Studentinnen wegen "Containerns" schuldig gesprochen

Studentinnen wegen

Einschlägige Delikte und juristische Probleme beim “Containern”

Zwei Studentinnen aus Bayern wurden wegen des sogenannten „Containerns” oder „Mülltauchens” (international auch „Dumpster Diving” genannt) vom Amtsgericht Fürstenfeldbruck schuldig gesprochen. Den Erlass eines Strafbefehls mit einer Geldstrafe von jeweils 1200 Euro wollten die angeklagten Frauen nicht akzeptieren - darum wurde der Fall jetzt öffentlich verhandelt. Neben einer gesellschaftspolitischen Debatte löst das Problem des „Containerns” auch juristische Diskussionen aus. 

 

Worum geht es?

Während viele Menschen heutzutage noch immer Hunger leiden müssen, leben wir dennoch in einer Zeit der Lebensmittelüberproduktion. Daher entsorgen die meisten Supermärkte Lebensmittel, obwohl sie noch genießbar sind. Um dieser Verschwendung entgegenzuwirken und gegen die heutige Wegwerfgesellschaft anzukämpfen, klettern einige Menschen nach Ladenschluss über die Zäune der Supermarktgelände und holen die noch genießbaren Lebensmittel aus den Mülltonnen. So auch zwei Studentinnen aus Bayern, die nun aber wegen des sogenannten „Containerns” oder „Mülltauchens” (international auch „Dumpster Diving” genannt) vom Amtsgericht Fürstenfeldbruck schuldig gesprochen wurden. 

In einer Nacht im Juni 2018 öffneten die beiden Studentinnen aus Bayern nach Einbruch der Dunkelheit die Müllbehälter einer Filiale der Supermarktkette Edeka im bayrischen Olching mit einem Vierkantschlüssel und entnahmen die darin enthaltenen - und noch gut erhaltenen - Lebensmittel. Sie hatten vor, die Lebensmittel zum Teil selbst zu verbrauchen und zum Teil an Freunde und Bekannte zu verteilen. Bevor die Studentinnen jedoch mit ihren vier vollgepackten Taschen den Tatort mit ihren Fahrrädern verlassen konnten, wurden sie von einer vorbeikommenden Polizeistreife erwischt. Die erbeuteten Lebensmittel wanderten – nach sorgfältiger Fotoarchivierung durch die Polizeibeamten – zurück in den Müllcontainer.  

Das Urteil - auch eine Frage der Moral

Vor dem Amtsgericht in Fürstenfeldbruck ging es sodann aber nicht nur um besonders schweren Diebstahl, für den sich die jungen Frauen verantworten mussten, sondern auch um Ethik und Moral - einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung zufolge landen allein in Privathaushalten pro Jahr 4,4 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll - kaum vorstellbar wie viele Tonnen es dann in Supermärkten sein könnten. Die angeklagten Frauen folgen dem Vorbild Frankreichs und der Tschechen: In Frankreich existiert seit 2016 ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung und in Tschechien ist es gänzlich verboten, Lebensmittel wegzuwerfen. Hierzulande formiert sich immerhin die Initiative des Landwirtschaftsministeriums “Zu gut für die Tonne”, die die Bevölkerung zum Nachdenken anregen und so das unbedachte Wegwerfen von Lebensmitteln verhindern will. 

Der Richter attestierte den 25 und 28 Jahre alten Studentinnen daher lobenswerte Motive. Womöglich fiel das Urteil auch deshalb milde aus: Beide wurden nach § 59 StGB wegen einfachen Diebstahls gem. § 242 StGB mit Strafvorbehalt verwarnt. Die Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen á 15 Euro bleibt damit vorbehalten. Die Bewährungszeit wurde auf zwei Jahre festgesetzt. Als Bewährungsauflage kommen noch jeweils acht Stunden gemeinnütze Arbeit bei der örtlichen Tafel hinzu, bei der sie sich ohnehin schon sozial engagieren. Die beiden Angeklagten hatten dennoch auf einen Freispruch gehofft und bezeichneten die Verwarnung als absurd:

„Wir wurden verwarnt, weil wir Lebensmittel gerettet haben, und jetzt müssen wir bei der Tafel Lebensmittel retten.“, sagte die Studentin der Tiermedizin in einem Interview mit Spiegel Online.

 

Ein diebstahlfähiges Gut?

Neben einer gesellschaftspolitischen Debatte löst das Problem des „Containerns” auch juristische Diskussionen aus. Eher unproblematisch wird hierbei eine Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB durch das unbefugte Betreten des in den meisten Fällen befriedeten Besitztums der Supermarktbetreiber und wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB - sofern die Container beim „Aufknacken” beschädigt werden - anzusehen sein. Kniffliger stellt sich die Frage aber beim Diebstahl und der damit verbundenen Frage, ob es sich bei den weggeworfenen Lebensmitteln überhaupt um diebstahlfähiges Gut handelt.

Dafür müsste es sich bei ihnen um fremde Sachen handeln. Umstritten ist, ob der Supermarktbetreiber sein Eigentum gemäß § 959 BGB an den Lebensmitteln mit dem Wurf in die Tonne aufgibt und sie somit herrenlos werden (ein Diebstahl wäre dann nicht möglich) oder ob die Lebensmittel trotz des In-den-Müll-Werfens noch in seinem Eigentum stehen. Letzteres vertrat der Richter am Amtsgericht Fürstenfeldbruck. Ein weiteres Problem besteht dann, wenn der Müllcontainer verschlossen ist. Es kann sich dann nicht nur um einen einfachen Diebstahl gemäß § 242 StGB, sondern um einen besonders schweren Fall des Diebstahls gemäß § 243 I 2 Nr. 2 StGB handeln. Da es sich jedoch bei § 243 StGB lediglich um eine Strafzumessungsregel mit Regelbeispielen und keine Qualifikation handelt, ist dem zuständigen Richter bei der Beurteilung Spielraum gegeben. Die Annahme eines besonders schweren Diebstahls gemäß § 243 StGB wäre gemäß Absatz 2 allerdings dann ausgeschlossen, wenn es sich bei den Lebensmitteln um geringwertige Sachen handelt. Die Bemessung des Wertes der Lebensmittel aus dem Müll führt dabei weiter zu Schwierigkeiten. Ob sich bei der Bemessung an dem Verkaufswert der Lebensmittel im „tadellosen“ Zustand orientiert werden kann, ist äußerst fraglich.

 

Rechtsgesellschaftliche und – politische Diskussion

Die Verhandlung am Amtsgericht Fürstenfeldbruck wurde von Protesten gegen die Lebensmittelverschwendung in unserer Gesellschaft begleitet. Laut einer Studie des WWF von 2015 werden bundesweit jährlich rund 18,4 Tonnen genießbare Lebensmittel in die Mülltonne geworfen. Die beiden Studentinnen selbst starteten eine Petition, in der sie die Bundesjustizministerin Katarina Barley und den Vorstandsvorsitzenden der Edeka-AG in die Pflicht rufen, die Gesellschaft zum Umdenken aufzurufen, Edeka unter anderem für den zunächst gestellten, dann aber zurückgezogenen Strafantrag kritisieren und sich für eine Entkriminalisierung des Containerns einsetzen. Ihrer Meinung nach muss eine Gesetzesänderung her, durch die die Supermärkte verpflichtet werden, noch genießbare Lebensmittel weiter zu verteilen. Obwohl viele Supermärkte die abgelaufenen oder beschädigten Lebensmittel bereits Einrichtungen - wie zum Beispiel der Tafel - zur Verfügung stellen, sind sie hierzu noch lange nicht verpflichtet.

Unsere Nachbarn in Frankreich und Tschechien gehen währenddessen mit besserem Beispiel voran. Und auch die Bundestagsabgeordnete Rena Künast (Bündnis90/Grüne) regt an, dass es Zeit für eine gesetzliche Neuregelung für den Umgang mit beschädigten oder bereits über dem Mindesthaltbarkeitsdatum existierende Lebensmittel sei. Künast ruft jedoch nicht nur den Gesetzgeber zum Handeln und die Supermarktbetreiber zum Umdenken und einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln auf, sondern setzt auch einen Schritt früher - und zwar bei den Kunden - an:

„Wenn der Handel knapper einkauft, um Überschuss generell von vornherein zu vermeiden, dann kann der Endverbraucher nicht erwarten, dass die Regale zu jeder Zeit vollgefüllt seien.“