VG Schleswig: Muss in einer Rechtsbehelfsbelehrung über die elektronische Klageerhebung informiert werden?

A. Sachverhalt

K ist Eigentümerin des Grundstücks A-Straße in B-Stadt. Dieses Grundstück ist verpachtet an die Firma C. Sie betreibt dort eine Süßwarenherstellung (Bonbons, Mints, Toffees, Weingummi).

Mit Schreiben vom 6. November 2013 informierte die B-Stadt die Klägerin, dass sie aufgrund ihrer Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserbeseitigung Verschmutzungszuschläge für stark verschmutztes Abwasser erhebe. Sie werde in der Zeit vom 11. November 2013 bis 6. Dezember 2013 auf dem Betriebsgrundstück eine vierwöchige Untersuchungsreihe zur Ermittlung des Verschmutzungsgrades des Abwassers durchführen.

Nach erfolgter Messung setzte die B-Stadt mit Bescheid vom 27. Mai 2014 gegenüber der K den Verschmutzungsgrad (CSB-Wert) nach dem zuvor dargestellten Verfahren und den Ergebnissen der Messreihe für drei Jahre ab dem 1. Januar 2013 auf 8.437,00 mg/l fest. Der Verschmutzungszuschlag werde nach der im zugeführten Abwasser enthaltenen, über 1.450 mg/l hinausgehenden Schmutzfracht erhoben. Die Kosten je Kilogramm Schmutzfracht errechnete sich aus dem vom D gegenüber der Beklagten erhobenen Verschmutzungszuschlag und der dieser Berechnung zu Grunde liegenden gebührenpflichtigen Abwassermenge sowie der Kosten für die Untersuchung der Abwässer der Einleiter stark verschmutzter Abwässer (CSB ./. 1.450 mg/l x gebührenpflichtige Abwassermenge).

K legte am 27. Juni 2014 hiergegen Widerspruch ein.

Mit Bescheid vom 26. Mai 2016 erhob die B-Stadt von der K Verschmutzungszuschläge für das Einleiten stark verschmutzten Abwassers in das städtische Schmutzwasserkanalnetz in den Jahren 2013 und 2014 in Höhe von 28.421,41 € bzw. 16.190,56 €. Entsprechend des Bescheides vom 27. Mai 2014 sei der CSB-Wert ab dem 1. Januar 2013 für drei Jahre auf 8.437 mg/Liter festgesetzt worden. Der Verschmutzungszuschlag für 2013 betrage 0,09400 €/Kg Schmutzfracht. Für 2014 betrage er 0,11433 €/Kg Schmutzfracht. Die jeweilige Berechnung der Höhe des Zuschlages für 2013 und 2014 war dem Bescheid als Anlage beigefügt.

Zur Begründung des Widerspruchs vom 27. Juni 2014 führte die K in einem Schreiben vom 24. Juni 2016 unter Bezugnahme auf die Festsetzung des Verschmutzungszuschlages durch den Bescheid vom 26. Mai 2016 aus, dass die eigenen Messungen in der Zeit vom 14. Februar 2013 bis 20. Mai 2014 einen Durchschnittswert in Höhe von 4.793 mg/l ausweisen würden. Angefügt war eine tabellarische Aufstellung. Der langfristig über ca. 16 Monate mit 25 Einzelmessungen gemessene Durchschnitt dürfe grundsätzlich als zuverlässiger angesehen werden, als der Durchschnitt von 20 Messungen innerhalb etwa eines Monats, der 76 % über dem langfristigen Durchschnittswert liege. Die Richtigkeit dieser Überlegung werde bestätigt, wenn die Küchenleistung des Jahres 2013 in Vergleich gezogen werde. Dabei werde sichtbar, dass die Küchenleistung im November 2013, also dem wesentlichen Zeitraum der Stichprobenmessungen der Beklagten um 54 % über der monatlichen Durchschnittsleistung der Küche gelegen habe. Die K schlug der B-Stadt vor, einen Gesamtdurchschnitt aus den beiden Messergebnissen der K und der Stadt und der Beklagten, mithin in Abänderung des Bescheides vom 27. Mai 2014 ab dem 1. Januar 2013 den Verschmutzungszuschlag auf 6.615 mg/l für drei Jahre festzusetzen.

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 teilte die B-Stadt der K mit, dass sie das Schreiben vom 24. Juni 2016 als Erweiterung des Widerspruchs auch auf den Festsetzungs- und Erhebungsbescheid vom 26. Mai 2016 werte.

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2016 setzte die B-Stadt gegenüber der K einen Verschmutzungszuschlag für den Abrechnungszeitraum 2015 in Höhe von 16.132,85 € fest. Auch hiergegen legte die K Widerspruch ein (am 17. Januar 2017).

Am 28. September 2017 erging ein zurückweisender Widerspruchsbescheid betreffend die Festsetzung und Erhebung von Verschmutzungszuschlägen vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2015 (Bescheide vom 27. Mai 2014, 26. Mai 2016 und 23. Dezember 2016). Unter Wiedergabe des bisherigen Geschehensablaufs führte die B-Stadt insbesondere an, dass die von ihr durchgeführte Probenentnahme und die Festsetzung des Verschmutzungsgrades dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Satzungsrecht entsprochen habe. Die K habe keinen Gebrauch davon gemacht, bei Zweifeln ein amtliches Gutachten einzuholen. Die Festsetzung und Erhebung der Verschmutzungszuschläge für die Jahre 2013-2015 sei gemäß § 12 Abs. 1 BGS auf Grundlage des festgesetzten Verschmutzungsgrades und der jeweiligen gebührenpflichtigen Abwassermenge erfolgt. Ein Verstoß gegen die rechtlichen Grundlagen der Gebührenfestsetzung und -erhebung sei nicht erkennbar. Ein Abweichen von den Satzungsregelungen komme schon aus Gründen der Gleichbehandlung nicht in Betracht. Für den vorgeschlagenen Vergleich sehe die B-Stadt mangels Ungewissheiten keinen Raum.

Ausweislich des Rückscheins wurde der Widerspruchsbescheid der K am Donnerstag, dem 02. Oktober 2017 zugestellt. Er enthält die folgende Rechtsbehelfsbelehrung:

„Gegen die Bescheide vom 27.05.2014, 26.05.2016 und 23.12.2016 können Sie innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Widerspruchsbescheides Klage vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht, Brockdorff-Rantzau-Straße 13, 24837 Schleswig, erheben. Die Klage ist schriftlich beim Verwaltungsgericht einzureichen oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erklären.“

K hat am 6. November 2017 (Montag) Klage erhoben.

Ist die Klage zulässig?

B. Die Entscheidung des VG Schleswig (Urt. v. 22.5.2019 – 4 A 640/17)

Die am 6. November 2017 (Montag) erhobene und als Anfechtungsklage (§ 42 I VwGO) statthafte Klage könnte verfristet sein.

Gemäß § 74 I VwGO muss die Anfechtungsklage grundsätzlich innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheides erhoben werden. Vorliegend wurde ausweislich des Rückscheins des per Einschreibens am 29. September 2017 aufgegebenen Widerspruchsbescheids dieser der K am 2. Oktober 2017 zugestellt. Damit endete die Monatsfrist gem. § 57 II VwGO i. V. m. § 222 I, II ZPO i. V. m. §§ 187 I, 188 II BGB am 2. November 2017 (Donnerstag).

Allerdings gilt die genannte Monatsfrist nur dann, wenn der Widerspruchsbescheid mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 58 I VwGO versehen war. Nach dieser Vorschrift beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nämlich nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig (§ 58 II VwGO).

Die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung könnte unrichtig sein.

Das VG führt zunächst aus, wann die Belehrung unrichtig ist im Sinne von § 58 II VwGO:

„In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, U. v. 21.03.2002 – 4 C 2/01 –, Rn. 12, juris, Rn. 12, m. w. N.; vgl. auch BVerwG, B. v. 03.03.2016, 3 PKH 5/15, juris Rn. 6; B. v. 31.08.2015, 2 B 61/14, juris Rn. 8). Dies gilt auch für die Fälle, in denen in die Rechtsbehelfsbelehrung weitere Inhalte aufgenommen werden (wie z. B. über die Form), die nicht zwingend von § 58 Abs. 1 VwGO gefordert sind. § 58 VwGO macht den Lauf der Fristen in allen Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe tatsächlich unbekannt waren und ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war (BVerwG, U. v. 30.04.2009 – 3 C 23/08 –, juris, Rn. 17). Zudem muss jede Rechtsmittelbelehrung aus sich heraus verständlich, vollständig und richtig sein; der Betroffene soll nicht darauf verwiesen werden, auf ältere Informationen zurückzugreifen, zumal auf solche, die nicht von demselben, sondern von einem anderen Gericht oder einer Behörde stammen. Damit soll der Betroffene auch allein anhand der vorliegenden Rechtsmittelbelehrung deren Vollständigkeit und Richtigkeit überprüfen und danach die Frage beantworten können, ob ihre Erteilung die Monatsfrist des § 58 Abs. 1 VwGO in Lauf gesetzt hat oder nicht (BVerwG, a. a. O., Rn. 18).“

 

Die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung enthält die von § 58 I VwGO geforderten Bestandteile (Rechtsbehelf, Gericht, Sitz, Frist). Allerdings belehrt sie zwar darüber hinaus auch über die Form der Einlegung, nämlich schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, obwohl die Vorschrift keine Belehrung über die Form zwingend vorsieht. Sie belehrt aber nicht über die elektronische Möglichkeit der Klageerhebung, obwohl seit dem 1. Februar 2015 beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht der elektronische Rechtsverkehr eröffnet ist (vgl. § 55a I 1 VwGO in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung i. V. m. § 1 der Landesverordnung über den Rechtsverkehr mit den Gerichten und Staatsanwaltschaften vom 12. Dezember 2006 (GVOBl. 2006, S. 361).

Die Frage, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung „fehlerhaft“ (unrichtig) ist, weil sie nicht auf die elektronische Möglichkeit der Klageerhebung hinweist, ist in der Rechtsprechung umstritten. Die Kammer stellt zunächst den Meinungsstand dar.

Nach einer Auffassung sei das Fehlen des Hinweises generell geeignet, bei dem Adressaten einen Irrtum über die verschiedenen Möglichkeiten, den Formerfordernissen zu genügen, hervorzurufen:

„Die Annahme der Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung wird damit begründet, der Hinweis auf die Klageerhebung schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten sei nach dem objektiven Empfängerhorizont geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass die Klage trotz bestehender Möglichkeit nicht in elektronischer Form erhoben werden könne. Die Verweisung auf das Erfordernis, den Rechtsbehelf schriftlich einzureichen, erschwere dem Betroffenen die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise. Es sei durchaus denkbar, dass die Einlegung des Rechtsbehelfs in elektronischer Form – für den Beteiligten persönlich ebenso wie für dessen Bevollmächtigten – eine erhebliche Vereinfachung gegenüber der Einreichung eines Schriftstücks durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, per Post bzw. Boten oder Fax darstelle. Der fehlende Hinweis könne auch bei Rechtsanwälten, die über die qualifizierte elektronische Signatur verfügten, zu Zweifeln über die Art und Weise der Klageerhebung führen (OVG Sachsen-Anhalt, U. v. 14.10.2014 – 1 L 99/13 – und U. v. 12.11.2013 – 1 L 15/13 –; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 08.03.2012 – 1 A 11258/11 –; OVG A-Stadt-Brandenburg, B. v. 02.02.2011 – 2 N 10.10 –; v. 03.05.2010 – 2 S 106.09 – und v. 22.04.2010 – 2 S 12.10 –; OVG Sachsen-Anhalt, U. v. 24.11.2010 – 4 L 115/09 –; VG A-Stadt, U. v. 20.10.2016 – 2 K 568.15 –; VG Oldenburg, U. v. 11.01.2016 – 11 A 892/15 –; VG Schleswig-Holstein, U. v. 05.11.2015 – 1 A 24/15 –; VG Magdeburg, U. v. 10.05.2012 – 4 A 261/11 –; VG Neustadt, U. v. 10.09.2010 – 2 K 156/10.NW –; VG Koblenz, U. v. 24.08.2010 – 2 K 1005/09.KO –; VG Potsdam, U. v. 18.08.2010 – 8 K 2929/09 –; VG Trier, U. v. 22.09.2009 – 1 K 365/09.TR – jeweils juris; Hess. LSG, U. v. 13.04.2012 – L 5 R 154/11 –; LSG A-Stadt-Brandenburg, U. v. 15.11.2011 – L 3 U 88/10 –; jeweils juris). Zudem sei die elektronische Kommunikation längst aus dem Status der „Exotik“ herausgewachsen und stelle nach dem Willen des Gesetzgebers einen den seit jeher bekannten Formen der Rechtsbehelfseinlegung gleichgestellten Weg dar. Eine entsprechende Erweiterung der Rechtsbehelfsbelehrung um diesen zusätzlichen dritten Weg stelle auch keine Überforderung des betroffenen Bürgers dar. Ihm blieben bei einer derartigen Fassung der Rechtsbehelfsbelehrung daneben die seit alters her bekannten Wege offen, den Rechtsbehelf einzulegen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 08.03.2012, a. a. O.; VG Trier, U. v. 22.09.2009, a. a. O.). Zudem richte sich die Rechtsbehelfsbelehrung an alle Verfahrensbeteiligten und es dürfe nicht nur auf diejenigen Verfahrensbeteiligten abgestellt werden, die von der elektronischen Kommunikationsmöglichkeit am wenigsten Gebrauch machen dürften (vgl. Hess. LSG, Urt. v. 13.04.2012, a. a. O.; VG Schleswig-Holstein, U. v. 05.11.2015 – 1 A 24/15, juris).“

 

Nach der Gegenauffassung müsse dagegen nicht auf die Möglichkeit der Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage mittels elektronischer Datenübermittlung hingewiesen werden, weil diese Form bisher wenig verbreitet sei und besonderen Voraussetzungen und Umständen unterliege:

„Die elektronische Klageerhebung unterscheide sich von herkömmlichen Formen der Klageerhebung durch Zugangsvoraussetzungen, die gerade nicht jedermann offen stünden. Die dadurch eröffnete beschleunigte Übermittlung einer fristgebundenen Eingabe bei Gericht stehe nur einem Anwenderkreis offen, der in das Verfahren eingebunden sei und typischerweise nicht einem Irrtum über die Möglichkeit der elektronischen Klageerhebung unterliegen könne. Der Zweck der Rechtsbehelfsbelehrung, dem Beteiligten den richtigen und regelmäßigen Weg der Klageerhebung zu zeigen, dürfe nicht dadurch verwässert werden, dass die Rechtsbehelfsbelehrung auch alle anderen Möglichkeiten, die das Gesetz zur Fristwahrung genügen lasse, aufzählen müsse. Die Rechtsbehelfsbelehrung werde dadurch nicht übersichtlicher, sondern länger und verwirrend. Insbesondere auch im Verhältnis zur Klageerhebung per Fax, auf die nicht gesondert hingewiesen werden müsse, stelle der elektronische Rechtsverkehr keine Vereinfachung des Rechtsschutzzugangs dar. Daher müsse auf die Möglichkeit der Klageerhebung in elektronischer Form nicht gesondert hingewiesen werden (VG Magdeburg, U. v. 22.07.2014 – 7 A 482/12 –; VG Schleswig, B. v. 27.11.2015 – 2 B 54/15 –; VG Braunschweig, U. v. 16.12.2015 – 5 A 17/14 –; VG Hannover, U. v. 18.05.2017 – 7 A 5352/16 –; VG B-Stadt, U. v. 06.03.2018 – 11 K 6685/16 –; Bay. VGH, B. v. 18.04.2011 – 20 ZB 11.349 –; OVG Bremen, U. v. 08.08.2012 – 2 A 53/12.A –; BFH, B. v. 02.02.2010 – III B 20/09 –; BSG, U. v. 14.03.2013 – B 13 R 19/12 R –; jeweils juris). Der mit einer rechtswirksamen elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an das Gericht verbundene Aufwand übersteige bei weitem denjenigen, der mit einer Übermittlung auf herkömmliche Weise einhergehe (VG Hamburg, U. v. 06.03.2018 – 11 K 6685/16 –, juris Rn. 56). Auch das OVG Bremen hat in seinem Urteil vom 17.08.2018 (1 B 162/18) ausdrücklich weiter an dieser bereits durch den 2. Senat vertretenen Rechtsprechung festgehalten. Tragendes Argument war dabei ebenfalls die Gewährleistung eines möglichst effektiven Rechtsschutzes und dass der elektronische Rechtsverkehr kein leicht zugänglicher und unkomplizierter Weg zur Klageerhebung sei. Im Übrigen wurde in dieser Entscheidung angesprochen, dass die Frage aufzuwerfen sei, ob es des Hinweises auf die elektronische Form der Klageerhebung auch deshalb nicht bedürfe, weil sie nur einen Sonderfall der Schriftform darstelle und ihr die Eigenständigkeit fehle. Hierauf weise auch die zivilrechtliche Literatur hin (vgl. etwa Ellenberger in Palandt, BGB, 76. Aufl. 2017, § 126a Rn. 1; vgl. hierzu auch BT-Drucks. 14/4987, S. 12). In diesem Sinne spreche § 81 Abs. 1 VwGO nach wie vor davon, dass die Klage bei dem Gericht schriftlich zu erheben sei und zu Protokoll erhoben werden könne. Der 2. Senat des OVG Bremen habe diesen Überlegungen im Ergebnis keine Bedeutung beigemessen. Ob ihm auch insoweit zu folgen sei, könne hier offenbleiben (vgl. OVG Bremen, U. v. 17.08.2018 – 1 B 162/18 –, juris Rn. 5).“

 

Die Kammer folgt der letztgenannten Auffassung, nämlich dass die Rechtsbehelfsbelehrung nicht fehlerhaft (unrichtig) ist.

Dafür führt sie zunächst an, dass die Möglichkeit einer elektronischen Klageerhebung (§ 55a VwGO) keine eigenständige Form der Klageerhebung begründet und § 81 I VwGO nach wie vor eine schriftliche oder zur Protokoll der Geschäftsstelle erklärte Klageerhebung vorsieht:

„Die Kammer schließt sich letzterer Auffassung im Ergebnis an. Diese hat in jedem Falle für sich, dass sie – im Gegensatz zur erstgenannten Rechtsmeinung – nicht im Widerspruch zu den gesetzlichen Formulierungen steht, wie eine Klage (§ 81 Abs. 1 VwGO), eine Berufung (§ 125 Abs. 1 VwGO), eine Revision (§ 139 VwGO) oder eine Beschwerde (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) einzulegen sind. Die Gegenauffassung wäre mit dem Vorwurf an den Gesetzgeber verbunden, an mehreren Stellen des Gesetzes fehlerhafte Aussagen darüber zu treffen, wie ein Rechtsmittel bei Gericht einzulegen ist.

Auffällig ist, dass der Gesetzgeber trotz Einfügung von § 55a VwGO durch das Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz vom 22.03.2005 – JKomG – und dem Eintritt des elektronischen Rechtsverkehrs in die Rechtswirklichkeit der Gerichte in den letzten fünf Jahren bis heute die Vorschriften zur Klage-, Berufungs-, Revisions- und Beschwerdeeinlegung nicht verändert hat. Die Bestimmungen verlangen nach wie vor eine „schriftliche“ Einlegung, bei der Klage- und der Beschwerdeeinlegung wird zusätzlich eine Einlegung „zu Protokoll“ für möglich erklärt. Dabei hatte sich der Gesetzgeber bei Erlass des JKomG dezidiert mit der Vorschrift des § 81 VwGO im Zusammenhang mit der Einführung des § 55a VwGO befasst, nämlich in § 81 Abs. 2 den Passus „vorbehaltlich des § 55a Absatz 2 Satz 2“ eingefügt (BT-Drucksache17/12634 S. 37: „Die Änderung in § 81 ist eine Folgeänderung zur Neufassung von § 55a“). Das spricht mit Gewicht gegen eine versehentliche Unterlassung einer Anpassung des Absatzes 1 der Vorschrift über das „Wie“ einer Klageerhebung. Auch bei der jüngsten Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung durch Art. 20 des Gesetzes vom 05.07.2017 (BGBl. I S. 2208) wurden die Wortlaute der genannten Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelvorschriften nicht verändert. Solches stand aber umso mehr auf dem Prüfstand, weil mit diesem Gesetz § 70 Abs. 1 VwGO – die Regelung, wie ein Widerspruch zur Einleitung des gerichtlichen Vorverfahrens einzulegen ist – um den Passus ergänzt wurde, dass dies auch „in elektronischer Form nach § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes“ erfolgen könne. Demnach hat der Gesetzgeber bezogen auf das Verwaltungsverfahren eine Korrektur für geboten gehalten – nicht aber für das gerichtliche Verfahren.

Hintergrund hierfür ist nach Auffassung der Kammer, dass § 55a VwGO keine eigene elektronische Form als Art der Einlegungsmöglichkeit schafft, sondern allein die Eröffnung eines elektronischen Zugangs für schriftliche Dokumente begründet mit der Folge, dass es eine als eigenständig anerkannte elektronische Form der Klageerhebung gar nicht gibt (so auch Eyermann/Fröhler, VwGO, 15. Auflage 2019, § 58 Rn. 22 f.; BT-Drucksache 17/12634 S. 37: „Die Änderung erweitert und vereinfacht für den Verwaltungsgerichtsprozess den elektronischen Zugang zu den Gerichten“).“

 

Zudem gebe es in der Rechtsprechung keine Zweifel darüber, dass das Fehlen des Hinweises in der Rechtsmittelbelehrung auf die (fristwahrende) Einreichung der Klage per Fax nicht zur Unrichtigkeit der Belehrung führt:

“Auch die Faxeinreichung stellt lediglich eine besondere Zugangsform, nicht hingegen eine andere Form der „Schriftlichkeit“ dar. Gleichermaßen spricht viel dafür, dass der elektronische Zugang – wie bereits dargestellt – keine eigenständige Form, sondern immer ein Unterfall der Schriftform gewesen ist. So heißt es in der Gesetzesbegründung – neben dem oben zitierten „Zugang“ – noch einmal ausdrücklich (BT-Drs 17/12634, S. 25): „Wird das elektronische Dokument weder qualifiziert elektronisch signiert noch auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht, ist die prozessuale Form nicht gewahrt. Ein solches Dokument ist, sofern die Verfahrensordnung Schriftform voraussetzt, nicht wirksam eingereicht.“ Insofern ersetzt die besonders geforderte Signatur lediglich die „händische“ Unterschrift, um damit zum einen die Identität und zum anderen die Übernahme der inhaltlichen Verantwortung der verantwortenden Person zu erkennen.”

Schließlich sei der fehlende Hinweis auf den elektronischen Rechtsverkehr nicht geeignet, bei dem Rechtssuchenden einen Irrtum hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, Rechtsmittel einzulegen:

“Auf dieses bestimmende Merkmal „Geeignetheit“ der Hervorrufung eines Irrtums wird in der zitierten Gegenauffassung nach Ansicht der Kammer zu wenig Gewicht gelegt. Abstellend auf den objektiven Erklärungsempfänger – unabhängig davon, ob er über die Zugangsvoraussetzungen für den elektronischen Rechtsverkehr verfügt oder nicht – erscheint es eher fernliegend, dass ein Rechtsschutzsuchender sich von der Einlegung des Rechtsbehelfs auf herkömmlichem Wege (schriftlich im Sinne von einem eigenhändig unterzeichneten Dokument oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten) abhalten lassen würde, nur weil ein Hinweis auf den elektronischen Rechtsverkehr fehlt. Entweder verfügt er schon nicht über die Zugangsvoraussetzungen, dann würde er diesen Weg bei realitätsnaher Betrachtungsweise sowieso nicht gehen (können) und müsste den herkömmlichen Weg nutzen. Verfügt er über die Zugangsvoraussetzungen, gehört er also zu einer speziellen Anwendergruppe, wie typischerweise Rechtsanwälte und Behörden, so ist ihm dieses Wissen um die Möglichkeit dieses Weges zu unterstellen und bei seinem Empfängerhorizont zu berücksichtigen. Zumindest aber kann realitätsnah – insbesondere vor dem Gesichtspunkt der Anwaltshaftung – nicht davon ausgegangen werden, dass er überhaupt keinen Rechtsbehelf einlegt, nur weil der Hinweis auf den elektronischen Rechtsverkehr fehlt. Schon aus Fürsorge- und Vorsichtsgesichtspunkten muss er insofern den herkömmlichen Weg wählen, was zum Beispiel auch dann in der Praxis tatsächlich geschieht, wenn der elektronische Rechtsverkehr aufgrund technischer Defizite zwischenzeitlich gestört ist.”

Die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung in dem Widerspruchsbescheid vom 28. September 2017 war damit nicht unrichtig. Daher galt die Monatsfrist nach § 58 I VwGO, so dass die am 6. November 2017 eingereichte Klage nicht binnen Monatsfrist des § 74 I VwGO erhoben worden und damit verfristet sowie unzulässig ist.

C. Fazit

Der seit Anfang 2018 flächendeckend eröffnete elektronische Rechtsverkehr (neben § 55a VwGO s. etwa § 130a ZPO) führt nicht nur zu technischen Herausforderungen, sondern schafft auch neue Rechtsprobleme. Der Gesetzgeber wäre gut beraten, die hier dargestellte und hochumstrittene Frage ausdrücklich zu regeln.