OLG Karlsruhe: Beziehungsabbruch als "empfindliches Übel"?

A. Sachverhalt

A nimmt im Frühjahr 2017 über Facebook unter Verwendung unzutreffender persönlicher Angaben Kontakt zu einem 17 Jahre alten Mädchen (M) auf, das sich in der Folge in die vermeintlich hinter dem Kontaktprofil stehende Person verliebt. M ist psychisch labil und lebt in schwierigen familiären Verhältnissen. Bei einem Treffen mit dem Mädchen bringt der A dieses jeweils mit der Drohung, „er“ werde sonst die Beziehung beenden, dazu, an ihm sexuelle Handlungen vorzunehmen. Für M hatte die Beziehung einen ganz erheblichen emotionalen Stellenwert und der angedrohte Beziehungsabbruch wurde von ihr als massiver Verlust empfunden.

 

Strafbarkeit des A?

 

B. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe (Beschl. v. 17.1.2019 – 2 Ws 341/18)

I. Strafbarkeit des A wegen sexueller Nötigung gemäß § 177 II Nr. 5 StGB

A könnte sich wegen sexueller Nötigung gemäß § 177 II Nr. 5 StGB strafbar gemacht haben, indem er M den Abbruch der Beziehung ankündigte und sodann sexuelle Handlungen an sich vornehmen ließ.

1. Tatbestand

Zunächst müsste A eine Lage ausgenutzt haben, in der M bei Widerstand ein empfindliches Übel droht. Dabei sollen im Rahmen von § 177 II Nr. 5 StGB dieselben Anforderungen gelten wie bei der Nötigung gemäß § 240 StGB (BT-Drs. 18/9097, S. 26). Im Rahmen der uns bekannten Kaufhausdetektiv-Entscheidung hat der BGH ausgeführt:

„Inhalt der Drohung muß ein empfindliches Übel, also ein Nachteil von solcher Erheblichkeit sein, daß seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren. Diese (nicht nur faktische, sondern normative) Voraussetzung entfällt, wenn von diesem Bedrohten in seiner Lage erwartet werden kann, daß er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält.“

 

A hat M mit dem Ende der Beziehung gedroht. Fraglich ist, ob es sich dabei um ein empfindliches Übel im Sinne von § 177 II Nr. 5 StGB handelt. In einem ähnlichen Fall hat der BGH im Jahr 1982 in dem Abbruch der beiderseitigen Beziehungen kein empfindliches Übel (im Sinne von § 240 StGB) erblickt. Vielmehr handele es sich bloß um eine „bloße Enttäuschung“:

„Lag in den Worten des Angeklagten die Drohung, die beiderseitigen Beziehungen durch Worte oder Taten abzubrechen, so erfüllte das angekündigte Tun nicht das Tatbestandsmerkmal “empfindliches Übel” des § 240 Abs. 1 StGB. Die Aussicht auf Trennung von ihrem Freund mag P innerlich getroffen haben. Empfindlich im Sinne des § 240 StGB ist jedoch ein angedrohtes Übel nur dann, wenn die Drohung bei objektiver Betrachtung geeignet ist, einen besonnenen Menschen in seiner konkreten Situation zu dem damit erstrebten Verhalten zu bestimmen (so mit Recht die h.M.; vgl. Schäfer, LK StGB 9. Aufl. Rdn. 46 zu § 240; Dreher/Tröndle, StGB 40. Aufl. Rdn. 5 zu § 240; Horn, SK StGB 2. Aufl. Rdn. 10, 15 zu § 240; Lackner, StGB 14. Aufl. § 240 Anm. 4; alle m.w.N.). Nicht genügt die Drohung mit bloßen Unannehmlichkeiten oder Enttäuschungen (vgl. LK aaO).

Nach diesen Grundsätzen war der der Freundin angedrohte Nachteil auch und gerade unter Berücksichtigung ihrer besonderen Lage kein empfindliches Übel. Sie hatte nur zu befürchten, die Freundschaft des Angeklagten, der sie gerade noch im Stich gelassen hatte, zu verlieren, dafür aber ihre geschlechtliche Ehre gegenüber dem ihr fremden Dritten zu wahren. Ihr war das nach den Feststellungen auch bewußt. Für sie standen sich damit ein erheblicher persönlicher Nachteil (ungewollter Geschlechtsverkehr) und eine bloße Enttäuschung (Trennung vom Angeklagten) gegenüber. Das rechtfertigt nicht die Anwendung des § 240 StGB.

Sollte die Drohung des Angeklagten aber dahin zu verstehen gewesen sein, daß er es unterlassen werde, mit P weiterhin Beziehungen zu unterhalten, sollte sein Verhalten also als “Drohung mit einem Unterlassen” zu werten sein, so scheidet eine Verurteilung nach § 240 StGB schon deshalb aus, weil die Ankündigung eines Unterlassens nur dann Drohung im Sinne der Vorschrift sein kann, wenn der Drohende eine Pflicht zum Handeln hat (so wiederum mit Recht die h.M.; vgl. RGSt 63, 425; BGH GA 1960, 277, 278; Dreher/Tröndle aaO Rdn. 5 zu § 253; Horn SK aaO Rdn. 16 zu § 240; aA Schäfer LK aaO Rdn. 72 zu § 240). Eine solche Garantenpflicht bestand für den Angeklagten nicht.“

Das OLG Karlsruhe nimmt Bezug auf diese Rechtsprechung, verweist aber zugleich darauf, dass es auf einen individuell-objektiven Maßstab ankomme. Der Individualität der bedrohten Person komme eine entscheidende Bedeutung zu, weshalb auch ein angedrohter Beziehungsabbruch ein empfindliches Übel darstellen könne, wenn dieser Beziehung für die bedrohte Person ein hoher Stellenwert zukomme:

„Zwar hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 31.3.1982 (2 StR 2/82, NStZ 1982, 287) die Auffassung vertreten, dass die Drohung, eine freundschaftliche Beziehung zu beenden, nicht das Tatbestandsmerkmal des empfindlichen Übels erfülle, da sie bei objektiver Betrachtung nicht geeignet sei, einen besonnenen Menschen in seiner konkreten Situation zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten (Ausübung des Geschlechtsverkehrs) zu bestimmen. Soweit dabei die Bestimmung der Empfindlichkeit des Übels an einem primär objektiven Maßstab ausgerichtet wurde, ist dies jedoch in nachfolgenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGHSt 31, 195, 201; 32, 165, 174; wistra 1984, 22; NStZ 1987, 222; 1992, 278; NJW 2014, 401) zugunsten eines individuell-objektiven Maßstabs aufgegeben worden. Danach ist das angedrohte Übel dann empfindlich, wenn der in Aussicht gestellte Nachteil von solcher Erheblichkeit ist, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinn des Täterverlangens zu motivieren, und von dem Bedrohten in seiner Lage nicht erwartet werden kann, dass er der Bedrohung in besonnener Selbstbehauptung standhält. Mithin kommt es auf eine den Opferhorizont berücksichtigende Sichtweise und nicht auf einen besonnenen Durchschnittsmenschen an. Auch unter Berücksichtigung des Schutzgutes der Nötigungsdelikte - die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 240 Rn. 2 m.w.N.) - kommt deshalb der Individualität des Bedrohten und der Frage, weshalb gerade von ihm in seiner konkreten Situation ein Standhalten gegenüber der Drohung erwartet werden kann, entscheidende Bedeutung zu (zum Ganzen: MK-Sinn, StGB, 3. Aufl., § 240 Rn. 76 f., LK-Altvater, StGB, 12. Aufl., § 240 Rn. 80; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 240 Rn. 13 jew. m.w.N.). Danach kann auch ein angedrohter Beziehungsabbruch ein empfindliches Übel darstellen, wenn dieser Beziehung für den Bedrohten ein hoher Stellenwert zukommt (BGH NStZ 1981, 139).

Auf dieser Grundlage bejaht der Senat ein „empfindliches Übel“:

„Nach Auffassung des Senats ergeben sich aus den Angaben, die das Tatopfer, aber auch deren Mutter zu der Bedeutung des Verhältnisses des Tatopfers zu dem Chatpartner gemacht haben, hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass diese Beziehung - mag dies für einen Außenstehenden auch befremdlich erscheinen - für das Tatopfer einen ganz erheblichen emotionalen Stellenwert hatte und der angedrohte Beziehungsabbruch von diesem deshalb subjektiv als massiver Verlust empfunden wurde. Nach den Ermittlungen bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Tatopfer ansonsten zuvor einen sexuell freizügigen Lebensstil gepflegt haben könnte. Dass es sich sodann jedoch gleichwohl auf das Ansinnen eines ihr fremden Mannes, mit ihr - zudem unter Ausübung keineswegs selbstverständlicher Praktiken - sexuell zu verkehren, einließ, lässt nach Auffassung des Senats bereits als solches eher den Schluss auf einen hohen Stellenwert der Internetbeziehung für das Tatopfer zu, das nach seinen glaubhaft erscheinenden Angaben allein wegen der Drohung den vom Angeklagten verlangten sexuellen Handlungen nachkam.“

A hat damit eine Lage ausgenutzt, in der M bei Widerstand ein empfindliches Übel droht. Zudem ließ er sexuelle Handlungen an sich vornehmen. Schließlich handelte A vorsätzlich. Damit ist der Tatbestand des § 177 II Nr. 5 StGB erfüllt.

2. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.

3. Ergebnis

A hat sich wegen sexueller Nötigung gemäß § 177 II Nr. 5 StGB strafbar gemacht.

II. Strafbarkeit wegen Nötigung gemäß § 240 I StGB

Eine Strafbarkeit wegen Nötigung gemäß § 240 I StGB wird von § 177 II Nr. 5 StGB im Wege der Spezialität verdrängt.

III. Strafbarkeit wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB

Fleißige Blogleser wissen, dass eine sexualbezogene Beleidigung nur in Betracht kommt, wenn nach den gesamten Umständen in dem Verhalten des Täters zugleich eine herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen sei. In der Drohung, die Beziehung zu beenden, liegt keine solche herabsetzende Bewertung der O, weswegen eine Strafbarkeit des A wegen Beleidigung gemäß § 185 I StGB ausscheidet.

 

C. Fazit

Das Sexualstrafrecht steht nicht im Mittelpunkt der Prüfungsordnungen. Der Fall führt aber exemplarisch die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Maßstabs einer „Empfindlichkeit“ des angedrohten Übels vor Augen. Das gilt nicht nur für den hier besprochenen Fall des § 177 II Nr. 5 StGB, sondern ebenso für den ungleich prüfungsrelevanteren § 240 StGB.