BGH zu Minderung und Vorschuss bei einem Werkmangel

BGH zu Minderung und Vorschuss bei einem Werkmangel

Alternativ oder kumulativ?

Im Falle des Vorliegens eines Werkmangels kann der Besteller nach §§ 634 Nr. 3, 638 BGB die Vergütung mindern. Kann er daneben auch den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen dafür nach §§ 634 Nr. 2, 637 BGB verlangen?

A. Sachverhalt

Die Klägerin (K) -Unternehmerin- errichtete auf dem Grundstück der Beklagten (B) -Besteller- ein Einfamilienhaus. Die Abnahme erfolgte. Danach erstellt K eine Schlussrechnung über 100.000 Euro. B haben per Widerklage die Rückzahlung von zu viel gezahlter Vergütung i.H.v. 95.000 Euro nach erklärter Minderung wegen Schallschutzmängeln betreffend „Lüfter“, „Abwasseranlage“ und „Trittschall“ verlangt. Das Vorliegen der Mängel wurde durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bewiesen.

Schließlich sind B dazu übergegangen einen Kostenvorschuss i.H.v. 20.000 Euro für die Beseitigung der Mängel zu verlangen.

B. Entscheidung

B machen insofern einen Kostenvorschussanspruch geltend.

Vertraglicher Anspruch

B könnte gegen K einen Kostenvorschussanspruch i.H.v. 20.000 Euro nach §§ 437 Nr. 2, 637 III, I BGB haben.

(Vertragliche Primäransprüche, welche aus Sicht des Bestellers auf Herstellung nach § 631 I BGB gerichtet sind, kommen nicht in Betracht. Bei dem geltend gemachten Kostenvorschussanspruch im Rahmen des Gewährleistungsrechts handelt es sich um einen vertraglichen Sekundäranspruch.)

Voraussetzungen eines Kostenvorschussanspruchs nach §§ 437 Nr. 2, 637 III, I BGB sind:

I. Werkvertrag

II. Gewährleistungsgrund bei Abnahme

III. Kein Gewährleistungsausschluss

IV. Rechtsfolge: Kostenvorschussanspruch

V. Durchsetzbarkeit

I. Werkvertrag

Zwischen B und K ist ein entsprechender Werkvertrag über die Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück der B geschlossen worden, § 631 BGB.

II. Gewährleistungsgrund bei Abnahme

Ferner müsste ein Gewährleistungsgrund, also ein Sachmangel nach § 633 BGB, bei Abnahme bestanden haben.

1. Sachmangel

Gem. § 633 II 1 BGB ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit hat. Durch ein Sachverständigengutachten wurde festgestellt, dass die Schallschutzmängel betreffend „Lüfter“, „Abwasseranlage“ und „Trittschall“ nicht der vereinbarten Beschaffenheit entsprachen.

Dementsprechend stellen sie einen Sachmangel nach § 633 II 1 BGB dar.

2. Bei Abnahme

Dieser Sachmangel lag bei der Abnahme, vgl. § 644 I 1 BGB, vor. Unter Abnahme ist die körperliche Hinnahme des Werkes als im Wesentlichen vertragsgemäße Leistung zu verstehen.

III. Kein Gewährleistungsausschluss

Es dürfte kein Gewährleistungsausschluss vorliegen. Es ist weder ein vertraglicher noch ein gesetzlicher Gewährleistungsausschluss (z.B. nach § 639 BGB) gegeben.

IV. Rechtsfolge: Kostenvorschussanspruch

Als Rechtsfolge können B nach §§ 437 Nr. 2, 637 III, I BGB einen Kostenvorschuss für die Beseitigung der Mängel verlangen. Gem. §§ 634 Nr. 1, 635 I BGB ist der Besteller zunächst verpflichtet, Nacherfüllung zu verlangen. Dabei steht dem Hersteller grundsätzlich das Wahlrecht zwischen Mangelbeseitigung oder Neuherstellung zu, es sei denn, es liegt ein Fall von § 275 I, II, III BGB oder § 635 III BGB vor. Nach erfolgloser Fristsetzung zur Nacherfüllung (vgl. § 636 BGB) kann der Gläubiger einen Kostenvorschuss gem. §§ 634 Nr. 2, 637 BGB verlangen.

1. Kein Ausschluss nach § 635 III BGB

Gem. § 635 III BGB kann der Unternehmer die Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist.

Unverhältnismäßig im Sinne des § 635 Abs. 3 BGB sind die Kosten für die Beseitigung eines Mangels dann, wenn der damit in Richtung auf die Beseitigung des Mangels erzielte Erfolg bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in keinem vernünftigen Verhältnis zur Höhe des dafür geltend gemachten Geldaufwandes steht. Unverhältnismäßigkeit wird in aller Regel anzunehmen sein, wenn einem objektiv geringen Interesse des Bestellers an einer mangelfreien Vertragsleistung unter Abwägung aller Umstände ein ganz erheblicher und deshalb vergleichsweise unangemessener Aufwand gegenübersteht ….

Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Zum einen liegen Schallschutzmängel vor, die für die Qualität des Wohnens von nicht unwesentlicher Bedeutung sind. Zum anderen sind die Aufwendungen, mit denen die Beklagten einen vertragsgerechten Schallschutz herstellen können, keinesfalls unangemessen.

2. Kein Ausschluss aufgrund zuvor erklärter Minderung nach §§ 634 Nr. 3, 638 BGB

Das Kostenvorschussbegehren ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil B zuvor die Minderung nach §§ 634 Nr. 3, 638 I 1 BGB erklärt haben.

Eine gesetzliche Regelung, wonach die Geltendmachung eines Kostenvorschussanspruchs ausgeschlossen ist, wenn der Besteller die Minderung des Werklohns erklärt hat, existiert nicht. Weder § 634 BGB noch §§ 637, 638 BGB regeln, in welchem Verhältnis das Recht des Bestellers auf Minderung der Vergütung (§ 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB) und die ihm zustehende Befugnis zur Selbstvornahme sowie sein Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses (§ 634 Nr. 2, § 637 BGB) stehen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Rechte nebeneinander bestehen können.

Es war dem Gesetzgeber in Abgrenzung zum alten Schuldrecht vielmehr ein Anliegen, die Wahrnehmung von Mängelrechten sowohl im Kauf- als auch im Werkvertragsrecht flexibler zu gestalten und Käufer sowie Besteller mehr Möglichkeiten zur Wahrnehmung ihrer berechtigten Interessen einzuräumen ….

Das spricht dafür, dass

die Geltendmachung eines Mängelrechts andere Mängelrechte nicht ausschließt. So hat der Gesetzgeber nur für den Fall des Schadensersatzes statt der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 281 Abs. 1 BGB) ausdrücklich geregelt, dass der Anspruch auf Nacherfüllung (§ 634 Nr. 1 BGB) erlischt, sobald der Besteller Schadensersatz statt der Leistung verlangt (§ 634 Nr. 4, § 281 Abs. 4 BGB).

Insofern kann der Besteller

nach seiner Erklärung, Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes zu verlangen, den Mangel zunächst nicht beseitigen und den Schaden beispielsweise in Anlehnung an die in § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB geregelte Minderung bemessen …. Das hindert ihn aber nicht, sich noch für eine Beseitigung des Mangels zu entscheiden und deshalb einen Kostenvorschussanspruch hierfür geltend zu machen ….

Diese Erwägungen zum Verhältnis des Schadensersatzes statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes, § 634 Nr. 4, § 281 BGB, zum Kostenvorschussanspruch, § 634 Nr. 2, § 637 BGB, gelten entsprechend für das Verhältnis der Minderung, § 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB, zum Kostenvorschussanspruch. Wählt also der Besteller zunächst das Mängelrecht der Minderung, steht es ihm ebenfalls grundsätzlich frei, zu einem späteren Zeitpunkt den Mangel zu beseitigen und zur Finanzierung der Aufwendungen einen Kostenvorschussanspruch geltend zu machen. Die Rechtsnatur der Minderung steht dem nicht entgegen.

Denn sowohl Minderung als auch Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes sind ihrem Inhalt nach darauf gerichtet, das verletzte Leistungsinteresse des Bestellers, der das mangelhafte Werk behält, auszugleichen. Diese Mängelrechte schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich …

Somit können B einen Kostenvorschuss i.H.v. 20.000 Euro verlangen.

V. Durchsetzbarkeit

Gewährleistungsansprüche sind z.B. nicht durchsetzbar, wenn ein Fall der §§ 275 II, III gegeben ist oder sie verjährt sind. Die Verjährung der Mängelansprüche ist in § 634a BGB geregelt. Gem. § 634a I Ziff. 2 BGB verjähren diese bei einem Bauwerk in 5 J. Die Ansprüche sind noch nicht verjährt und somit durchsetzbar.

Ergebnis

B haben gegen K einen Kostenvorschussanspruch i.H.v. 20.000 Euro nach §§ 634 Nr. 2, 637 III, I BGB.

C. Prüfungsrelevanz

Das Gewährleistungsrecht des Werkrechts ist ein großer Schwerpunkt der Examensklausuren. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um die Geltendmachung eines Kostenvorschussanspruchs für die Beseitigung von Mängeln trotz einer zuvor erklärten Minderung.

Die Entscheidung ist höchst prüfungsrelevant, da sie die Möglichkeit bietet, sich mit den üblichen Fragestellungen des Leistungsstörungsrechts auseinanderzusetzen.

(BGH Urt. v. 22.08.2024 – VII ZR 68/22)

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