Urteil vom 25. Mai 2020, 5 U 113/17
A. Sachverhalt
Die Kläger verlangten als Miteigentümer eines Grundstücks, von den Beklagten als Miteigentümer des Nachbargrundstücks, die Blendwirkung der glasierten Dachziegel des Wohnhauses zu beseitigen. Zwischen den Parteien war unstreitig, dass von den Ziegeln eine Blendwirkung ausgeht. Umstritten war lediglich das Ausmaß. Die Kläger haben hierzu behauptet, bei Sonneneinstrahlung werde das Sonnenlicht von den Pfannen derart reflektiert, dass es in den Monaten April bis Oktober zwischen 10.00 und 16.00 Uhr auf ihrem Grundstück zu einer unzumutbaren Blendwirkung komme. Die Blendwirkung mache zu den genannten Zeiten die Nutzung der Terrasse, des Gartens und der zum Haus der Beklagten hin ausgerichteten Räume nahezu unmöglich. Dagegen waren die Beklagten der Auffassung, dass es sich allenfalls um eine unwesentliche Beeinträchtigung handele, welche die Kläger zu dulden hätten. Jedenfalls wäre eine Beseitigung der Blendwirkung angesichts der damit verbundenen Kosten unzumutbar.
Das Landgericht hat die Beklagten nach Parteianhörung und Durchführung eines Ortstermins verurteilt, die Blendwirkung auf das Grundstück der Kläger zu beseitigen. Hiergegen haben die Beklagten Berufung eingelegt.
B. Überblick
Gemäß § 903 Satz 1 BGB kann der Eigentümer mit seiner Sache nach Belieben verfahren. Die Beklagten konnten ihr Dach also zunächst so decken lassen, wie es ihnen gefällt, soweit damit bauordnungsrechtliche Vorschriften nicht verletzt wurden. Das hatten die Kläger zu akzeptieren.
Die Duldungspflicht endete aber dort, wo von dem Grundstück der Beklagten wesentliche Beeinträchtigungen für die Nutzung des Grundstücks der Kläger ausgingen (§ 906 Abs. 1 BGB). Solche Beeinträchtigungen mussten die Kläger nicht mehr hinnehmen, sondern konnten gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB deren Beseitigung von den Beklagten verlangen.
Der Anspruch setzt neben der Eigentumsbeeinträchtigung, die nicht in der Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes liegen darf, voraus, dass der Eigentümer nicht zur Duldung der Beeinträchtigung verpflichtet ist. Ein Verschulden des (Handlungs- oder Zustands-) Störers ist dagegen nicht erforderlich.
C. Entscheidung
Das OLG Hamm hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, weil es ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Kläger gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Beseitigung der Blendwirkung, die von den Dachziegeln ausgeht, haben.
Eine Eigentumsbeeinträchtigung liege vor. Die Dachziegel würden dem Grundstück der Kläger unwägbare Stoffe iSv § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB zuführen, nämlich das Sonnenlicht. Dabei würde es sich auch nicht lediglich um ein Naturereignis handeln, das die Kläger hinzunehmen hätten. Das Sonnenlicht sei zwar mitursächlich für die Blendwirkung, führe aber nur durch die Dachziegel zu der beanstandeten Beeinträchtigung, die es ansonsten nicht gäbe.
Die Kläger müssten diese Blendwirkung nicht dulden.
Es handele sich dabei nicht lediglich um eine unwesentliche Beeinträchtigung iSv § 906 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BGB. Maßgeblich sei insoweit das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen bezogen auf die konkreten Umstände des Einzelfalles. Diese Umstände seien die Dauer der Blendwirkung, die Intensität der Lichtreflexionen und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Nutzung des Grundstücks der Kläger. Hierzu hat das Gericht ein Sachverständigengutachten eingeholt, auf dessen Grundlage es zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die vom Dach der Beklagten ausgehenden Lichtreflexionen wesentliche Beeinträchtigungen des Grundstücks der Kläger darstellen würden.
- Eine Duldungspflicht der Kläger ergebe sich auch nicht aus § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB. Danach muss der Eigentümer selbst eine wesentliche Beeinträchtigung dulden, wenn diese durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar ist. Der beeinträchtigte Eigentümer hat dann lediglich einen Ausgleichsanspruch in Geld (Satz 2). Die Beklagten hatten sich zu ihrer Verteidigung darauf berufen, dass in der Nachbarschaft glasierte Dachziegel üblich seien. Das hat das OLG Hamm für unerheblich gehalten, da es allein darauf ankomme, ob auch die Blendwirkung ortsüblich sei. Hierzu hatten die Beklagten nichts vorgetragen.
Schließlich hat das Gericht auch kein Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten nach § 275 Abs. 2 BGB anerkannt. Danach kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Zwar habe der Sachverständige Kosten zwischen 20.000,00 und 30.000,00 Euro für die Beseitigung der Blendwirkung geschätzt, dieser Aufwand sei jedoch nicht unverhältnismäßig. Das Leistungsinteresse sei für die Kläger von überragender Bedeutung, da diese ihr Grundstück derzeit bei Sonnenlicht vom Früh- bis zum Spätsommer nur eingeschränkt nutzen könnten und dauerhaft einer Gefährdung ihrer Gesundheit ausgesetzt seien.
D. Examensrelevante Fragen
Die Entscheidung hat Relevanz für beide Examen.
Sie sollte zunächst genutzt werden, um noch einmal die Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs aus § 1004 BGB und die Systematik des § 906 BGB zu wiederholen.
Außerdem geht es um examensrelevante Aspekte der Streitgenossenschaft nach §§ 59 ff. ZPO. Beide Grundstücke stehen im Miteigentum. Man sollte sich deshalb im Rahmen der Zulässigkeit der Klage bzw. in der Anwaltsklausur bei der Zweckmäßigkeit des Vorgehens fragen, ob dann auch alle Miteigentümer des beeinträchtigten Grundstücks gegen alle Miteigentümer des Nachbargrundstück klagen müssen. Das gilt selbstverständlich nur dann, wenn nicht – wie beim OLG Hamm – sowieso alle Miteigentümer beteiligt sind.
Eine Klage aller Miteigentümer gegen alle Miteigentümer wäre nur dann erforderlich, wenn es sich jeweils um eine notwendige Streitgenossenschaft nach § 62 BGB handeln würde. Hier wäre die Klage nur eines Eigentümers mangels Prozessführungsbefugnis ebenso unzulässig wie die Klage gegen nur einen Miteigentümer. Notwendige Streitgenossenschaft liegt vor, wenn eine einheitliche Sachentscheidung ergehen muss (Abs. 1 Alt. 1 ZPO) oder eine gemeinschaftliche Klage notwendig ist (Alt. 2).Nach § 1011 BGB ist jeder Miteigentümer berechtigt, einen Anspruch, der nicht auf Herausgabe gerichtet ist, allein geltend zu machen. Auf der Klägerseite liegt deshalb nach überwiegender Auffassung keine notwenige Streitgenossenschaft vor.
- Auf Beklagtenseite kommt es darauf an, ob jeder Miteigentümer die geschuldete Leistung auch allein erbringen kann oder ob das nur alle Eigentümer gemeinschaftlich tun können. Eine notwendige Streitgenossenschaft besteht u.a. dann, wenn es um die Auflassung eines Grundstücks oder einen Grundbuchberichtigungsanspruch geht, denn über das Gesamteigentum können nur alle Eigentümer gemeinsam verfügen (§ 747 Satz 2 BGB). In Bezug auf die Beseitigung der Blendwirkung sind die Miteigentümer des Nachbargrundstücks lediglich Gesamtschuldner. Jeder Miteigentümer kann diese Beseitigung allein veranlassen. Es gibt auch keine Vorschrift, die ein Zusammenwirken erforderlich macht. Es liegt deshalb nur eine einfache Streitgenossenschaft nach § 59 Alt. 1 ZPO vor. Die Miteigentümer können also gemeinschaftlich verklagt werden, müssen es aber nicht.
Schließlich regt das Urteil zum Weiterdenken an:
Was passiert, wenn sich die Nachbarn auch nach Rechtskraft des Urteils weigern, die Dachziegel auszutauschen? Das betrifft die examensrelevante Frage, wie die Kläger ihren Titel vollstrecken könnten.Die ZPO unterscheidet in ihren Vollstreckungsregeln danach, worauf der Titel gerichtet ist. Die Beklagten wurden verurteilt, die Blendwirkung zu beseitigen, also eine Handlung vorzunehmen. Hier sind §§ 887 und 888 ZPO einschlägig. Maßgeblich ist dabei, ob es um eine vertretbare oder eine unvertretbare Handlung geht. Eine vertretbare Handlung liegt vor, wenn sie statt des Schuldners auch ein Dritter vornehmen könnte. Dagegen hängt eine unvertretbar Handlung vom Willen des Schuldners ab.Die Vollstreckung der Verpflichtung zur Vornahme einer vertretbaren Handlung richtet sich nach § 887 ZPO und erfolgt durch Ersatzvornahme (Abs. 1). Hierzu muss der Gläubiger einen entsprechenden Antrag an das Prozessgericht des ersten Rechtszuges stellen. Gleichzeitig kann er beantragen, dass der Schuldner zu einer Vorauszahlung der Kosten verurteilt wird (Abs. 2). Das Gericht entscheidet durch Beschluss (§ 891 ZPO).
Die Vollstreckung der Verpflichtung zur Vornahme einer nicht vertretbaren Handlung, also einer Handlung, die vom Willen des Schuldners abhängt, erfolgt nach § 888 Abs. 1 ZPO durch Anordnung von Zwangsgeld oder Zwangshaft. Dies gilt nicht, wenn die Verurteilung auf die Erbringung von Diensten aus einem Dienstvertrag gerichtet ist (Abs. 3). Auch hier muss der Gläubiger einen Antrag an das Prozessgericht des ersten Rechtszuges stellen. Eine Androhung des Zwangsgeldes bzw. der Zwangshaft ist nicht erforderlich (Abs. 2). Das Gericht entscheidet ebenfalls durch Beschluss (§ 891 ZPO).
Der Austausch der Ziegel ist eine vertretbare Handlung, da er auch von Dritten vorgenommen werden. Auch die Beklagten würden im Zweifel einen Dachdecker beauftragen. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass hierfür das Grundstück der Beklagten betreten werden muss. Der Beseitigungstitel beinhaltet zugleich eine entsprechende Duldungspflicht der Beklagten.
E. Weiterer Hinweis für das zweite Examen
Das Urteil enthält noch einen weiteren Aspekt, der für das zweite Examen interessant sind. Dabei geht es um die Bestimmtheit des Klageantrages nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Vorliegend hatten die Kläger im Kern lediglich beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Blendwirkung der Dachziegel auf ihr Grundstück zu beseitigen, also keine konkrete Maßnahme benannt. Das war aber so in Ordnung. Aus der Natur des Anspruchs aus §§ 1004 Abs. 1, 906 BGB folgt, dass es dem Störer überlassen ist, wie er die Störung beseitigen will. Ein Anspruch auf die Vornahme einer bestimmten Maßnahme steht dem Anspruchsteller grundsätzlich nicht zu. Daher erfordert § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nur die bestimmte Bezeichnung der Beeinträchtigung.
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