Die Kläger gehören der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas an. Ihr Sohn besuchte ein der Aufsicht des Beklagten unterstehendes Gymnasium in der 7. Klasse. Als von der Schule die Teilnahme der Klasse an der Vorführung des Spielfilms „Krabat“ des Regisseurs Marco Kreuzpaintner beschlossen wurde - das zugrunde liegende Buch „Krabat“ von Otfried Preußler war zuvor auszugsweise im Deutschunterricht behandelt worden -, schrieben die Kläger dem Deutschlehrer ihres Sohnes: „Aus religiösen Gründen möchten wir nicht, dass unser Sohn (…) den Film Krabat (…) ansieht. Wir möchten uns von bösen Geistermächten fernhalten, auch indem wir uns mystische Filme nicht ansehen.“ Der Schulleiter erörterte die Angelegenheit am 30.10.2008 in einem persönlichen Gespräch mit den Klägern. Diese bekräftigten unter Hinweis auf verschiedene Bibeltexte, sie könnten als Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas nicht zulassen, dass ihr Sohn an der Filmvorführung teilnehme. Sie müssten alle Berührungspunkte mit Spiritismus und jeglicher Form von Magie meiden. Der Schulleiter wies die Kläger darauf hin, dass die Teilnahme an der Filmvorführung lehrplankonform sei. Es handle sich um eine verbindliche Schulveranstaltung. Er sei nicht bereit, sich auf bibelexegetische Erörterungen einzulassen. Eine Befreiung von der Teilnahme an der Filmvorführung lehnte er ab. Daraufhin verhinderten die Kläger die Teilnahme ihres Sohnes aus eigenem Entschluss. Am Tage der Vorführung, dem 31.10.2008 holten die Kläger ihren Sohn nach der 2. Stunde aus der Schule ab und beaufsichtigten ihn während der Filmvorführung (3.-5. Stunde) zu Hause. An der Nachbereitung des Films in den folgenden Deutschstunden nahm U. wieder teil.
Die Kläger erheben Klage und beantragen die Feststellung, dass die Ablehnung der Befreiung rechtswidrig war.
Zu ihren Beweggründen tragen sie insbesondere vor: Die Entscheidung, ihren Sohn nicht an der Filmvorführung teilnehmen zu lassen, beruhe auf ihren Glaubensüberzeugungen. Es handle sich um eine Gewissensentscheidung, die sie aus ihrer Verpflichtung gegenüber ihrem Gott hätten treffen müssen, vor dem sie andernfalls als willentliche Sünder verurteilt dagestanden hätten. Das in dem Film „Krabat“ dargestellte Praktizieren schwarzer Magie sei Spiritismus, den die Bibel verurteile. Auch wenn sich die Hauptfigur am Ende davon distanziere, werde zunächst geschildert, wie sie schwarze Magie wolle und erlerne. Nach der Bibel sei demjenigen, der sich mit Spiritismus befasse, eine Teilhabe an Gott und das Erleben des Königreiches Gottes nicht möglich. Sie mieden deshalb in ihrem Leben alle Bücher, Filme oder Situationen, durch die sie mit Magie oder Spiritismus in Berührung kommen könnten. Diese Anschauung würden sie auch ihrem Sohn vermitteln.
In letzter Instanz weist das BVerwG (Urt. v. 11.9.2013, Az. 6 C 12.12) die Klage ab.
A. Zulässigkeit der Klage
Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 I 4 VwGO statthaft und zulässig. Das Verpflichtungsbegehren der Kläger auf Erteilung einer Befreiung ihres Sohnes vom Besuch des Kinofilms “Krabat” am 31.10.2008 hat sich bereits vor Klageerhebung erledigt. Eines Vorverfahrens bedarf es in solch einer Situation nach h.M. nicht, weil ein „Fortsetzungsfeststellungswiderspruch“ nicht statthaft ist. Die Kläger haben mit Blick auf die von ihnen behauptete Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4 I und II GG sowie Art. 6 II GG das erforderliche berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung, dass die Ablehnung der Befreiung von der Unterrichtsveranstaltung “Filmvorführung Krabat” rechtswidrig war. Nach Beendigung der Unterrichtsveranstaltung kann nur im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage effektiver (Grund-)Rechtsschutz gewährleistet werden. Es würde der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Elternrechts nicht entsprechen, wenn die Möglichkeit der gerichtlichen Klärung von behaupteten Grundrechtsverletzungen durch der Schulpflicht unterliegende Veranstaltungen mit ihrem Ende entfiele.
B. Begründetheit der Klage
Nach Ansicht des BVerwG ist die Klage aber unbegründet.
Zu prüfen ist, ob die - im Gespräch mit den Klägern und ihrem Sohn - am 30. Oktober 2008 mündlich durch den Schulleiter verfügte Ablehnung der Befreiung rechtmäßig war und die Kläger in ihren Rechten verletzten. Das wäre dann der Fall, wenn die Kläger einen Anspruch auf Freistellung ihres Sohnes vom Besuch des Kinofilms “Krabat” hatten.
Da es sich bei dem Kinobesuch des 7. Jahrgangs am 31. Oktober 2008 um eine vom Beklagten als verbindlich angeordnete Schulveranstaltung handelte, galt insoweit die Schulpflicht, für deren Einhaltung die Kläger als Eltern verantwortlich waren (vgl. §§ 34 I und II, 41 I, 43 I SchulG NRW).
Fraglich ist, ob die Voraussetzungen einer ausnahmsweisen Befreiung von der verbindlichen Schulveranstaltung nach dem hier allein in Betracht kommenden § 43 III SchulG NRW vorlagen. Nach dieser Vorschrift kann der Schulleiter Schüler auf Antrag der Eltern aus wichtigem Grund von der Teilnahme an einzelnen Unterrichts- oder Schulveranstaltungen befreien.
Zu prüfen ist also, ob die von den Klägern angeführten Glaubens- und Gewissensgründe einen wichtigen Grund im Sinne von § 43 III SchulG NRW darstellen.
Der unbestimmte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes, mittels dessen eine Ausnahme von der dem staatlichen Bildungsauftrag entsprechenden allgemeinen Schulpflicht gerechtfertigt werden soll, ist restriktiv auszulegen. In verfassungskonformer Anwendung ist ein wichtiger Grund dann anzunehmen, wenn die Durchsetzung der Teilnahmepflicht an einer Schulveranstaltung eine grundrechtlich geschützte Position des Schülers und/ oder seiner Eltern verletzte.
In Betracht kommt das Grundrecht der Eltern auf religiöse Erziehung ihres Kindes (Art. 6 II i.V.m. Art. 4 I GG).
I. Eingriff in den Schutzbereich
Zunächst ist zu prüfen, ob die Durchsetzung der Teilnahmepflicht in dieses Grundrecht eingreift. Dazu das BVerwG:
„Art. 6 II GG erkennt Pflege und Erziehung der Kinder als natürliches Recht der Eltern an. In Verbindung mit Art. 4 I GG schützt die Norm auch das Recht der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder in religiöser Hinsicht. Es ist Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubensfragen zu vermitteln, die sie für richtig. Die durch Art. 4 I GG geschützte Glaubens- und Bekenntnisfreiheit umfasst nicht nur die (innere) Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch die Freiheit, den Glauben in der Öffentlichkeit zu manifestieren und zu verbreiten. Umfasst ist auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und im Alltag seiner Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Korrespondierend hiermit schließt das religiöse Erziehungsrecht der Eltern ein, darauf hinzuwirken, dass auch ihre Kinder in ihrem alltäglichen Verhalten die Vorgaben des Glaubens beachten, den die Eltern für richtig halten und ihren Kindern zu vermitteln trachten.
Das Befreiungsverlangen der Kläger war tatbestandlich von Art. 6 II i.V.m. Art. 4 I GG erfasst. Die Aussagen der Lehren der Zeugen Jehovas erfüllen die Merkmale des Begriffs des Glaubens im Sinne von Art. 4 I GG. Die Kläger haben nach der Wertung des Oberverwaltungsgerichts in objektiv nachvollziehbarer Weise dargetan, dass sie jegliche Befassung mit Spiritismus und schwarzer Magie aus Glaubensgründen ablehnen und vor diesem Hintergrund die Teilnahme ihres Sohnes an der Vorführung des Filmes, der das Praktizieren schwarzer Magie in einigen Szenen darstelle, einem für sie verbindlichen, nach ihrer erzieherischen Vorstellung auch von ihrem Sohn zu beachtenden Glaubensgebot widersprochen hätte.“
II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Fraglich ist, ob dieser Eingriff gerechtfertigt ist.
„Das religiöse Erziehungsrecht der Eltern ist zwar vorbehaltlos gewährt, wird jedoch auf Ebene der Verfassung durch das staatliche Bestimmungsrecht im Schulwesen beschränkt, das in Art. 7 I GG verankert ist. Art. 7 I GG überantwortet dem Staat die Aufsicht über das gesamte Schulwesen. Die Vorschrift begründet nicht nur Aufsichtsrechte des Staates im technischen Sinne des Wortes, sondern - vorbehaltlich der Einschränkungen im Bereich des Privatschulwesens (Art. 7 IV GG) - darüber hinaus einen umfassend zu verstehenden staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Dieser verleiht dem Staat Befugnisse zur Planung, Organisation, Leitung und inhaltlich-didaktischen Ausgestaltung des Schulwesens, seiner Ausbildungsgänge sowie des dort erteilten Unterrichts. Ebenso wie etwa die Auswahl und Verwendung von Schulbüchern unterfällt auch die Entscheidung über die Teilnahme an einer Filmvorführung im Deutschunterricht dem staatlichen Bestimmungsrecht. § 2 IV, § 3 I, § 29 II, § 57 I SchulG NRW ergeben hierfür eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage.
Das religiöse Erziehungsrecht der Eltern sowie das staatliche Bestimmungsrecht im Schulwesen stehen sich gleichrangig gegenüber. Sie bedürfen gemäß dem Grundsatz praktischer Konkordanz der wechselseitigen Begrenzung in einer Weise, die nicht eines von ihnen bevorzugt und maximal behauptet, sondern beiden Wirksamkeit verschafft und sie möglichst schonend ausgleicht. Dies bedingt schon auf abstrakt-genereller Ebene wechselseitige Relativierungen beider Verfassungspositionen, die im hier interessierenden Zusammenhang zu der allgemeinen Maßgabe führen, dass elterliche Anschauungen über die Beachtlichkeit bestimmter religiöser Verhaltensgebote für ihre Kinder vonseiten der Schule zwar nicht als prinzipiell unbeachtlich behandelt werden dürfen, die Eltern wegen solcher Anschauungen eine Unterrichtsbefreiung ihres Kindes aber nur in Ausnahmefällen beanspruchen können.“
1. Praktische Konkordanz auf abstrakt-genereller Ebene
Auf einer ersten Ebene stellt das BVerwG fest, dass das elterliche Erziehungsrecht durch die Eigenständigkeit der staatlichen Wirkungsbefugnisse im Schulbereich relativiert wird, weil die Schule eine große Bedeutung hat für die Entfaltung der Lebenschancen der nachwachsenden Generation und für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Die Schule soll dazu beitragen, jeden Einzelnen in einer pluralistischen Gesellschaft zu verantwortungsbewussten Bürgern heranbilden und erfüllt damit eine für das Gemeinwesen unerlässliche Integrationsfunktion. Dieser Aufgabe kann der Staat nur durch Einführung einer allgemeinen Schulpflicht gerecht werden, welche auch das Erziehungsrecht der Eltern einschränkt:
„Mit ihr [der allgemeinen Schulpflicht] haben die Eltern hinzunehmen, dass der Staat als Bildungs- und Erziehungsträger im Umfang des schulischen Wirkungsfeldes an ihre Stelle tritt, womit ihre Möglichkeit, unmittelbar in eigener Person pädagogisch auf ihre Kinder einzuwirken, auf den außerschulischen Bereich beschränkt wird. Für die Ausfüllung seiner Rolle ist der Staat darauf angewiesen, das Bildungs- und Erziehungsprogramm für die Schule grundsätzlich unabhängig von den Wünschen der beteiligten Schüler und ihrer Eltern anhand eigener inhaltlicher Vorstellungen bestimmen zu können.“
Der Staat ist bei der Ausgestaltung des schulischen Bildungs- und Erziehungsprogramms aber seinerseits verpflichtet, Neutralität und Toleranz vor allem in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht zu wahren:
„Das Neutralitäts- und Toleranzgebot stimmt den Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates aus Art. 7 I GG sowie die religiösen Grundrechte aufeinander ab und gleicht sie untereinander aus. Es schränkt den Kreis möglicher, der demokratisch legitimierten Entscheidung zugänglicher Unterrichtsgestaltungen im Interesse effektiven Grundrechtsschutzes ein. Die Entscheidung über Inhalt und Modalitäten des Unterrichts ist dem Staat überantwortet, der im Gegenzug aber Gewähr dafür tragen muss, religiöse Positionen wenigstens nicht absichtsvoll zu konterkarieren. Nach der nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Würdigung durch das Oberverwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall die Schule mit der Entscheidung über die Filmvorführung nicht gegen das Neutralitäts- und Toleranzgebot verstoßen.“
Neben dem Anspruch auf Wahrung des Neutralitäts- und Toleranzgebotes haben Eltern auch das Recht, die Kinder zur Beachtung religiöser Verhaltensregeln anzuhalten, d.h. in einem umfassenden Sinn auf eine alltägliche Lebensführung der Kinder im Einklang mit den elterlicherseits für verbindlich erachteten Glaubensgeboten hinzuwirken. Allerdings sind auch diesem Recht Grenzen gesetzt:
„Kann die Schule daher nicht prinzipiell davon entbunden sein, auf religiöse Verhaltensgebote Rücksicht zu nehmen, so würde andererseits das religiöse Erziehungsrecht aus Art. 6 II i.V.m. 4 I GG gegenüber dem staatlichen Bestimmungsrecht im Schulwesen aus Art. 7 I GG überspannt werden, wenn nicht auch dieser Pflicht zur Rücksichtnahme wiederum Grenzen gesetzt wären. Eine kategorische Beachtlichkeit sämtlicher elterlicherseits vorgebrachter religiöser Verhaltensgebote liefe - entgegen dem oben aufgezeigten Ausgangspunkt - auf einen prinzipiellen Vorrang jedweder individuellen Glaubensposition vor dem staatlichen Bestimmungsrecht im Schulwesen hinaus, das insoweit dann seinerseits leerlaufen müsste. Die Schule hätte sich dann mit Unterrichtsgestaltungen zu begnügen, die von sämtlichen Glaubensstandpunkten aus akzeptabel erscheinen; sie wäre letztlich vom Konsens aller individuell Beteiligten abhängig. Dass dies in einer religiös pluralen Gesellschaft weder praktisch möglich noch, mit Blick auf die Integrationsfunktion der Schule, verfassungsrechtlich intendiert sein kann, liegt auf der Hand. Die integrative Wirksamkeit der Schule erweist sich nicht nur darin, Minderheiten einzubeziehen und in ihren Eigenarten zu respektieren. Sie setzt auch voraus, dass Minderheiten sich nicht selbst abgrenzen und sich der Konfrontation mit Unterrichtsinhalten, gegen die sie religiöse, weltanschauliche oder kulturelle Vorbehalte hegen, nicht stets von vornherein verschließen dürfen.“
2. Praktische Konkordanz auf konkret-individueller Ebene
„Der Grundsatz praktischer Konkordanz fordert nicht nur einen wechselseitig schonenden Ausgleich der hier in Rede stehenden Verfassungspositionen auf abstrakt-genereller Ebene. Aus ihm ergibt sich zudem die Vorgabe, bei Auftreten eines konkreten Konflikts zwischen beiden Verfassungspositionen zunächst auszuloten, ob unter Rückgriff auf gegebenenfalls naheliegende organisatorische oder prozedurale Gestaltungsoptionen eine nach allen Seiten hin annehmbare, kompromisshafte Konfliktentschärfung im Bereich des Möglichen liegt, die beiden Positionen auch in Bezug auf den Einzelfall Wirksamkeit verschafft und eine regelrechte Vorrangentscheidung so verzichtbar erscheinen lässt. Wer sich als Beteiligter einer solchen Konfliktentschärfung verweigert und annehmbare Ausweichmöglichkeiten ausschlägt, muss notfalls als Konsequenz hinnehmen, dass er sich nicht länger gegenüber dem anderen Beteiligten auf einen Vorrang seiner Rechtsposition berufen darf. Ist allerdings - wie es das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Fall aus überzeugenden Gründen angenommen hat - ein schonender Ausgleich der widerstreitenden Rechtspositionen im Einzelfall unmöglich, so wird es unausweichlich, unter Einbezug der maßgeblichen Umstände eine Vorrangentscheidung zu treffen, d.h. danach zu fragen, ob die von einzelnen Eltern begehrte Befreiung ihres Kindes von der Unterrichtsteilnahme tatsächlich für ihren Grundrechtsschutz unerlässlich ist und das staatliche Bestimmungsrecht demzufolge ausnahmsweise zurückzutreten hat.“
Im Rahmen der Prüfung einer solchen Vorrangentscheidung ist zu bedenken, dass das Vorliegen eines Ausnahmefalls nicht bereits deshalb angenommen werden darf, weil ein Befreiungsverlangen nur in Bezug auf ein einzelnes Kind in einer bestimmten Situation geltend gemacht wird. Auch damit, dass ein Befreiungsverlangen nur eine einzelne Unterrichtsstunde oder eine überschaubare Zahl von Unterrichtseinheiten betrifft, kann eine Unterrichtsbefreiung regelmäßig noch nicht hinreichend begründet werden. Einerseits relativiert sich zum einen häufig zugleich das Gewicht der grundrechtlichen Beeinträchtigung, andererseits würde ansonsten die Integrationsfunktion der Schule unterlaufen, weil nur eine Teilnahme an sämtlichen Schulveranstaltungen einen gemeinschaftlichen Effekt zu erzeugen vermag. Entscheidendes Gewicht kommt der Frage zu, welches sachliche Gewicht nach den Umständen des Einzelfalls der Beeinträchtigung des religiösen Erziehungsrechts beizumessen ist:
„Im Lichte des erwähnten Grundsatzes, wonach solche Beeinträchtigungen regelmäßig als typische Begleiterscheinung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags und der seiner Umsetzung dienenden Schulpflicht hinzunehmen sind, d.h. ihnen nur ausnahmsweise ausgewichen werden darf, ist ein Anspruch auf Unterrichtsbefreiung - das Fehlen annehmbarer Ausweichmöglichkeiten wie gesagt vorausgesetzt - grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn die Beeinträchtigung den Umständen nach eine besonders gravierende Intensität aufweist. Nur unter dieser Voraussetzung ist die rechtliche Wertung plausibel, dass die grundrechtliche Belastung durch die Verfassung nicht von vornherein in Art. 7 I GG einberechnet ist. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, kommt dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag Vorrang zu. Einer weitergehenden Abwägung bedarf es dann nicht mehr; über die Zuordnung der kollidierenden Positionen ist dann bereits abschließend, auf abstrakt-genereller Ebene durch die Verfassung entschieden. Ist diese Voraussetzung aber erfüllt, d.h. liegt eine besonders gravierende Beeinträchtigung des religiösen Erziehungsrechts vor, führt dies noch nicht automatisch zu einem Zurücktreten des staatlichen Bestimmungsrechts. In diesem Fall weist der konkret zutage tretende Konflikt ein Ausmaß auf, das oberhalb der durch die Verfassung in Art. 7 I GG abstrakt einberechneten Belastungsschwelle liegt. Für die Frage, wie hier die kollidierenden Positionen zuzuordnen sind, lässt sich der Verfassung keine vorgefasste Antwort entnehmen. Die rechtliche Bewertung hängt augenscheinlich von Faktoren ab - insbesondere der sachlichen Eigenart der religiösen Position und dem Umfang sowie der Art und Weise, mit der diese schulischen Funktionserfordernissen entgegenwirkt -, die von Fall zu Fall stark variieren können und über die daher eine allgemeingültige verfassungsrechtliche Aussage nicht getroffen werden könnte. Hier bedarf es dann der Vornahme einer weitergehenden Abwägung.
Eine danach für den Nachrang des staatlichen Bestimmungsrechts vorauszusetzende besonders gravierende Intensität der Beeinträchtigung des religiösen Erziehungsrechts kommt überhaupt nur in Betracht, sofern ein religiöses Verhaltensgebot aus Sicht der Eltern imperativen Charakter aufweist. Ein verlangtes Zuwiderhandeln ihres Kindes gegen solche in unübersehbarer Zahl vorhandenen religiösen Überzeugungen, die lediglich in nicht abschließend bindender Weise Orientierung und Anleitung für eine in religiöser Hinsicht optimierte Lebensführung vermitteln sollen, rechtfertigt in keinem Fall einen Vorrang ihres Erziehungsrechts.“
3. Anwendung im konkreten Fall
Das BVerwG kommt unter Zugrundelegung der Ausführungen unter 1. und 2. zu dem Ergebnis, dass den Klägern kein grundrechtlicher Anspruch auf Befreiung ihres Sohnes von der Teilnahme an der fraglichen Filmvorführung zukomme:
„Den auf Basis der Darlegungen der Kläger getroffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist zu entnehmen, dass für diese das Gebot, einer Praktizierung schwarzer Magie nicht angesichtig zu werden, „erhebliches Gewicht“ besitzt, das durch die Suggestivwirkung der filmischen Darstellung weiter verstärkt wurde und so Anlass für das Entstehen eines „ernsthaften“ Glaubenskonflikts geben konnte. Aus den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts und den ihnen zugrunde liegenden Darlegungen der Kläger ergibt sich jedoch nicht zweifelsfrei, ob diesem Gebot im Verhältnis zu anderen von den Klägern als religiös bindend erachteten Verhaltensgeboten ein erhöhter Stellenwert zukommt und ihr religiöser Erziehungsplan durch die Teilnahme ihres Sohnes an der Filmvorführung nicht nur überhaupt, sondern darüber hinaus auf eine gravierend intensive Weise beschränkt worden wäre. Insbesondere lässt der angefochtene Beschluss die naheliegende Frage offen, ob das Maß der den Klägern drohenden Beeinträchtigung nicht auch aus ihrer Sicht dadurch bereits ein erhebliches Stück gemildert wurde, dass von ihrem Sohn ein rein rezeptives Verhalten verlangt war und das im Film dargestellte Praktizieren schwarzer Magie weder durch den Film noch durch die Schule mit einem positiven Wertbezug versehen worden ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich dem Senat die im Revisionsverfahren freilich nicht aufzuklärende (§ 137 II VwGO) Frage, ob den Klägern tatsächlich eine Belastung ihrer Grundrechtsposition oberhalb desjenigen Maßes drohte, das im Rahmen der Schule von allen Eltern in jedem Fall hinzunehmen ist.
Selbst wenn diese Frage zu bejahen wäre, würde dem religiösen Erziehungsrecht der Kläger unter den vorliegenden Umständen jedoch kein Vorrang einzuräumen sein:
Die Konfliktfelder zwischen staatlichem Bestimmungsrecht im Schulwesen und religiösem Erziehungsrecht der Eltern potenzieren sich, je weiter eine Glaubensgemeinschaft bzw. der individuelle Grundrechtsträger religiöse Vorgaben auf alltägliche Verhaltensbezirke ohne unmittelbaren Bezug zum religiösen Bekenntnis, zur Vornahme kultischer Handlungen oder zur Ausübung religiöser Gebräuche erstreckt, die nach der Anlage des Art. 4 GG im Zentrum der grundrechtlichen Gewährleistung religiöser Freiheit stehen. Dies illustriert in besonders eindrücklicher Weise der hier in Rede stehende Fall eines regelrechten Konfrontationsverbots. Eine verpflichtende Rücksichtnahme der Schule auf einen derart fundamental gefassten religiösen Bestimmungsanspruch würde die Erfüllung der staatlichen Bildungs- und Erziehungsverantwortung erheblich schwächen und in einen tendenziell unbeschränkten Nachrang gegenüber individuellen religiösen Tabuisierungsvorstellungen versetzen. Sie würde der schulischen Aufgabe, die nachwachsende Generation - unter Einschluss des Sohnes der Kläger - vorbehaltlos und möglichst umfassend mit Wissensständen der Gemeinschaft und ihrem geistig-kulturellen Erbe, wie es sich etwa in filmischen und literarischen Darstellungen niederschlägt, vertraut zu machen, unmittelbar in ihrem Kern entgegenwirken. Ein Zurücktreten des staatlichen Bestimmungsrechts könnte bei dieser Sachlage allenfalls in Betracht zu ziehen sein, wenn andernfalls das religiöse Weltbild der Betroffenen nach ihrer Wahrnehmung insgesamt negiert - d.h. zugleich auch das religiöse Erziehungsrecht in seinem Kern infrage gestellt - würde. Dafür, dass diese extreme Schwelle im vorliegenden Fall erreicht gewesen sein könnte, ergeben weder die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts noch die ihnen zugrunde liegenden Darlegungen der Kläger genügend Anhaltspunkte.“
Eine Entscheidung, die dem Prüfungs-Dauerbrenner der Glaubens- und Gewissensfreiheit eine neue Aktualität verschafft. Die Prüfungsrelevanz wird erhöht durch die “Burkini-Entscheidung” des BVerwG vom selben Tage (Az. 6 C 25.12). Diese Problematik war auch schon Gegenstand von Examensklausuren.
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen