BGH: Betrug zum Nachteil der Terrororganisation IS?

A. Sachverhalt

Der 39 Jahre alte T, dessen Familie in Damaskus lebt und - ebenso wie die Führungsspitze des Assad-Regimes - der ismailitischen Religionsgemeinschaft angehört, reiste als syrischer Flüchtling 2014 nach Deutschland ein. Während seines Aufenthalts in einer Flüchtlingsunterkunft fiel er wiederholt dadurch auf, dass er sich Geld von anderen Flüchtlingen “lieh” und es nicht oder unvollständig zurückzahlte, um seinen Lebensunterhalt aufzubessern. Auch zahlten Mitglieder der Familie seiner damaligen Verlobten an den T und an einen seiner Bekannten Geldbeträge, ohne dass die hierfür von ihm versprochenen Gegenleistungen erbracht wurden. Weil ihre Familie deshalb den Glauben an seine Ehrlichkeit verloren hatte, löste seine Verlobte etwa Anfang Oktober 2016 die Verlobung mit dem T auf. Sie blieben jedoch weiterhin in Kontakt, wobei er sich bemühte, ihre Gunst zurückzugewinnen. So stellte er ihr Ende Dezember 2016 in Aussicht, dass er nach Neujahr 2017 zu Geld kommen und ihr Geschenke machen werde.

Zuvor hatte T am 18. Dezember 2016 zunächst in seinen frei zugänglichen Facebook-Account eine Grafik eingestellt, auf der in arabischer Sprache der Satz “Alles in meinem Inneren ist tot, mich macht nichts mehr traurig” abgebildet war. Am selben Tag nahm er über eine Online Chatplattform Kontakt mit mehreren Adressaten auf, bei denen er davon ausging, dass sie islamistischen Terrororganisationen angehörten. Um den typischen Sprachgebrauch salafistischer Islamisten kennenzulernen und sich anzueignen, hatte er vorher islamistische Webseiten frequentiert. Eine seiner inhaltsgleichen Nachrichten sandte er an einen Al. , dessen Internetprofil ihn als Funktionär des “Islamischen Staates” (IS) auswies. Dem T war nicht bekannt, dass Al. einige Wochen zuvor getötet worden war und die Zugangsdaten von dessen Chat-Account in die Hände des syrischen Oppositionellen Al-N. geraten waren. Dieser gab sich online als Al. aus und verfolgte die Absicht, möglichst viele IS-Anhänger ausfindig zu machen und an zuständige Behörden zu melden. T stellte sich in seiner Nachricht als in Deutschland wohnender Chemieingenieur und Ansprechpartner einer Gruppe von “Mujaheddin” vor. Zu seinem Anliegen schrieb er: “Wir wollen auf dem Weg Gottes in den Ländern der Ungläubigen Dschihad machen und bitten euch um einen Gefallen.”

Unter dem Namen Al.s bekundete Al-N. grundsätzliches Interesse und erkundigte sich unter dem Vorwand, der IS müsse die Ernsthaftigkeit des Anliegens des T überprüfen, nach dessen Identität. Am nächsten Tag erläuterte ihm der T seinen angeblichen Tatplan:

Er werde Autos derselben Marke wie Polizeifahrzeuge kaufen und sie entsprechend lackieren lassen. Sodann werde er sie mit 400 bis 500 kg (einer nicht näher bezeichneten Substanz) beladen und mit Gefolgsleuten auf Orte in Deutschland, Frankreich, Belgien und Holland verteilen. Jedes Auto koste 22.500 Euro, die acht Autos würden 180.000 Euro kosten. Als Mujaheddin könnten sie dieses Projekt nicht alleine durchführen und suchten nach einem Unterstützer. Er müsse als Chemiker an verschiedenen Orten einkaufen und sich deshalb sehr beeilen, da der Plan in zehn Tagen durchgeführt werden müsse.

Zum Zeitpunkt dieser Mitteilung - und auch später - hatte T keine der von ihm behaupteten konkreten Tatvorbereitungen getroffen oder in Auftrag gegeben. Er hatte auch keine Absicht, den von ihm übermittelten Tatplan auszuführen. Stattdessen wollte er das Geld zumindest größtenteils für eigene Belange verbrauchen. Da seine Familie sich im Machtbereich des Assad-Regimes in Damaskus aufhielt, wähnte er sie sicher vor möglichen Rachemaßnahmen des IS.

Während der folgenden zwölf Tage stand der T mehrmals mit dem als Al. auftretenden Al-N. in Kontakt und unterbreitete ihm weitere Einzelheiten des angeblichen Tatplans. So bat er im Namen einer angeblichen Mittäterin um Erlaubnis, dass sie zum Erwerb des Sprengstoffs ihre Verschleierung ablegen dürfe. In einer Vielzahl von Nachrichten an den Account Al. s drängte er mit zunehmendem Zeitablauf immer nachdrücklicher auf die Zahlung des ihm in Aussicht gestellten Geldes für seine angeblich seit drei Monaten geplante “dschihadistische Aktion”, als deren Ergebnis er über 1.000 Opfer in Aussicht stellte. Auf Verlangen Al-N.s übermittelte er ihm unter anderem seine Mobiltelefonnummer sowie Fotos seiner Krankenkassenkarte und seines Aufenthaltstitels zur Verfügung, um zu beweisen, dass er eine reale Person sei und sich in Deutschland aufhalte.

Al-N. kündigte dem T an, ihn an einen für finanzielle Fragen zuständigen Funktionär des IS weiterzuleiten, dessen Messenger-Account er ebenfalls betrieb. In dieser Rolle sagte er ihm bei einem Videotelefonat grundsätzlich die Zahlung des erbetenen Geldes zu. Um ihn weiter hinzuhalten, schlug er dem T ein persönliches Treffen in Deutschland zur Geldübergabe vor, bei dessen Organisation er in der Folgezeit wiederholt Verzögerungen und Schwierigkeiten vortäuschte. Währenddessen wendete sich Al-N. an einen in Jordanien befindlichen syrischen Oppositionspolitiker mit Kontakten zu Diplomatenkreisen. Ihm stellte er seine Kenntnisse über den T zwecks Übergabe an deutsche Behörden zur Verfügung. Am 31. Dezember 2016 wurde T daraufhin festgenommen.

 

Strafbarkeit des T wegen Betruges?

 

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 11.4.2018 – 5 StR 595/17)

 

Strafbarkeit wegen versuchten Betruges gemäß §§ 263 I, II, 22, 23 StGB

T könnte sich wegen versuchten Betruges gegenüber Al-N zum Nachteil des IS gemäß §§ 263 I, II, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben, indem er Al-N seine Anschlagspläne unterbreitete und dafür Geld forderte.

 

I. Tatentschluss

T müsste einen auf die Begehung eines Betruges gerichteten Tatentschluss gefasst haben. Dafür müsst er im Hinblick auf die objektiven Merkmale des Betruges einen Vorsatz entwickelt und darüber hinaus mit der Absicht der rechtswidrigen Bereicherung gehandelt haben.

T wollte, indem er dem vermeintlichen Al vorspiegelte, Anschläge begehen zu wollen und dafür Geld zu benötigen, diesen über seine Bereitschaft zur Begehung der Anschläge täuschen und insoweit bei ihm einen Irrtum erregen.

Zudem wollte T erreichen, dass der vermeintliche Al 180.000 Euro aus dem Vermögen des IS an ihn auszahlt. Fraglich ist, ob sich T damit eine Vermögensverfügung vorgestellt hat. Eine Vermögensverfügung ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindern auswirkt. Die von T erstrebte Geldsumme müsste somit zum von § 263 StGB geschützten Vermögen zählen. Fraglich ist, was unter Vermögen i.S.v. §§ 253, 263 StGB zu verstehen ist. Im Wesentlichen stehen sich heute der rein wirtschaftliche und der juristisch-ökonomische Vermögensbegriff gegenüber. Nach dem Ersteren sind dem Vermögen – ohne Rücksicht auf ihre Rechtsnatur – alle Positionen zuzurechnen, denen nach objektiven Maßstäben ein wirtschaftlicher Wert beigemessen werden kann; auf eine rechtliche oder sittliche Bewertung kommt es nicht an. Nach dem Letztgenannten kommt es im Ausgangspunkt auch auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise an; von der Rechtsordnung missbilligte vermögenswerte Gegenstände scheiden aber aus.

 

Von einem rein wirtschaftlichen Standpunkt kommt der erstrebten Geldsumme in Höhe von 180.000 Euro ein wirtschaftlicher Wert zu, weswegen sie danach zum Vermögen zu zählen ist.

Der BGH nimmt auch keine Einschränkung unter juristisch-normativen Gesichtspunkten vor. Weder kenne die Rechtsordnung allgemein ein schlechthin schutzunwürdiges Vermögen noch stehe die Wertung von § 89c StGB (Terrorismusfinanzierung) dem entgegen:

„Das Landgericht hat die Tat zu Recht als versuchten Betrug zum Nachteil des IS gemäß § 263 Abs. 1 und 2, §§ 22, 23 StGB gewertet. Es hat dabei den vom Vorsatz des Angeklagten erfassten Eintritt einer Schädigung des Vermögens der Terrororganisation als Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB angesehen und insoweit eine normative Einschränkung des Rechtsgüterschutzes abgelehnt. Diese Wertung steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung zum wirtschaftlichen Vermögensbegriff (vgl. zuletzt BGH, Urteile vom 22. September 2016 - 2 StR 27/16, BGHSt 61, 263, 264, und vom 16. August 2017 - 2 StR 335/15 mwN). Allein der Gesetzeszweck des § 89c StGB, Geldzuflüsse an Terrororganisationen zu verhindern, gibt keinen Anlass, den Vermögensbegriff bei § 263 StGB einzuschränken. Abgesehen davon, dass § 89c StGB hier schon tatbestandlich nicht in Betracht kommt, hat sich der Gesetzgeber bei Schaffung dieser Strafvorschrift entgegen dem Vorbringen der Staatsanwaltschaft mit der Frage der Reichweite des strafrechtlichen Vermögensschutzes nach § 263 StGB nicht befasst (vgl. BT-Drucks. 18/4087, S. 7). Die Rechtsordnung kennt im Bereich der Vermögensdelikte allgemein kein wegen seiner Herkunft, Entstehung oder Verwendung schlechthin schutzunwürdiges Vermögen (vgl. BGH, Urteile vom 17. November 1955 - 3 StR 234/55, BGHSt 8, 254, 256 und vom 26. Oktober 1998 - 5 StR 746/97, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 42).“

 

Danach hat sich T vorgestellt, dass Al-N über das Vermögen des IS verfügen wird. Das für einen Dreiecksbetrug erforderliche Näheverhältnis zwischen dem vermeintlichen Al als Verfügendem und dem IS als Geschädigtem besteht ebenfalls.

Die von T erstrebte Auszahlung von 180.000 Euro ohne Erbringung der versprochenen Gegenleistung stellt auch einen Vermögensschaden dar.

Schließlich handelte T in der Absicht, sich rechtswidrig zu bereichern.

 

Damit hatte T einen Tatentschluss gefasst.

 

II. Unmittelbares Ansetzen

Durch Mitteilung seiner vermeintlichen Anschlagspläne und Fordern einer Geldsumme zu deren Finanzierung hat T auch unmittelbar angesetzt (§ 22 StGB).

 

III. Ergebnis

T hat sich wegen versuchten Betruges strafbar gemacht.

 

C. Fazit

Die Terrororganisation IS als Betrugsopfer – was bei dem juristisch Ungebildeten Stirnrunzeln auslösen dürfte, ist die konsequente Anwendung der ständigen Rechtsprechung des BGH zum Vermögensbegriff. Zwar hatte sich im Jahr 2016 durch einen Anfragebeschluss des 2. Strafsenats des BGH eine Diskussion über diese Rechtsprechung angebahnt (Gehört der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln zum strafrechtlich geschützten Vermögen?), die aber wieder abgeebbt ist. Im aktuellen Beschluss geht der 5. Strafsenat auch gar nicht weiter auf die Gegenargumente ein.

 

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