Was ich gern über die Phase zwischen dem 1. und 2. Examen früher gewusst hätte
Während der Examensvorbereitung habe ich mich täglich durch eine Collage daran erinnert, was nach dem Studium auf mich wartet. Ich wollte eine lange Reise antreten, endlich mehr Zeit in der Natur verbringen, Sonnenaufgänge an bisher ungesehenen Orten erleben und ungestört den liebsten Hobbys frönen. Auf lange Sicht habe ich mir einen LL.M. im Ausland gewünscht und/oder wollte direkt promovieren. Nur eine Sache konnte und wollte ich mir absolut nicht vorstellen: Direkt ins Referendariat zu starten. – Tja, es kam natürlich anders. Nicht nur die Pandemie stand meinen Träumen massiv im Weg, auch ich selbst flüchtete aktiv in die nächste Etappe der juristischen Ausbildung, um in der wenig erfreulichen Zeit wenigstens diesen Part hinter mich zu bringen. Natürlich lebt es sich nun mit zwei Staatsexamina im Rücken auch nicht schlecht, allerdings sind auf dem direkten Weg einige schöne Erfahrungen auf der Strecke geblieben. Wer sich über die spannende Zeit nach dem Studium bereits im Studium Gedanken macht, lebt weniger in der Gefahr, sie zu verpassen.
1. Zeit zum Ausruhen, Hobbies und unvergessliche Erlebnisse – Du hast die Wahl
Die Lernerei hat (vorerst) ein Ende und die entsprechende Struktur im Leben löst sich in Luft auf. An dieser Stelle lohnt es sich, erst mal körperlich auszuruhen und auszuschlafen. Die Dinge langsam angehen zu lassen, ist nicht verkehrt, allerdings bietet sich jetzt die perfekte Chance, länger zu verreisen und lange vergrabene Leidenschaften wiederaufzugreifen. Je nach Budget gibt es viele Möglichkeiten über Interrail, Work & Travel, Couchsurfing oder Housesitting. Sobald man lediglich über eine begrenzte Zahl an Urlaubstagen verfügt, wird es schwieriger, größere Rundreisen zu planen. Oder aber man möchte sich nicht mehr mit geringem Komfort zufriedengeben bzw. ist aus familiären Gründen auf entsprechende Strukturen angewiesen. Die Zeit, um die Leidenschaft für frühere Hobbies wieder zu entfachen oder neue Aktivitäten zu entdecken, ist gekommen. Ob Du auf der Couch liegst und eine Serie bingst, endlich wieder Klavier übst oder gerade eine Wanderung durch eine schneebedeckte Gebirgskette unternimmst bzw. lieber Surfen in Thailand lernst – die Zeit vergeht ohnehin.
2. Entscheidungen in Bezug auf das Referendariat treffen
Zurück in heimischen Gefilden sollte man sich früher oder später ausführlich damit auseinandersetzen, wie es beruflich weitergehen soll. Zunächst sollte man sich ehrlich die Frage beantworten, ob man das Referendariat überhaupt antreten will. Wer sich dort absolut nicht sieht und die zweijährige Ausbildungsphase inklusive 2. Staatsexamen nicht durchziehen will, weil die angestrebte Karriere dies nicht erfordert, darf ehrlich zu sich sein. Wegen der neuen Facetten aus der Praxis könnten allerdings gerade diejenigen mehr Freude gegenüber dem Studium haben, die ausklamüserte Theorienstreitigkeiten ermüdend bis einschläfernd finden. Zum ersten Mal gilt es, der Theorie Leben einzuhauchen.
Wer sich für das Referendariat entscheidet, steht vor der nächsten Frage: In welchem Bundesland bzw. Landgerichtsbezirk soll der juristische Vorbereitungsdienst angetreten werden? Hier tiefer in die Recherche einzusteigen, kann ich nur jedem empfehlen. Nicht nur wegen den Vor- und Nachteilen einer möglichen Verbeamtung auf Widerruf, sondern weil die Unterschiede in den Prüfungsordnungen doch teilweise große Unterschiede auf das Gesamtergebnis haben dürften (Stichwort: Gewichtung der mündlichen Prüfung, möglicher Zusammenhang zwischen der Wahlstation und dem Rechtsgebiet für den Aktenvortrag). Nicht zu verachten bleibt die Frage, wie viel Reisetätigkeit man sich im Referendariat zumuten möchte. Die Wege in Flächenbundesländern sind gegenüber den Stadtstaaten bekanntlich länger. Weiterhin gravierend zu berücksichtigen dürfte sein, wie lange man mit der eigenen Note auf einen Referendariatsplatz warten muss/darf und ob es nahe Alternativen gibt. Ob man Wartezeiten nun bewusst in Kauf nimmt oder sich aus eigenem Antrieb dazu entscheidet, sich später zu bewerben bzw. sich zurückstellen zu lassen: Die Wartezeit als eine Phase des persönlichen Wachstums und der Selbstverwirklichung darf man sich definitiv gönnen.
3. Money matters
Da das Geld auch während der Wartezeit nicht an Bäumen wächst, werden die meisten Diplomjurist:innen sich um eine Tätigkeit zum Broterwerb kümmern müssen. Mittlerweile suchen Unternehmen und Behörden bereits gezielt nach Absolvent:innen mit dem 1. Staatsexamen, aber auch (Groß-)Kanzleien bieten sich als Arbeitgeber an, um erste oder zusätzliche Praxiserfahrung zu sammeln. Eine Tätigkeit als Korrekturassistenz an einer Universität dürfte sich weniger aus monetären, dafür aber dank des Perspektivwechsels und der neuen, unbezahlbaren Erkenntnisse aus der Sicht des Prüfenden lohnen. Gänzlich ohne Jura kann man natürlich auch auskommen, indem man sich anderweitig fortbildet und die Kompetenzen schließlich einsetzt. Die Zeit und die geistige Kapazität, um sich zur Yogalehrer:in ausbilden zu lassen oder in seiner Lieblingssportart einen entsprechenden Trainerschein zu erwerben, ist mit Beendigung des Studiums freigeworden. Egal von welchem zweiten Standbein man träumt, in der Wartezeit kann man entsprechende Ideen verfolgen und sich ausprobieren.
Selbstverständlich liegt die Entscheidung bei jedem Einzelnen und auch ein bunter Mix aus den aufgeführten Möglichkeiten ist selbstverständlich denkbar. Alle Tätigkeiten haben jedoch einen Vorteil gegenüber dem direkten Übergang ins Referendariat: Man hat Zeit, ein „normales Leben“ zu führen, kann sich ohne schlechtes Gewissen mit Freunden treffen und seine Kräfte wieder sammeln, bevor es weiter in den juristischen Vorbereitungsdienst geht.
4. Der „richtige“ Zeitpunkt für Promotion und LL.M.
Diejenigen, die mit dem Gedanken spielen, zusätzlich einen LL.M. zu absolvieren oder zu promovieren, sollten sich nicht erst nach dem 2. Staatsexamen mit diesen Gedanken auseinandersetzen. Inwiefern sich die Motivation nach dem Studium allein darauf bezieht, nicht direkt mit dem Referendariat weiterzumachen (klassische „von weg“- Motivation) sollte genauso beleuchtet werden wie die Tatsache, dass man die umfassenden Aufgaben in der Bewerbungsphase des LL.M. und seine Finanzierung sicherstellen muss. Wer einen engen Zeitplan hat und nicht mehrere Jahre aus dem Examensstoff aussteigen will, müsste sich um die genannte Bewerbung bereits in der Examensvorbereitung und unmittelbar vor den Examensklausuren kümmern. Andererseits kann die Bereitschaft, als Volljurist noch einmal das Abenteuer LL.M. zu starten, mit lukrativen Jobangeboten oder der Familienplanung äußerst schnell abnehmen. Auch die Entscheidung zur Promotion und die konsequente Arbeit an der Dissertation fällt dann vermutlich nicht mehr so leicht. Der Vorteil, dass man mit zwei Staatsexamina bei der Themenwahl durch Probleme aus der Praxis geleitet werden kann, steht dem Nachteil gegenüber, dass man eventuell an Affinität für theoretische und sehr dogmatische Ansätze einbüßt. Letzteres dürfte leichter fallen, wenn man direkt aus dem wissenschaftlich ausgerichteten Studium in die Promotionsphase übergeht. Das Bedürfnis, sich als Volljurist:in in der Praxis zu beweisen und entsprechendes Geld zu verdienen, sollte man nach dieser langen Ausbildung nicht unterschätzen. Andersherum fällt die Finanzierung des Vorhabens wohl überwiegend nach dem 2. Examen leichter. Den offensichtlich richtigen Zeitpunkt gibt es nicht. Aber egal, wie man sich am Ende entscheidet: Es wird sich deutlich besser anfühlen, selbst eine aktive Entscheidung getroffen zu haben, anstatt die Gedanken vor sich herzuschieben und im Nachgang ewig der Überlegung nachhängen, was denn gewesen wäre, wenn man sich mit der Sache auseinandergesetzt hätte.
Fazit
Natürlich ist es nicht so, dass das „schöne Leben“ erst nach dem 1. Examen beginnt oder mit dem Antritt der ersten Vollzeitstelle endet. Alle oben aufgeführten Punkte in der spannenden Phase des Übergangs wenigstens (in beliebiger Reihenfolge) angedacht zu haben, kann jedoch davor bewahren, sich später zu ärgern. Nach dem 1. Examen tickt man ganz anders als nach dem Referendariat. Ich hätte es selbst nicht für möglich gehalten, doch jedenfalls aus juristischer Sicht erlangt man gänzlich andere Perspektiven. Die Prioritäten verschieben sich, man hat eventuell ganz neue Ziele und andere Möglichkeiten, die das Dasein als Volljurist:in bieten. Man vergisst eventuell seine Visionen und Ideale, weil man sich von der Aufbruchsstimmung der anderen mitreißen lässt. Umso schwerer wird es sein, sich gegen die Privilegien und für sich selbst zu entscheiden. Die großen Wünsche und Träume auf die Zeit nach dem 2. Examen zu verschieben, halte ich deswegen für eine furchtbare Idee.
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen