Kaufhausdetektiv-Fall

A. Sachverhalt

Die zur Tatzeit 16-jährige Birgit B entwendete in einem Kaufhaus in St ein Umhängetuch im Wert von 40 DM. Sie wurde von dem Kaufhausdetektiv P gestellt und in ein Büro geführt, wo sich alsbald auch der Angeklagte, ebenfalls Detektiv des Kaufhauses, einfand.
Während der Detektiv P die Diebstahlsanzeige fertigte, bat Birgit B dringend, von einer Anzeigeerstattung abzusehen. Ihre Eltern schlügen sie tot und sie habe den Verlust der Lehrstelle, die sie bei einem Bankinstitut in Aussicht habe, zu befürchten, wenn der Diebstahl bekannt würde. Beide Detektive erklärten aber, sie müssten Anzeige erstatten, da sie ihre eigene Stellung gefährdeten, wenn sie Ausnahmen machten. Als jedoch der Detektiv P das Büro verlassen hatte, sagte der Angeklagte, der von Anfang an als Chef aufgetreten war, zu Birgit B, es gebe vielleicht doch einen Weg, ihr zu helfen; sie möge an einem nahegelegenen Geschäft auf ihn warten. Dort traf der Angeklagte das Mädchen nach wenigen Minuten und ging mit ihm in seine Wohnung. Hier sagte er Birgit, wenn sie mit ihm schlafe, lasse er die Anzeige unter den Tisch fallen.
Birgit glaubte, dass er dies könne und auch tun werde, falls sie sein Ansinnen erfülle, erklärte aber, sie habe im Moment keine Zeit. Beide verabredeten sich auf einen späteren Zeitpunkt. Inzwischen offenbarte sich das Mädchen einer Vertrauensperson, welche die Polizei einschaltete.  

B. Worum geht es?

Das zur Entscheidung über die Revision des Angeklagten berufene Oberlandesgericht Stuttgart beabsichtigt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen. Es ist der Auffassung, die Äußerung des Angeklagten gegenüber Birgit B, wenn sie mit ihm schlafe, lasse er die Anzeige unter den Tisch fallen, sei doppeldeutig. Sie konnte so gemeint sein (und verstanden werden), dass der Angeklagte bei Weigerung des Mädchens die Anzeige an die Polizei weiterleiten wolle, aber auch so, dass er die Absendung der Anzeige an die Polizei durch Dritte, etwa den Detektiv P, nicht verhindern werde. Im Falle der Drohung mit Anzeigeerstattung habe sich der Angeklagte fraglos der versuchten Nötigung schuldig gemacht. Rechtlich zweifelhaft sei indes, ob der Angeklagte auch dann strafbar sei, wenn er nur damit gedroht habe, die bevorstehende Anzeigeerstattung nicht zu verhindern. Denn die überwiegende Rechtsprechung sehe mit einem Teil der Literatur in der Drohung mit einem Unterlassen nur dann den Tatbestand der Nötigung erfüllt, wenn der Täter zum Handeln rechtlich verpflichtet sei. Das Oberlandesgericht Stuttgart aber möchte der Gegenmeinung folgen und hat daher dem BGH den Fall zur Entscheidung vorgelegt.
 
Der BGH hatte daher folgende Frage zu beantworten:  

Kann auch in der Ankündigung, ein rechtlich nicht gebotenes Handeln zu unterlassen, die Drohung mit einem empfindlichen Übel im Sinne des § 240 StGB liegen?

 

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH bejaht im Kaufhausdetektiv-Fall (Beschl. v. 13.1.1983 – 1 StR 737/81 (BGHSt 31, 195 ff.)) eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Nötigung. Die „Drohung mit einem empfindlichen Übel” im Sinne des § 240 StGB könne auch in der Ankündigung liegen, ein rechtlich nicht gebotenes Handeln zu unterlassen.

Dabei weist er zunächst darauf hin, dass er bislang die Gegenansicht vertreten und sich dabei auf Entscheidungen des Reichsgerichts die Gegenansicht gestützt habe.
Nunmehr geht er indes davon aus, dass die Rechtsprechung des Reichsgerichts insoweit nicht zur Beantwortung der Rechtsfrage herangezogen werden könne:

„§ 240 i.d.F. vom 15. Mai 1871 (RGBl. 1871 S. 171), geändert durch Gesetz vom 26. Februar 1876 (RGBl. 1876 S. 31), stellte die widerrechtliche Nötigung durch Gewalt oder Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen, § 253 StGB i.d.F. vom 15. Mai 1871 (RGBl. 1871 S. 175) die um eines rechtswidrigen Vermögensvorteils willen begangene Nötigung durch Gewalt oder Drohung unter Strafe. Auf der Grundlage dieses bis zur Gesetzesänderung vom 1. Juni 1943 (RGBl. I S. 341/342) gültigen Gesetzestextes stellte sich die vorgelegte Rechtsfrage nur im Anwendungsbereich des Ÿ§ 253 StGB; denn eine Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen im Sinne des § 240 StGB a.F. setzte, wenn die angedrohte Tat durch Unterlassen verübt werden sollte, ohnedies voraus, dass die Unterlassung gegen eine Rechtspflicht zum Handeln verstieß (vgl. RGSt 10, 100). Die für die vorgelegte Rechtsfrage bedeutsame Rechtsprechung des Reichsgerichts hat daher ausschließlich die Vorschrift des § 253 StGB a.F. zum Gegenstand. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß sie in ihren Begründungen und Ergebnissen widersprüchlich ist. So führte das Reichsgericht in frühen Entscheidungen (RGRspr. 6, 508 und RGSt 14, 264) zunächst nur aus, daß die Ankündigung einer Unterlassung jedenfalls dann eine Drohung darstellen könne, wenn der Täter mit dem Unterlassen eine Handlungspflicht verletzen würde. In späteren Entscheidungen (RGRspr. 10, 582; RG LZ 1917, 342 und RGSt 63, 424) nimmt das Reichsgericht dagegen ohne weitere Begründung an, daß die Ankündigung einer Unterlassung nur bei Verstoß gegen eine Handlungspflicht als Drohung anzusehen sei.
Dessen ungeachtet hat das Reichsgericht bisweilen die Ankündigung eines Unterlassens auch dann als Drohung angesehen, wenn der Täter zum Handeln nicht verpflichtet war (RGSt 72, 75; vgl. auch RGSt 15, 333, 335), ja sogar, wenn die Handlung, deren Unterlassung er in Aussicht stellte, unzulässig gewesen wäre (RG GA Bd. 40 S. 54 f.).“

Zudem könne die Vorlegungsfrage nicht unter Berufung auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts beantwortet werden, weil die Neufassung der §§ 240, 253 StGB durch eine spätere Änderung (Gesetz vom 1. Juni 1943) die Rechtslage wesentlich verändert habe:

„Nötigungs- und Erpressungstatbestand setzen seitdem als Nötigungsmittel gleichermaßen entweder die Anwendung von Gewalt oder die “Drohung mit einem empfindlichen Übel” voraus. Diese Vereinheitlichung bewirkte vor allem im Bereich des § 240 StGB eine erhebliche Ausweitung des Tatbestands, die durch die Qualifizierung des angedrohten Übels keineswegs ausgeglichen wurde. Vielmehr werden auch zahlreiche Lebenssachverhalte erfaßt, in denen die Drohung mit einem empfindlichen Übel nicht als strafwürdig erscheint. Deshalb bedurfte es der einschränkenden Rechtswidrigkeitsregel des § 240 Abs. 2 (§ 253 Abs. 2) StGB, die in der Literatur auch als die Tatbestandsbildung fortsetzende und abschließende Auslegungsregel angesehen wird. In ihr kommt zum Ausdruck, daß die Verwerflichkeitsprüfung, nicht aber eine dem Wortlaut zuwiderlaufende Einengung des Merkmals der “Drohung mit einem empfindlichen Übel” als Regulativ wirken soll (vgl. BGHSt 2, 195). Infolgedessen besteht kein Anlaß, nur die Ankündigung eines Unterlassens, das gegen eine Rechtspflicht zum Handeln verstößt, unter das Tatbestandsmerkmal der “Drohung mit einem empfindlichen Übel” zu subsumieren, die Ankündigung rechtsmäßigen Unterlassens aber generell davon auszunehmen. Allerdings hat das Reichsgericht bei der Prüfung, ob die Drohung mit einem Unterlassen den Tatbestand des § 253 StGB a.F. erfülle, wegen der “ähnlich liegenden Frage der Strafbarkeit von Unterlassungen” auf die Lehre von den unechten Unterlassungsdelikten Bezug genommen und die Pflicht des Täters zum Handeln erörtert (RGSt 14, 265 i.V.m. RGSt 10, 100; vgl. auch Ostendorf NJW 1980, 2593). Doch kann die Drohung mit einem Unterlassen der Begehung eines Handlungsdelikts durch Unterlassen nicht gleichgesetzt werden, weil im ersten Fall ein Begehungsdelikt vorliegt. Die generelle Ausklammerung der Ankündigung rechtsmäßigen Unterlassens aus den Tatbeständen der §§ 240, 253 StGB würde in Fällen, in denen die Koppelung dieser Ankündigung und des angestrebten Zwecks als verwerflich erscheint, zur Privilegierung derjenigen führen, die mit dem In-Aussicht-Stellen eines ein empfindliches Übel realisierenden, wenn auch nicht rechtswidrigen Unterlassens ihre Intentionen ebenso effektiv verfolgen wie andere, die mit einem Tun drohen.“

Die Strafbarkeit könne nur von den tatbestandlichen Voraussetzungen und dem Kriterium der Verwerflichkeit abhängen:

„a) Inhalt der Drohung muß ein empfindliches Übel, also ein Nachteil von solcher Erheblichkeit sein, daß seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren. Diese (nicht nur faktische, sondern normative) Voraussetzung entfällt, wenn von diesem Bedrohten in seiner Lage erwartet werden kann, daß er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält.
b) Der Täter muß tatsächlich oder nach den Befürchtungen des Bedrohten Herr des Geschehens sein, die Herbeiführung oder Verhinderung des angekündigten Nachteils muß (tatsächlich oder scheinbar) in seiner Macht stehen.
c) Die Verquickung von Mittel und Zweck muß nach allen bei der Wertung zu berücksichtigenden Umständen verwerflich sein. Dieses Erfordernis, das im Wege einer konkret-normativen Betrachtung zu prüfen ist, führt zur Ausscheidung der “Unterlassungsfälle”, in denen nur der Handlungsspielraum des Bedrohten erweitert, die Autonomie seiner Entschlüsse jedoch nicht in strafwürdiger Weise angetastet wird. Dieses methodische Vorgehen ist keine Besonderheit. Es gilt für alle Fälle der Nötigung.“

Für eine Gleichstellung spreche auch die Überlegung, dass der Täter vielfach offenlassen könne, ob er etwas tun oder unterlassen werde:

„Der Bereich des Strafbaren sollte nicht von Formulierungsnuancen abhängen. Für den Motivationsdruck, der von einer Drohung ausgeht, ist es nicht entscheidend, ob der Täter etwas tun oder unterlassen will und ob das Tun oder Unterlassen rechtmäßig oder rechtswidrig sind, sondern welches Übel als Folge seines Verhaltens (angeblich) eintreten wird.“

 

D. Fazit

Eine Grundsatzentscheidung des BGH zu § 240 StGB, mit der er von der früher vertretenen Rechtspflichttheorie abgerückt ist.

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