BGH bestätigt Urteil gegen Betreiber der Internetplattform, über die die Waffe für den Münchener Amoklauf verkauft wurde
Fahrlässige Tötung in neun Fällen und fahrlässige Körperverletzung in fünf Fällen sowie Beihilfe zu Waffen- und Drogendelikten – der BGH bestätigte jüngst das Urteil gegen den Betreiber der Plattform, über die der Münchener Amokläufer 2016 eine Pistole und über 500 Patronen kaufte. Die Verurteilung zu 6 Jahren Haft ist damit rechtskräftig.
Worum geht es?
Am 22. Juli 2016 geschah in München eine grauenvolle Tat, die unvergessen bleibt. Der 18 Jahre junge David S. schoss in einem Schnellrestaurant mit einer Pistole auf eine Gruppe Menschen im Münchner Olympia-Einkaufszentrum. Dabei starben fünf Jugendliche, eine Person wurde schwer verletzt. Als David S. das Einkaufszentrum verließ, schoss er weiter um sich. Dadurch wurden weitere drei Menschen getötet und weitere drei wurden schwer verletzt. Das nächste Opfer erschoss er wieder im Einkaufszentrum. Er flüchtet, wobei er eine weitere Person verletzte. Am Ende erschoss er sich selbst.
David S. kaufte seine Tatwaffe über das Forum „Deutschland im Deep Web“ im Darknet. Im Darknet herrscht aufgrund einer besonderen Verschlüsselung der Daten ein hohes Maß an Anonymität. David S. registrierte sich im Mai 2015 in dem Forum, in dem er den Verkäufer seiner späteren Tatwaffe kennen lernte. Ein Jahr später, im Mai 2016, kaufte David S. ihm die Pistole Modell „Glock“ für 4.000 € ab. Von seiner wahren Gebrauchsabsicht erzählte er nichts.
Zuerst wurde der Verkäufer zu 7 Jahren Haft verurteilt
Die Tat von David S. macht fassungslos. Genauso ging es auch dem Verkäufer der Waffe, als er durch die Medien von dem Amoklauf erfuhr. Anfang 2018 musste er sich für seine Handlung vor dem LG München verantworten.
Im Raum stand zunächst eine Strafbarkeit wegen Beihilfe. Aufgrund des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät ist neben der Teilnehmereigenschaft des Gehilfen eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat erforderlich, die durch eine Gehilfenhandlung gefördert werden muss. Diese muss nicht für den Taterfolg ursächlich sein. Liegen die Merkmale hier vor? Der Verkauf der Schusswaffe an David S. förderte die Haupttaten. Allerdings ist bei der Beihilfe auch der sogenannte doppelte Gehilfenvorsatz notwendig. Wegen Beihilfe kann nur der strafrechtlich belangt werden, der zum einen Vorsatz hinsichtlich einer die Haupttat fördernden Handlung aufweist, zum anderen aber auch Vorsatz bezüglich. aller objektiven Tatbestandsmerkmale der begangenen Haupttat hat. Ein zielgerichtetes Wollen bzgl. der Haupttat wurde bei dem Verkäufer abgelehnt. Intensiv wurde aber geprüft, ob er vielleicht bedingt vorsätzlich gehandelt habe.
Ein bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet.
Nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände wurde aber auch der bedingte Vorsatz abgelehnt. Das Gericht war überzeugt, dass der Waffenverkäufer die von David S. geplanten Handlungen nicht erkannte und auch nicht für möglich hielt. Er habe zwar bewusst eine Gefahrenquelle geschaffen, hatte aber von der konkreten Unrechts- und Angriffseinstellung des Waffenkäufers keine Vorstellung. Deshalb kam eine Strafbarkeit wegen Beihilfe nicht in Betracht.
Fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung
Deshalb konzentrierte sich das Gericht darauf, dem Verkäufer fahrlässiges Handeln bezüglich der Tötungen und der Körperverletzungen nachzuweisen – und kam zu einem eindeutigen Ergebnis:
In seinem Urteil führte das Landgericht München aus, dass der Verkauf und die Übergabe von Tatwaffe und Munition an David S. ohne weiteres ursächlich für den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges war, nämlich der Tötung von neun und der Verletzung von fünf Menschen beim Amoklauf in München. Die Sorgfaltspflichtverletzung sei in dem illegalen Verkauf der Pistole zu sehen. Darin liege bereits eine Erfüllung des Straftatbestands des § 52 I Nr. 2c WaffG.
Bei der objektiven Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritt sei auf den Geschehensablauf im Allgemeinen abzustellen und nicht auf sämtliche Einzelheiten des späteren tatsächlichen Geschehensablaufs. Der Verkäufer habe über die Plattform „Deutschland im Deep Web“ im Darknet eine funktionierende halbautomatische Schusswaffe und Munition an einen 18-Jährigen verkauft, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein. Dabei handelte es sich um einen Gegenstand, der allgemein zumindest auch dazu bestimmt und geeignet ist, Menschen zu verletzen oder zu töten. Man hätte davon ausgehen müssen, dass der Käufer der Pistole diese ihrer Zweckbestimmung entsprechend auch gebrauchen könnte – sprich, um Menschen zu verletzen oder zu töten. Dies wurde verkannt.
Auch in subjektiver Hinsicht erfüllte der Verkäufer die Tatbestandsmerkmale. Erforderlich dazu ist, dass der Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen in der Lage gewesen wäre, sorgfältig zu handeln und die wesentlichen Folgen seiner Tat vorauszusehen.
Strafbarkeit des Betreibers der Darknet-Plattform
Wenn man die Kausalität rückwirkend betrachtet, fundiert der gesamte Waffenkauf auf der Handlung des Betreibers der Internetseite. Dieser wurde im Dezember 2018 vom Landgericht Karlsruhe ebenfalls wegen fahrlässiger Tötung in neun Fällen und fahrlässiger Körperverletzung in fünf Fällen für schuldig gesprochen. Dazu kamen noch andere Waffen- und Betäubungsmitteldelikte, sodass gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verhängt wurde. Hiergegen wehrte er sich und beanstandete, dass ihm fahrlässiges Verhalten hinsichtlich der Tötungen und Körperverletzungen vorgeworfen werde.
Der BGH bestätigte aber das Urteil des LG Karlsruhe: Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der Angeklagte 2013 das Forum „Deutschland im Deep Web“ im Darknet errichtete. Die Plattform teilte er in verschiedene Kategorien ein, die ursprünglich in erster Linie als Diskussions- und Meinungsaustauschforen dienen sollten. Das Forum beinhaltete allerdings auch einen „Marktplatz“, in dem es die Unterkategorie „Waffen“ gab. Es wurde dafür genutzt, um unerlaubt mit Waffen zu handeln. Genau hier lernte David S. auch seinen späteren Verkäufer kennen.
Vorab führte das Gericht aus, dass das Erstellen, die Inbetriebnahme und die Organisation der Plattform für sich genommen keine strafbare Beihilfehandlung im Sinne des § 27 StGB darstellen. Das Forum sei nicht ausschließlich auf die Ermöglichung der Begehung von Straftaten gerichtet, sondern sollte primär ein Kommunikationsforum ohne Überwachung sein. Das LG Karlsruhe und auch der BGH sind sich darüber einig, dass hier keine Begehung oder Förderung einer Straftat, sondern vielmehr eine neutrale Handlung zu sehen sei.
Keine Beihilfe, aber fahrlässige Tötung und Körperverletzung
Der angeklagte Plattformbetreiber wurde aber – so wie der Verkäufer auch – wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Nach der Sachlage sprachen zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte vom Tatplan des David S. wusste, noch dass er die Tat befürwortete oder gar gewollte hätte. Aber:
Das Verhalten des Angeklagten als Schöpfer und Administrator der Plattform erfüllt indes die Tatbestände der fahrlässigen Tötung gem. § 222 StGB und der fahrlässigen Körperverletzung gem. § 229 StGB.
Eine objektive und subjektive Sorgfaltspflichtverletzung sei durch die Erstellung der Kategorie „Waffen“ zu bejahen, heißt es im Urteil des LG. Es stelle einen Verstoß gegen das Waffengesetz dar, weil der vorsätzliche unerlaubte Erwerb von einer halbautomatischen Kurzwaffe ermöglicht werde. Es sei auch objektiv und subjektiv für den Angeklagten vorhersehbar gewesen, dass der Aufbau eines solchen Forums im Darknet zwangsläufig dazu führen musste, dass sich Personen wie David S. – die auf dem legalen Markt niemals in den Besitz einer funktionsfähigen Schusswaffe gelangt wären – dort um Waffen bemühen und diese dann zur Tötung oder Verletzung von Menschen einsetzen würden.
Für den Tod des David S. mussten sich der Verkäufer sowie der Betreiber hingegen nicht verantworten. Es sei von einem Suizid auszugehen, der in unserem Rechtssystem strafrechtlich nicht sanktioniert wird. Ebenfalls ist die Beihilfehandlung dazu nicht strafbar, da keine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat vorliegt. Es ist anerkannt, dass dies dann auch für die fahrlässige Mitverursachung einer Selbsttötung durch einen Hintermann gelten müsse.
– BGH Beschl. v. 06.08.2019, Az. 1 StR 188/19 –
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