Salzsäure-Fall

Salzsäure-Fall

A. Sachverhalt

Der Angeklagte wollte seinen Nebenbuhler Klaus J. aus Eifersucht töten. Da J. ihn kannte und der Angeklagte bei einem Fehlschlag mit einer Entdeckung rechnen musste, entschloss er sich, die Tat durch Dritte ausführen zu lassen. Diese sollten über seine Tötungsabsicht im Unklaren bleiben, durch die Aussicht auf hohe Beute für einen Raubüberfall geködert werden und sich bei der Tatausführung unwissentlich eines tödlichen Mittels bedienen.

Im Dezember 1980 übergab der Angeklagte dem Hilfsbüffetier G. eine Plastikflasche, die angeblich ein Schlafmittel, in Wirklichkeit aber mindestens 100 ml 35%ige Salzsäure enthielt, die bei Aufnahme von 20 ml in den leeren Magen mit Sicherheit tödlich wirkt. G. sollte zusammen mit C. und Ü. alsbald Klaus J. überfallen, ihm - notfalls mit Gewalt - das angebliche Schlafmittel verabreichen und ihn dann berauben. Unterwegs öffneten die zur Begehung der angesonnenen Tat entschlossenen Männer aus Neugierde den Schraubverschluss der Flasche. Der ätzende Geruch, der ihnen beinahe den Atem nahm, machte ihnen klar, dass es sich nicht um ein Schlafmittel, sondern um eine gefährliche Säure handelte. Sie nahmen daraufhin von der Tat Abstand.

Im Januar 1981 händigte der Angeklagte dem Gerüstbauer Dieter A. eine Plastikflasche aus, die angeblich essigsaure Tonerde, in Wirklichkeit aber 39,6 Promille “Me.-F.säure” enthielt eine hochgiftige Flüssigkeit, die bei oraler Aufnahme von nur 5 ml spätestens nach 4 Stunden zum Tode führt, schon bei bloßer Hautberührung tödlich wirken kann, jedenfalls aber zumindest erhebliche Entstellungen und bei Augenkontakt Erblindung zur Folge hat. A. sollte J. mit dieser Flüssigkeit alsbald anspritzen und ihn so veranlassen, vorübergehend ein Krankenhaus aufzusuchen, damit der Angeklagte seine Wohnung ausrauben könne. A. ging nur zum Schein auf den Plan des Angeklagten ein. Er übergab die Plastikflasche der Kriminalpolizei.

B. Worum geht es?

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage, ob sich der Angeklagte mit dem Aushändigen der Flaschen an G. und A. wegen versuchter Tötungsdelikte (§§ 212, 22, 23 StGB oder – falls man ein Mordmerkmal, etwa Heimtücke bejaht – §§ 211, 22, 23 StGB) strafbar gemacht hat. Dabei war sein Vorsatz jeweils darauf gerichtet, die Tat „durch einen anderen“, nämlich G. und A. zu begehen. Denn weder G. noch A. wussten – so jedenfalls die Vorstellung des Angeklagten – nichts davon, dass die Flaschen in Wirklichkeit hochgiftige Substanzen enthielten. Er wollte also mittelbarer Täter (§ 25 I Alt. 2 StGB) kraft überlegenen Wissens über den insoweit vorsatzlos handelnden Tatmittler (§ 16 I 1 StGB) sein:

„Der Tatplan des Angeklagten war auf eine Tatbestandsverwirklichung in mittelbarer Täterschaft gerichtet. Mittelbarer Täter ist, wer eine Straftat “durch einen anderen begeht” (§ 25 Abs. 1 StGB), der selbst nicht Täter dieser Straftat ist. Das ist u. a. der Fall, wenn der Tatmittler infolge eines vom mittelbaren Täter erregten oder ausgenutzten Irrtums nicht vorsätzlich handelt, aber auch wenn der Tatmittler infolge des Irrtums glaubt, eine minder schwere Straftat zu begehen (vgl. Roxin in LK § 25 Rdnr. 59, 78).

So liegt der Fall hier. Der Angeklagte täuschte die von ihm ausgewählten Tatmittler zwar nicht darüber, dass sie eine strafbare Handlung begehen sollten. Er verheimlichte ihnen aber Tatumstände, die den Tatbestand einer schwereren Straftat begründeten, als die Tatmittler sie sich vorstellten. G. und C. wollten einen Raub mittels einer Körperverletzung begehen, nicht aber eine Tötung; dies wird schon dadurch ersichtlich, dass sie von der Tat Abstand nahmen, als sie erkannten, dass der Angeklagte ihnen kein Schlafmittel sondern eine gefährliche Säure gegeben hatte, die auf das Tatopfer tödlich wirken konnte. A. erklärte sich dem Angeklagten gegenüber nur dazu bereit, durch Begehung einer Körperverletzung ohne schwere Folgen bei dem angeblich geplanten Raub mitzuwirken; dass der Angeklagte selbst davon ausging, A. werde zur Mitwirkung bei einer schweren Körperverletzung nicht bereit sein, ist schon daraus erkennbar, dass er ihn über den Inhalt der Flasche täuschte, aus der er das Tatopfer anspritzen sollte.“

Fraglich ist jedoch, ob der Angeklagte auch unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt hat (§ 22 StGB). Als mögliche Zeitpunkte eines Versuchsbeginns, der nach einer Formel des BGH vorliegt, wenn der Täter „subjektiv die Schwelle zum ‚Jetzt geht es los‘ überschreitet“ und “er objektiv zur tatbestandlichen Ausführungshandlung dergestalt ansetzt, dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestands übergeht, kommen in Betracht:

Das Übergeben der Flasche durch den mittelbaren Täter (früh – so die „Einzellösung“), das Ansetzen der Tatmittler G und A zum Verabreichen bzw. Anspritzen des Flascheninhalts (spät – so die „Gesamtlösung“) oder – zwischen den beiden vorgenannten liegend – der Zeitpunkt, in dem sich G und A dem jeweiligen Tatopfer „nähern“. Nur ein Abstellen auf den ersten frühen Zeitpunkt könnte die Versuchsstrafbarkeit des Angeklagten begründen.

Der BGH hatte daher Gelegenheit, die folgende Frage zu beantworten:

„Wann liegt ein unmittelbares Ansetzen zur Tat im Sinne von § 22 StGB bei mittelbarer Täterschaft vor?“

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH bestätigt im Salzsäure-Fall (Urt. v. 26.1.1982 – 4 StR 631/81) die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes und wegen versuchter schwerer Körperverletzung.

Der BGH stellt zunächst die allgemeinen Anforderungen an ein unmittelbares Ansetzen dar:

„Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Die Grenze von der Vorbereitungshandlung zum Versuch wird nicht erst überschritten, wenn der Täter ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht, sondern schon dann, wenn er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals vorgelagert sind, in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden und das geschützte Rechtsgut - nach der Vorstellung des Täters - in eine konkrete Gefahr bringen. Ein Versuch liegt deshalb vor, wenn der Täter Handlungen begeht, die im ungestörten Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen (BGHSt 28, 162, 163; BGH, Urteil vom 26. Juli 1979 - 4 StR 304/79). Dem nach der Vorstellung des Täters “unmittelbaren Einmünden” seiner Handlungen in die Tatbestandsverwirklichung kommt dabei entscheidende Bedeutung zu (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1980 - 2 StR 469/80).“

Für die mittelbare Täterschaft komme es nach Auffassung des BGH, der sich um Ausgangspunkt der Einzellösung anschließt“, auf die „Entlassung“ des Tatmittlers aus dem Einwirkungsbereich des mittelbaren Täters an:

„In mittelbarer Täterschaft versucht eine Straftat derjenige, der nach seiner Vorstellung die erforderliche Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat, sodass nach dem Tatplan dieser im unmittelbaren Anschluss die Tat ausführen soll und das geschützte Rechtsgut damit bereits in diesem Zeitpunkt gefährdet ist (vgl. Lackner, StGB, 14. Aufl., § 22 Anm. 1 c; für die frühere Gesetzesfassung auch BGHSt 4, 270, 273). Denn wer die Tat durch einen anderen begehen will (§ 25 Abs. 1 StGB) setzt zur Verwirklichung des Tatbestandes der geplanten Straftat unmittelbar an (§ 22 StGB), wenn er den Tatmittler zur Tatausführung bestimmt hat und ihn aus seinem Einwirkungsbereich in der Vorstellung entlässt, dass er die tatbestandsmäßige Handlung nunmehr vornehmen werde (vgl. Eser in Schönke/Schröder 20. Aufl., § 22 StGB Rdnr. 54 m.w.Hinweisen).”

Dies sei im vorliegenden Fall geschehen:

„Der Angeklagte hat zunächst G., C. und Ü. mit dem angeblichen Schlafmittel und dann A. mit der angeblichen essigsauren Tonerde losgeschickt, um J. alsbald zu überfallen und das in Wirklichkeit hochgiftige Mittel bei ihm anzuwenden. Darin lag nach seiner Vorstellung bereits ein derartiger unmittelbarer Angriff auf Leben und Gesundheit des Tatopfers, daß dieses bereits gefährdet war und der Schaden sich unmittelbar anschließen konnte.“

Dass der zunächst tatentschlossene G. die Tat nicht ausgeführt hat, der Versuch also fehlgeschlagen ist, beseitige die Strafbarkeit der Handlung des Angeklagten ebenso wenig wie der Umstand, dass A. nur zum Schein bereit war, die vom Angeklagten geplante Tat auszuführen:

„Denn für die Strafbarkeit eines untauglichen Versuchs kommt es nicht auf die tatsächliche Gefährdung eines bestimmten Rechtsgutes maßgebend an, sondern auf die - für sich gesehen schon gefährliche - Auflehnung gegen die rechtlich geschützte Ordnung (BGHSt 11, 268, 271; Dreher/Tröndle, 40. Aufl., § 22 StGB Rdnr. 25). Deshalb begeht der mittelbare Täter einen strafbaren untauglichen Versuch, wenn er aus seiner Sicht alles für die Tatvollendung Notwendige in die Wege geleitet hat, dabei jedoch irrig an die Handlungsbereitschaft des vorgesehenen Tatmittlers glaubte, der in Wirklichkeit zur Tatausführung nicht bereit war. Entscheidend ist für die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs somit allein die Vorstellung des mittelbaren Täters von der Tauglichkeit seiner Handlung.“

D. Fazit

Fragen rund um die mittelbare Täterschaft und den Versuchsbeginn gehören zum Kernstoff in der strafrechtlichen Ausbildung, die auch in aktuellen Entscheidungen in der Praxis immer wieder eine Rolle spielen. Grund genug, sich mit den Problemen und den Lösungsansätzen auseinanderzusetzen. An dieser Stelle sei auch auf eine Sonderkonstellation verwiesen: Zum Versuchsbeginn bei “Giftfallen” hat sich der BGH im Bärwurz-Fall geäußert.