Examensreport: ÖR II 1. Examen Februar 2015 in Rheinland-Pfalz

Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)

In der Stadt S ist der Fußballverein F ansässig, welcher mit dem Verein G verfeindet ist. Des Öfteren ist es bei Heimspielen gegen den Verein G zu Konflikten zwischen den Fans des harten Kerns gekommen, den sog. „Ultras“. Bei diesen Konflikten ist es trotz erhöhtem Polizeieinsatz zu Körperverletzungen und Sachbeschädigungen im und um das Stadion gekommen, wobei auch unbeteiligte Passanten betroffen wurden. Die Polizei hat daraufhin versucht mit Aufenthaltsverboten und Meldeauflagen den Ausschreitungen entgegen zu wirken, jedoch wurde das Bild dadurch nur leicht verbessert und konnte nicht vollständig behoben werden.
2015 steht in der Stadt S erneut ein Derby zwischen F und G an, jedoch findet zeitgleich auch ein Volksfest statt, welches rundherum mehrere Dutzend Polizisten benötigt. Aus diesem Grund erlässt der Bürgermeister der Stadt S einen Bescheid, welcher es F verbietet die geplanten 10% der Eintrittskarten die laut DFB für den gegnerischen Verein reserviert werden müssen, zu verkaufen. Er begründet dies damit, dass die Ausschreitungen in Anbetracht der verringerten Polizeigewalt nicht zu kontrollieren seien und ein solches Verkaufsverbot nötig sei. F hingegen sieht sich selbst als Opfer der gewalttätigen Fans und nicht verantwortlich für die Ausschreitungen. Erst einmal müsse sich der Bürgermeister an die Verantwortlichen wenden. Insbesondere entstehe ihm durch das Verkaufsverbot ein Schaden von 10.000€. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhebt F form-und fristgerecht Klage zum zuständigen VG.

Frage 1 : Hat die Klage des F Aussicht auf Erfolg?
K, ein Fan des Vereins F, welcher dem harten Kern angehört, ist bei den letzten beiden Heimspielen auffällig geworden, indem er sich an Schlägereien beteiligt hat. Eines Tages erhält er von dem Polizeipräsidium der Stadt S ein Schreiben überschrieben mit „Gefährderanschreiben“ . Darin heißt es, dass K in letzter Zeit unter polizeilicher Beobachtung stand, wobei die Art und Weise nicht ausgeführt wurde und ihm geraten wird, sich in Zukunft von Spielen des Vereins F fernzuhalten, sonst könnten gegen ihn Maßnahmen auf Grundlage des POG ergehen. K möchte dieses Schreiben nicht auf sich sitzen lassen und möchte, dass es aus der Welt ist.

Frage 2: Ist eine Klage des K vor dem VG zulässig?

Unverbindliche Lösungsskizze

Frage 1: Erfolgsaussichten der Klage gegen das Verkaufsverbot

A. Zulässigkeit

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtweges, § 40 I 1 VwGO

Hier: POG

 

II. Statthafte Klageart

Hier: Anfechtungsklage, § 42 I 1. Fall VwGO; Arg.: Verkaufsverbot = VA i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG

 

III. Besondere Sachurteilsvoraussetzungen

  1. Klagebefugnis, § 42 II VwGO

Hier: Art. 12 I GG, zumindest aber Art. 2 I GG

  1. Erfolgloses Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO (+)

  2. Klagefrist, § 74 I VwGO (+)

  3. Klagegegner, § 78 I Nr. 1 VwGO

 

IV. Allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen (+)

 

B. Begründetheit, § 113 I 1 VwGO

I. Rechtswidrigkeit des VA

  1. Ermächtigungsgrundlage

a) Spezialgesetz (-)

b) Generalklausel, § 9 I POG

  1. Formelle Rechtmäßigkeit (+)

  2. Materielle Rechtmäßigkeit

 

a) Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage

aa) Schutzgut

-> Öffentliche Sicherheit

Hier: Geschriebenes Recht (§§ 223, 303 StGB) und Individualgüter (Leib, Eigentum)

bb) Gefahr

-> Hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts (+); Arg.: häufige gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den „Ultras“ bei Heimspielen

cc) Ordnungspflichtigkeit

(1) Verhaltensstörer, § 4 I POG

(a) Unmittelbarer Verursacher

(-); Arg.: Keine Überschreitung der Gefahrenschwelle durch F selbst

(b) Mittelbarer Verursacher

Problem: „Zweckveranlasser

  • aA: subjektive Theorie -> (-); Arg: Überschreitung der Gefahrenschwelle durch Ultras nicht „gewollt“

  • hM: objektive Theorie -> eigentlich (+); Arg.: Überschreitung der Gefahrenschwelle „vorhersehbar“; aber: Grundrechtsausübung des F, Art. 12 I GG

(2) Notstandspflichtiger, § 7 I POG („Nichtstörer“)

(a) Gegenwärtige erhebliche Gefahr (+)

(b) Vorgehen gegen Verhaltensstörer nicht erfolgversprechend

Hier: Aufenthaltsverbote und Meldeauflagen in der Vergangenheit wirkungslos

(c) Keine Abwehr durch eigene Kräfte oder durch Beauftragte

Hier: Polizeikräfte durch Volksfest gebunden; Eskalation nicht kontrollierbar; allerdings: kein Hinweis auf Bemühungen um Amtshilfe aus benachbarten Regionen, was regelmäßig in Betracht zu ziehen wäre (aA gut vertretbar).

b) Ergebnis: (-)

 

II. Rechtsverletzung (+)

 

C. Ergebnis: (+)

 

Frage 2: Zulässigkeit der Klage gegen das Gefährderanschreiben

I. Verwaltungsrechtsweg, § 40 I 1 VwGO

Hier: POG

 

II. Statthafte Klageart

  1. Anfechtungsklage, § 42 I 1. Fall VwGO

(-); Arg.: Gefährderanschreiben kein VA, mangels Regelungswirkung („Rat“).

  1. Feststellungsklage, § 43 I VwGO

Dann müsste K die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehren. Ein Rechtsverhältnis liegt vor, wenn in einem konkreten Sachverhalt aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften eine Rechtsbeziehungen zwischen Personen oder Personen und Sachen besteht. Dies wäre zumindest dann der Fall, wenn ein Eingriff in Grundrechte des K vorläge.

a) Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG

aa) Schutzbereich 

(1) Persönlich (+)

(2) Sachlich

Problem: Versammlungszweck

  • aA: jeder Zweck ausreichend -> (+); Arg.: Handlungsfreiheit in der Gruppe

  • aA: politischer Zweck erforderlich -> (-); Arg.: Entstehungsgeschichte

  • hM: kommunikativer Zweck erforderlich und ausreichend -> (+); Arg.: Meinungsfreiheit in der Gruppe

bb) Eingriff

(1) Eingriff im klassischen Sinne

(-); Arg.: Keine Regelungswirkung (s.o.)

(2) Eingriff im modernen Sinne

Hier: Intensität; Arg.: Einwirkung auf Entschließungsfreiheit durch Inaussichtstellen von polizeilichen Maßnahmen.

b) Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 GG

aa) Schutzbereich

(1) Persönlich (+)

(2) Sachlich

(a) Meinung

= Jedes Werturteil

Hier: Sympathiebekundung für den Verein

(b) Haben, Bilden, Äußern, Verbreiten (+)

bb) Eingriff (+), s.o.

 

III. Besondere Sachurteilsvoraussetzungen

  1. Feststellungsinteresse, § 43 I VwGO

Hier: rechtliches bzw. ideelles Interesse 

  1. Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog

Hier: Art. 8, 5 I 1 GG

  1. Keine Subsidiarität, § 43 II VwGO

(+); Arg.: andere Klagearten kommen nicht in Betracht.

  1. Klagegegner

Hier: Rechtsträger

IV. Allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen (+)

V. Ergebnis: (+) 

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