BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des Verbots der Zulassung einer interprofessionellen Rechts- und Patentanwaltsgesellschaft mbH

A. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (B) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Gründung. Anfang 2009 wurde der Gesellschaftsvertrag in notarieller Form geschlossen; eine Eintragung in das Handelsregister ist noch nicht erfolgt. Gründer und Gesellschafter sind zwei Patentanwälte und ein Rechtsanwalt, die jeweils zu gleichen Teilen am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt sind. Zum Unternehmenszweck wurde die gemeinschaftliche Berufsausübung als Patent- und Rechtsanwälte bestimmt.

B strebt eine doppelte Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft und als Patentanwaltsgesellschaft an und stellte entsprechende Zulassungsanträge bei den zuständigen Berufskammern. Die Rechtsanwaltskammer und die Patentanwaltskammer lehnten die Anträge ab. Die Rechtsanwaltskammer begründete dies unter Hinweis auf §§ 59e II 1, 59f I BRAO, wonach die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte einer Rechtanwaltsgesellschaft zustehen muss und eine Rechtsanwaltsgesellschaft von Rechtsanwälten verantwortlich geführt werden muss. Die Patentanwaltskammer verwies ihrerseits auf §§ 52e II, 52f I PAO, die Entsprechendes für Patentanwaltsgesellschaften fordern.

Rechtsmittel der B gegen die Entscheidungen der Kammern blieben erfolglos.

B erhebt Verfassungsbeschwerde und rügt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 GG - hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?

B. Die Entscheidung des BVerfG (Beschl. v. 14.1.2014, Az. 1 BvR 2998/11 u.a.)

Die Verfassungsbeschwerde der B hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

Im Rahmen der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, die nach Art. 93 I Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG statthaft ist, ist einzig problematisch, ob die B beschwerdefähig und beschwerdebefugt ist. Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG kann „jedermann” Verfassungsbeschwerde erheben; hierunter ist derjenige zu verstehen, der Träger von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten, also grundrechtsfähig, ist. Soweit eine inländische juristische Person des Privatrechts Verfassungsbeschwerde erhebt, gelten gemäß Art. 19 III GG zu ihren Gunsten die Grundrechte, soweit sie ihrem Wesen nach auf die juristische Person anwendbar sind. Dazu hat das BVerfG im Jahre 2002 ausgeführt:

„Die Erstreckung eines Grundrechts auf juristische Personen als bloße Zweckgebilde der Rechtsordnung scheidet nach der Rechtsprechung des BVerfG dort aus, wo der Grundrechtsschutz an Eigenschaften, Äußerungsformen oder Beziehungen anknüpft, die nur natürlichen Personen wesenseigen sind (vgl. BVerfGE 95, 242). Demgegenüber kommt ein Schutz für juristische Personen in Betracht, wenn das Grundrecht auch korporativ betätigt werden kann.“ (BVerfG NJW 2002, 3619)

Fraglich ist zudem, ob die B als juristische Person im Sinne von Art. 19 III GG anzusehen ist. Dabei kommt es nicht auf die einfachgesetzliche Einordnung der Beschwerdeführerin als juristische Person an, entscheidend ist, ob sie (teil-)rechtsfähig ist.

Die B als GmbH i.G. stellt mangels Eintragung in das Handelsregister noch keine GmbH dar (§ 11 I GmbHG). Zum Status dieser sog. Vor-GmbH zwischen Gründung (= Abschluss des notariellen Gesellschaftsvertrages, § 2 GmbHG) und Eintragung hat der BGH im Jahre 1993 Stellung genommen:

„Die bereits durch Gesellschaftsvertrag gegründete, aber noch nicht eingetragene GmbH (Vor-GmbH) stellt nach neuerer ständiger Rechtsprechung des BGH ein Rechtsgebilde eigener Art dar, das als notwendige Vorstufe zur juristischen Person dem Recht der eingetragenen GmbH schon insoweit untersteht, als es mit ihrem besonderen Zweck vereinbar ist und nicht die Rechtsfähigkeit voraussetzt (vgl. BGHZ 51, 30 und BGHZ 80, 212). Dieses Rechtsgebilde ist nach heute nahezu einhellig vertretener Meinung zum Auftreten und Handeln im Rechts- und Geschäftsverkehr im weiten Umfang berechtigt und dabei - abgesehen von der Rechtsfähigkeit im engeren Sinne - einer juristischen Person bereits weitgehend angenähert (vgl. BGHZ 45, 338; BGHZ 80, 129; Hachenburg-Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 11 Rdnrn. 45 ff.; Scholz-K. Schmidt, GmbHG, 7. Aufl., § 11 Rdnrn. 29 f.; Rowedder-Rittner, GmbHG, 2. Aufl., § 11 Rdnrn. 77 ff.; Lutter-Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl., § 11 Rdnrn. 2 f.).“ (BGH NJW 1993, 459)

Nach diesen Maßstäben bejaht das BVerfG die Beschwerdefähigkeit und –befugnis der B:

„Nach Maßgabe des Art. 19 III GG können juristische Personen den Schutz der Berufsfreiheit beanspruchen, soweit sie eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person offensteht (vgl. BVerfGE 115, 205 <229> m.w.N.). Dies gilt mithin auch für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (vgl. BVerfGE 131, 47 <57>). Zwar hat die Beschwerdeführerin diese Gesellschaftsform noch nicht erreicht, als Vorgesellschaft erfüllt sie aber die Voraussetzungen einer - im verfassungsrechtlichen Sinne des Art. 19 III GG - juristischen Person (dazu oben B. I.), auf die in der vorliegenden Konstellation auch das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG seinem Wesen nach anwendbar ist. Sie ist als Vorgesellschaft in weitem Umfang zum Auftreten und Handeln im Rechts- und Geschäftsverkehr berechtigt und damit der Gesellschaft mit beschränkter Haftung „bereits weitgehend angenähert“ (vgl. BGHZ 120, 103 <105 f.>). Demgemäß unterliegt die Vorgesellschaft dem Recht der angestrebten Gesellschaftsform, soweit dieses mit ihrem besonderen Zweck als Vorgesellschaft vereinbar ist und nicht die Eintragung im Handelsregister voraussetzt (vgl. BGHZ 169, 270 <273> m.w.N.).

Wegen ihrer hiernach gegebenen Identität mit der Kapitalgesellschaft, auf deren Entstehen sie angelegt ist, kann die Beschwerdeführerin bereits für sich den Schutz der Berufsfreiheit jedenfalls insoweit in Anspruch nehmen, als ihre Funktion als notwendige Vorstufe für die erstrebte Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgesellschaft dies erfordert. Ihrem Gesellschaftszweck entsprechend, das Entstehen einer Berufsausübungsgesellschaft vorzubereiten und deren Tätigkeit zu ermöglichen, ist die Beschwerdeführerin mithin in eigenen Rechten betroffen, wenn - wie hier - der Verwirklichung dieses Ziels Hindernisse entgegengestellt werden.“

II. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde

1. Eingriff in den Schutzbereich von Art. 12 GG

Der sachliche (einheitliche) Schutzbereich der Berufsfreiheit gewährleistet das Recht der freien Wahl und Ausübung von Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte, wobei unter Beruf jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage verstanden wird. Das BVerfG bejaht einen Eingriff in die Berufsfreiheit der B:

„Die verfahrensgegenständlichen Entscheidungen und die ihnen zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften greifen in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin ein. Sie versagen der Beschwerdeführerin in der gegenwärtigen Organisationsform die Zulassung als Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgesellschaft und beschränken damit deren Möglichkeiten, berufliche Tätigkeiten auszuüben, die Rechts- oder Patentanwälten vorbehalten sind. Bei den hier maßgeblichen Vorschriften handelt es sich um Vorgaben zur Anteils- und Stimmrechtsmehrheit (§ 59e II 1 BRAO und § 52e II 1 PAO) sowie zur Leitungsmacht und zur Geschäftsführermehrheit (§ 59f I BRAO und § 52f I 1 PAO), die über das allgemeine Gesellschaftsrecht hinaus eigene Begrenzungen für Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgesellschaften schaffen. Erfüllt die Beschwerdeführerin die gesetzlichen Vorgaben nicht, bleibt ihr die Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft zur Rechtsanwaltschaft ebenso versagt wie die Zulassung als Patentanwaltsgesellschaft zur Patentanwaltschaft. Sie ist damit nach den Regelungen des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) sowie nach den Bestimmungen des jeweils maßgeblichen Berufs- oder Verfahrensrechts an der gewählten beruflichen Tätigkeit der Beratung und Vertretung in allen Rechtsangelegenheiten (§ 3 I BRAO) oder auch nur in Patentangelegenheiten (§§ 3, 4 PAO) gehindert. Selbst wenn die Beschwerdeführerin ohne ihre entgegenstehende Satzung abzuändern und, ohne die tatsächliche Struktur ihrer Gesellschafter und Geschäftsführer anzupassen, die Eintragung in das Handelsregister und ihre damit verbundene Umwandlung in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung erreichen sollte, könnte sie mangels berufsrechtlicher Zulassungen nicht die angestrebte berufliche Tätigkeit in der frei gewählten Form einer Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgesellschaft aufnehmen.“

2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

In das durch Art. 12 I GG garantierte einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit darf nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden, wobei das BVerfG zur berufsfreiheitsspezifischen Strukturierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bekanntlich die sog. Drei-Stufen-Theorie entwickelt hat. In dem berühmten Apotheken-Urteil aus dem Jahre 1958 hat das BVerfG dazu ausgeführt:

„Die Freiheit der Berufsausübung kann im Wege der „Regelung” beschränkt werden, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls es zweckmäßig erscheinen lassen. Die Freiheit der Berufswahl darf dagegen nur eingeschränkt werden, soweit der Schutz besonders wichtiger („überragender”) Gemeinschaftsgüter es zwingend erfordert, d.h.: soweit der Schutz von Gütern infrage steht, denen bei sorgfältiger Abwägung der Vorrang vor dem Freiheitsanspruch des Einzelnen eingeräumt werden muss und soweit dieser Schutz nicht auf andere Weise, nämlich mit Mitteln, die die Berufswahl nicht oder weniger einschränken, gesichert werden kann. Erweist sich ein Eingriff in die Freiheit der Berufswahl als unumgänglich, so muss der, Gesetzgeber stets die Form des Eingriffs wählen, die das Grundrecht am wenigsten beschränkt.

Für den Umfang der Regelungsbefugnis ergeben sich so gewissermaßen mehrere „Stufen”:

Am freiesten ist der Gesetzgeber, wenn er eine reine Ausübungsregelung trifft, die auf die Freiheit der Berufswahl nicht zurückwirkt, vielmehr nur bestimmt, in welcher Art und Weise die Berufsangehörigen ihre Berufstätigkeit im Einzelnen zu gestalten haben. Hier können in weitem Maße Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit zur Geltung kommen; nach ihnen ist zu bemessen, welche Auflagen den Berufsangehörigen gemacht werden müssen, um Nachteile und Gefahren für die Allgemeinheit abzuwehren. Auch der Gedanke der Förderung eines Berufes und damit der Erzielung einer höheren sozialen Gesamtleistung seiner Angehörigen kann schon gewisse die Freiheit der Berufsausübung einengende Vorschriften rechtfertigen. Der Grundrechtsschutz beschränkt sich insoweit auf die Abwehr in sich verfassungswidriger, weil etwa übermäßig belastender und nicht zumutbarer gesetzlicher Auflagen; von diesen Ausnahmen abgesehen, trifft die hier infrage stehende Beeinträchtigung der Berufsfreiheit den Grundrechtsträger nicht allzu empfindlich, da er bereits im Beruf steht und die Befugnis, ihn auszuüben, nicht berührt wird.

Eine Regelung dagegen, die schon die Aufnahme der Berufstätigkeit von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig macht und die damit die Freiheit der Berufswahl berührt, ist nur gerechtfertigt, soweit dadurch ein überragendes Gemeinschaftsgut, das der Freiheit des Einzelnen vorgeht, geschützt werden soll. Dabei besteht offensichtlich ein - auch in Rspr. und Schrifttum seit Langem hervorgehobener (vgl. Scheuner, aaO S. 25 und die von ihm angeführten Belege) - bedeutsamer Unterschied je nachdem, ob es sich um „subjektive” Voraussetzungen, vor allem solche der Vor- und Ausbildung, handelt oder um objektive Bedingungen der Zulassung, die mit der persönlichen Qualifikation des Berufsanwärters nichts zu tun haben und auf die er keinen Einfluss nehmen kann.

Die Regelung subjektiver Voraussetzungen der Berufsaufnahme ist ein Teil der rechtlichen Ordnung eines Berufsbildes; sie gibt den Zugang zum Beruf nur den in bestimmter - und zwar meist formaler - Weise qualifizierten Bewerbern frei. Eine solche Beschränkung legitimiert sich aus der Sache heraus; sie beruht darauf, dass viele Berufe bestimmte, nur durch theoretische und praktische Schulung erwerbbare technische Kenntnisse und Fertigkeiten (im weiteren Sinn) erfordern und dass die Ausübung dieser Berufe ohne solche Kenntnisse entweder unmöglich oder unsachgemäß wäre oder aber Schäden, ja Gefahren für die Allgemeinheit mit sich bringen würde. Der Gesetzgeber konkretisiert und „formalisiert” nur dieses sich aus einem vorgegebenen Lebensverhältnis ergebende Erfordernis; dem Einzelnen wird in Gestalt einer vorgeschriebenen formalen Ausbildung nur etwas zugemutet, was er grundsätzlich der Sache nach ohnehin auf sich nehmen müßte, wenn er den Beruf ordnungsgemäß ausüben will. Diese Freiheitsbeschränkung erweist sich so als das adäquate Mittel zur Verhütung möglicher Nachteile und Gefahren; sie ist auch deshalb nicht unbillig, weil sie für alle Berufsanwärter gleich und ihnen im voraus bekannt ist, so daß der Einzelne schon vor der Berufswahl beurteilen kann, ob es ihm möglich sein werde, die geforderten Voraussetzungen zu erfüllen. Hier gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in dem Sinne, daß die vorgeschriebenen subjektiven Voraussetzungen zu dem angestrebten Zweck der ordnungsmäßigen Erfüllung der Berufstätigkeit nicht außer Verhältnis stehen dürfen.

Anders liegt es bei der Aufstellung objektiver Bedingungen für die Berufszulassung. Ihre Erfüllung ist dem Einfluß des Einzelnen schlechthin entzogen. Dem Sinn des Grundrechts wirken sie strikt entgegen; denn sogar derjenige, der durch Erfüllung aller von ihm geforderten Voraussetzungen die Wahl des Berufes bereits real vollzogen hat und hat vollziehen dürfen, kann trotzdem von der Zulassung zum Beruf ausgeschlossen bleiben. Diese Freiheitsbeschränkung ist um so gewichtiger und wird demgemäß auch um so schwerer empfunden, je länger und je fachlich spezialisierter die Vor- und Ausbildung war, je eindeutiger also mit der Wahl dieser Ausbildung zugleich dieser konkrete Beruf gewählt wurde. Da zudem zunächst nicht einsichtig ist, welche unmittelbaren Nachteile für die Allgemeinheit die Ausübung eines Berufes durch einen fachlich und moralisch qualifizierten Bewerber mit sich bringen soll, wird häufig der Wirkungszusammenhang zwischen dieser Beschränkung der freien Berufswahl und dem erstrebten Erfolg nicht einleuchtend dargetan werden können. Die Gefahr des Eindringens sachfremder Motive ist daher besonders groß; vor allem liegt die Vermutung nahe, die Beschränkung des Zugangs zum Beruf solle dem Konkurrenzschutz der bereits im Beruf Tätigen dienen - ein Motiv, das nach allgemeiner Meinung niemals einen Eingriff in das Recht der freien Berufswahl rechtfertigen könnte. Durch die Wahl dieses gröbsten und radikalsten Mittels der Absperrung fachlich und moralisch (präsumtiv) voll geeigneter Bewerber vom Berufe kann so - abgesehen von dem möglichen Konflikt mit dem Prinzip der Gleichheit - der Freiheitsanspruch des Einzelnen in besonders empfindlicher Weise verletzt werden. Daraus ist abzuleiten, dass an den Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Freiheitsbeschränkung besonders strenge Anforderungen zu stellen sind; im Allgemeinen wird nur die Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut diesen Eingriff in die freie Berufswahl legitimieren können; der Zweck der Förderung sonstiger Gemeinschaftsinteressen, die Sorge für das soziale Prestige eines Berufs durch Beschränkung der Zahl seiner Angehörigen reicht nicht aus, auch wenn solche Ziele im übrigen gesetzgeberische Maßnahmen rechtfertigen würden.

Der Gesetzgeber muss Regelungen nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 jeweils auf der „Stufe” vornehmen, die den geringsten Eingriff in die Freiheit der Berufswahl mit sich bringt, und darf die nächste „Stufe” erst dann betreten, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit dargetan werden kann, daß die befürchteten Gefahren mit (verfassungsmäßigen) Mitteln, der vorausgehenden Stufe nicht wirksam bekämpft werden können.“ (BVerfGE 7, 377)

In der vorliegenden Entscheidung äußert sich das BVerfG nicht zu der Einordnung des Eingriffs in das „Koordinatensystem“ der Drei-Stufen-Lehre, sondern prüft die Rechtfertigung nach allgemeinen Grundsätzen. Wollte man „schulmäßig“ die Drei-Stufen-Lehre prüfen, dürfte es sich um eine subjektive Berufswahlregelung handeln. Denn die B wird mangels Zulassung daran gehindert, ihre Tätigkeit aufzunehmen, sodass es sich nicht nur um eine Berufsausübungsregelung handelt. Zudem knüpft die verweigerte Zulassung an Eigenschaften der B (Gesellschafterstruktur, Satzungsinhalt), nicht aber an objektive Kriterien an.

Als legitime Zwecke, die durch die angegriffenen Regelungen verfolgt werden, kommen die Sicherung der beruflichen Unabhängigkeit (a), die Sicherung der berufsrechtlichen Qualifikationsanforderungen (b), die Verhinderung von Berufsrechtsverstößen (c) sowie der Schutz vor Irreführung (d) in Betracht.

a. Sicherung der beruflichen Unabhängigkeit

„Die hier maßgeblichen gesetzlichen Regelungen der Rechtsanwalts- wie der Patentanwaltsgesellschaft zielen ausweislich der Begründung des zugrunde liegenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung vorrangig auf die Sicherung der beruflichen Unabhängigkeit. … Für beide Berufsausübungsgesellschaften soll die Unabhängigkeit der handelnden individuellen Berufsträger gesichert werden, die sich keinen unzulässigen Einflussnahmen berufsfremder Geschäftsführer oder Gesellschafter unterwerfen dürfen. Zudem soll - angesichts der Sicherung des beherrschenden Einflusses der gesellschaftsprägenden Berufsgruppe - die Unabhängigkeit der Gesellschaft geschützt werden, die selbst Trägerin der Zulassung ist und daher keinen berufsfremden Einflüssen auf ihre Willensbildung sowie ihr Außenhandeln ausgesetzt sein soll. Es handelt sich damit um nähere Ausgestaltungen des Leitbilds der beruflichen Unabhängigkeit, die für Rechtsanwälte in § 1 BRAO und für Patentanwälte in § 1 PAO jeweils eine gesetzliche Grundlage findet.

Mit dem Schutz der Unabhängigkeit verfolgt der Gesetzgeber für beide Berufe einen legitimen Zweck. Für die Sicherung der beruflichen Unabhängigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ergibt sich das aus dem Gemeinwohlziel einer funktionierenden Rechtspflege. Die Wahrung ihrer Unabhängigkeit ist unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege (§ 1 BRAO) und berufene Berater und Vertreter der Rechtsuchenden (§ 3 I  BRAO) durch ihre berufliche Tätigkeit zu einer funktionierenden Rechtspflege beitragen können (BVerfGE 117, 163 <182>). Nur als unabhängige Berufsträger vermögen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sachgerechte Konfliktlösungen herbeizuführen, vor Gericht die Interessen ihrer Mandantschaft wirksam zu vertreten und zugleich staatliche Stellen möglichst vor Fehlentscheidungen zulasten ihrer Mandantschaft zu bewahren (vgl. BVerfGE 108, 150 <161>). Anwaltliche Unabhängigkeit ist dabei auch im Verhältnis zu Sozien und anderen Dritten zu wahren (vgl. Stürner/Bormann, NJW 2004, S. 1481 <1482>).

Für den Schutz der beruflichen Unabhängigkeit der Patentanwaltschaft kann nichts anderes gelten.“

Das BVerfG kommt aber zu dem Ergebnis, dass die angegriffenen Regelungen nicht erforderlich seien, um diesen Zweck zu erreichen:

„Zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zählt die Erforderlichkeit, weil Eingriffe in Grundrechte nicht weiter gehen dürfen als das verfolgte Gesetzesziel dies erfordert. An der Erforderlichkeit fehlt es, wenn der Gesetzgeber hierfür ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können (vgl. BVerfGE 126, 112 <144 f.> m.w.N.). Auch unter Berücksichtigung des Beurteilungs- und Prognosespielraums, über den der Gesetzgeber bei Einschätzung der Erforderlichkeit einer von ihm getroffenen Regelung verfügt (vgl. BVerfGE 126, 112 <145> m.w.N.), fehlt es hier an dieser Voraussetzung.

aa) Die verfahrensgegenständlichen Anforderungen an die Gesellschafter- und Geschäftsführungsstruktur sind zum Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit nicht erforderlich, weil die Erreichung dieses Ziels bereits durch gesetzlich geregelte Berufspflichten der beteiligten Rechts- und Patentanwälte sichergestellt ist [vgl. § 43a I BRAO, § 39a I PAO]  Diese zielen auf konkrete Verstöße im Einzelfall und belasten damit die Berufsträger weniger als die angegriffenen Beschränkungen des Gesellschaftsrechts. …

Zudem sind keine Umstände zu erkennen, die angesichts der geltenden gesetzlichen Gestaltung von Berufsausübungsgesellschaften - insbesondere bei dem Gebot aktiver Berufsausübung (§ 59e I 2 BRAO, § 52e I 2 PAO) und dem Verbot von Drittbeteiligungen (§ 59e III BRAO, § 52e III PAO) - spezifische Gefährdungen der Unabhängigkeit durch die kapitalgesellschaftliche Organisationsform befürchten lassen. Es spricht daher auch für eine ausreichende Wirksamkeit des berufsrechtlichen Schutzes der beruflichen Unabhängigkeit, dass bei den ebenfalls zulässigen Formen interprofessioneller beruflicher Zusammenarbeit als Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder Partnerschaftsgesellschaft keine vergleichbaren Anforderungen an die Gesellschafter- und Geschäftsführungsstruktur wie bei einer Berufsausübungsgesellschaft bestehen. Bestätigt wird dies durch die Rechtsprechung, die Literatur sowie die im vorliegenden Verfahren abgegebenen Stellungnahmen, denen sich keine konkreten Hinweise auf unzulässige berufliche Abhängigkeiten innerhalb interprofessioneller Sozietäten entnehmen lassen, obgleich personengesellschaftliche Zusammenschlüsse bei der satzungsmäßigen Ausgestaltung der Stimmrechte und Geschäftsführung keinen zwingenden Regelungen unterworfen sind. Dementsprechend wurden solche Vorgaben auch im Zuge der Annäherung der Partnerschaftsgesellschaft an das Haftungsregime einer Kapitalgesellschaft durch Zulassung einer beschränkten Berufshaftung (vgl. § 8 IV PartGG n.F.) nicht nachgeholt.“

b. Sicherung der berufsrechtlichen Qualifikationsanforderungen

„Als weiteren legitimen Zweck verfolgt der Gesetzgeber mit den angegriffenen Bestimmungen die Sicherung der berufsrechtlichen Qualifikationsanforderungen.

Diese ergeben sich für die Berufsträger als natürliche Personen zum einen aus § 4 BRAO, der den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf grundsätzlich von der Befähigung zum Richteramt abhängig macht, und zum anderen aus § 5 PAO, wonach der Zugang zum Beruf des Patentanwalts an die in §§ 6 bis 8 PAO genannten praktischen und theoretischen Fähigkeiten, Erfahrungen und Kenntnisse geknüpft ist. Die berufsrechtlichen Qualifikationserfordernisse dienen mit dem Schutz der Rechtspflege und dem Schutz der Rechtsuchenden vor einem Tätigwerden fachlich ungeeigneter Personen wichtigen Gemeinschaftsgütern (vgl. BVerfGE 75, 246 <267>).“

Auch insoweit fehle es an der Erforderlichkeit des Eingriffs:

„Auch soweit die angegriffenen Vorschriften auf die Sicherung der rechtsanwaltlichen beziehungsweise patentanwaltlichen Qualifikationsanforderungen auf der Ebene der Berufsausübungsgesellschaften zielen, stehen im maßgeblichen Berufsrecht weniger belastende, aber gleichermaßen geeignete Mittel zur Verfügung.

Hierfür genügt bereits der für beide Berufsausübungsgesellschaften geltende umfassende Berufsträgervorbehalt. Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgesellschaften sind als solche Erbringer rechtsbesorgender Dienstleistungen, können von den Rechtsuchenden entsprechend beauftragt werden und haben bei ihrer beruflichen Tätigkeit insbesondere als Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigte die Rechte und Pflichten eines Rechtsanwalts beziehungsweise Patentanwalts (§ 59l 1 und 2 BRAO, § 52l 1 und 2 PAO). Zur Leistung ihrer rechtsbesorgenden Dienste sind die Gesellschaften aber auf natürliche Personen angewiesen. Dass diese Beratung und Vertretung der Rechtsuchenden nur durch hinreichend qualifizierte Personen geschieht, wird dadurch sichergestellt, dass für die Berufsausübungsgesellschaft nur Organe und Vertreter handeln dürfen, in deren Person die für die Erbringung rechtsbesorgender Leistungen gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen müssen. Mithin bleibt die tatsächliche rechtsbesorgende Tätigkeit solchen Berufsträgern vorbehalten, die ihrerseits zur Rechtsanwaltschaft beziehungsweise zur Patentanwaltschaft zugelassen sind und damit die in § 4 BRAO und § 5 PAO bestimmten Qualifikationserfordernisse in eigener Person erfüllen müssen. …

Aufgrund des umfassend geltenden Berufsträgervorbehalts ist sichergestellt, dass auch in interprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaften, also bei Beteiligung verschiedener sozietätsfähiger Berufe (§ 59e I 1 i.V.m. § 59a I 1 und II BRAO; § 52e I 1 i.V.m. § 52a II PAO), sämtliche rechtsbesorgende Dienstleistungen stets nur von Berufsträgern erbracht werden dürfen, die in ihrer Person die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Tätigkeit erfüllen.“

c. Verhinderung von Berufsrechtsverstößen

„Mit den angegriffenen Vorschriften wird schließlich noch ein dritter legitimer Zweck verfolgt; denn mit der Sicherung des maßgeblichen Einflusses der gesellschaftsprägenden Berufsgruppe wird auch ein Hindernis für Entscheidungen und Maßnahmen in interprofessionellen Berufsausübungsgesellschaften geschaffen, die ihrem Berufsrecht widersprechen.“

Doch auch hier kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass es an der Erforderlichkeit des Eingriffs fehle:

„Wird den Angehörigen der im konkreten Fall gesellschaftsprägenden Berufsgruppe mit den angegriffenen Regelungen der maßgebliche Einfluss vorbehalten, so kann es ihnen zwar aufgrund ihrer Leitungsmacht (§ 59f I 1 BRAO; § 52f II 1 PAO) möglich sein, Verstöße gegen das maßgebliche Berufsrecht durch die anderen Berufsgruppen zu verhindern. Hier ist aber eine persönliche Bindung sämtlicher Berufsträger an das für die Gesellschaft maßgebliche Berufsrecht das mildere Mittel. Sie ist mit Blick auf die freie, unreglementierte Berufsausübung weniger belastend; denn sie setzt unmittelbar bei den maßgeblichen berufsrechtlichen Pflichten an und vermeidet weitergehende Eingriffe in die inneren Strukturen der Berufsausübungsgesellschaft, die das angestrebte Ziel nur indirekt erreichen könnten.

Der unmittelbare Ansatz einer Bindung an das Berufsrecht rechtfertigt zudem die Annahme einer zumindest gleichen, wenn nicht sogar gesteigerten Wirksamkeit.“

d. Schutz vor Irreführung

„Hingegen kommt ein Schutz vor Irreführung in der vorliegenden Konstellation als legitimer Zweck der angegriffenen Regelungen nicht in Betracht.

Der Schutz der Rechtsuchenden vor einer irreführenden Außendarstellung kann allerdings grundsätzlich ein Gemeinwohlzweck sein, der Eingriffe in die Berufsfreiheit auch bei rechtsberatender Tätigkeit zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerfGE 112, 255 <263>). Hier ist jedoch bereits zweifelhaft, ob die Rechtsuchenden mit dem Auftreten einer Berufsausübungsgesellschaft als Rechts- oder Patentanwaltsgesellschaft eine Erwartung an bestimmte innere Strukturen wie die Mehrheitsverhältnisse der Geschäftsanteile und Stimmrechte sowie die Leitungsmacht und die Geschäftsführermehrheit der gesellschaftsprägenden Berufsgruppe verbinden und in dieser Hinsicht überhaupt einer Fehlvorstellung erliegen können. Dessen ungeachtet ist zumindest im gegebenen Fall, in dem eine gleichzeitige Zulassung als Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgesellschaft angestrebt wird, die Gefahr einer Irreführung von vornherein ausgeschlossen, weil bereits die doppelte Firmierung mit der Angabe beider Berufe der Erwartung, die Gesellschaft werde intern von einer der beiden Berufsgruppen nach Maßgabe der angegriffenen Vorschriften dominiert, die Grundlage entzieht. Werden beide Berufsgruppen im Gesellschaftsnamen genannt, so lässt sich kein klarer Hinweis auf den beherrschenden Vorrang eines der Berufe erkennen.“

III. Ergebnis

Die Verfassungsbeschwerde der B ist zulässig und begründet. Die angegriffenen berufsrechtlichen Vorschriften verletzen die B in ihrem Grundrecht auf freie Berufsausübung und sind nichtig (§ 95 III BVerfGG).

C. Fazit

Eine aktuelle Entscheidung zu einem höchst prüfungsrelevanten Grundrecht (Art. 12 GG), die das Berufsrecht der Rechts- und Patentanwälte betrifft und zudem eine gesellschaftsrechtliche Problematik enthält – das schreit geradezu danach, im Rahmen einer Prüfungsarbeit verarbeitet zu werden. Das BVerfG beschränkt sich (dem konsequenten Urteilsstil entsprechend) auf eine Prüfung des Art. 12 GG; im Rahmen eines Gutachtens wären zudem noch Art. 3 I GG und Art. 9 I GG anzusprechen.

Im Hinblick auf Art. 3 I GG dürfte eine Ungleichbehandlung zwischen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften zu bejahen sein, weil für Personengesellschaften keine vergleichbaren Beschränkungen einer Zusammenarbeit verschiedener Berufsträger vorgesehen sind. In Anbetracht der Ausführungen des BVerfG zur Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 12 I GG dürfte auch diese Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt sein.

Zugleich dürfte auch Art. 9 GG verletzt sein, wobei die Berufsfreiheit als das speziellere Grundrecht vorrangig sein dürfte. So hat das BVerfG in einer Entscheidung aus dem Jahre 1986 festgestellt:

„Soweit sich die Bf. auf die in Art. 9 I GG gewährleistete Vereinigungsfreiheit berufen und geltend machen, diese umfasse auch die Tätigkeit einer Vereinigung, verkennen sie den Schutzzweck dieser Gewährleistung. Wird eine Vereinigung wie jedermann im Rechtsverkehr tätig, so ist für den Grundrechtsschutz dieser Betätigung nicht Art. 9 I GG maßgebend; die Vereinigung und ihre Tätigkeit bedürfen insoweit nicht als solche des Grundrechtsschutzes. Dieser richtet sich vielmehr nach den materiellen (Individual-) Grundrechten.“ (BVerfG NJW 1986, 772)