Die Vorschriften über den Dienstvertrag begegnen Dir schon früh in der Vorlesung zum Schuldrecht BT und gehören zum juristischen Standardrepertoire. Da der Arbeitsvertrag als Dienstvertrag gilt, spielt das Arbeitsrecht über die §§ 611 ff. BGB auch in Deinem Grundstudium eine wichtige Rolle – etwa beim Thema der Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 622 ff. BGB. Die Entscheidung des LAG Sachsen vom 27.06.2024 (Az. 4 Sa 245/23) zeigt anschaulich, wann Arbeitnehmerkritik in einen kündigungsrelevanten Vertrauensbruch umschlagen kann und liefert damit idealen Stoff für Deine nächste Klausur.
Der Fall im Überblick: Vom Konflikt zur Kündigung – eine Eskalation in drei Akten
In einer Schwimmhalle eskalierte ein Konflikt zwischen einem langjährigen Schwimmmeister (i.F. Kläger) und einem Kollegen. Die Vorgesetzte versuchte zunächst, den Streit zu schlichten, doch der Kollege verließ das Gespräch vorzeitig. Daraufhin kritisierte der Kläger seine Vorgesetzte wegen unterlassener Fürsorge. Kurz darauf meldete er sich krank und befand sich in ärztlicher sowie psychologischer Behandlung.
Die Situation verschärfte sich, als der Kläger heimlich ein Gespräch mit dem Kollegen aufzeichnete und die Aufnahme an den Vater der Vorgesetzten weiterleitete. Anschließend forderte er mehrfach ein Vier-Augen-Gespräch, das die Vorgesetzte ablehnte und stattdessen ein Sechs-Augen-Gespräch im Beisein eines weiteren Vorgesetzten anbot, was der Kläger wiederum ablehnte.
In der Folgezeit eskalierte die Kommunikation weiter: Der Kläger kontaktierte den Vater der Vorgesetzten und schickte Chatverläufe mit Drohungen, die auch die Familie der Vorgesetzten einbezogen. Schließlich erstattete er innerhalb weniger Wochen fünf Strafanzeigen gegen die Vorgesetzte und den Kollegen wegen Vorwürfen wie Nötigung, Datenschutzverletzungen und übler Nachrede.
Außerdem teilte der Kläger dem örtlichen Stadtrat mit, dass dort gegen Corona-Regeln verstoßen worden sei, und informierte das Amt für Bildung und Soziales über die laufenden Strafverfahren gegen Mitarbeiter, die er selbst initiiert hatte, mit den Worten: „Schützen Sie die Kinder bzw. Jugendlichen und den Ruf des ASB Erzgebirge“.
Des Weiteren forderte er Dienstpläne an, obwohl er für die entsprechende Zeit krankgeschrieben war, und verstieß gegen das ihm gegenüber erteilte Hausverbot für die Schwimmhalle.
Im Anschluss kündigte die Vorgesetzte dem Schwimmmeister fristlos ohne Abmahnung gemäß § 626 I BGB am 10.02.2023, hilfsweise ordentlich (§§ 620 II, 622 BGB) zum 30.09.2023.)
Gegen diese Kündigungen wandte sich der Kläger fristgerecht mit einer Kündigungsschutzklage (§§ 13 I 2, 4 S. 2, 7 KSchG). In der ersten Instanz blieb er damit vor dem ArbG Chemnitz aber erfolglos und legte daher Berufung ein.
Das Landesarbeitsgericht musste nun klären, ob dieses Verhalten eine fristlose Kündigung rechtfertigt und inwieweit die Grenzen zulässiger Arbeitnehmerkritik überschritten waren.
LAG Sachsen: Fristlose Kündigung bei Verletzung von Rücksichtnahmepflichten
Das Landesarbeitsgericht Sachsen bestätigte die außerordentliche Kündigung des Schwimmmeisters. Nach Ansicht des Gerichts stelle der durch den Kläger verursachte Vertrauensbruch einen wichtigen Grund gemäß § 626 I BGB dar, der es der Arbeitgeberin unzumutbar gemacht habe, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.
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Nicht jede Kritik oder Konfliktsituation rechtfertigt sofort eine Kündigung. Dieser Gedanke wird auch aus § 612a BGB deutlich. Hier war entscheidend, wie die Eskalation ablief.
Das LAG Sachsen führte hierzu aus, dass auch schon die Verletzung von arbeitsvertraglichen Nebenpflichten bzw. Rücksichtnahmepflichten im Sinne von § 241 II BGB einen wichtigen Grund darstellen können. Eine solche Rücksichtnahmepflicht sei beispielsweise schon dann verletzt, wenn das notwendige Vertrauensverhältnis schwerwiegend und nachhaltig zerstört werde. Der hier erfolgte Vertrauensbruch durch den Schwimmmeister sei laut Gericht im Wesentlichen durch folgende Verhaltensweisen entstanden:
Heimliche Gesprächsaufnahmen: Der Kläger nahm laut LAG Sachsen Gespräche mit einem Kollegen heimlich auf und gab diese an Unbefugte weiter.
Drohungen und Einschüchterung: Das Gericht wertete die Drohungen gegenüber der Vorgesetzten und ihrer Familie als schwerwiegenden Vertrauensbruch.
Strafanzeigen als Eskalationsmittel: Besonders ins Gewicht fiel laut LAG, dass die mehrfachen Strafanzeigen nicht auf objektiv nachvollziehbaren Tatsachen beruht hätten, sondern offensichtlich der Einschüchterung gedient hätten. Dies werteten die Richter:innen als Missbrauch rechtlicher Mittel und als gezielten Angriff auf die persönliche Integrität der Vorgesetzten. Zwar sei es Arbeitnehmern nicht grundsätzlich verwehrt, auch öffentlichkeitswirksam Kritik an ihrem Arbeitgeber zu teilen, aber die Grenze sei überschritten, wenn es unstreitig an den rechtlichen Grundlagen für die Strafanzeigen fehle.
Darüber hinaus würden auch die Missachtung des Hausverbots und der Vorwurf gegen Corona-Regeln verstoßen zu haben, an sich eine fristlose Kündigung rechtfertigen.
Auch der Umstand, dass der Kläger gesundheitlich angeschlagen war, änderte an der Bewertung nichts: Das Verhalten war bewusst gesteuert und geeignet, den Betriebsfrieden nachhaltig zu stören.
Ein milderes Mittel auf Seiten der Beklagten als die außerordentliche Kündigung habe es nicht mehr gegeben, eine Abmahnung oder eine reine ordentliche Kündigung seien hinsichtlich der Schwere der Verfehlungen von dem Kläger der Arbeitgeberin nicht zumutbar gewesen.
§ 626 BGB in der Klausur – so prüfst Du die fristlose Kündigung
Diese Entscheidung macht einmal mehr deutlich, dass eine fristlose Kündigung schon dann gerechtfertigt sein kann, wenn der Arbeitnehmer nur aus einer bloßen Laune heraus öffentlichkeitswirksam Kritik an seinem Arbeitgeber äußert, ohne hierfür eine tatsächliche und rechtliche Grundlage zu haben. Auch wenn der Konflikt im Kern “privat” begangen wird, kann dies Ausstrahlungswirkung auf das Arbeitsverhältnis haben.
Trotz eines solch offensichtlichen Vertrauensmissbrauchs solltest Du dennoch eine detaillierte Interessenabwägung vornehmen und hier nicht zu oberflächlich arbeiten. Denn diese ist im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes unerlässlich.
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