Update: Muss in einer Rechtsbehelfsbelehrung über die elektronische Klageerhebung informiert werden?

A. Sachverhalt (leicht vereinfacht)

K wendet sich gegen die Festsetzung eines Straßenausbaubeitrages durch die niedersächsische Behörde B. Mit Bescheid vom 28. November 2014 setzte die B einen Straßenausbaubeitrag für die Erneuerung der Straße „D.“ in der Ortschaft E. gegenüber dem K als Eigentümer des 1.262 m² großen Grundstücks (Flur F., Flurstück G., Gemarkung E.) in der H. in E. in Höhe von 5.425,02 Euro fest. Sie forderte den K zur Zahlung des Beitrags bis zum 15. Februar 2015 auf.

Der Bescheid, der am 5. Januar 2015 zur Post aufgegeben wurde, enthielt folgende Rechtsbehelfsbelehrung:

„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats schriftlich oder zur Niederschrift Klage beim Verwaltungsgericht Göttingen, Berliner Straße 5, B-Stadt, erhoben werden.“

Nachdem keine Zahlung bei der B eingegangen war, wies die B mit Schreiben vom 26. März 2015 den K darauf hin, dass ihr Bescheid inzwischen rechtskräftig sei, und setzte ihm eine neue Zahlungsfrist bis zum 15. April 2015. In dem Schreiben heißt es, dass der K am 29. Dezember 2014 telefonisch grundsätzliche Bedenken gegen die Zahlungsverpflichtung geäußert habe, da von der Straße „D.“ bisher keine Zuwegung erfolgt sei. Eine Mitarbeiterin der B habe ihm daraufhin erläutert, dass es allein auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme der ausgebauten Straße ankomme. Nach Absendung der Zahlungsaufforderung vermerkte diese Mitarbeiterin handschriftlich, dass sie der K telefonisch am 15. April 2015 darauf hingewiesen habe, eine Anfechtungsklage auf den Weg gebracht zu haben. Er wolle eine Kopie an das Verwaltungsgericht schicken.

Am 24. August 2015 erhebt K beim Verwaltungsgericht Göttingen Klage.

Ist die Klage zulässig?

B. Die Entscheidung des OVG Lüneburg (Beschl. v. 30.9.2019, 9 LB 59/17)

Die am 24. August 2015 (Montag) erhobene Klage könnte verfristet sein.

Gemäß § 74 I 2 VwGO muss die Anfechtungsklage grundsätzlich innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erhoben werden, wenn – wie hier – ein Widerspruchsverfahren nicht erforderlich ist (§ 68 I 2 VwGO i.V.m. § 80 I Justizgesetz Niedersachsen). Vorliegend wurde der Verwaltungsakt am 5.1.2015 zur Post aufgegeben. Damit gilt er am dritten Tag nach Aufgabe zur Post, also am 8.1.2015 als bekannt gegeben (§ 11 I Nr. 3b KAG Niedersachsen i.V.m. § 122 II Nr. 1 AO). Damit endete die Monatsfrist gem. § 57 II VwGO i. V. m. § 222 I, II ZPO i. V. m. §§ 187 I, 188 II, 193 BGB am 9. Februar 2015 (Montag). Die am 24. August 2015 erhobene Klage wäre damit verfristet und unzulässig.

Allerdings gilt die genannte Monatsfrist nur dann, wenn der Verwaltungsakt mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 58 I VwGO versehen war. Nach dieser Vorschrift beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nämlich nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig (§ 58 II VwGO).

Die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung könnte unrichtig sein. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 II 1 VwGO ist, wenn sie die in § 58 I VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie einen Zusatz enthält, der geeignet ist, einen Irrtum hervorzurufen:

„Damit handelt es sich bei dem Hinweis auf die Form der Einlegung des Rechtsbehelfs um einen Zusatz, der den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO entspricht, wenn er keinen unzutreffenden oder irreführenden Inhalt hat, der generell geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen und/oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen, und ihn dadurch davon abhalten kann, das Rechtsmittel überhaupt, rechtzeitig oder in der rechten Weise einzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.8.2018, a. a. O., Rn. 15; Beschlüsse vom 14.2.2000 – 7 B 200.99, 7 PKH 71.99 – juris Rn. 3; vom 3.6.1992 – 4 B 100.92 – juris Rn. 2; vom 16.3.1989 – 8 B 26.89 – juris Rn. 1; vom 27.2.1981 – 6 B 19.81 – juris Rn. 5). Es kommt dabei nicht darauf an, ob der zu beanstandende Zusatz der Belehrung im konkreten Fall tatsächlich einen Irrtum hervorgerufen und dazu geführt hat, dass das Rechtsmittel nicht oder nicht rechtzeitig eingelegt worden ist. Es genügt, dass der irreführende Zusatz objektiv geeignet ist, die Rechtsmitteleinlegung zu erschweren. Das dient der Rechtsmittelklarheit. Indem § 58 VwGO seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung knüpft, gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft an die Hand (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.4.2009, a. a. O., Rn. 17). Dabei ist darauf abzustellen, wie ein Empfänger die Erklärung bei objektiver Würdigung verstehen konnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.8.2018, a. a. O., Rn. 15).“

Die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung enthält die von § 58 I VwGO geforderten Bestandteile (Rechtsbehelf, Gericht, Sitz, Frist).

Eine Belehrung über den Fristbeginn enthält sie indes nicht. Der Senat sieht darin aber keine Unrichtigkeit der Belehrung und verweist dazu auf eine (aufmerksamen Bloglesern gut bekannte) aktuelle Entscheidung des BVerwG:

„Eine Rechtsbehelfsbelehrung muss keine Angaben zu dem Zeitpunkt des Fristbeginns enthalten. Es bedarf auch keiner – wie der Kläger meint – Nennung der Bekanntgabe als für den Fristbeginn maßgebendes Ereignis.

Soweit teilweise gefordert wird, dass nicht nur die Dauer der Frist, sondern auch der Fristbeginn, also in der Regel der Hinweis „ab Bekanntgabe“ oder „ab Zustellung“, in einer Rechtsbehelfsbelehrung zu nennen sei (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 58 Rn. 39), vermag dies den Senat nicht zu überzeugen.

Das Bundesverwaltungsgericht ist bereits in seiner früheren Rechtsprechung (vgl. z. B. BVerwG, Urteil vom 27.4.1990 – 8 C 70.88 – juris Rn. 17; Urteil vom 14.6.1983 – 6 C 162.81 – juris Rn. 16; Beschluss vom 28.11.1975 – VII B 151.75 – juris Rn. 2) der Auffassung, dass es keiner Belehrung über den Beginn der Klagefrist bedürfe, die konkrete Berechnung des Laufs der Rechtsmittel vielmehr der eigenen Verantwortung der Betroffenen überlassen bleibe und es nicht möglich sei, in einer Rechtsbehelfsbelehrung auf sämtliche Modalitäten einer Fristberechnung hinzuweisen. Zwar enthielten die den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegenden Rechtsbehelfsbelehrungen den Zusatz „ab Bekanntgabe“ bzw. „ab Zustellung“, die gerichtlichen Ausführungen erfolgten aber unabhängig vom Einzelfall und waren allgemeingültig formuliert, was auch die Einstufung des Hinweises „Bekanntgabe“ als nicht vorgeschriebenem Zusatz (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.4.1990, a.a.O., Rn. 17 f.) belegt.

Nunmehr hat das Bundesverwaltungsgericht in einer aktuellen Entscheidung vom 9. Mai 2019 (– 4 C 2.18 und 4 C 3.18 – juris Rn. 12 - 16) nochmals klargestellt, dass eine Belehrung über den Fristbeginn nicht erforderlich ist.“

Zudem enthält die Rechtsbehelfsbelehrung zwar einen Hinweis über die Form der Klageerhebung, nämlich schriftlich oder zur Niederschrift, obwohl die Vorschrift keine Belehrung über die Form zwingend vorsieht. Sie belehrt aber nicht über die elektronische Möglichkeit der Klageerhebung nach § 55a VwGO.

Die Frage, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig i.S.v. § 58 II VwGO ist, wenn sie zwar einen (nicht erforderlichen) Zusatz zur Form enthält, aber nicht auf die elektronische Möglichkeit der Klageerhebung hinweist, ist in der Rechtsprechung umstritten. Der Senat stellt zunächst Stimmen dar, wonach auch auf Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung hingewiesen werden müsse, wenn die Belehrung sich zur Form der Klageerhebung verhalte:

„Daran anlehnend wird teilweise davon ausgegangen, dass angesichts der nunmehr bestehenden Möglichkeit der Klageerhebung auf einem elektronischen Übermittlungsweg auch auf diese Möglichkeit hingewiesen werden müsse, wenn ein Zusatz hinsichtlich der Form der Erhebung des Rechtsbehelfs in die Rechtsbehelfsbelehrung aufgenommen werde, weil andernfalls irrtümlicherweise davon ausgegangen werden könne, dass diese Form der Einlegung nicht bestünde und der potentielle Rechtsbehelfsführer dadurch von der Einlegung seines Rechtsbehelfs abgehalten werden könne. So sei es durchaus denkbar, dass die Einlegung des Rechtsbehelfs in elektronischer Form eine erhebliche Vereinfachung gegenüber der Einreichung eines Schriftstücks durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, per Post bzw. Boten oder Fax darstelle. Zudem handele es sich um einen den seit jeher bekannten Formen der Rechtsbehelfseinlegung gleichgestellten Weg (vgl. ohne nähere Begründung OVG NRW, Beschluss vom 11.7.2013 – 19 B 406/13 – juris Rn. 19; OVG RP, Urteil vom 8.3.2012 – 1 A 11258/11 – juris Rn. 29 - 32; mit sehr knapper Begründung OVG LSA, Urteil vom 24.11.2010 – 4 L 115/09 – juris Rn. 37 – 39; OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 2.2.2011 – OVG 2 N 10.10 – juris Rn. 3 und Beschluss vom 3.5.2010 – OVG 2 S 106.09 – juris Rn. 6 - 7).“

Der Senat tritt dem entgegen. Eine mit den gesetzlichen Vorgaben harmonierende Belehrung könne weder unrichtig noch irritierend sein. Zudem handele es sich bei der elektronischen Form der Klageerhebung nicht um eine eigenständige Form der Klagerhebung im Sinne von § 81 VwGO, sondern lediglich einen Übermittlungsweg für die schriftliche Klageerhebung:

„So ist die vorliegende Konstellation schon deshalb nicht mit der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen vergleichbar, weil der Hinweis hier nicht unvollständig ist, sondern gerade der gesetzlichen Regelung über die Form der Klageerhebung in § 81 Abs. 1 VwGO – nach der die Klage bei dem Gericht schriftlich zu erheben ist (Satz 1) und bei dem Verwaltungsgericht auch zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann (Satz 2) – entspricht. Eine mit den gesetzlichen Vorgaben harmonierende Belehrung kann aber weder unrichtig noch irritierend sein.

Hintergrund ist, dass die durch Einfügung des § 55a VwGO rechtlich ermöglichte elektronische Übermittlung der Klage keine eigenständige Form der Klageerhebung darstellt, die neben die bisher bekannten Formen (der Schriftform und der Erhebung durch Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle) als dritte tritt. Vielmehr handelt es sich – wie auch die Übermittlung z. B. per Brief, Bote oder (Computer-)Fax – lediglich um eine weitere Übermittlungsmöglichkeit eines schriftlichen Dokuments mit der Folge, dass es sich auch bei einer elektronischen Übermittlung einer Klage um eine (auch in § 81 Abs. 1 VwGO genannte) schriftliche Klageerhebung handelt, über die in der Rechtsbehelfsbelehrung belehrt wurde (so auch VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.5.2019 – 4 A 640/17 – juris Rn. 36; VG Schwerin, Urteil vom 19.2.2019 – 4 A 1830/18 SN – juris Rn. 21 f.; BayVGH, Beschluss vom 18.4.2011 – 20 ZB 11.349 – juris Rn. 3 zu § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO in der bis zum 31.12.2017 gültigen Fassung; BSG, Urteil vom 14.3.2013 – B 13 R 19/12 R – juris Rn. 17 zur Regelung im SGG: zwar grundsätzlich eigenständige Form, aber noch nicht als weiterer „Regelweg“ normiert; offen gelassen BremOVG, Urteil vom 17.8.2018 – 1 B 162/18 – juris Rn. 5). Soweit der Gesetzgeber die Erhebung der Klage als eigenständige Form der Klageerhebung angesehen hätte, wäre damit zu rechnen gewesen, dass er – wie es durch Gesetz vom 5. Juli 2017 (BGBl. I, S. 2208) mit Wirkung zum 1. Januar 2018 auch für die Erhebung des Widerspruchs in § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfolgte – die elektronische Form in die gesetzliche Regelung des § 81 Abs. 1 VwGO neben die beiden dort genannten Formen aufnimmt. Dies erfolgte (bislang) aber gerade nicht. Dies gilt über die Verweisungsvorschrift des § 125 Abs. 1 VwGO auch für die Einlegung der Berufung bzw. des Antrages auf Zulassung der Berufung und nach §§ 134 Abs. 1 Satz 2, 139 Abs. 1 Satz 1, 141 VwGO auch für die (Sprung-)Revision bzw. die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.“

Andernfalls bestehe die Gefahr einer langen und unübersichtlichen Belehrung:

„Hinzu kommt, dass die Rechtsbehelfsbelehrung dadurch erheblich länger und verwirrender würde und ein Hinweis auf die elektronische Form ohne weitere Hinweise auf Einzelheiten, wie z. B. dem Erfordernis einer elektronischen Signatur, den Belehrten in der irrigen Annahme, eine einfache E-Mail genüge, gerade davon abhalten könnte, rechtzeitig schriftlich oder zur Niederschrift Klage einzureichen (vgl. dazu auch BremOVG, Urteil vom 8.8.2012 – 2 A 53/12.A – juris Rn. 23 m. w. N.).“

Damit ist die erteilte Belehrung nicht unrichtig im Sinne von § 58 II VwGO. Die Monatsfrist ist damit abgelaufen, die Klage verfristet und unzulässig.

C. Fazit

Es mehren sich die Entscheidungen zur „Unrichtigkeit“ der Rechtsbehelfsbelehrung in Zeiten der Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs (s. zuletzt die hier vorgestellte Entscheidung des VG Schleswig). Es lohnt sich daher, sich mit den daraus ergebenden Rechtsfragen zu befassen. Dabei sollte man sich merken, dass die Gerichte derzeit (wohl) überwiegend davon ausgehen, dass die elektronische Klageerhebung keine eigenständige Form der Klageerhebung i.S.v. § 81 VwGO, sondern lediglich einen (weiteren) Übermittlungsweg darstelle. Daher sei eine Belehrung über die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung nicht erforderlich. Auch eine Wiederholung der Entscheidung des BVerwG zur Frage, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung auf den Fristbeginn hinweisen muss, ist empfehlenswert und war bereits Gegenstand von Examensaufgaben.

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