Herrenreiter-Fall

A. Sachverhalt

Der Kläger ist Mitinhaber einer Brauerei in K. Er betätigt sich als Herrenreiter auf Turnieren. Die Beklagte ist Herstellerin eines pharmazeutischen Präparats, das nach der Vorstellung weiter Bevölkerungskreise auch der Hebung der sexuellen Potenz dient. Sie hat zur Werbung für dieses Mittel in der Bundesrepublik, u. a. auch in K, ein Plakat mit der Abbildung eines Turnierreiters verbreitet. Dem Plakat lag ein Originalfoto des Klägers zugrunde, das von dem Presseverlag S. auf einem Reitturnier aufgenommen worden war. Eine Einwilligung zur Verwendung seines Bildes hatte der Kläger nicht erteilt. Der Kläger nimmt die Beklagte auf immateriellen Schadensersatz in Anspruch.

B. Worum geht es?

Indem die Beklagte das Plakat ohne Zustimmung des Klägers verbreitet hat, hat sie das Recht des Klägers am eigenen Bild widerrechtlich und schuldhaft verletzt. Damit war sie dem Kläger nach § 823 I BGB (Verletzung eines „sonstigen Rechts“) und § 823 II BGB i.V.m. § 22 KunstUrhG zum Schadensersatz verpflichtet.

Ein Vermögensschaden könnte sich unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Lizenzanalogie ergeben (vgl. für das Urheberrecht § 97 II 3 UrhG: „Der Schadensersatzanspruch kann auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt hätte.“). Das scheidet aber aus, weil der Kläger nicht bereit gewesen wäre, für das Potenzmittel zu werben. Ein Vermögensschaden ist dem Kläger damit nicht entstanden. Nach § 253 I BGB kann wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine Entschädigung in Geld „nur“ in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden. Nach § 847 I BGB a.F. (= § 253 II BGB n.F.) kommt eine billige Entschädigung in Geld aber nur „im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie im Falle der Freiheitsentziehung“ in Betracht. Die Verletzung des Rechts am eigenen Bild (als besonderes Persönlichkeitsrecht) ist dort nicht genannt. Der BGH hatte damit folgende Frage zu beantworten:

Kommt bei der Verletzung des Rechts am eigenen Bild ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens nach § 847 I BGB a.F. (= § 253 II BGB n.F.) in Betracht?

 

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH gewährt dem Kläger im Herrenreiter-Fall (Urt. v. 14.1.1958 – I ZR 151/56 (BGHZ 26, 349 ff.)) einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens (in Höhe von 10.000 DM) nach § 847 BGB a.F. (§ 253 II BGB n.F.). Dabei wendet er § 847 I BGB analog an und stellt dafür maßgeblich auf den grundrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 1 I, 2 I GG ab. Weiter stellt er die Verletzung des Rechts am eigenen Bild der in § 847 I BGB a.F. aufgezählten Freiheitsentziehung gleich:

„Bereits in der Entscheidung BGHZ 13, 334, 338 hat der Senat ausgesprochen, daß die durch das Grundgesetz Art. 1, 2 geschützte Unantastbarkeit der Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auch als bürgerlich-rechtliches, von jedem im Privatrechtsverkehr zu achtendes Recht anzuerkennen ist, soweit dieses Recht nicht die Rechte anderer verletzt oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Diesem sog. allgemeinen Persönlichkeitsrecht kommt mithin auch innerhalb der Zivilrechtsordnung Rechtsgeltung zu und es genießt als “sonstiges Recht” den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB (vgl. auch BGHZ 24, 72 ff.).

Die Art. 1 und 2 des Grundgesetzes schützen, und zwar mit bindender Wirkung auch für die Rechtsprechung, das, was man die menschliche Personhaftigkeit nennt; ja sie erkennen in ihr einen der übergesetzlichen Grundwerte der Rechtsordnung an. Sie schützen damit unmittelbar jenen inneren Persönlichkeitsbereich, der grundsätzlich nur der freien und eigenverantwortlichen Selbstbestimmung des Einzelnen untersteht und dessen Verletzung rechtlich dadurch gekennzeichnet ist, daß sie in erster Linie sogenannte immaterielle Schäden, Schäden, die sich in einer Persönlichkeitsminderung ausdrücken, erzeugt. Diesen Bereich zu achten und nicht unbefugt in ihn einzudringen, ist ein rechtliches Gebot, das sich aus dem Grundgesetz selbst ergibt. Ebenso folgt aus dem Grundgesetz die Notwendigkeit, bei Verletzung dieses Bereiches Schutz gegen die der Verletzung wesenseigentümlichen Schäden zu gewähren.

Würdigt man unter diesem Blickpunkt die die Persönlichkeit beeinträchtigende Verletzung des Rechts am eigenen Bild, so läßt sich in diesem Bereich für die Frage, wie die Zubilligung des Ersatzes auch immaterieller Schäden im einzelnen begründet werden könne, schon an die Regelung anknüpfen, die § 847 BGB für den Fall der “Freiheitsentziehung” trifft und kraft deren er dem Verletzten auch wegen eines nicht vermögensrechtlichen Schadens eine billige Entschädigung in Geld gewährt. Zwar versteht das Bürgerliche Gesetzbuch hier unter Freiheitsentziehung die Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit sowie die Nötigung zu einer Handlung durch Gewalt oder Bedrohung (BGB-RGRK § 823 Anm. 7), während es sich bei dem Tatbestand des § 22 KunstUrhG um eine Freiheitsberaubung im Bereich eigenverantwortlicher Willensentschließung handelt. Bereits vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ist jedoch schon mehrfach die Ansicht vertreten worden, daß als Freiheitsverletzung im Sinne des § 847 BGB jeder Eingriff in die ungestörte Willensbetätigung anzusehen sei (vgl. u.a. Staudinger, Anm. II A 2 c zu § 823 BGB). Nachdem nunmehr das Grundgesetz einen umfassenden Schutz der Persönlichkeit garantiert und die Würde des Menschen sowie das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit als einen Grundwert der Rechtsordnung anerkannt und damit die Auffassung des ursprünglichen Gesetzgebers des Bürgerlichen Gesetzbuches, es gäbe kein bürgerlich-rechtlich zu schätzendes allgemeines Persönlichkeitsrecht, berichtigt hat und da ein Schutz der “inneren Freiheit” ohne das Recht auf Ersatz auch immaterieller Schäden weitgehend unwirksam wäre, würde es eine nicht erträgliche Mißachtung dieses Rechts darstellen, wollte man demjenigen, der in der Freiheit der Selbstentschließung über seinen persönlichen Lebensbereich verletzt ist, einen Anspruch auf Ersatz des hierdurch hervorgerufenen immateriellen Schadens versagen. Begründet die schuldhafte Entziehung der körperlichen Freiheit einen Anspruch auf Ersatz des ideellen Schadens, so ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der es hindern könnte, die in § 847 BGB getroffene Regelung im Wege der Analogie auch auf solche Eingriffe zu erstrecken, die das Recht der freien Willensbetätigung verletzen, zumal auch bei dieser Freiheitsberaubung “im Geistigen” in gleicher Weise wie bei der körperlichen Freiheitsberaubung in der Regel eine Naturalherstellung ausgeschlossen ist. Bei Beeinträchtigungen der vorliegenden Art, durch die in den natürlichen Herrschafts- und Freiheitsraum des Einzelnen unter schuldhafter Verletzung seines Persönlichkeitsrechtes eingegriffen wird, kann der nach dem Grundgesetz gebotene wirksame Rechtsschutz, solange es an einer gesetzlichen Sonderregelung fehlt, tatsächlich nur durch ihre Einbeziehung in die in § 847 BGB angeführten Verletzungstatbestände erzielt werden, weil ihre Schadensfolgen auf Grund der Natur des angegriffenen Rechtsgutes zwangsläufig in erster Linie auf immateriellem Gebiet liegen.“

D. Fazit

Der Herrenreiter-Fall ist eine Grundsatzentscheidung zum Umfang des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bzw. des Rechts am eigenen Bild und Ausgangspunkt einer Rechtsprechungslinie, die bis in die heutige Zeit reicht. In zahlreichen späteren Entscheidungen hat der BGH die Grundsätze dieses Urteils bestätigt und weiter ausgebaut. Der Schmerzensgeldanspruch wurde jedoch nun nicht mehr aus einer entsprechenden Anwendung des § 847 I BGB a.F. (= § 253 II BGB n.F.) hergeleitet. Die Entscheidungen stellen vielmehr darauf ab, dass die unter dem Einfluss der Wertentscheidung des Grundgesetzes erfolgte Ausbildung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes lückenhaft und unzulänglich wäre, wenn eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts keine der ideellen Beeinträchtigung adäquate Sanktion auslösen würde.

 

Das BVerfG hat die Verfassungskonformität dieser Rechtsprechung in dem ebenfalls berühmten Soraya-Beschluss bestätigt:

„Gegen die Methode der Rechtsfindung des BGH kann auch deshalb von Verfassungs wegen nichts eingewendet werden, weil sie sich vom geschriebenen Gesetz nur in dem zur Rechtsverwirklichung im konkreten Fall unerläßlichen Maße entfernt. Der BGH hat den § 253 BGB weder im ganzen als nicht mehr bindendes Recht betrachtet noch gar als verfassungswidrig kennzeichnen wollen (eine Möglichkeit, die ihm, da es sich um vorkonstitutionelles Recht handelt, offengestanden hätte). Er hat das in der Bestimmung zum Ausdruck kommende Enumerationsprinzip unangetastet gelassen und lediglich die Fälle, in denen der Gesetzgeber bereits die Erstattung immateriellen Schadens verfügt hat, um einen Fall erweitert, in dem ihm die Entwicklung der Lebensverhältnisse, aber auch ein jus superveniens von höherem Rang, nämlich die Art. 1 und 2 Abs. 1 des Grundgesetzes, diese Entscheidung als zwingend gefordert erscheinen ließ. Der BGH und die ihm folgenden Gerichte haben damit nicht das System der Rechtsordnung verlassen und keinen eigenen rechtspolitischen Willen zur Geltung gebracht, sondern lediglich Grundgedanken der von der Verfassung geprägten Rechtsordnung mit systemimmanenten Mitteln weiterentwickelt (vgl. dazu auch von Caemmerer in seinem Diskussionsbeitrag bei Pehle-Stimpel, Richterliche Rechtsfortbildung, Schriftenreihe der Juristischen Studiensgesellchaft Karlsruhe, Heft 87/88, 1969, S. 38). Der so gefundene Rechtssatz ist deshalb legitimer Bestandteil der Rechtsordnung und bildet als ein „allgemeines Gesetz” im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG eine Schranke der Pressefreiheit. Sein Ziel ist es, der im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Wertordnung stehenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde auch zivilrechtlich wirksamen Schutz zu gewährleisten und damit auf einem Teilgebiet des Rechts die Geltungskraft der Grundrechte zu verstärken.“ (Beschluss vom 14. 2. 1973 – 1 BvR 112/65)