Ad acta gelegt - Einstellungsurteil im Cum-Ex-Verfahren

Ad acta gelegt - Einstellungsurteil im Cum-Ex-Verfahren

Warburg-Bank Chef und Bundeskanzler können aufatmen

Was ist passiert?

11 Jahre, 1007 Beschuldigte, 130 ermittelnde Staatsanwälte und Staatsanwältinnen, aber nur 13 abgeschlossene Fälle und 20 tatsächlich Verurteilte. Das ist die bisherige Resonanz der Cum-Ex-Verfahren. Nun endete auch das wohl bedeutsamste Cum-Ex-Verfahren am 24.6.2024 vor dem LG Bonn mit einem Einstellungsurteil. Medial hat dieses Verfahren besonders viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil es sogar Kreise bis zu unserem jetzigen Bundeskanzler zog. Angeklagt war der frühere Chef der Hamburger Warburg-Bank wegen gemeinschaftlicher besonders schwerer Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO in 13 Fällen und in zwei Fällen wegen versuchter gemeinschaftlicher besonders schwerer Steuerhinterziehung. Grund für das Einstellungsurteil war die absolute und dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten und somit das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses. Der mittlerweile 82-Jährige leide laut einem Gutachten der Kölner Rechtsmedizin an Bluthochdruck, wodurch er maximal 45 Minuten am Tag verhandlungsfähig sei. Dies hätte dazu geführt, dass sich die gesamte Verfahrensdauer auf mindestens drei Jahre erstreckt hätte. Gericht und Staatsanwaltschaft kamen übereinstimmend zum Schluss, dass diese Prognose nicht mit dem schlechten Gesundheitszustand des Angeklagten vereinbar sei. 

Rechtlicher Hintergrund

Das Steuerrecht zählt zwar nur ausnahmsweise zum Pflichtfachstoff, sodass das materielle Recht für uns hier nebensächlich ist. Dennoch lohnt es sich, einen Blick auf den prozessrechtlichen Teil des Falls zu werfen, weil dieser sich durchaus als Inspiration für Prüfer und Prüferinnen eignet. Prozessrechtlich stehen hier die Einstellung eines Strafverfahrens und das Rechtsbehelfsverfahren im Vordergrund.

Warum hat sich die Richterin hier für ein Einstellungsurteil entschieden oder hätte es noch andere Möglichkeiten gegeben, auf den Gesundheitszustand des Angeklagten zu reagieren? Und warum legt die Staatsanwaltschaft trotz einvernehmlicher Verfahrenseinstellung noch im Gerichtssaal Revision ein?

Wenn das Hauptverfahren durch Eröffnungsbeschluss gemäß § 207 I StPO eingeleitet wird, gibt es drei Möglichkeiten, das Verfahren zu beenden. 

Die erste Möglichkeit ist, im Wege des Strafbefehlsverfahrens einen Strafbefehl gemäß § 407 ff. StPO zu erlassen, d.h. das Gericht entscheidet ohne Hauptverhandlung. Bei diesem “summarischen Verfahren” reicht es aus, wenn die Schuld des Beschuldigten wahrscheinlich ist. Sie muss im Gegensatz zu einem Urteil nicht zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Da durch einen Strafbefehl nur eine Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr angeordnet werden kann, bietet sich dieses Verfahren nur bei kleineren Straftaten an. 

Als zweites kann das Gericht das Hauptverfahren durch Beschluss beenden. Bei Vorliegen eines Verfahrenshindernisses kann das Gericht gemäß § 206a StPO oder sonst nach §§ 153 ff. StPO das Verfahren durch Beschluss einstellen.

Als dritte und letzte Möglichkeit kann das Gericht durch Urteil gemäß § 260 StPO entscheiden. Ein Urteil kann entweder als Freispruch, als Einstellung oder als Schuldspruch ergehen. Liegt ein Verfahrenshindernis vor und entscheidet das Gericht in Form eines Urteils gemäß § 260 StPO, besteht aufgrund des Rehabilitierungsinteresses des Angeklagten grundsätzlich der Vorrang eines Freispruchs. Voraussetzung ist jedoch, dass der Sachverhalt bei Eintritt des Prozesshindernisses schon so weit aufgeklärt ist, dass der Angeklagte freizusprechen wäre.

Im vorliegenden Fall sah die Richterin die Sachentscheidungsreife für einen Freispruch als nicht gegeben an und stellte deswegen das Verfahren ein. Die Einstellung des Verfahrens kann entweder durch Beschluss gemäß §§ 206a, 153 ff. StPO oder durch Urteil gemäß § 260 III StPO erfolgen. Die Möglichkeit, das Verfahren im Wege eines Beschlusses gemäß §§ 206a, 153 ff. StPO einzustellen, kommt immer nur dann in Betracht, wenn sich das Verfahren zwar schon im Hauptverfahren befindet, aber die Hauptverhandlung noch nicht eröffnet ist. Hat die Hauptverhandlung, wie es hier der Fall war, bereits gemäß § 243 III StPO begonnen, kann die Einstellung des Verfahrens nur noch durch ein Einstellungsurteil gemäß § 260 III StPO festgestellt werden. Aus diesem Grund wurde gegen den Angeklagten daher ein Einstellungsurteil gemäß § 260 III StPO erlassen. Ein solches Einstellungsurteil hat zur Folge, dass das Gericht über die Schuldfrage des Angeklagten gerade nicht entschieden hat, der Angeklagte aber andererseits auch durch dieses Einstellungsurteil beschwert ist. Auswirkungen hat dies auf etwaige folgende zivilrechtliche Verfahren wie beispielsweise eine Schadensersatzklage.

Wichtig ist, dass Du Dir merkst, dass es sich bei dem hier ergangenen Einstellungsurteil gemäß § 260 III StPO um ein Prozessurteil handelt, welches wie ein Sachurteil der formellen Rechtskraft zugänglich ist, aber keinen Strafklageverbrauch mit sich zieht. Bei Wegfall des Verfahrenshindernisses könnte die Staatsanwaltschaft also erneut Anklage erheben. Bei den gerade genannten Schlagwörtern handelt es sich um sogenannte “Lieblingswörter” eines jeden Prüfers. Unter formeller Rechtskraft versteht man, dass das Urteil in Bestandskraft erwächst und gerade nicht mehr durch ein etwaiges Rechtsbehelfsverfahren angegriffen werden kann und möglicherweise wieder aus der Welt geschaffen werden kann. Deswegen tritt die formelle Rechtskraft auch immer erst dann ein, wenn die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels abgelaufen ist. Dem Strafklageverbrauch liegt ein weiterer wichtiger Prozessgrundsatz der StPO zugrunde und beinhaltet, dass niemand wegen derselben Tat mehrmals abgeurteilt werden darf.

Trotz übereinstimmender Einstellung legte die Staatsanwaltschaft noch im Gerichtssaal Revision gegen das Urteil ein. Auf den ersten Blick mag dies irritierend sein. Hintergrund ist, dass die Staatsanwaltschaft in einem früheren Termin bereits die direkte Überleitung in ein selbstständiges Einziehungsverfahren gemäß § 76a StGB beantragte. Ziel der Staatsanwaltschaft ist es nämlich zumindest, die restlichen 43 Mio. Euro einzuziehen, die der Angeklagte vermeintlich aus den Cum-Ex-Geschäften erhalten haben soll. Bei einer Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB steht gerade nicht die Bestrafung des Angeklagten im Vordergrund, sondern die Abschöpfung der durch die rechtswidrige Tat erlangten Vorteile. Die Einziehung hat also nur strafähnlichen Charakter. Vorteile eines selbstständigen Einziehungsverfahrens gemäß § 76a StGB sind zum einen, dass der Angeklagte bei dem Verfahren nicht anwesend sein muss, und zum anderen die Verwertungsmöglichkeit der Beweismittel aus dem Strafverfahren. 

Diesem Antrag gab das Gericht jedoch nicht statt. Die Staatsanwaltschaft legte daraufhin beim zuständigen OLG Köln Beschwerde gegen den Ablehnungsbeschluss ein. Aufgrund dessen, dass bereits 25 Hauptverhandlungstage stattfanden, hat die Staatsanwaltschaft nämlich ein großes Interesse daran, die bisherigen Beweismittel innerhalb des Einziehungsverfahrens zu verwerten. 

Der Grund dafür, dass die Staatsanwaltschaft daneben auch noch gegen das Einstellungsurteil des LG Bonn Revision einlegte, resultiert daraus, dass das Urteil zu dem beantragten selbstständigen Einziehungsverfahren keinen Ausspruch enthält und die Staatsanwaltschaft sich aber weiterhin die Möglichkeit der Verwertbarkeit der bisherigen Beweise offenhalten möchte. Ohne die Einlegung eines Rechtsmittels wäre das Urteil sonst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in formeller Rechtskraft erwachsen und bestandskräftig geworden.

Resümee

Ein während des Prozesses eintretendes Verfahrenshindernis ist ein dem Strafverfahren bekanntes Problem und in der Strafprozessordnung verankert. Interessant ist jedoch, dass das Gericht in diesem Fall den Gesundheitszustand des Angeklagten auch tatsächlich als absolutes und dauerhaftes Verfahrenshindernis auslegte. Durchaus hätte das Gericht dem Gesundheitszustand des Angeklagten auch anders begegnen können. In der immer digitaler werdenden Justiz hätte das Gericht beispielsweise eine Hauptverhandlung in Form einer Videoverhandlung gemäß § 128a ZPO analog in Betracht ziehen können oder etwa die in der StPO vorgesehene Möglichkeit, in Abwesenheit des Angeklagten weiter zu verhandeln, anwenden können. Dieser Fall zeigt einmal mehr, wie viele strafprozessuale Nebenschauplätze eine auf den ersten Blick simple Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses mit sich ziehen kann. 

Prüfungsrelevanz

Strafprozessrecht zählt in den schriftlichen Klausuren des ersten Examens eher zu den sogenannten Exoten und kommt allenfalls als unliebsame Zusatzfrage dran. Daher wird hier oft auf Lücke gelernt, um etwas Luft auf dem eh schon überfüllten Lernzettel zu bekommen. Setzt Du Dich dann vor der mündlichen Prüfung mit der StPO intensiver auseinander, merkst Du schnell, dass unsere Strafprozessordnung doch eigentlich sehr systematisch und übersichtlich aufgebaut ist und das strafprozessuale Handwerkszeug überschaubar ist. Sitzen die Basics, kannst Du hier nicht nur problemlos Punkte sammeln, sondern auch in der Klausursituation immens viel Zeit sparen, wenn Du weiß, wo alle Normen in der StPO verankert sind. Ein Rundflug durch die Strafprozessordnung zahlt sich also auch bereits für die schriftlichen Klausuren aus.

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