Die Klägerin studierte seit Wintersemester 2005/06 an der Universität Konstanz Rechtswissenschaft. Am 01.12.2009 bestand sie die universitäre Teilprüfung der Ersten juristischen Staatsprüfung im Schwerpunktbereich „Arbeits- und Sozialrecht“ mit der Gesamtnote „befriedigend“ (7,33 Punkte). Im Frühjahr 2011 bestand sie den schriftlichen Teil der Staatsprüfung der Ersten juristischen Prüfung nicht. Im Frühjahr 2012 wiederholte sie den schriftlichen Teil der Staatsprüfung und erzielte dabei nicht die für eine Zulassung zur mündlichen Prüfung erforderlichen 3,75 Punkte im Durchschnitt. Mit Bescheid vom 05.06.2012 erklärte das Justizprüfungsamt Baden-Württemberg die Staatsprüfung daraufhin für endgültig nicht bestanden. Der Klägerin wurde die Fortsetzung der Staatsprüfung verwehrt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 03.07.2012 Widerspruch. Ihren Widerspruch begründete die Klägerin neben Einwendungen gegen die Bewertung einzelner Klausuren im Wesentlichen mit einer Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit. Absolventen sogenannter gestufter Kombinationsstudiengänge (§§ 35a ff. JAPrO BaWÜ) wird erlaubt, den Staatsprüfungsteil der Ersten juristischen Prüfung in “abgeschichteter Form” nach dem sog. “Mannheimer Modell” abzulegen. Die Universität Mannheim bietet einen Bachelor-Studiengang „Unternehmensjurist/-in“ an, der neben rechts- auch wirtschaftswissenschaftliche Elemente enthält. Studierende haben dort die Möglichkeit, „parallel“ die Erste juristische Staatsprüfung zu absolvieren, und dabei die Examensklausuren über mehrere Semester zu verteilen („abzuschichten“; § 35a III JAPrO). Nach dem 6. Semester können die Klausuren auf ein Rechtsgebiet beschränkt werden, nach 10 Semestern werden dann die Klausuren in den übrigen Rechtsgebieten geschrieben (§ 35b I und II JAPrO BaWÜ).
Eine vergleichbare Vergünstigung wird Kandidaten außerhalb eines solchen Kombinationsstudienganges in Baden-Württemberg nicht gewährt. Hieraus ergebe sich – so die Klägerin – eine mit dem Grundsatz der Chancengleichheit nicht mehr vereinbare wesentliche Ungleichbehandlung der Prüflinge im Hinblick auf die ihnen gestellten Leistungsanforderungen.
Mit Bescheid vom 06.11.2012 wies das Justizministerium den Widerspruch der Klägerin zurück. Am 05.12.2012 hat die Klägerin hiergegen beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Wiederholung des schriftlichen Teils der Staatsprüfung zu gestatten. In ihrer Klagebegründung verzichtet sie auf eine weitere Verfolgung der Einwendungen gegen die Bewertungen der Aufsichtsarbeiten. Sie vertieft hingegen ihr Vorbringen, sie werde durch die angefochtenen Bescheide in ihrem Recht aus Art. 3 I GG in Verbindung mit dem prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit verletzt. Ergänzend führt sie im Wesentlichen aus, sie habe einen Anspruch auf Fortsetzung des Prüfungsverfahrens bzw. Wiederholung der Prüfung, weil die gesetzliche Grundlage der Prüfung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen im Hinblick auf eine grundrechtskonforme Gestaltung entsprochen habe. Eine Portionierung der Prüfungsleistungen, wie sie das “Mannheimer Modell” erlaube, verzerre den Prüfungsmaßstab insoweit, als sich Studierende solcher Kombinationsstudiengänge in ihrer Examensvorbereitung zunächst ausschließlich auf einen Teil des Prüfungsstoffes vorbereiten könnten und im nachfolgenden Abschnitt der Prüfung sowohl im Hinblick auf die zu erbringende Gedächtnisleistung als auch die Beherrschung der Systematik des abgeschichteten Teilrechtsgebiets entlastet seien.
Das VG Stuttgart (Urt. v. 18.9.2013, Az. 12 K 4134/12) weist die Klage ab.
Die Klage sei als Verpflichtungsklage statthaft und zulässig, indes unbegründet, weil die angefochtenen Bescheide rechtmäßig seien und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf erneute Zulassung zur Staatsprüfung im Sinne von § 9 JAPrO. Vielmehr habe sie die Prüfung endgültig nicht bestanden, weil sie im einzig zulässigen Wiederholungsversuch (vgl. § 21 I JAPrO BaWü) die erforderliche Durchschnittspunktzahl in den Klausuren im Sinne von § 16 1 JAPrO nicht erreicht habe. Es liege kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, der ihr einen Anspruch auf erneute Zulassung zur Staatsprüfung vermittle.
Zunächst führt die Kammer aus, dass bereits erhebliche Zweifel daran bestehen, ob sich die Klägerin auf die behauptete Ungleichbehandlung berufen könne. So führt das Gericht aus.
„Denn nach allgemeinen Prüfungsrechtsgrundsätzen trifft den Prüfling jedenfalls bei Verfahrensverstößen grundsätzlich die Obliegenheit zu einer zeitnahen Rüge („unverzüglich“). Verletzt er diese Obliegenheit, ist ihm nach dem Grundsatz von Treu und Glauben eine nachträgliche Berufung auf einen solchen (angeblichen) Verfahrensfehler verwehrt bzw. wird ein solcher Verfahrensfehler unbeachtlich (vgl. BVerwG, Entscheidungen vom 23.1.1991 - 7 B 5.91 - und vom 22.6.1994 - 6 C 37.92 -; OVG Saarl., Urteil vom 21.01.2010 - 3 A 450/08 -; OVG NRW, Beschluss vom 15.9.2005 - 14 A 2778/04 -, OVG Lüneburg, Beschluss vom 22.12.2003 - 2 NB 394/03 -, jeweils zitiert nach juris). Die Klägerin hat sich nicht unverzüglich auf den (angeblichen) Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften der JAPrO berufen. „Unverzüglich“ wäre in diesem Fall wohl die sofortige Rüge nach Einführung des „Mannheimer Modells“ (2008), jedenfalls aber vor Ablegung ihrer Staatsprüfung im Rahmen der Ersten juristischen Prüfung gewesen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte sie beantragen müssen, ebenfalls entsprechend dem Verfahren des „Mannheimer Modells“ geprüft zu werden. Diese Obliegenheit hat die Klägerin verletzt. Denn sie hat sich erst nach dem Nichterreichen der 3,75-Punkte-Schwelle des § 16 der Verordnung des Justizministeriums über die Ausbildung und Prüfung der Juristen (Juristenausbildung- und Prüfungsordnung - JAPrO - vom 08.10.2002, GBl. S. 391; zuletzt geändert am 23.07.2013, GBl. S. 233) auf den (angeblichen) Verstoß berufen.“
Allerdings dürfte doch sehr fraglich sein, ob die Rüge der Klägerin tatsächlich „präkludiert“ ist. Denn § 25 II JAPrO BaWü sieht eine solche Rügeobliegenheit nur vor für „Beeinträchtigungen des Prüfungsablaufs“, wozu (behauptete) materielle Mängel der Prüfungsordnung nicht zählen dürften. Aus ungeschriebenen, „allgemeinen Prüfungsgrundsätzen“ dürfte eine derart weitreichende Rügeobliegenheit auch nicht abgeleiteten werden können. Letztlich hat das VG diese Frage nicht entschieden, weil nach Ansicht der Kammer die Rüge der Klägerin ohnehin nicht durchgreife.
Das „Abschichtungsmodell“ der §§ 35a ff. JAPrO BaWü sei nämlich nicht zu beanstanden, es liege weder ein Verstoß gegen das Deutsche Richtergesetz noch gegen Art. 3 I GG vor.
So sehe § 5d II 3 DRiG ausdrücklich die Möglichkeit einer „Abschichtung“ vor. Dass diese Möglichkeit in einem Bundesland für alle Studierenden bestehen müsse, ergebe sich daraus nicht.
Im Hinblick auf einen denkbaren Verstoß gegen den prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 I, 12 I GG) referiert die Kammer zunächst die Rechtsprechung des BVerfG:
„Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Art. 3 I GG nur dann verletzt, wenn die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Regelung fehlt. Ein solcher Fall liegt vor, wenn zwischen den Gruppen, die ungleich behandelt werden, keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Schlechterstellung rechtfertigen können (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 23.05.2008 - 2 BvR 1081/07 - juris). Grundsätzlich gilt hiernach, dass wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln ist (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>; Beschluss vom 28.11.2007 - 2 BvR 375/06 - st.Rspr., juris).“
Das VG sieht aber wesentliche Unterschiede zwischen dem „normalen“ Jurastudium und dem gestuften Kombinationsstudiengang „Unternehmensjurist/-in“:
„Zwischen dem Studiengang „Rechtswissenschaft“, z.B. an der Universität Konstanz, und dem Studiengang „Unternehmensjuristin/Unternehmensjurist“ an der Universität Mannheim (LL.B.) bestehen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass die verschieden ausgestalteten Ausbildungs- und Prüfungsordnungen gerechtfertigt sind. Denn der Mannheimer Studiengang verbindet die Juristenausbildung mit einem Bachelor in Wirtschaftswissenschaften und ist deshalb im verfassungsrechtlichen Sinne „wesentlich ungleich. … Es ist offenkundig, dass dieser Studiengang „Unternehmensjurist/-in“, der das Bologna-Modell des Bachelors mit einem Jurastudium kombiniert, sich in fast jeder Hinsicht von einem „nur“ klassischen Jurastudium, wie es die Klägerin gewählt hat, unterscheidet. Aus diesem Grund liegen hinreichende Unterschiede vor, die einer zwingenden Gleichbehandlung insbesondere in verfahrensrechtlicher Hinsicht entgegenstehen. Soweit die Klägerin einwendet, im Ergebnis sei der Abschluss der Ersten juristischen Prüfung in Mannheim und anderswo „gleich“, trifft dies zweifellos zu. Dies besagt jedoch nicht, dass der Weg dorthin, wird er mit einer Unternehmensjuristenausbildung kombiniert, zwingend gleich ausgestaltet sein muss. Vor dem Hintergrund der beträchtlichen Zusatzanforderungen des Mannheimer Studienganges in wirtschaftswissenschaftlicher Hinsicht kann auch sicher keine Rede davon sein, dass die Erste juristische Prüfung dort insgesamt „einfacher“ erlangt werden kann. Vielmehr spricht einiges dafür, dass der Mannheimer Weg sogar anspruchsvoller ist. Dass die Zivilrechtsklausuren dort „abgeschichtet“ geschrieben werden dürfen, ist sicherlich nicht zwingend. Vor dem Hintergrund der parallelen wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung erscheint dies jedoch sinnvoll und stellt sich als verfassungsrechtlich gerechtfertigt dar (vgl. auch Schäfer, „Bologna“ in der Juristenausbildung?, NJW 2008, 2487).
Diese Argumentation wird zusätzlich noch dadurch gestützt, dass nach § 35b I 2 JAPrO eine „Abschichtung“ nur dann zulässig ist, wenn zugleich ein berufsqualifizierender Abschluss erworben wird. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum „normalen“ Jurastudium und dürfte auch die Rechtfertigung der „Ungleichbehandlung“ begründen.
Im Übrigen geht die Kammer davon aus, dass der Klage selbst dann der Erfolg versagt sein müsste, wenn eine Ungleichbehandlung vorläge:
„Denn die Klägerin beruft sich auf eine Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit der das „Mannheimer Modell“ regelnden Normen der JAPrO in den §§ 35 a - § 35 e, 62 a. Diese Normen hinweg gedacht, würde sich an § 16 JAPrO jedoch nichts ändern. Hier ist geregelt, dass nur wer im schriftlichen Teil der Staatsprüfung eine Durchschnittspunktzahl gemäß § 19 II 2 Nr. 1 JAPrO von mindestens 3,75 Punkten (und in wenigstens drei Aufsichtsarbeiten, davon in mindestens einer zivilrechtlichen Aufsichtsarbeit, einen Durchschnitt von 4,0 oder mehr Punkten) erreicht hat, mündlich geprüft wird. Wer diese Voraussetzungen hingegen nicht erfüllt, ist von der mündlichen Prüfung ausgeschlossen und hat die Staatsprüfung nicht bestanden. Die Klägerin ist mit der erreichten Gesamtdurchschnittsnote von nur 3,58 Punkten nach dieser Norm von der erneuten Wiederholung der Staatsprüfung sowie der Teilnahme an der mündlichen Prüfung ausgeschlossen. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn das „Mannheimer Modell“ verfassungswidrig wäre. Für die Kammer sind jedenfalls keine Argumente ersichtlich, dass sich eine solche (partielle) Verfassungswidrigkeit der JAPrO auf deren § 16 auswirken könnte. Und selbst wenn dies der Fall wäre, hätte die Klägerin noch nicht den eingeklagten Anspruch auf Wiederholung der Prüfung. In diesem Fall wäre vielmehr das Justizministerium aufgefordert, die verfassungswidrige JAPrO entsprechend nachzubessern. Dass hierbei die Regelung des § 16 JAPrO zwingend wegfallen müsste, ist nicht erkennbar, jedenfalls aber zum hier entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht hinreichend sicher.“
Erneut eine Entscheidung, die sich mit der Rechtmäßigkeit einer juristischen Prüfungsordnung befasst. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat das VG die Berufung zum Verwaltungsgerichtshof zugelassen (§ 124 II Nr. 3 VwGO). Grund genug, diese Frage auch im Rahmen einer Examensprüfung zu problematisieren.
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