Sachverhalt (bereut auf einem Gedächtnisprotokoll)
E hatte vor einigen Jahren ein altes, nicht eingetragenes Seeschiff zum Preis von 42.000 € erstanden. Er hat dafür einen Anlegesteg im Binnengewässer von Hamburg gemietet. Als er beruflich für eine längere Zeit in die USA reisen muss, bittet er seinen Segelfreund S während seiner zwölfmonatigen Abwesenheit das Boot instand zu halten, er dürfe es während der Zeit nutzen. S weiß, dass E nur ihm persönlich das Boot anvertraut, da er die umsichtige Art des S zu schätzen weiß und S die Schwachstellen des Bootes kennt.
Nach der Abreise des E am 01. Juli 2014 nutzt S das Boot an jedem freien Tag. Eines Tages, von der Sonne um vom Alkohol ermüdet, schläft S allerdings am Ruder des Bootes ein und rammt einen Steg, wobei das Boot an der Seite einen Riss erleidet. S repariert das Boot nur notdürftig. Eine fachgerechte Reparatur würde 4.000 € kosten. Auch erzählt S, dem die Sache sehr peinlich ist, dem E, mit dem er in regelmäßigem Kontakt steht nichts von dem Unfall.
Vielmehr vermietet er ab dem 01. Oktober 2014 das Boot an den M, der von der Eigentümerstellung des S ausgeht. M will das Boot selber fahren sowie während der kälteren Monate als Dekoration für seinen Geschäftsbetrieb verwenden. Es wird eine monatliche Miete von 500 € vereinbart, die M auch immer pünktlich bezahlt.
Über Weihnachten und Neujahr ist E wieder in Deutschland. Da er sich bald eine motorisierte Segelyacht kaufen will, bietet er dem S das Boot zum Freundschaftspreis von 30.000 € an. S nimmt dieses Angebot gleich am nächsten Tag an. Die Zahlung soll in 6 Raten zu je 5.000 € erfolgen. Zudem wird ein Eigentumsvorbehalt zugunsten des E bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung vereinbart. Anfang Januar 2015 zahlt S die erste Rate.
Da S bald in finanzielle Schwierigkeiten gerät, bittet er die B-Bank im Februar 2015 um ein Darlehen. Auf die Frage seitens der B-Bank nach Sicherheiten erwähnt S das Boot. Ein Mitarbeiter erscheint in den Räumen des M um sich das Boot anzusehen. Dabei erzählt M auch, dass er das Boot von S gemietet habe. Sodann überträgt S der B-Bank das Sicherungseigentum an dem Boot. S solle aber bitte auch in Zukunft sorgsam mit dem Boot umgehen und jede zukünftige Vermietung der B-Bank anzeigen.
Trotz des Darlehens kann S im März 2015 schon die Raten an den E nicht mehr bezahlen. Die Beziehung der beiden verschlechtert sich und E setzt dem S im April und im Mai jeweils letzte Fristen zur Begleichung der Schuld.
Am 29. Juni teilt E dem S dann mit, dass er den Kaufvertrag wegen der rückständigen Raten auflöse. S solle das Boot am Steg des E festmachen und in Zukunft nicht mehr anrühren. E müsse noch bis Ende Dezember, also sechs Monate länger als geplant in den USA bleiben. Die beiden bereits gezahlten Raten i.H.v. insgesamt 10.000 € überweist E dem S zurück.
S sagt, ihm tue dies alles schrecklich leid und er habe das Boot bereits am Steg des E festgezurrt.
Stattdessen schließt S jedoch im Beisein des M am 30. Juni 2015 mit dem gutgläubigen D einen Kaufvertrag über das Boot. Als Kaufpreis werden 45.000 € vereinbart, die in 6 Raten zu je 7.500 € gezahlt werden sollen. Wenn der Seitenriss fachgerecht repariert worden wäre, hätte das Boot zu dem Zeitpunkt einen Verkehrswert von 40.000 €.
Es wird weiterhin vereinbart, dass der M das Boot noch bis zum 30. September 2015 nutzen
können und die Miete für die Monate Juli – September noch an den S bezahlen soll. Außerdem behält sich S das Eigentum an dem Boot bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung durch D vor. Am 30. September 2015 wird dem D dann das Boot von M übergeben.
Als E am 03.Oktober 2015 früher aus den USA wiederkommt, findet er nur einen leeren Steg vor. Der Sachverhalt klärt sich auf. D hat bereits 30.000 € an den S gezahlt.
Aufgabe 1: E möchte das Boot von D heraus verlangen. D sieht das jedenfalls nicht ein, solange er nicht die seinerseits gezahlten 30.000 € zurückerhalten hat. E möchte auch wissen, ob ihm Ansprüche gegen den S zustehen. Zudem interessiert ihn, ob er irgendwie an die 45.000 € für das Boot gelangen kann.
Welche Ansprüche hat E gegen D und S?
Abwandlung: Es kommt doch nicht zu der Übergabe von M an D am 30. September 2015. Vielmehr vergrößert sich der Riss in der Seite des Bootes und S und D beschließen, ihren Kaufvertrag aufzulösen. S will sodann die Reparatur auf eigene Rechnung erledigen lassen. Er segelt also zu der auf Holzboote spezialisierten Werkstatt der U in Hamburg Altona und gibt das Boot ab. E kommt aus den USA zurück und verlangt nun von U das Boot heraus. Die U möchte jedoch zuerst ihre Rechnung i.H.v. 4.000 € bezahlt haben.
Aufgabe 2a): Hat E einen Herausgabeanspruch gegen U?
Aufgabe 2b): Vor welchem Gericht kann E diesen Anspruch ggf. geltend machen? Braucht er dazu Hilfe?
Unverbindliche Lösungsskizze
Aufgabe 1
Frage 1: E gegen D auf Herausgabe
A. § 985 BGB
I. Besitz des D (+), § 854 I BGB
II. Eigentum des E
Ursprünglich: (+)
Eigentumserwerb des E am 01.07.2014 (-); Arg.: nur Verwahrung, § 688 BGB
Eigentumserwerb des M am 01.10.2014 (-); Arg.: nur Miete, § 535 BGB
Eigentumserwerb des S Ende 2014, § 929 S. 2 BGB (-); Arg.: § 158 I BGB
Eigentumserwerb der B im Februar 2015, §§ 929 S. 1, 931 BGB
a) Einigung (+)
b) Übergabesurrogat: Abtretung eines Herausgabeanspruchs, § 398 BGB
Hier: § 546 BGB gegen M
c) Einigsein (+)
d) Berechtigung (-)
e) Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten, §§ 931, 934 BGB
aa) Rechtsgeschäft i.S.e. Verkehrsgeschäfts (+)
bb) Rechtsscheinstatbestand
Hier: § 934, 1. Fall BGB
Aber: E möglicherweise ebenfalls mittelbarer Besitzer
- Problem: Mittelbarer Nebenbesitz
- aA: (-), d.h. gutgläubiger Erwerb (+); Arg.: gesetzlich nicht vorgesehen
- hM: (-), d.h. gutgläubiger Erwerb (-); Arg.: Schutz des wahren Eigentümers
cc) Ergebnis: (-)
- Eigentumserwerb des D am 30.06.2015, §§ 929 S. 1, 931 BGB
(-); Arg.: § 158 I BGB
III. Kein Recht zum Besitz des D, § 986 BGB
-> Anwartschaftsrecht (-); Arg.: S konnte aufgrund des zwischenzeitlichen Rücktritts des E gem. §§ 449 II, 323 BGB dem D kein Anwartschaftsrecht mehr übertragen.
IV. Kein Einreden
-> §§ 1000, 994 ff. BGB
(-); Arg.: der an S gezahlte Kaufpreis ist keine Verwendung auf die Sache
V. Ergebnis: (+)
B. Sonstige Herausgabeansprüche
I. § 861 BGB
(-); Arg.: keine verbotene Eigenmacht des D
II. § 1007 I BGB
(-); Arg.: keine Bösgläubigkeit des D
III. § 1007 II BGB
(-); Arg.: kein Abhandenkommen
IV. §§ 823 I, 249 I BGB
(-); Arg.: zumindest kein Verschulden des D
V. § 812 I 1 1. Fall BGB
(-); Arg.: keine Leistung von E an D
VI. § 812 I 1 2. Fall BGB
(-); Arg.: vorrangige Leistung S an D
Frage 2: Ansprüche E gegen S
A. Ansprüche anlässlich der Verursachung des Risses
I. § 280 I BGB (+)
II. §§ 989, 990 BGB
(-); Arg.: kein EBV, da S aufgrund des Verwahrvertrages ein Recht zum Besitz hatte
III. § 823 I BGB (+)
B. Ansprüche anlässlich der Vermietung an M
I. Schadensersatzansprüche
(-); Arg.: kein Schaden ersichtlich
II. Erlösherausgabe
- §§ 687 II, 681 S. 2, 667 BGB
a) Fremdes Geschäft
(-); Arg.: Untervermietung nicht Sache des Eigentümers (a.A. vertretbar)
b) Ergebnis: (-)
- § 816 I 1 BGB (analog)
a) Verfügung eines Nichtberechtigten
- Problem: Unberechtigte Untervermietung als Verfügung
- aA: (+); Arg.: verfügungsähnliche Wirkung
- hM: (-); Arg.: Wortlaut; keine planwidrige Regelungslücke
b) Ergebnis: (-)
C. Ansprüche anlässlich der Veräußerung an D
I. Schadensersatz
- §§ 687 II, 678 BGB
a) Fremdes Geschäft (+)
b) Eigengeschäftsführungswille (+)
c) Bösgläubigkeit (+)
d) Rechtsfolge: Schadensersatz
- §§ 989, 990 BGB
a) EBV zum Zeitpunkt der Veräußerung
(+); Arg.: aufgrund des Rücktritts des E hatte S kein Rechts zum Besitz mehr
b) Bösgläubiger Besitzer (+)
c) Unmöglichkeit der Herausgabe (+)
d) Verschulden (+)
e) Rechtsfolge: Schadensersatz
- §§ 992, 823 ff. BGB
(-); Arg.: S nicht deliktischer Besitzer
- § 823 I BGB
- Problem: Anwendbarkeit beim lediglich bösgläubigen Besitzer - aA: (+); Arg.: Umkehrschluss aus § 993 I BGB am Ende
- hM: (-); Arg.: Umkehrschluss aus § 992 BGB
II. Erlösherausgabe
§§ 687 II, 681 S. 2, 667 BGB (+)
§ 816 I 1 BGB
a) Verfügung eines Nichtberechtigten (+)
b) Wirksamkeit gegenüber dem Nichtberechtigten (-); Arg.: s.o.
c) Ergebnis: (-)
Aufgabe 2a
A. § 985 BGB
I. Besitz des U (+)
II. Eigentum des E (+)
III. Kein Recht zum Besitz des U
- Eigenes Besitzrecht des U, § 986 I 1 1. Fall BGB
-> Werkunternehmerpfandrecht, § 647 BGB
a) Werkvertrag zwischen S und U (+)
b) Sache des Bestellers
Hier: Boot steht im Eigentum des E, nicht des S
aa) „Lehre von der Verpflichtungsermächtigung“, § 164 BGB
(-); Arg.: Umgehung des Offenkundigkeitsprinzips
bb) „Lehre von der Verfügungsermächtigung“, § 185 BGB analog
(-); Arg.: Letztlich auch Umgehung des Offenkundigkeitsprinzips
cc) Gutgläubiger Erwerb eines gesetzlichen Pfandrechts, §§ 1257, 1207 BGB (-);
Arg.: Wortlaut des § 1257 BGB („entstandenes“, nicht: „zur Entstehung zu bringendes“)
- Abgeleitetes Besitzrecht, § 986 I 1 2. Fall BGB (-);
Arg.: Rücktritt des E gegenüber S
IV. Keine Einreden
-> §§ 1000, 994 ff. BGB
- EBV
- Zum Zeitpunkt der Verwendung (-), da E noch nicht zurückgetreten.
- Aber: zumindest zum Zeitpunkt des Herausgabeverlangens lag Rücktritt vor. Dies reicht zum Schutze des Verwenders aus (BGH).
- Gutgläubiger Besitzer (+)
- Notwendige Verwendungen (+)
- Ergebnis: (+)
V. Ergebnis: (+), aber nur Zug-um-Zug gegen Ersatz der Verwendungen
Aufgabe 2b
Hier: Landgericht Hamburg, §§ 23, 71 GVG; Arg. Streitwert über 5.000 Euro, da es auf den Besitz der Sache ankommt, vgl. § 6 ZPO. Beim Landgericht herrscht Anwaltszwang, § 78 ZPO.
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