OVG Lüneburg zur Erledigung einer Baugenehmigungsklage durch Veränderungssperre
Mit einer Veränderungssperre kann eine Gemeinde ihre planerischen Vorstellungen absichern, noch bevor sie sich in einem wirksamen Bebauungsplan niedergeschlagen haben. Allerdings muss sie den Beschluss zur Aufstellung eines neuen Bebauungsplans gefasst haben (§ 2 I 2 BauGB), bevor sie wirksam eine Veränderungssperre als Satzung verabschieden kann (§ 14 I Nr. 1 BauGB). Für Bauherren, die entsprechend der bisherigen planerischen Situation bauen wollten, aber im Zeitpunkt der Verabschiedung der Veränderungssperre noch keine Bauerlaubnis hatten (vgl. § 14 III BauGB), bedeutet dies das Ende ihrer Vorhaben. Geschieht das während eines verwaltungsgerichtlichen Genehmigungsprozesses, kann der Bauherr dies nutzen und einen haftungsrechtlichen Prozess vorbereiten.
A. Vereinfachter Sachverhalt
Die K ist Eigentümerin eines Fitnessstudios im Gebiet der kreisangehörigen Stadt B, das bisher im Bebauungsplan als „Gewerbegebiet“ ausgewiesen war. Mit ihrem Bauantrag erstrebt K die Erweiterung des Fitnessstudios sowie die Schaffung von Verkaufsflächen für einen „Multisortimentmarkt“. Ihr Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung zur Errichtung eines Erweiterungsbaus wurde von der Bauaufsichtsbehörde des zuständigen Landkreises L abgelehnt. Die Stadt B hatte Einwände gegen die Art der baulichen Nutzung vorgetragen, da sie wegen der „Agglomeration von Einzelhandelsbetrieben negative Auswirkungen auf ihren innerstädtischen Bereich“ befürchtet.
K hat unter Beachtung aller Formalien Klage auf Genehmigung vor dem örtlich zuständigen Verwaltungsgericht erhoben. Während des Prozesses hat die Stadt B formell ordnungsgemäß eine Veränderungssperre beschlossen mit dem Ziel, „den Gewerbestandort zu sichern, um zentren- und nahversorgungsrelevante Einzelhandelsnutzungen zugunsten der Innenstadt zu steuern“. K ist der Meinung, die Ablehnung der Genehmigung sei rechtswidrig gewesen. Zur Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses gegen die Bauaufsicht fordert K in der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, das Verwaltungsgericht möge feststellen, dass die Bauaufsicht verpflichtet gewesen sei, der Klägerin die Baugenehmigung entsprechend ihrem ursprünglichen Antrag zu erteilen. Zur Begründung verweist sie auf ihre Mietausfälle unter Benennung der bereits vorvertraglich gebundenen Mieter.
Wie ist zu entscheiden?
B. Entscheidung
Die Klage hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
I. Zulässigkeit
1. Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts
Eine Verweisung des Rechtsstreits kommt nicht in Betracht, wenn das angerufene „örtlich zuständige“ Verwaltungsgericht zuständig ist (vgl. §§ 17a GVG, 83 VwGO).
Da besondere Zuweisungen nicht ersichtlich sind, ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I VwGO geöffnet. Die Erteilung einer Baugenehmigung ist in der LBauO und damit sonderrechtlich geregelt. Sachlich zuständig ist nach § 45 VwGO das Verwaltungsgericht.
2. Beteiligte
Parteien des Rechtsstreits sind die Klägerin K sowie der Landkreis L als beklagte juristische Person und Träger der Bauaufsicht (§§ 61 Nr. 1, 63 Nr. 1 und 2 VwGO). Die Stadt B ist beizuladen (§ 65 II VwGO).
3. Klageart
Die Klägerin hat zunächst eine Verpflichtungsklage erhoben. Die Klage war auf die Verurteilung der Bauaufsicht gerichtet, eine Baugenehmigung und damit einen Verwaltungsakt zu erlassen (§ 42 I VwGO, 2. Altern. i.V.m. § 35 Satz 1 LVwVfG). In der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung hat K ihren Antrag auf eine Feststellungsklage umgestellt.
a) Für die Frage, um welche Klage es sich handelt und ob möglicherweise eine Klageänderung vorliegt, kommt es auf den Zeitpunkt der Klageerhebung an (§ 90 VwGO). Wird im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung von der ursprünglich erhobenen Klageart abgewichen, ist zu prüfen, ob eine etwaige Klageänderung daran scheitert, dass der Beklagte nicht zustimmt oder das Gericht die Klageänderung nicht für sachdienlich hält (§ 91 VwGO).
b) In § 264 ZPO i.V.m. § 173 VwGO werden Änderungen aufgezählt, die nicht als Klageänderung gelten. Nach § 264 Nr. 3 ZPO liegt eine Klageänderung nicht vor, wenn wegen „einer später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand oder das Interesse gefordert“ wird. Das ist der Fall, wenn – wie im vorliegenden Fall – wegen einer Erledigung von einer ursprünglich erhobenen Verpflichtungsklage auf eine Feststellungsklage übergegangen wird, mit der die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des beanstandeten Verwaltungshandelns vor Erledigung erstrebt wird.
4. Besondere Sachurteilsvoraussetzungen
Die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen der Klage richten sich nach § 113 I 4 VwGO, wenn es sich um eine Fortsetzungsfeststellungsklage handelt. Verneint man hingegen die von § 113 I 4 VwGO genannten Voraussetzungen, handelt es sich um eine allgemeine Feststellungsklage, deren Zulässigkeit dann nach § 43 I i.V.m. § 43 II 1 VwGO zu beurteilen wäre.
a) Ihrem Wortlaut nach privilegiert die Vorschrift des § 113 I 4 VwGO allein die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines belastenden Verwaltungsakts, der sich nach Erhebung der Anfechtungsklage erledigt hat.
Schon wenige Jahre nach Inkrafttreten der VwGO hat die Rechtsprechung die Vorschrift des § 113 I 4 VwGO ausgedehnt auf die vorprozessuale Erledigung einer Anfechtungsklage sowie auf die Verpflichtungsklage um das Feststellungsbegehren, soweit es auf den „Erhalt des bisher Eingeforderten“ gerichtet ist, gleichermaßen nach § 113 I 4 VwGO zu privilegieren. Diese seit 60 Jahren praktizierte Sichtweise ist gewohnheitsrechtlich anerkannt und bedarf deshalb keiner weiteren Begründung.
b) Danach kommt es entscheidend darauf an, ob die K über das qualifizierte Interesse verfügt, trotz Erledigung ihrer Verpflichtungsklage durch die Veränderungssperre (§ 14 I Nr. 1 BauGB) ihr ursprüngliches Begehren gleichwohl einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen. Das dazu erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist nur in Ausnahmefällen gegeben.
aa) Bei Wiederholungsgefahr dient die Feststellung dazu, erneutes gleich gelagertes Unrecht zu verhindern. Dieser Gesichtspunkt scheidet vorliegend allerdings aus, weil die Stadt beschlossen hat, die Bauleitplanung zu ändern.
bb) Denkbar ist auch, dass bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen ein Rehabilitationsinteresse besteht. Dies ist erweitert worden auf Grundrechtseingriffe etwa durch die Polizei, die sich typischerweise kurzfristig und damit üblicherweise vor Klageerhebung erledigen. Darum geht es hier nicht.
cc) Im vorliegenden Fall können prozessökonomische Gesichtspunkte das Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründen. Tritt die Erledigung – wie im vorliegenden Fall – erst nach Klageerhebung ein, kann es ökonomisch sein, wenn das angerufene Verwaltungsgericht den Fall „durchentscheidet“, weil die Feststellung als Vorfrage für einen weiteren Prozess präjudiziell ist. Bei einer Erledigung vor Klageerhebung scheidet der Gesichtspunkt allerdings aus.
Um zu verhindern, dass die Gerichte mit dem Hinweis auf die Prozessökonomie ohne ein gerechtfertigtes Interesse in Anspruch genommen werden, ist für diese Voraussetzung stets zu prüfen, ob der geplante Prozess wahrscheinlich und nicht völlig aussichtslos ist.
Dazu das OVG (Rn. 24):
„Die Klägerin verfügt insbesondere über das erforderliche Feststellungsinteresse aufgrund der Vorgreiflichkeit der Entscheidung für eine spätere Amtshaftungsklage. Das setzt voraus, dass eine Klage auf Schadensersatz oder Entschädigung anhängig oder ihre alsbaldige Erhebung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist; zudem darf ein Schadensersatzprozess nicht offensichtlich aussichtslos sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.3.2005 - 2 B 109.04 -, Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 21). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin hat eindeutig und unbedingt erklärt, einen Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozess führen zu wollen. Ihren Schaden hat sie unter Nennung eines konkreten Mietinteressenten für die umzunutzende Fläche und Bezifferung des monatlichen Mietzinsausfalls in mit Blick auf das im Sinne einer Ernsthaftigkeitskontrolle zu verstehende Feststellungsinteresse ausreichend dargetan. Insbesondere nimmt der Senat keine den ordentlichen Gerichten vorbehaltene nähere Prüfung der Erfolgsaussichten eines Amtshaftungsprozesses vor. Von offensichtlicher Aussichtslosigkeit kann deshalb nur gesprochen werden, wenn ohne eine ins einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass der behauptete Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt bestehen kann (vgl. Senatsurt. v. 25.6.2019 - 1 LB 160/17; im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 28.8.1987 - 4 C 31.86 -, NJW 1988, 826 = BRS 53 Nr. 110). Das ist nicht der Fall.“
c) Mit der Fortsetzungsfeststellungsklage dürfen nicht die Sachurteilsvoraussetzungen der ursprünglichen Klage umgangen werden. Eine ursprünglich unzulässige Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage kann nicht durch die Tatsache der Erledigung als zulässige Feststellungsklage fortgeführt werden. Für den hier zu beurteilenden Fall einer ursprünglichen Verpflichtungssituation kommt es somit darauf an, ob vor Erledigung die Klage nach §§ 42 II, 68-74 VwGO zulässig war. Die Klage war laut Sachverhalt ordnungsgemäß erhoben (§§ 68-74 VwGO). Das für die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) erforderliche subjektive Recht folgte aus dem in der LBO geregelten Anspruch auf Baugenehmigung, wenn das Vorhaben „den öffentlich-rechtlichen Vorschriften“ entspricht.
II. Begründetheit
Die Klage ist begründet, wenn vor Erledigung ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung bestand (§ 113 I 2 i.V.m. § 113 V 1 VwGO). Die Baugenehmigung war vor Inkrafttreten der Veränderungssperre zu erteilen, wenn das Vorhaben damals den öffentlich-rechtlichen Vorschriften und damit den planungsrechtlichen (§§ 14, 29 ff BauGB) und bauordnungsrechtlichen (§§ 4 ff, 3 LBO) Anforderungen entsprach. Nach dem Sachverhalt lässt sich nur die planungsrechtliche Seite beurteilen.
Das Vorhaben bezog sich auf ein durch Bebauungsplan ausgewiesenes Gewerbegebiet. Damit findet § 30 BauGB Anwendung, der – unabhängig davon, ob es sich um einen qualifizierten oder einen einfachen Bebauungsplan handelt – auf die Regelfestsetzungen im Bebauungsplan verweist. Da besondere Festsetzungen nicht ersichtlich sind, kann davon ausgegangen werden, dass § 8 BauNVO Bestandteil des B-Plans ist (§ 1 III 2 BauNVO). Danach gehören Gewerbebetriebe aller Art (§ 8 II Nr. 1) sowie Anlagen für sportliche Zwecke (§ 8 II Nr. 4 BauNVO) zu Regelbebauung iSd. § 30 BauGB.
Die im Bauantrag benannten Vorhaben waren danach zu genehmigen (§ 30 BauGB).
Die Klage ist begründet.
Ergebnis
Das Verwaltungsgericht stellt fest, dass die beantragte Baugenehmigung zu erteilen war.
(Urteil vom 10.06.2024 (1 LB 150/22))
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