallschäden festgestellt werden können. Für den professionellen Kraftfahrzeughandel gilt, dass dieser Blick auf den Unterboden von einem Fachmann durchgeführt werden muss, der vorliegend - wie der vom Landgericht bestellte Sachverständige ausgeführt hat - die erheblichen Spuren der früheren unzulänglichen Unfallreparatur auf einen Blick erkannt hätte. Ob der Zeuge I. L. als bei der Beklagten Ziffer 3 angestellter Verkäufer eine genügende Fachkunde für einen solchen Blick auf den Unterboden besaß, kann dahinstehen. Wenn er diese Fachkunde - wie das Landgericht unterstellt hat - nicht besessen haben sollte, dann hätte nach den Grundsätzen der Rechtsprechung die Sichtprüfung durch einen anderen Fachmann im Hause der Beklagten Ziffer 3 in der dortigen Werkstatt durchgeführt werden müssen. Dass eine solche Sichtprüfung nicht stattgefunden hat, wusste der Zeuge L. unstreitig. Infolgedessen oblag es ihm im Hinblick auf die Anforderungen an das Verhalten eines Kraftfahrzeughändlers, den Kläger vor Abschluss des Kaufvertrages darauf hinzuweisen, dass die generell bei Kraftfahrzeughändlern übliche Sichtprüfung nicht stattgefunden hat, mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Feststellung eines möglichen Unfallschadens. Dieser Pflicht ist der Zeuge L. nicht nachgekommen.“

 

Der Zeuge habe dem Kläger die unterbliebene Sichtprüfung arglistig verschwiegen.

„Die Praxis einer Sichtkontrolle entspricht heute der Praxis jedes seriösen Gebrauchtwagenhändlers. Dementsprechend geht jeder Kaufinteressent, der sich an einen Händler wendet, davon aus, dass der Kraftfahrzeughändler die Frage eines möglichen Unfallschadens oder eines Unfallverdachts vor dem Verkauf zumindest in gewissem Umfang geprüft hat. Diese Erwartung des Kunden kennt ein professioneller Verkäufer. Ein Verkäufer, der in Kenntnis dieser Erwartungen eine einfache Sichtprüfung des Fahrzeugs unterlässt, handelt daher in der Regel arglistig, wenn eine korrekte Sichtprüfung - wie im vorliegenden Fall - konkrete Anhaltspunkte für einen nicht ordnungsgemäß reparierten Unfallschaden ergeben hätte. Ein Kraftfahrzeughändler, der an einem Fahrzeug keine Sichtprüfung auf Unfallschäden vornimmt, muss - um dem Vorwurf der Arglist zu entgehen - einen Kaufinteressenten eindeutig darauf hinweisen, dass ein nicht geringes Risiko eines Unfallschadens besteht, weil übliche und einfachste Untersuchungen zur Frage eines Unfallschadens nicht durchgeführt wurden (vgl. OLG Karlsruhe - 4. Zivilsenat - NJW-RR 2011, 257; Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 3665, 4345). Wer das - wie der Zeuge L. - nicht tut, nimmt in der Regel zumindest billigend in Kauf, dass sich der Käufer falsche Vorstellungen über das Risiko eines Unfallschadens macht.“

 

II. Beklagte zu 3.

Auch die Beklagte zu 3. sei dem Kläger schadensersatzpflichtig gewesen, und zwar nach §§ 311 Abs. 3, 280 Abs. 1 BGB. Sie habe die Verkaufsverhandlungen mit dem Kläger bis zum Abschluss des Kaufvertrages allein geführt und dabei in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen (§ 311 Abs. 3 BGB). Der Kläger habe als langjähriger Kunde der Beklagten zu 3. darauf vertraut, dass sich diese bei der Anbahnung und Abwicklung des Verkaufs entsprechend den üblichen Standards eines seriösen Kraftfahrzeughändlers verhalten würde. Dieses Vertrauen habe die Beklagte zu 3. missbraucht und damit zugleich ihre Pflichten gegenüber dem Kläger verletzt, indem sie das Fahrzeug vor dem Verkauf nicht untersucht hat. Der Verstoß gegen Prüf- und Untersuchungspflichten gehöre zu den Hauptanwendungsfällen der Eigenhaftung eines KfZ-Vermittlers.

 

D. Examensrelevante Fragen

Die Entscheidung zeigt, dass an die Aufklärungspflichten des gewerblichen Autohändlers deutlich höhere Anforderungen gestellt werden als an die des privaten Verkäufers. Hätte die Beklagte zu 1. den Oldtimer selbst an den Kläger verkauft, wäre sie nicht verpflichtet gewesen, zuvor eine Sichtprüfung durchzuführen. Da sie aber die Verkaufsverhandlungen der Beklagten zu 3. und damit einer gewerblichen Autohändlerin übertragen hatte, muss sie sich nach der Auffassung des OLG Karlsruhe an den für diese geltenden Maßstäben messen lassen.

Die Beklagte zu 3. hat vorliegend zwei alternative Pflichten verletzt:

 - Sie hat es unterlassen, dafür zu sorgen, dass ein Fachmann auch einen Blick auf den Unterboden des Fahrzeugs wirft. Andernfalls wäre ihr der unzulänglich reparierte Unfallschaden aufgefallen. Hierüber hätte sie den Kläger vor Abschluss des Kaufvertrages informieren müssen.

 

 - Sie hätte dem Kläger zumindest mitteilen müssen, dass sie diese Sichtprüfung nicht vorgenommen hat und es deshalb gut sein könne, dass der Wagen eventuell einen Unfallschaden hat. Der Kläger hätte dann frei entscheiden können, ob er eine solche Prüfung selbst veranlasst oder dies aus Kostengründen unterlässt bzw. vom Kauf Abstand nimmt. Einen Käufer trifft nämlich grundsätzlich nicht die Obliegenheit, die Kaufsache untersuchen zu lassen. Gebrauchtwagen sollen allerdings besichtigt und vom Käufer Probe gefahren werden. Unterlässt er das, obwohl er dabei den Mangel entdeckt hätte, könnte ihm eine grob fahrlässige Unkenntnis des Mangels vorgeworfen werden, die der positiven Kenntnis gleichgestellt ist und zum Gewährleistungsausschluss führt (§ 442 Abs. 1 BGB). Die genauen Anforderungen hängen vom Einzelfall ab. Hat aber der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen, greift auch hier der Ausschluss der Mängelrechte nicht ein (Satz 2 Halbs. 2).

 

Das OLG Karlsruhe hat es arglistig angesehen, dass die Beklagte zu 3. den Kläger nicht über die unterlassene Sichtprüfung informiert hat. Wie bereits unter B. I. gezeigt, setzt Arglist nicht Absicht oder direkten Vorsatz voraus, vielmehr genügt bedingter Vorsatz. Es reicht also, wenn der Händler den Mangel für möglich hält und dessen Vorliegen billigend in Kauf nimmt. Diese Voraussetzungen hat das Gericht schon aus allgemeinen Erwägungen bejaht, weil ein Händler wisse, dass der Käufer erwarte, dass der Händler das Vorliegen eines Unfallschadens in einem gewissen Umfang überprüft hat.

Die Darlegungs- und Beweislast für die Arglist des Händlers trifft grundsätzlich den Käufer, da die Arglist eine für ihn günstige Tatsache ist, denn bei ihrem Vorliegen gilt der vereinbarte Haftungsausschluss nicht. In der hier besprochenen Konstellation spielte das nur eine untergeordnete Rolle, weil es letztlich nicht um innere Tatsachen ging, sondern aus äußeren Abläufen Rückschlüsse gezogen wurden. In anderen Fällen der Arglist kann der Käufer aber vor dem Problem stehen, dass er naturgemäß die innere Einstellung des Verkäufers nicht kennt. Hier hilft ihm die sog. sekundäre Darlegungslast. Ist streitig, ob der Verkäufer dem Käufer den Mangel offenbart hat, muss der Käufer deshalb lediglich die vom Verkäufer in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht zu spezifizierende Aufklärung ausräumen.

 

Ein an sich wirksamer Gewährleistungsausschluss ist auch in weiteren klausurrelevanten Konstellationen unbeachtlich:

 - Liegt ein **Verbrauchsgüterkauf** iSv § 474 Abs. 1 BGB vor, kann sich der Unternehmer auf einen vor Mitteilung des Mangels vereinbarten Gewährleistungsausschluss nicht berufen (§ 476 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das betrifft grundsätzlich allerdings nicht den Ausschluss oder die Beschränkung von Schadensersatzansprüchen (§ 476 Abs. 3 BGB).

 
- Dasselbe gilt für den Lieferanten, wenn ihn der Unternehmer nach Erfüllung von Gewährleistungspflichten aus einem Verbrauchsgüterkauf in Regress nimmt (§ 478 Abs. 2 BGB).

 

 - Haben die Parteien eine **Beschaffenheitsvereinbarung** iSv § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB getroffen, erfasst ein gleichzeitig vereinbarter Gewährleistungsausschluss nicht das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit.

 

Hätten sich die Beklagten der Erledigungserklärung des Klägers nicht angeschlossen, hätte das Verfahren einen anderen Verlauf genommen. Das Gericht hätte zwar auch dann nicht mehr über den ursprünglichen Klageantrag entschieden, jedoch nicht wegen des Wegfalls der Rechtshängigkeit. Die einseitige Erledigungserklärung ist vielmehr eine (nach § 264 Nr. 2 ZPO stets zulässige) Änderung der ursprünglichen Klage in eine Klage auf Feststellung, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat. Das für eine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse wird mit dem Interesse des Klägers, nicht die Kosten des Prozesses tragen zu müssen, begründet. Die Feststellungsklage ist begründet, wenn eine Erledigung im Rechtssinne eingetreten ist, also die Klage ursprünglich zulässig und begründet war, durch ein Ereignis nach Rechtshängigkeit nunmehr aber unzulässig oder unbegründet ist.

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