A. Sachverhalt
K unterhielt seit dem Jahr 2013 bei der B eine von ihr selbst abgeschlossene Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung für ein auf ihren Ehemann (E) zugelassenes Fahrzeug der Marke BMW 525d. Bei dem versicherten und auf E zugelassenen Pkw handelt es sich um das einzige Fahrzeug der fünfköpfigen Familie; der monatliche Anteil der während der Ehe abgeschlossenen Vollkaskoversicherung betrug 144,90 €.
Mit einem von E unterzeichneten Schreiben vom 22. Dezember 2014 wurde die Vollkaskoversicherung zum 1. Januar 2015 gekündigt. Das von E unterschriebene Kündigungsschreiben weist im Briefkopf (ausschließlich) den Namen der K auf. Hierauf fertigte die B einen – die Vollkaskoversicherung nicht mehr enthaltenden – Versicherungsschein vom 22. Dezember 2014 aus, der eine Widerrufsbelehrung enthielt, und erstattete überschießend geleistete Beiträge.
Das versicherte Fahrzeug wurde am 5. Oktober 2015 bei einem selbst verschuldeten Unfall beschädigt. Die Reparaturkosten belaufen sich auf insgesamt 12.601,28 € zuzüglich Umsatzsteuer. Mit Schreiben vom 14. Januar 2016 widerrief K die Kündigung der Vollkaskoversicherung.
Kann K die Zahlung der Reparaturkosten von B verlangen?
B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 28.2.2018 – XII ZR 94/17)
Ein Anspruch könnte sich nur aus dem Vollkasko-Versicherungsvertrag ergeben.
Voraussetzung ist zunächst, dass im Zeitpunkt des Unfalls am 5. Oktober 2015 ein Vollkasko-Versicherungsvertrag zwischen K und B bestand.
1. Vertragsschluss
K und B schlossen im Jahr 2013 einen Vollkasko-Versicherungsvertrag.
2. Kündigung durch E
Möglicherweise ist der Vertrag durch das Schreiben des E vom 22. Dezember 2014 zum 1. Januar 2015 gekündigt worden. Dann müsste diese Erklärung der K zuzurechnen sein.
a. Stellvertretung (§ 164 I 1 BGB)
Zwar hat E das Schreiben im Briefkopf ausschließlich auf die K ausgezeichnet und damit in ihrem Namen gehandelt. Anhaltspunkte für eine Vertretungsmacht des E, sei es auch in Form einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht, bestehen jedoch nicht, sodass die Erklärung nicht der K gemäß § 164 I 1 BGB zugerechnet werden kann.
b. Geschäft zur Deckung des Lebensbedarfs (§ 1357 I BGB)
Möglicherweise konnte E die Kündigung auf Grundlage von § 1357 I BGB mit Wirkung seiner Ehefrau K erklären. Gemäß § 1357 I 1 BGB ist jeder Ehegatte berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen. Nach § 1357 I 2 BGB werden durch solche Geschäfte beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, es sei denn, dass sich aus den Umständen etwas anderes ergibt.
Dann müsste es sich bei der Kündigung des Versicherungsvertrages um ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie gehandelt haben. Der BGH führt zunächst aus, dass die Kündigung der Vollkaskoversicherung nur in den Anwendungsbereich des § 1357 BGB fallen könne, wenn das mit ihr korrespondierende Grundgeschäft, also der Abschluss der Vollkaskoversicherung selbst, ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie im Sinne von § 1357 I 1 BGB gewesen wäre.
(1) Anwendungsbereich
Im Schrifttum ist umstritten, ob auch die Ausübung von Gestaltungsrechten, wie namentlich die Kündigung, unter § 1357 I BGB fallen kann. Der BGH stellt zunächst den Meinungsstand dar:
„aa) Die wohl überwiegende Auffassung bejaht diese Frage (Staudinger/Looschelders BGB [2017] § 429 Rn. 41; MünchKommBGB/Roth 7. Aufl. § 1357 Rn. 41; Palandt/Brudermüller BGB 77. Aufl. § 1357 Rn. 22; Rauscher Familienrecht 2. Aufl. Rn. 282; FAKomm-FamR/Weinreich 5. Aufl. § 1357 Rn. 17; Bamberger/Roth/Hahn BGB 3. Aufl. § 1357 Rn. 30; NK-BGB/Wellenhofer 3. Aufl. § 1357 Rn. 24; vgl. auch AG Neuruppin FamRZ 2009, 1221, 1222).
bb) Nach der Gegenmeinung können Gestaltungsrechte nicht durch nur einen Ehegatten ausgeübt werden, insbesondere nicht durch denjenigen, der selbst nicht der ursprünglich kontrahierende Ehegatte war (vgl. Berger FamRZ 2005, 1129, 1131 f. und 1133 f.; Gernhuber/Coester-Waltjen Familienrecht 6. Aufl. § 19 IV Rn. 53).“
Der BGH schließt sich der überwiegenden Auffassung an und stellt dabei auf die Spiegelbildlichkeit zwischen dem Abschluss des Vertrages, der unter § 1357 BGB fallen kann, und dem Loslösen von dem Vertrag (durch die Kündigung) ab:
„cc) Die erstgenannte Auffassung ist zutreffend. § 1357 Abs. 1 BGB führt zu einer Mitverpflichtung und zu einer Mitberechtigung des jeweils anderen Ehegatten. Erstere zieht eine gesamtschuldnerische Haftung der Eheleute nach sich. Die Mitberechtigung begründet für beide Ehegatten die Stellung von Gesamtgläubigern (Staudinger/Looschelders BGB [2017] § 428 Rn. 63 f.; NK-BGB/Wellenhofer 3. Aufl. § 1357 Rn. 23 f.; MünchKommBGB/Roth 7. Aufl. § 1357 Rn. 41 mwN).
Zwar entfalten Gestaltungsrechte wie etwa die Kündigung in der Regel nur dann Wirkung, wenn die Gesamtgläubiger sie gemeinsam ausüben (Staudinger/Looschelders BGB [2017] § 429 Rn. 34 mwN). Etwas anderes gilt jedoch, soweit es sich um Gestaltungsrechte handelt, die Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie im Sinne von § 1357 Abs. 1 Satz 1 BGB betreffen. So wie es den Eheleuten ermöglicht wird, für und gegen ihre jeweiligen Partner Rechte und Pflichten zu begründen, muss es ihnen spiegelbildlich erlaubt sein, sich hiervon auch mit Wirkung für und gegen den anderen wieder zu lösen (vgl. MünchKommBGB/Roth 7. Aufl. § 1357 Rn. 34, 41). Dies gilt schließlich unabhängig davon, ob der das Gestaltungsrecht ausübende Ehegatte auch derjenige gewesen ist, der die eingegangene Verpflichtung über § 1357 Abs. 1 BGB ursprünglich begründet hat.“
Damit ist der Anwendungsbereich von § 1357 I BGB auch für die Kündigung eröffnet.
(2) Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs
Der BGH führt zunächst aus, dass dem „Lebensbedarf“ i.S.v. § 1357 BGB ein unterhaltsrechtlicher Begriff zugrundeliege (§§ 1360, 1360a BGB). Der „Angemessenheit“ liege die Vorstellung zugrunde, dass “Geschäfte größeren Umfangs, die ohne Schwierigkeiten zurückgestellt werden könnten”, nicht unter § 1357 BGB fallen sollen:
„Die Rechtsmacht zur Verpflichtung auch des Partners, die § 1357 BGB nunmehr jedem der Ehegatten einräumt, dient also nicht mehr dem Zweck, dem Handelnden die Erfüllung von bestimmten, ihm zugewiesenen Aufgaben zu ermöglichen. Daher kann die (jetzt beiderseitige) Rechtsmacht nicht mehr funktional – nach dem zur Erfüllung vorgegebener Aufgaben Erforderlichen – bestimmt und begrenzt werden. Nach wie vor sind die Ehegatten jedoch einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten (§ 1360 Satz 1 BGB). Deshalb orientiert sich das Gesetz in § 1357 BGB nunmehr an der “angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie”, also an einem unterhaltsrechtlichen Begriff, bei dessen Auslegung die §§ 1360, 1360 a BGB herangezogen werden können (Senatsurteil BGHZ 94, 1 = FamRZ 1985, 576, 577 mwN).
Wie weit der Lebensbedarf der Familie reicht, bestimmt sich familienindividuell nach den Verhältnissen der Ehegatten (s. § 1360 a Abs. 1 BGB). Ihre Einkünfte und ihr Vermögen, die diese Verhältnisse in erster Linie prägen, werden dem Vertragspartner allerdings häufig verborgen bleiben. Deshalb kommt es bei der Anwendung des § 1357 BGB – wie schon bei der Schlüsselgewalt des früheren Rechts – entscheidend auf den Lebenszuschnitt der Familie an, wie er nach außen in Erscheinung tritt. Übersteigt dieses Erscheinungsbild nach spezifischen und konkreten Anhaltspunkten den aufgrund der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten zu erwartenden Lebenszuschnitt, so erhöht das im Grundsatz den Umfang der nach § 1357 BGB möglichen Mitverpflichtung (Senatsurteil BGHZ 94, 1 = FamRZ 1985, 576, 577 mwN).
Die Vorschrift des § 1357 Abs. 1 BGB verlangt weiterhin, dass die Deckung des Lebensbedarfs der Familie “angemessen” sein muss. Dem liegt die im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Vorstellung zugrunde, dass “Geschäfte größeren Umfangs, die ohne Schwierigkeiten zurückgestellt werden könnten”, nicht unter § 1357 BGB fallen sollen (Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 7/650 S. 99; vgl. auch Rechtsausschuss BT-Drucks. 7/4361 S. 26). Die beabsichtigte Restriktion schützt den an dem Rechtsgeschäft nicht beteiligten Ehegatten somit vor einer ihn überraschenden Inanspruchnahme aus Alleingeschäften größeren Umfangs, die der andere Ehegatte abgeschlossen hat (Senatsurteil BGHZ 94, 1 = FamRZ 1985, 576, 577).“
Es sei umstritten, ob auch der Abschluss von Versicherungsverträgen als Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs im Sinne von § 1357 I BGB anzusehen ist. Der BGH stellt zunächst den Meinungsstand dar:
„(1) Nach einer Auffassung soll der Abschluss üblicher Versicherungsverträge (Erman/Kroll-Ludwigs BGB 15. Aufl. § 1357 Rn. 12), jedenfalls aber der Abschluss einer Hausratversicherung unter § 1357 Abs. 1 BGB fallen (AG Eschwege VersR 1959, 1038 und AG Karlshafen VersR 1965, 871 – jeweils zum früheren Recht; MünchKomm-BGB/Roth 7. Aufl. § 1357 Rn. 23; NK-BGB/Wellenhofer 3. Aufl. § 1357 Rn. 15; Staudinger/Voppel BGB [2012] § 1357 Rn. 64; Palandt/Brudermüller BGB 77. Aufl. § 1357 Rn. 13; Bamberger/ Roth/Hahn BGB 3. Aufl. § 1357 Rn. 17).
(2) Andere sehen den Abschluss von Versicherungsverträgen grundsätzlich als nicht von § 1357 Abs. 1 BGB umfasst an (Soergel/Lipp BGB 13. Aufl. § 1357 Rn. 25; Gernhuber/Coester-Waltjen Familienrecht 6. Aufl. § 19 IV Rn. 47).“
Der BGH selbst schließt sich der erstgenannten Auffassung an:
„(3) Im Ansatz zutreffend ist die erstgenannte Auffassung. Entgegen der zuletzt genannten Auffassung verbietet es sich, Versicherungsverträge pauschal aus dem Anwendungsbereich des § 1357 BGB herauszunehmen. Entscheidend ist vielmehr der Bezug des in Rede stehenden Geschäfts zum Lebensbedarf der Familie, weshalb es jeweils auf den individuellen Zuschnitt der Familie ankommt. Ob es sich danach um ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie handelt, hat der Tatrichter für den jeweiligen Einzelfall festzustellen. Dabei kann auch der Abschluss einer Vollkaskoversicherung in den Anwendungsbereich des § 1357 Abs. 1 BGB fallen, sofern ein ausreichender Bezug zum Familienunterhalt nach §§ 1360, 1360 a BGB gegeben ist.
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist etwa anerkannt, dass nach § 1360 a BGB je nach den Vermögens- und Einkommensverhältnissen der Ehegatten auch Aufwendungen zur Anschaffung und zum Betrieb eines Pkw (BGH Urteil vom 24. Februar 1983 - IX ZR 42/82 - FamRZ 1983, 351, 352 mwN) oder für die Kfz-Haftpflichtversicherung zum angemessenen Familienunterhalt gehören können (BFHE 236, 79 = BStBl. II 2012, 413 Rn. 11; BSG FamRZ 1971, 579, 581). In der Instanzrechtsprechung und Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die Reparatur des von der ganzen Familie genutzten Pkw unter § 1357 Abs. 1 BGB fällt (LG Freiburg FamRZ 1988, 1052 f.; Staudinger/Voppel BGB [2012] § 1357 Rn. 45). Entsprechendes wird für sonstige Verträge angenommen, die ein von der Familie genutztes Fahrzeug betreffen (vgl. NK-BGB/Wellenhofer 3. Aufl. § 1357 Rn. 13), jedenfalls soweit sie, wie etwa die TÜV-Kosten, die Unterhaltung des Fahrzeugs anbelangen (AG Usingen Beschluss vom 27. März 2006 - 2 C 636/05 - juris Rn. 3; NK-BGB/Wellenhofer 3. Aufl. § 1357 Rn. 15). Schließlich wird sogar vertreten, dass der Erwerb eines Familienfahrzeugs selbst unter den Anwendungsbereich des § 1357 Abs. 1 BGB fällt (Herr FF 2017, 285, 290; MünchKommBGB/Roth 7. Aufl. § 1357 Rn. 23; Erman/Kroll-Ludwigs BGB 14. Aufl. § 1357 Rn. 15; aA NK-BGB/Wellenhofer 3. Aufl. § 1357 Rn. 16; Staudinger/Voppel BGB [2012] § 1357 Rn. 45).“
Nach diesen Maßstäben handele es sich bei dem Abschluss des Vollkaskoversicherungsvertrags um ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs:
„Bei dem versicherten Pkw handelt es sich danach um das einzige Fahrzeug der fünfköpfigen Familie. Vor dem Hintergrund, dass der Pkw auf den Ehemann zugelassen war und sich der monatliche Anteil der Vollkaskoversicherung von 144,90 € noch in einem angemessenen Rahmen bezogen auf die Bedarfsdeckung der Familie bewegte, hält sich die Annahme des Oberlandesgerichts, eine vorherige Verständigung der Ehegatten über den Abschluss einer Vollkaskoversicherung erscheine nicht erforderlich, im Rahmen einer zulässigen tatrichterlichen Würdigung. Daran ändert auch der Einwand der Revision nichts, wonach eine Vollkaskoversicherung weniger der konkreten Unterhaltung des Fahrzeugs als vielmehr der Vermögenssicherung diene. Denn wenn es sich – wie hier – um das einzige Fahrzeug der Familie handelt, der Abschluss der Vollkaskoversicherung mithin den Erhalt eines Fahrzeugs für die Familie sichern soll, wird damit auch der Bedarf der Familie, immer ein Fahrzeug zur Verfügung zu haben, im Sinne von § 1357 Abs. 1 Satz 1 BGB gedeckt. Entgegen der Auffassung der Revision ist dieses Interesse nicht mit dem Wert des versicherten Fahrzeugs identisch.
Schließlich ist nach den getroffenen Feststellungen, wonach die Klägerin den Versicherungsvertrag für das auf ihren Ehemann zugelassene Fahrzeug abgeschlossen hat, auch davon auszugehen, dass die Klägerin die Vollkaskoversicherung während der Ehe abgeschlossen hat und ihr Ehemann durch den Versicherungsvertrag mitberechtigt und -verpflichtet worden ist.“
(3) Zwischenergebnis
Damit ist die Kündigungserklärung des E der K nach § 1357 I BGB zuzurechnen.
c. Widerruf der Kündigung durch K
Die Kündigung des E hat als rechtsgestaltende empfangsbedürftige Willenserklärung die Beendigung des Versicherungsverhältnisses zum vertraglich vereinbarten Zeitpunkt zur Folge. Eine Kündigung kann daher nicht einseitig zurückgenommen oder widerrufen werden.
3. Ergebnis
K hat gegen B keinen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten.
C. Fazit
Die Grundlagen von § 1357 BGB gehören zum familienrechtlichen Pflichtwissen – der Fall ist daher eine gute Gelegenheit, sich intensiver mit § 1357 BGB auseinanderzusetzen.
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