Pfeffertüten-Fall

A. Sachverhalt

Die Angeklagten waren übereingekommen, einen Boten, der für einen Bielefelder Betrieb bei der Bank Geld für die Lohnzahlung abzuholen pflegte, auf dem Rückweg zum Betrieb zu überfallen, ihm die Tasche mit den Lohngeldern zu entreißen und in den zu diesem Zweck bereitgehaltenen beiden Kraftwagen zu fliehen. Sie verabredeten alle Einzelheiten der Durchführung des Plans und bereiteten den Raubüberfall auf das Sorgfältigste vor. An dem verabredeten Tage fuhren sie nach ihrem Plan mit den Kraftwagen gegen Mittag zu dem vereinbarten Tatort, der unweit der Straßenbahnhaltestelle lag, an der der Bote auszusteigen pflegte. Dort warteten sie auf seine Ankunft: er musste nach ihrer Berechnung alsbald mit der Straßenbahn eintreffen. Sie hielten den Pfeffer, der ihm in die Augen gestreut werden sollte, bereit und ließen bei Ankunft einer jeden Straßenbahn die Motoren der Wagen anlaufen, um sofort nach Ausführung der Tat das Weite suchen zu können. Nachdem sie vier Straßenbahnen abgewartet hatten, erkannten sie, dass der Bote an diesem Tage verfehlt war. Sie fuhren ein Stück weiter und entfernten sich, nachdem sie noch eine Zeit lang vergeblich gewartet hatten.

 

B. Worum geht es?

Die von den Angeklagten ins Auge gefasste Tat, ein gemeinschaftlicher besonders schwerer Raub (§§ 249 I, 250 II Nr. 1, 25 II StGB), wurde nicht vollendet. Deswegen kommt nur eine Strafbarkeit wegen Versuchs in Betracht; bei Verbrechen, zu denen der Raub zählt, ist der Versuch stets strafbar (§§ 23 I, 12 I StGB).

Nach § 22 StGB versucht eine Straftat, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Es geht hier um die Abgrenzung zwischen (strafloser) Vorbereitung vom (strafbaren) Versuch.

Bekanntlich nimmt der BGH ein unmittelbares Ansetzen an, wenn der Täter „subjektiv die Schwelle zum ‚Jetzt geht es los‘ überschreitet“ und “er objektiv zur tatbestandlichen Ausführungshandlung dergestalt ansetzt, dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestands übergeht.“ (Beschl. v. 29.1.2014 – 1 StR 654/13)

Dieser Fall gehört zur problematischen Fallgruppe der Auflauerungs- oder Erwartungsfälle: Die Angeklagten hatten sich auf die Lauer gelegt und warteten darauf, dass sich das anvisierte Opfer ihnen nähert, um den Tatplan auszuführen und dem Boten die Tasche mit den Lohngeldern unter Gewaltanwendung wegzunehmen. Wider Erwarten näherte sich der Geldbote den Angeklagten aber nicht, sodass sie unverrichteter Dinge von dannen zogen.

Der BGH hatte hier also die folgende Frage zu entscheiden:

Versucht einen Raub, wer sich auf die Lauer legt, um nach Eintreffen des anvisierten Opfers den Tatplan auszuführen?

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH bestätigt im Pfeffertüten-Fall (Urt. v. 20.12.1951 – 4 StR 839/51 (NJW 1952, 514)) die Verurteilung der Angeklagten wegen versuchten besonders schweren Raubes (§§ 249, 250 II Nr. 1, 22, 23 StGB).

 

Der BGH urteilte dabei auf der Grundlage von § 43 StGB a.F., der bis zum Jahr 1975 auf die „Betätigung“ des Tatenschlusses abstellte und lautete:

„(1) Wer den Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens oder Vergehens enthalten, bethätigt hat, ist, wenn das beabsichtigte Verbrechen oder Vergehen nicht zur Vollendung gekommen ist, wegen Versuches zu bestrafen.

(2) Der Versuch eines Vergehens wird jedoch nur in den Fällen bestraft, in welchen das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt.“

 

Zunächst stellt der BGH die allgemeinen Anforderungen an die „Betätigung“ des Tatentschlusses nach § 43 I StGB a.F. dar. Ähnlich wie die Zwischenaktstheorie stellt er darauf ab, dass das planmäßige Handeln des Täters im ungestörten Fortgang unmittelbar zur Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands führen müsse. Zudem müsse eine unmittelbare Gefährdung des angegriffenen Rechtsguts eingetreten sein:

„Zum Beginn der Ausführung einer strafbaren Handlung ist die Verwirklichung eines dem gesetzlichen Tatbestand angehörenden Verhaltens nicht notwendig. Der Versuch setzt nur voraus, daß - zunächst abgesehen von der inneren Tatseite und von der Frage des Tatirrtums - die Angriffsmittel in tätiger Beziehung zum Angriffsgegenstand gesetzt worden sind (RGSt. 69, 327, 329; 71, 47, 49), und zwar dergestalt, daß die Herbeiführung des vom Gesetz mißbilligten Erfolges im unmittelbaren Anschluß an die entfaltete Tätigkeit nahegerückt ist, daß also das planmäßige Handeln des Täters im ungestörten Fortgang unmittelbar zur Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands geführt hätte (RGSt. 59, 1 f.; 72, 66 f.).

Es muß hiernach eine unmittelbare Gefährdung des angegriffenen Rechtsguts eingetreten sein (RGSt. 77, 162, 164; vgl. RGSt. 70, 201 ff.; BGHSt. 1, 115 f. = LM Nr. 1 zu § 180 StGB mit Anm. v. Hülle; BGH, Urt. v. 27.9.1951 - 3 StR 579/51).“

 

Der BGH bejaht diese Voraussetzungen stellt zunächst darauf ab, dass es die Angeklagten nicht entlasten könne, dass der Geldbote nicht erschienen ist. Für die erforderliche unmittelbare Gefährdung des Rechtsgutes komme es nicht auf die tatsächliche Gefährdungslage an, sondern auf die Sicht der Angeklagten, die irrtümlich von der Erwartung ausgegangen seien, das Opfer werde sich sogleich dem verbrecherischen Angriff aussetzen:

„Zur Erfüllung dieser äußeren Voraussetzungen hatten die Angeklagten das ihrerseits Erforderliche getan. Sie lauerten, aufs beste ausgerüstet und getarnt, am Tatort auf ihr Opfer. Der Plan sollte unverzüglich in die Tat umgesetzt werden, sobald der Bote, der nach ihrer Berechnung mit einer der nächsten Straßenbahnen eintreffen mußte, erschien. Wäre dieses eingetreten und hätte sich in diesem Augenblick irgendein Hindernis dem Zugriff der Angeklagten in den Weg gestellt, so wäre angesichts der unmittelbaren Gefahr, die von den Angestellten ausging, an dem Tatbestand des versuchten schweren Raubes schlechthin nicht zu zweifeln. Der Umstand, daß es zur unmittelbaren Gefährdung nur deshalb nicht gekommen ist, weil das Opfer nicht am Tatort erschien, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Der Versuch ist nach der ständigen Rechtsprechung auch dann strafbar, wenn ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands zwar fehlt, aber vom Täter irrtümlich angenommen wird. Dieser Rechtsgrundsatz hat auch für die Fälle zu gelten, in denen der auf der Lauer liegende Täter irrtümlich von der Erwartung ausging, das Opfer werde sich sogleich dem verbrecherischen Angriff aussetzen (vgl. bes. RGSt. 77, 1).

Für die Anwendung des § 43 StGB genügt daher ein Verhalten, das nach dem Gesamtplan des Täters dazu geeignet war, in seinem weiteren Verlauf die Tat unmittelbar zur Vollendung zu bringen. Maßgebend ist hierfür die Vorstellung und der Wille des handelnden Täters. Entscheidend ist hiernach, daß die Angeklagten die Tatbestandshandlung - den Straßenraub - im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem, was sie bis dahin getan hatten, durchführen wollten; dieses hängt mit der gewaltsamen Wegnahme der Geldtasche aufs engste zusammen.“

 

Der BGH schließt seine Ausführungen im Jahr 1951 unter Rückgriff auf eine „natürliche Betrachtung“ und das „allgemeine Rechtsempfinden“:

„Auch bei natürlicher Betrachtung, die für die Abgrenzung des Versuchs von der Vorbereitungshandlung maßgebend ist, stellt sich das Verhalten der Angeklagten am vorgesehenen Tatort nicht bloß als Vorbereitung eines Verbrechens, d.h. als Bereitstellung der Angriffsmittel für dieses, sondern als Anfang der Ausführung des Straßenraubs dar. Eine andere Beurteilung würde dem allgemeinen Rechtsempfinden widersprechen und müßte nicht zuletzt den Angeklagten selbst unverständlich erscheinen (vgl. RGSt 54, 254 f.; 69, 327, 329).“

 

D. Fazit

Der Pfeffertüten-Fall ist eine Fortsetzung unserer Reihe klassischer Entscheidungen zum Versuchsbeginn (siehe bereits den Tankstellen-Fall und “Klingeln an der Wohnungstür“). Um seine „richtige“ Lösung und die Lösung der Fallgruppe der Auflauerungs- bzw. Erwartungsfälle wird auch heute noch gerungen.

Für den BGH spricht die auf den ersten Blick einleuchtende Erwägung, dass es aus Sicht des Täters nicht darauf ankommen könne, ob das Opfer erscheint oder nicht; denn das kann der Täter nicht beeinflussen. Gegen die recht weitgehende Lösung des BGH wird vorgebracht, dass eine Gefährdung des angegriffenen Rechtsguts (beim Raub: Eigentum und persönliche Freiheit) auch nach der Vorstellung des Täters nur dann vorliegen könne, wenn der Täter das Opfer zumindest sinnlich wahrgenommen habe, weil der Raub das unmittelbare Aufeinandertreffen von Täter und Opfer erfordere. Vorher könne der Täter eine Gefährdung nicht ernstlich für möglich halten. Zudem spreche gegen ein unmittelbares Ansetzen im Sinne von § 22 StGB, dass die Annäherung und Anvisierung des Opfers noch einen wesentlichen Zwischenschritt darstelle. Schließlich habe diese Fallgestaltung – unter umgekehrten Vorzeichen – Ähnlichkeiten mit den Fällen, in denen sich der Täter auf den Weg zum Opfer mache. Darin liege aber immer eine (straflose) Vorbereitungshandlung. Nichts anderes könne gelten, wenn der Täter vergeblich auf das Eintreffen des Opfers warte.

Wer einen Versuchsbeginn mit dem BGH bejaht, muss sich sodann mit der Frage eines strafbefreienden Rücktritts (§ 24 StGB) befassen, diesen aber verneinen. Weil die Angeklagten erkannt haben (Auf ihre Sicht kommt es an!), dass der Geldbote nicht mehr erscheinen wird, liegt nämlich ein fehlgeschlagener Versuch vor, der die Anwendung des § 24 StGB ausschließt.