BGH zu Kostenerstattung für Corona-Schutzmaßnahmen in Werkstatt

BGH zu Kostenerstattung für Corona-Schutzmaßnahmen in Werkstatt

Sind die Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen in einer Werkstatt erstattungsfähig?

Können bei einem infolge eines Verkehrsunfalls beschädigten Pkw die im Rahmen der Reparatur in einer Werkstatt angesetzten Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen als Schadensersatz verlangt werden?

A. Sachverhalt

Die Klägerin K nimmt die beklagte Haftpflichtversicherung B auf Schadensersatz für die von der Reparaturwerkstatt angesetzten Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen in Höhe von 157,99 Euro aufgrund eines Verkehrsunfalls, bei welchem der Pkw der Geschädigten durch einen Versicherungsnehmer der B beschädigt wurde, in Anspruch. Die volle Haftung der B dem Grunde nach stand außer Streit. Der Geschädigte beauftragte einen Sachverständigen mit der Begutachtung des unfallbedingten Schadens. Dieses wies für Corona-Schutzmaßnahmen vor und nach der Reparatur jeweils einen Betrag von 53,20 Euro zuzüglich Material von jeweils 15 Euro netto auf und somit brutto (16 % Mehrwertsteuer) einen Gesamtbetrag von 157,99 Euro. Die Vorinstanz hat der Klage lediglich i.H.v. 33,18 Euro stattgegeben.

K verlangt von B die Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 124,81 Euro (157,99 Euro abzüglich der 33,18 Euro).

B. Entscheidung

K macht insofern einen Schadensersatzanspruch geltend.

Deliktische Ansprüche

(Vertragliche, vertragsähnliche oder dingliche Ansprüche kommen nicht in Betracht.) Es besteht dem Grunde nach ein deliktischer Anspruch.

I. § 115 I 1 Nr. 1 VVG, § 1 S. 1 PflVG, § 7 I StVG

K könnte gegen B einen Schadensersatzanspruch haben i.H.v. 124,81 Euro nach § 115 I 1 Nr. 1 VVG, § 1 S. 1 PflVG, § 7 I StVG.

Die Geschädigte hat einen Direktanspruch gegen B als Haftpflichtversicherer des Schädigers nach § 115 I 1 Nr. 1 VVG, § 1 S. 1 PflVG, sofern sie einen solchen Schadensersatzanspruch gegen den Halter (Schädiger) nach § 7 I StVG hat.

Ein Schadensersatzanspruch nach § 7 I StVG setzt voraus: Rechtsgutsverletzung, Halter, Betrieb eines Kfz, haftungsbegründende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Betrieb eines Kfz), kein Ausschluss nach § 7 II StVG, Schaden, haftungsausfüllende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden). (Der BGH ist nur auf den Schaden und die haftungsausfüllende Kausalität eingegangen.)

1. Rechtsgutsverletzung

Eine Rechtsgutsverletzung als Sachbeschädigung ist in Form der Eigentumsverletzung am Kfz des Geschädigten durch den Verkehrsunfall erfolgt.

2. Halter

Der Schädiger (und Versicherungsnehmer von B) ist Halter des gegnerischen Kfz.

3. Betrieb eines Kfz

Die Sachbeschädigung ist beim Betrieb des Kfz des Halters eingetreten.

4. Haftungsbegründende Kausalität

Die haftungsbegründende Kausalität zwischen der Rechtsgutsverletzung und dem Betrieb eines Kfz ist gegeben.

5. Kein Ausschluss nach § 7 II StVG

Es liegt auch kein Ausschluss der Ersatzpflicht nach § 7 II StVG vor.

6. Schaden

Ferner müsste ein Schaden, also ein unfreiwilliges Vermögensopfer, entstanden sein. Nach § 249 I BGB kann grundsätzlich Naturalrestitution verlangt werden. Im Rahmen der von § 249 I BGB vorausgesetzten Differenzhypothese (= Differenz zwischen realer und hypothetischer Vermögenslage) kann der Differenzschaden als Schadensersatz gefordert werden. Nach § 249 II 1 BGB kann statt der Herstellung der dazu erforderliche Geldbetrag verlangt werden („Ersetzungsbefugnis“).

Im Ausgangspunkt ist sein Anspruch auf Befriedigung seines Finanzierungsbedarfs in Form des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrags gerichtet …. Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Denn Ziel der Schadensrestitution ist es, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne das Schadensereignis entspricht.

Allerdings können nur die Kosten verlangt werden,

die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Allerdings ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung…).

Sofern der Geschädigte sein Kfz zwecks Reparatur zu einer Fachwerkstatt bringt,

sind dadurch anfallende Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger aufgrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt unangemessen, mithin nicht erforderlich im Sinne von § 249 II 1 BGB sind; in einem solchen Fall gegebenenfalls bestehende Ansprüche des Geschädigten gegen den Werkstattbetreiber spielen nur insoweit eine Rolle, als der Schädiger im Rahmen des Vorteilsausgleichs deren Abtretung verlangen kann. Das Werkstattrisiko verbleibt in diesem Fall - wie bei § 249 I BGB - auch im Rahmen des § 249 II 1 BGB im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger beim Schädiger.

Insofern sind ersatzfähig

nicht nur solche Rechnungspositionen, die ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise unangemessen, mithin nicht zur Herstellung erforderlich im Sinne des § 249 II 1 BGB sind. Ersatzfähig im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger sind vielmehr auch diejenigen Rechnungspositionen, die sich auf - für den Geschädigten nicht erkennbar - tatsächlich nicht durchgeführte einzelne Reparaturschritte und -maßnahmen beziehen.

Jedoch müssen die Begutachtungskosten unfallbedingt sein und den Geschädigten trifft

eine Obliegenheit zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der von der Werkstatt bei Vertragsschluss geforderten bzw. später berechneten Preise. Verlangt die Werkstatt bei Vertragsschluss Preise, die - für den Geschädigten erkennbar - deutlich überhöht sind, kann sich die Beauftragung dieser Werkstatt als nicht erforderlich im Sinne des § 249 II 1 BGB erweisen (Auswahlverschulden). Ein Überwachungsverschulden kommt beispielsweise in Betracht, wenn die Rechnung - für den Geschädigten erkennbar - von einer Preisvereinbarung abweicht oder wenn die Werkstatt für den Geschädigten erkennbar deutlich überhöhte Positionen ansetzt.

Nicht erforderlich für die Ersatzfähigkeit ist, dass der Geschädigte die Rechnung des Sachverständigen schon bezahlt hat.

Soweit der Geschädigte die Rechnung nicht beglichen hat, kann er - will er das Werkstattrisiko nicht selbst tragen - die Zahlung der Reparaturkosten aber nicht an sich, sondern nur an die Werkstatt verlangen, Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger (dieses Risiko betreffender) Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt.

Insofern hat K keinen Anspruch auf Erstattung von 124,81 Euro, da

ein verständiger, wirtschaftlich denkender Geschädigter zu dem Schluss kommen musste, dass die Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen, wie sie bereits im Sachverständigengutachten enthalten waren und von der Werkstatt in Rechnung gestellt wurden, deutlich überhöht und in dieser Höhe nicht ersatzfähig waren. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler die tatsächlich erforderlichen Kosten gemäß § 287 ZPO mit 33,18 EUR bemessen.

7. Haftungsausfüllende Kausalität

Ein weitergehender Schadensersatzanspruch scheitert aber nicht daran, dass diese Kosten dem Grunde nach nicht erstattungsfähig wären. Vielmehr ist diesbezüglich die haftungsausfüllende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden) gegeben.

Die unfallbedingte Beschädigung des Fahrzeugs kann nicht im Sinne der Äquivalenztheorie hinweggedacht werden, ohne dass die Reparatur des Fahrzeugs und die dabei durchgeführten Corona-Schutzmaßnahmen entfielen. Erfolgte - wie hier - eine Reparatur während der Corona-Pandemie, war die Durchführung von Corona-Schutzmaßnahmen im Zuge der Reparatur des Fahrzeugs grundsätzlich auch adäquat-kausal.

Bezüglich der Beurteilung der objektiven Erforderlichkeit der durchgeführten Corona-Schutzmaßnahmen hat ein Unternehmer – und somit auch ein Werkstattbetreiber – einen gewissen Entscheidungsspielraum. Dabei bestehen grundsätzlich keine

Bedenken, dass die Werkstatt die Corona-Schutzmaßnahmen gesondert in Rechnung gestellt hat. Die betriebswirtschaftliche Entscheidung, ob die für das Hygienekonzept in der Corona-Pandemie anfallenden Kosten gesondert ausgewiesen oder als interne Kosten in die Kalkulation der Reparaturkosten „eingepreist“ werden, steht dabei grundsätzlich dem Werkstattinhaber als Unternehmer zu. Angesichts der nur vorübergehenden Natur jedenfalls der verschiedenen Phasen der Corona-Pandemie mag es sogar ein Ausdruck des Bemühens um Kostentransparenz sein, den Preis für Corona-Schutzmaßnahmen für die Dauer des Anfallens gesondert auszuweisen.

Ergebnis

K hat gegen B keinen Schadensersatzanspruch i.H.v. 124,81 Euro nach § 115 I 1 Nr. 1 VVG, § 1 S. 1 PflVG, § 7 I StVG.

II. § 823 I BGB; § 823 II BGB i.V.m. § 1 II StVO

Weitergehende Ansprüche aus § 823 I BGB und § 823 II BGB i.V.m. § 1 II StVO konnten und mussten vom BGH nicht geprüft werden.

(Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 I BGB setzt voraus: Rechtsgutsverletzung, Handlung, haftungsbegründende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Handlung), Rechtswidrigkeit, Verschulden, Schaden, haftungsausfüllende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden).)

(Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 II BGB setzt voraus: Schutzgesetz, Verletzung (Handlung), haftungsbegründende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Handlung), Rechtswidrigkeit, Verschulden, Schaden, haftungsausfüllende Kausalität (zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden).)

C. Prüfungsrelevanz

Das Deliktsrecht mit dem Schwerpunkt auf der Prüfung des Schadens ist regelmäßig Prüfungsgegenstand. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei um die Erstattungsfähigkeit von Corona-Schutzmaßnahmen und insbesondere um die Höhe der von der Werkstatt angesetzten Kosten.

Die Entscheidung ist sehr prüfungsrelevant, da sie die Möglichkeit bietet, Schadensersatzansprüche aus dem Deliktsrecht in Form der Gefährdungshaftung nach § 7 I StVG in Kombination mit einem Direktanspruch gegen den Versicherer nach § 115 VVG zu prüfen und sich dabei intensiv mit dem Schaden gem. § 249 BGB auseinanderzusetzen.

(BGH Urt. v. 23.4.2024 – VI ZR 348/21)

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