BGH: Wann setzt der Täter zum (schweren) Wohnungseinbruchdiebstahl an?

A. Sachverhalt

A bohrt ein Loch in den Verschluss der Terrassentür eines befriedeten Wohnhauses, um im Inneren wertvolle Gegenstände der Bewohner an sich zu nehmen, zu verkaufen und den Erlös für sich zu verwenden. Noch bevor er den Schließmechanismus der Tür aufhebeln kann, gibt er sein Vorhaben auf, weil im Haus Licht angeht. Auf der Flucht nimmt er von der Terrasse ein Radio mit, um es – wie geplant – für sich zu verwenden.

Strafbarkeit des A?

Eventuell erforderliche Strafanträge sind gestellt.

 

B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 4.7.2019 – 5 StR 274/19)

 

I. Strafbarkeit wegen versuchten schweren Wohnungseinbruchdiebstahls gemäß §§ 242, 244 I Nr. 3, IV, 22, 23 StGB

A könnte sich wegen versuchten schweren Wohnungseinbruchdiebstahls gemäß §§ 242, 244 I Nr. 3, IV, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben, indem er ein Loch in den Verschluss der Terrassentür eines Wohnhauses bohrte.

1. Tatentschluss

A wollte in das Wohnhaus, eine dauerhaft genutzte Privatwohnung im Sinne von § 244 I Nr. 3, IV StGB, einbrechen, wertvolle ihm nicht gehörende Sachen an sich nehmen und aus dem Haus schaffen. Damit handelte er hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale der §§ 242 I, 244 I Nr. 3, IV StGB vorsätzlich. Zudem besaß er die nach § 242 I StGB erforderliche Absicht, sich die mitgenommenen Sachen rechtswidrig zuzueignen. A hat somit den erforderlichen Tatentschluss gefasst.

 

2. Unmittelbares Ansetzen

Zudem müsste A unmittelbar zur Tat angesetzt haben (§ 22 StGB).

Bekanntlich ist die Frage, nach welchen Kriterien die Abgrenzung zwischen (strafbarem) Versuch und (strafloser) Vorbereitung vorzunehmen ist, in der Strafrechtswissenschaft umstritten. So wird etwa darauf abgestellt, ob das Rechtsgut nach der Vorstellung des Täters unmittelbar gefährdet ist (sogenannte „Gefährdungstheorie”), ob die Tatbestandsverwirklichung nach der Vorstellung des Täters „unmittelbar” bevorsteht („Unmittelbarkeitstheorie”), ob der Täter eine Handlung vornimmt, die nach seinem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals unmittelbar vorgelagert ist und im Falle des ungestörten Fortgangs ohne (wesentliche) Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll („Zwischenaktstheorie”) oder ob es nach der Tätervorstellung zwischen seinem Verhalten und der Tatbestandsverwirklichung einen engen zeitlichen Zusammenhang gibt und der Täter auf die Opfersphäre einwirkt („Sphärentheorie“).

Der BGH greift gern auf die Zwischenaktstheorie zurück. So hat er in einer aktuellen Entscheidung aus dem Jahr 2018 ausgeführt:

„Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Erforderlich ist hierfür nicht die Verwirklichung mindestens eines Tatbestandsmerkmals. Genügend ist vielmehr auch ein für sich gesehen noch nicht tatbestandsmäßiges Handeln, soweit es nach der Vorstellung des Täters der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals räumlich und zeitlich unmittelbar vorgelagert ist oder nach dem Tatplan im ungestörten Fortgang ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2014, 447, 448).“

Zu beachten ist, dass es bei Qualifikationstatbeständen und Regelbeispielen (bspw. § 243 StGB) insoweit nicht auf das unmittelbare Ansetzen zur Verwirklichung der qualifizierten Merkmale (hier im Falle des §§ 244 I Nr. 3, IV StGB: Einbrechen in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung) ankomme. Maßgeblich ist vielmehr das unmittelbare Ansetzen zur Verwirklichung des Grundtatbestands. Hier kommt es also auf das unmittelbare Ansetzen zur Wegnahme einer fremden beweglichen Sache (§ 242 I StGB) an. In einer – uns gut bekannten – Entscheidung aus dem Jahr 2016 hat der BGH dazu ausgeführt:

„Bei Qualifikationstatbeständen wie auch bei Tatbeständen mit Regelbeispielen ist grundsätzlich auf das Ansetzen zur Verwirklichung des Grundtatbestandes abzustellen (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 22, Rn. 36 mN). Daraus folgt, dass sich bei § 244 StGB wie bei § 243 StGB gleichermaßen die einheitlich zu beantwortende Frage stellt, ob mit den festgestellten Tathandlungen zur Wegnahme im Sinne von § 22 StGB angesetzt ist (vgl. im Zusammenhang mit § 244a StGB BGH NStZ 2015, 207 [BGH 07.08.2014 – 3 StR 105/14]).

Das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seiner Vorstellung in ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur – vollständigen – Tatbestandserfüllung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet. Diese Voraussetzung kann schon gegeben sein, bevor der Täter eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestandes entsprechende Handlung vornimmt; regelmäßig genügt es allerdings, wenn der Täter ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes verwirklicht. Es muss aber immer das, was er zur Verwirklichung seines Vorhabens unternimmt, zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2015, 207 [BGH 07.08.2014 – 3 StR 105/14]).“

Dies ist hier fraglich. Die erfolgreiche Öffnung der Terrassentür war ein noch bevorstehender wesentlicher Zwischenakt, weswegen der BGH – unter Verweis auf die oben genannte Entscheidung – ein unmittelbares Ansetzen ablehnt:

„Die rechtliche Würdigung des Landgerichts, im Fall 3 hätte der Angeklagte (auch) einen versuchten Wohnungseinbruchdiebstahl begangen, wird durch die Feststellungen nicht getragen. Danach hatte der Angeklagte ein Loch in den Verschluss der Terrassentür eines Wohnhauses gebohrt, die weitere Tat aber als undurchführbar aufgegeben, noch bevor er den Schließmechanismus der Tür aufhebeln konnte, weil im Haus Licht angegangen war. Zur Umsetzung des geplanten Diebstahls hat er somit nicht im Sinne des § 22 StGB unmittelbar angesetzt und die Grenze zum Versuch noch nicht überschritten (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2016 – 2 StR 43/16 , NStZ 2017, 86, 87).“

 

3. Ergebnis

A hat nicht unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestands angesetzt. Er hat sich daher nicht wegen versuchten schweren Wohnungseinbruchdiebstahls gemäß §§ 242, 244 I Nr. 3, IV, 22, 23 StGB strafbar gemacht.

 

II. Strafbarkeit wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB

Indem A das Radio an sich nahm, um es für sich zu verwenden, hat er sich wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB strafbar gemacht. Ein eventuell nach § 248a StGB erforderlicher Strafantrag liegt vor.

 

III. Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 I StGB

Indem A ein Loch in die Terrassentür gebohrt hat, hat er sich wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 I StGB strafbar gemacht. Ein eventuell nach § 303c StGB erforderlicher Strafantrag liegt vor.

 

IV. Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 123 I StGB

Indem A in das befriedete Besitztum eingedrungen ist, hat er sich wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 123 I StGB strafbar gemacht. Der nach § 123 II StGB erforderliche Strafantrag liegt vor.

C. Fazit

Fragen rund um den Diebstahl und das unmittelbare Ansetzen sind besonders prüfungsrelevant. Du solltest Dir merken, dass es für die Frage des unmittelbaren Ansetzens nach § 22 StGB nicht auf die Merkmale des Qualifikationstatbestandes (wie § 244 StGB) ankommt, sondern auf ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Grundtatbestandes (wie § 242 StGB); Entsprechendes gilt für Regelbeispiele (wie § 243 I 2 StGB). Für sich genommen enthalten die Qualifikationstatbestände nämlich kein eigenes („selbstständiges“) Unrecht, sondern bauen auf dem Grundtatbestand auf und – wie der Name es sagt – qualifizieren das dort verübte Unrecht. Ohne unmittelbares Ansetzen zum Grundtatbestand kann das in dem Qualifikationstatbestand verankerte und „nur“ qualifizierte Unrecht aber nicht vorliegen.

In Konstellationen mit mehreren Beteiligten kann sich eine Strafbarkeit wegen Verabredung zu einem Verbrechen (§ 244 IV StGB ist ein Verbrechen im Sinne von § 12 I StGB!) gemäß § 30 II Var. 3 StGB auch dann ergeben, wenn es an einem unmittelbaren Ansetzen zum Verbrechen fehlt.

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