OLG Frankfurt a.M. zum Zustandekommen eines Stromlieferungsvertrages

A. Sachverhalt (vereinfacht)

K ist ein Energieversorgungsunternehmen. Die Stadt Frankfurt a.M. vermietete der Gesellschaft G im Jahr 2010 das Rennbahngelände. G schloss mit dem Renn-Klub R einen Geschäftsbesorgungsvertrag, wonach G einen Büroraum auf dem Gelände erhalten und gegen Zahlung einer Vergütung Pferderenntage veranstalten sollte. Mit der K schloss die G einen Stromlieferungsvertrag. Die G und die Stadt Frankfurt hoben den Mietvertrag über das Rennbahngelände im August 2014 auf. Daraufhin kündigte die G den Geschäftsbesorgungsvertrag mit dem R im März 2015 zu Ende Juni 2015 und meldete zu Ende Juli 2015 ihre Strombezugsquellen bei der K ab. K begrüßte den R im September 2015 als neuen Kunden, woraufhin dieser umgehend widersprach. K begehrt nun Zahlung für Stromlieferungen, die in der Zeit ab August 2015 über einen Zähler in einem kleinen Haus hinter der Tribüne, die von R Mitte 2015 in Besitz genommen wurde, erfasst wurden, in Höhe von 10.000 Euro. R entgegnet, dass ein Großteil des Stroms nicht von ihr, sondern von Z abgenommen worden sei. Steht K ein Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro zu?

 

B. Die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. (Urt. v. 28.6.2019 – 4 U 103/18)

K könnte gegen R ein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises für die erfassten Stromlieferungen aus §§ 453, 433 II BGB zustehen. Dazu müsste zwischen K und R ein Elektrizitätslieferungsvertrag zustande gekommen sein (§§ 145 ff. BGB).

 

I. Angebot der K

Zunächst müsste ein Angebot (§ 145 BGB) der K auf Abschluss eines Elektrizitätslieferungsvertrages vorliegen. Das OLG referiert zunächst die vom BGH im Jahr 2014 aufgestellten Grundsätze zum Zustandekommen eines Elektrizitätslieferungsvertrages, wonach in dem Bereitstellen von Strom durch das Unternehmen ein Angebot in Form einer Realofferte liege, welches von demjenigen, der Strom (tatsächlich) entnehme, durch schlüssiges Verhalten angenommen werde (vgl. auch § 2 Abs. 2 StromGVV). Ziel dieser Grundsätze sei es, einen offenkundig nicht gewollten „vertragslosen“ Zustand zu vermeiden:

„In dem Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens ist grundsätzlich ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrages in Form einer sogenannten Realofferte zu sehen. Diese wird von demjenigen konkludent angenommen, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt. Durch diesen Rechtsgrundsatz, der in § 2 Abs. 2 der Verordnungen über die Allgemeinen Bedingungen für die (Grund-)Versorgung mit Energie und Wasser (StromGVV, GasGVV, AVBWasserV, AVBFernwärmeV) lediglich wiederholt wird, wird der Tatsache Rechnung getragen, dass in der öffentlichen leitungsgebundenen Versorgung die angebotenen Leistungen vielfach ohne ausdrücklichen schriftlichen oder mündlichen Vertragsschluss in Anspruch genommen werden. Er zielt darauf ab, einen ersichtlich nicht gewollten vertragslosen Zustand bei den zugrunde liegenden Versorgungsleistungen zu vermeiden.“

Danach liegt in dem Zurverfügungstellen des Stroms ein Angebot im Sinne von § 145 BGB (als sog. Realofferte) der K.

 

II. Annahme des R

R müsste dieses Angebot angenommen haben (vgl. § 147 BGB). Empfänger der im Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens liegenden Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrages ist nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen typischerweise der Grundstückseigentümer beziehungsweise derjenige, der die Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt:

„Ob dem Energieversorger die Identität des Inhabers der tatsächlichen Verfügungsgewalt bekannt ist, er also etwa weiß, dass das zu versorgende Grundstück sich im Besitz eines Mieters oder Pächters befindet und dieser die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss ausübt, ist unerheblich. Denn bei einer am objektiven Empfängerhorizont unter Beachtung der Verkehrsauffassung und des Gebots von Treu und Glauben ausgerichteten Auslegung der Realofferte eines Energieversorgers geht dessen Wille - ähnlich wie bei unternehmensbezogenen Geschäften - im Zweifel dahin, den - möglicherweise erst noch zu identifizierenden - Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss zu berechtigen und zu verpflichten. Jede andere Sichtweise würde dem in § 2 Abs. 2 der Verordnungen über die Allgemeinen Bedingungen für die (Grund-)Versorgung mit Energie (StromGVV, GasGVV, AVBFernwärmeV) zum Ausdruck gekommenen, an den beiderseitigen Interessen orientierten Verkehrsverständnis zuwiderlaufen, zur Vermeidung eines vertragslosen Zustands einen Vertrag mit demjenigen zustande zu bringen, der die angelieferte Energie oder das angelieferte Wasser entnimmt (BGH, Urteil vom 2. Juli 2014 - VIII ZR 316/13 -, Rn.14 m.w.N., zit. nach juris).“

1. R als Inhaber der Verfügungsgewalt

Der Senat des OLG sieht den R als Inhaber der Verfügungsgewalt und stützt sich dabei auf den Besitz an der Tribüne und dem Zählerraum.

„Das Landgericht hat in der Beweiswürdigung überzeugend herausgearbeitet, dass die Beweisaufnahme infolge der übereinstimmenden Aussagen der Zeugen ergeben habe, dass sich der streitgegenständliche Zähler in einem kleinen Gebäude hinter der Tribüne befunden habe (auf dem Plan des Geländes als „YHA“ bezeichnet). Mithin kommt es auf die Verfügungsgewalt über dieses Gebäude an. Ausweislich der überzeugend hergeleiteten Feststellungen des Landgerichts (S. 7 des landgerichtlichen Urteils = Bl. 514 d.A.) hatte der Beklagte die Tribüne des Rennbahngeländes einschließlich des Vorbaus unstreitig in Besitz genommen. Soweit sich der Beklagte also darauf beruft, dass just hinsichtlich des Zählerraumes eine Ausnahme gelte, dass also sein Besitz sich zwar auf die gesamte Tribüne, mangels Schlüsselgewalt jedoch ausgerechnet nicht auf diesen Zählerraum erstreckte, ist dies ein für ihn günstiger Umstand, den er hätte beweisen müssen.“

Damit hat R das Angebot der K angenommen. Dass möglicherweise mit Z eine andere Person den Strom tatsächlich abgenommen habe, sei irrelevant:

„Ob die [Z] nach Eingang des Stroms auf dem streitgegenständlichen Zähler einen Großteil davon verbrauchte - was denkbar ist, aber angesichts anderer Zähler auf dem Rennbahngelände, über welche sie ansonsten Strom bezogen haben könnte, keineswegs besonders naheliegt -, ist unerheblich. Dass die obergerichtliche Rechtsprechung auf die Verfügungsgewalt über den Zähler und nicht auf den tatsächlichen Verbrauch dahinter abstellt, ist interessengerecht. Zum einen liegt es in der Hand des Inhabers der Verfügungsgewalt, weitere (Unter-)Zähler anbringen zu lassen (was gemäß der Aussage des Zeugen A auch geschehen sein könnte, vgl. S. 14 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 19. März 2018 = Bl. 423 d.A.; vgl. ferner den neuen - insoweit nicht nachgelassenen - Vortrag des Beklagten im Schriftsatz vom 19. Juni 2019, wonach im Sommer 2016 ein Unterzähler eingebaut worden sei) und so sicherzustellen, dass er nur den tatsächlich von ihm verbrauchten Strom schuldet. Demgegenüber muss sich das Versorgungsunternehmen darauf verlassen können, dass die Zuordnung des Zählers ihm die Identifizierung eines Schuldners ermöglicht. Zum anderen kann der Inhaber der Verfügungsgewalt Regress beim tatsächlichen Bezieher des Stroms nehmen; selbst im Falle einer gemeinsamen Sachherrschaft - dann durch einen gesamtschuldnerischen Ausgleichsanspruch. Den tatsächlichen Verbraucher kann er infolge der Inhaberschaft der Verfügungsgewalt leichter ermitteln als der Stromversorger.“

 

2. Ausnahmekonstellation

Allerdings gibt es Fallkonstellationen, in denen die Grundsätze nur eingeschränkt gelten und andere (ausdrücklich geschlossene) Vertragsverhältnisse vorrangig sind:

„Dieser Grundsatz unterliegt jedoch Einschränkungen, wenn das Versorgungsunternehmen oder der Abnehmer zuvor mit einem Dritten eine Liefervereinbarung geschlossen haben. Die Voraussetzungen für einen konkludenten Vertragsschluss fehlen etwa dann, wenn ein Vertragsverhältnis zwischen dem Versorgungsunternehmen und einem Dritten besteht, aufgrund dessen die Energielieferungen erbracht werden, oder wenn der Abnehmer einen Stromlieferungsvertrag mit einem anderen Energieversorger geschlossen hat und nicht weiß, dass dieser ihn nicht (mehr) beliefert. Denn ob ein schlüssiges Verhalten als eine - zum Vertragsschluss führende - Willenserklärung zu werten ist, bestimmt sich nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Maßstäben. Hiernach kommt es entscheidend darauf an, wie das Verhalten objektiv aus der Sicht des Erklärungsgegners zu verstehen war, ob für den Bezieher des Stroms also nach den ihm bekannten oder jedenfalls erkennbaren Umständen ersichtlich war, dass in der erfolgten Stromlieferung eine an ihn gerichtete Realofferte auf Abschluss eines Stromlieferungsvertrages zu sehen war (BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 - VIII ZR 391/12 -, Rn. 14 m.w.N., zit. nach juris).“

Diese Ausnahme ist aber mit der (wirksamen) Kündigung des Vertrages zwischen G und der K zum 31.7.2015 entfallen.

 

3. Widerspruch des R

R hatte indes auf das Begrüßungsschreiben der K einem Vertragsschluss ausdrücklich widersprochen. Dieser Widerspruch werde jedoch durch die tatsächliche Inanspruchnahme überlagert, so dass sich R darauf nach den Grundsätzen der protestatio facto contraria non valet nicht berufen könne (§ 242 BGB):

„Aus Sicht eines objektiven Empfängers stellt sich typischerweise die Vorhaltung der Energie und die Möglichkeit der Energieentnahme an den ordnungsgemäßen Entnahmevorrichtungen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als Leistungsangebot und damit als Vertragsangebot dar. Die Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen beinhaltet - auch bei entgegenstehenden ausdrücklichen Äußerungen - die schlüssig erklärte Annahme dieses Angebots, weil der Abnehmer weiß, dass die Lieferung nur gegen eine Gegenleistung erbracht zu werden pflegt (BGH, Urteil vom 2. Juli 2014 -  VIII ZR 316/13 -, Rn.10 m.w.N., zit. nach juris).“

 

III. Ergebnis

Damit besteht zwischen K und R ein Stromlieferungsvertrag. R schuldet K die Zahlung von 10.000 Euro gemäß §§ 453, 433 II BGB.

 

D. Fazit

Stromlieferverträge sind sehr praxisrelevant. Die vom OLG referierten Grundsätze zum Zustandekommen solcher Verträge sind von hoher praktischer Bedeutung und lehrreich zugleich, schlagen sie doch den Bogen von der Lehre vom sozialtypischen Verhalten bzw. faktischen Vertrag, der sich der BGH noch in den 50er Jahren angeschlossen hatte (s. etwa den klassischen „Hamburger Parkplatzfall“), zu einem modernen Verständnis eines konkludent geschlossenen Vertrages.