Referendariat und dann?

Referendariat und dann?

Berufseinstieg: Anwalt:in als Litigator

Spätestens als vor über 10 Jahren die amerikanische Anwaltsserie „Suits“ durch die Decke schoss, ist das Ansehen und der Glamourfaktor der Prozessanwälte gestiegen. Harvey Spector wurde der Inbegriff für einen erfolgreichen und angesehenen Juristen. Während des Studiums schien das Berufsleben noch weit weg und angesichts der oft sehr undankbaren Noten blieb der Job als Anwalt:in in einer Großkanzlei bei vielen von uns vorerst nur ein schier unerreichbarer Traum. Heute sind Prozessanwälte und Prozessanwältinnen mehr als gefragt. Dies liegt nicht nur an der eh schon hohen Zahl juristischer Auseinandersetzungen, sondern vor allem auch an der Zunahme der in den letzten Jahren etablierten Massenklagen.

Das Spezialgebiet Litigation

Kern der Tätigkeit im Bereich Litigation sind die Prozessführung, die Betreuung von Schiedsverfahren und die außergerichtliche Streitbeilegung. Aber was versteckt sich eigentlich hinter diesen Begrifflichkeiten?

Als Prozessjurist:in steht die Fallanalyse im Vordergrund. Diese beschränkt sich nicht nur auf die Sichtung von Dokumenten, das Sammeln von Beweisen, die Entwicklung einer Strategie und die rechtliche Prüfung, sondern der Mandant als Mensch mit seinen Eigenschaften und Emotionen steht ebenso im Vordergrund. Ziel ist es, am Ende eine Bewertung der Erfolgsaussichten vor Gericht abzugeben. Sehen diese gut aus, steht die nächste große Aufgabe bevor: Plädieren vor Gericht. Dies dürfte wohl zu den Königsdisziplinen im Prozessrecht gehören. Für Litigators kommt es nun darauf an, schnell und flexibel zu reagieren: Beginnt die Zeugenvernehmung, heißt es, nicht nur auf die richtige Protokollierung zu achten und eigene Fragen an den Zeugen zu stellen, sondern auch die Auswirkung der Zeugenaussage auf das Gericht zu beobachten und die eigene Fragetaktik gegebenenfalls an das Gesagte anzupassen. Die rechtliche Bewertung darf dabei natürlich nicht aus dem Blick gelassen werden. Bringt die Gegenseite neue Beweise vor, muss im Bestfall mit eigenen Beweisangeboten direkt reagiert werden. All dies passiert unter Zeitdruck und vor den Augen des Gerichts und der Gegenseite. Multitasking ist also gefragt.

Sehen die Erfolgsaussichten eher schlechter aus, tritt der Prozessanwalt:in in Vergleichsverhandlungen ein und die außergerichtliche Beilegung rückt in den Fokus. Auch hier benötigt der Litigator neben einer umfassenden Expertise ein hohes Maß an Menschenkenntnis und Empathie. Hier geht es nun darum, ein Ergebnis zu finden, mit dem beide Seiten zufrieden sind. Um das bestmögliche Ergebnis für den eigenen Mandanten zu erzielen, muss der Litigator jetzt gut argumentieren, hartnäckig bleiben und überzeugen können.

Prozessanwälte und Prozessanwältinnen sind in fast allen Rechtsgebieten unterwegs. Im Zivilrecht geht es inhaltlich vor allem um Kartellrecht, Compliance und Insurance, M&A, Datenschutz, Energierecht, Schadensersatz und Gewährleistung. Aber auch die Streitigkeiten im Social Media Bereich nehmen im Zeitalter von Tik Tok und Instagram zu. Wer lieber im Strafrecht unterwegs ist, kommt auch auf seine Kosten und passt perfekt in den Bereich Wirtschaftsstrafrecht und die Fälle rund um White Collar Crime.

Da das Prozessrecht auf ein hohes Maß an Effizienz und Automatisierung angewiesen ist, steht die Entwicklung von innovativen Legal Tech Lösungen immer mehr im Mittelpunkt. Die Digitalisierung und Automatisierung von Arbeitsprozessen sind gerade in diesem Bereich essenziell. Der Prozessanwalt:in arbeitet hier eng mit IT-Teams zusammen.

Persönliche Anforderungen

Als Litigator solltest Du vor allem Spaß daran haben, nicht nur juristisch zu arbeiten. Für die Analyse des Sachverhalts sind neben einer strukturierten Arbeitsweise besonders ein detektivischer Spürsinn, Neugierde, Kreativität und Hartnäckigkeit gefragt. Überraschen dürfte Dich nicht, dass ein hohes Maß an Kommunikationsfähigkeit für dieses Berufsfeld ausschlaggebend ist. Hierbei sind rhetorische und sprachliche Gewandtheit für Dich ein Wettbewerbsvorteil. Du solltest außerdem keine Hemmungen haben, den juristischen und tatsächlichen Sachverhalt in eine Geschichte einzukleiden und vor Gericht ausschmücken zu können. Daneben sind ein schnelles Reaktions- und Denkvermögen im Prozess unerlässlich. Dies alles erfordert eine beachtliche Stressresilienz von Dir. Verhandlungssicheres Englisch ist heutzutage natürlich Grundvoraussetzung.

Einstiegsmöglichkeiten

Wer High End Litigation anstrebt, muss wohl den Weg über eine Großkanzlei einschlagen. Aber auch mittelständische Kanzleien bauen dieses Rechtsgebiet immer besser aus, sodass Du auch ohne Prädikatsexamen einen Fuß in diese Tür bekommst. Außerdem bieten die zunehmenden Massenklagen mittlerweile auch eine gute Einstiegsmöglichkeit ins Prozessrecht. Kanzleien, die solche Massenverfahren betreuen, richten zunehmend separate Sparten nur zur Betreuung dieser Verfahren ein und stellen hierfür extra Prozessanwält:innen ein. Durch die zentrale Bearbeitung dieser Massenverfahren werden Analyse, Sachverhaltsermittlung und Strategieentwicklung gebündelt. Als Berufseinsteiger wirst Du direkt in die Mandatsarbeit eingebunden, lernst Prozesse in jedem Verfahrensstadium kennen und kannst so von Anfang an viele Erfahrungen sammeln.

Solltest Du noch weit weg vom Referendariat sein und mitten im Studium stecken, bieten Dir die universitären Moot Courts eine ideale Möglichkeit, um schon während des Studiums einen ersten Einblick in dieses Berufsfeld zu bekommen. Beim Durchspielen fiktiver Gerichtsverfahren kannst Du testen, ob Dir Prozessführung Spaß macht.

Resümee

Wer die Bühne liebt, ist im Prozessrecht richtig. Mach Dir aber bewusst, dass Prozessrecht ein lebenslanges Lernen bedeutet und der Blick über den eigenen Tellerrand stets unverzichtbar ist. Das Einstellen auf neue Mandanten und unterschiedliche Richter sowie die ständige Erweiterung von Soft Skills und Verhandlungstricks bestimmen dieses Berufsbild. Vielfältige Ausprägungen und Spezialisierungsmöglichkeiten in diesem Rechtsgebiet bieten Dir zudem die Möglichkeit, Dich immer wieder neu zu orientieren. Eins ist sicher: Langweilig wird Dir als Prozessanwalt:in nicht.

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