Beschluss vom 04.06.2024 (OVG 4 S 14/24)
Verfassungstreue im juristischen Vorbereitungsdienst: Darf ein Referendar der Nachfolgeorganisation der NPD („Die Heimat“) angehören, darf er dort eine führende Stellung einnehmen? Im Anschluss an die grundlegenden Beschlüsse des BVerfG 22.05.1975 (2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334) und vom 05.10.1977 (2 BvL 10/75 – BVerfGE 46, 33) ist eine differenzierende Betrachtung geboten zwischen Kandidaten, bei denen Zweifel an der Verfassungstreue bestehen und Kandidaten, die mit ihrem Verhalten auf die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung abzielen. Das OVG Berlin-Brandenburg folgt mit seinem Beschluss vom 04.06.2024 (OVG 4 S 14/24) hierzu der auch in anderen Bundesländern bestehenden Sichtweise, von der bisher lediglich der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen (Beschluss vom 21.10.2022 – Vf. 95-IV-21) abgewichen ist, weil in der SächsVerf (Art. 29 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1) die Ausbildungs- und Berufswahlfreiheit als uneinschränkbares Grundrecht garantiert ist.
Das Problem ist – für die übrigen Bundesländer – fallbezogen hier dargestellt.
1. Anforderung an Beamte
„Es steht nicht im Widerspruch zu Art. 12 GG, wenn der hergebrachte Grundsatz des Berufsbeamtentums im Beamtenrecht (gemeint ist Art. 33 Abs. 5 GG) verwirklicht wird, vom Bewerber für ein Amt zu verlangen, dass er die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten“ (BVerfGE 39, 334 LS 10).
2. Vorbereitungsdienst
a) „Dem Staat steht es frei, einen Vorbereitungsdienst …. so zu organisieren, dass er in einem zivilrechtlichen Anstellungsverhältnis oder in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Verhältnis außerhalb des Beamtenverhältnisses abzuleisten ist“ (BVerfGE 39, 334 LS 11).
b) „Eine Juristenausbildungsordnung steht unausgesprochen innerhalb des umfassenden Normenkomplexes des öffentlichen Dienstrechts und kann insbesondere nur gelesen und verstanden werden im Kontext mit dem übergeordneten Verfassungsrecht. Daraus folgt: Die … JAO … gebietet nicht auch den, der die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft, in den Vorbereitungsdienst außerhalb des Beamtenverhältnisses aufzunehmen, sondern sieht davon ab, diesen besonderen Fall zu regeln, weil er durch zwingendes Verfassungsrecht bereits geregelt ist“ (BVerfGE 46, 43 LS 2).
3. Konsequenz für den nicht beamteten Vorbereitungsdienst:
a) „Der Bewerber um ein solches Amt hat zwar zumindest die Gewähr für die Beachtung der Gesetze und der Verfassung zu bieten, womit zugleich ein Missbrauch des Amtes zu verfassungsgegnerischen Bestrebungen ausgeschlossen ist; so darf er insbesondere den Staat und seine Verfassungsordnung nicht angreifen, also aktiv bekämpfen. Er braucht aber nicht die weitergehende - der besonderen Stellung des Beamtentums im Staate gemäße - uneingeschränkte Bereitschaft aufzubringen, aktiv für den Bestand der politischen Ordnung des Grundgesetzes einzutreten“ (BVerwG, Urteil vom 19.01.1989 – 7 C 89/87 –, BVerwGE 81, 212, zitiert nach juris Rn. 13).
b) „Das Land … darf einem Kandidaten die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst verwehren, wenn er die Verfassungsordnung aktiv bekämpft, ohne sich dabei strafbar zu machen“ (OVG Berlin-Brandenburg vom 04.07.2024 – 4 S 14/24 – Leitsatz – unser Fall).
A. Vereinfachter Sachverhalt
A ist Mitglied des Bundesvorstandes der Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD). Mit Urteil vom 23.01.2024 (2 BvB 1/19 - Urteilsticker vom 31.05.2024) hat das BVerfG festgestellt, dass diese Partei nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Mitglieder auf die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung ausgerichtet ist und deshalb kein Recht auf staatliche Finanzierung nach Art. 21 Abs. 3 GG hat. In der Begründung jener Entscheidung wird mehrfach auf verfassungsfeindliche Äußerungen speziell des A als Beweismittel ausdrücklich Bezug genommen.
A bewirbt sich unter Vorlage entsprechender Zeugnisse um die Aufnahme in das Referendariat zur Vorbereitung auf die 2. juristische Staatsprüfung im Bundesland Brandenburg. Die Ausbildung erfolgt wie in den anderen Bundesländern auch, „in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis außerhalb des Beamtenverhältnisses“ (§ 10 Abs. 1 Satz 2 BbgJAG).
Das zuständige Landesamt lehnt den Antrag ab und begründet dies mit den verfassungsfeindlichen Bestrebungen des A. Hiergegen hat A das Verwaltungsgericht im Wege eines Eilverfahrens angerufen. Wird er damit Erfolg haben?
B. Entscheidung
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.
I. Zulässigkeit
1. Zuständigkeit des Gerichts
A hat das Verwaltungsgericht angerufen. Es verweist den Rechtsstreit, wenn es nicht zuständig ist (§§ 17a Abs. 2 GVG, 83 VwGO).
a) Der Verwaltungsrechtsweg könnte nach § 40 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 54 BeamtStG eröffnet sein. Da der Vorbereitungsdienst in Brandenburg wie in allen anderen Bundesländern nicht als Beamtenverhältnis ausgestaltet ist, kommt die – auch für die Einstellung in den öffentlichen Dienst geltende – besondere Zuweisung nicht zur Anwendung. Demgegenüber greift die Generalklausel des § 40 Abs. 1 VwGO, weil die erstrebte Maßnahme auf dem Juristenausbildungsgesetz des Landes und damit auf Vorschriften beruht, die ihrerseits einen Hoheitsträger einseitig berechtigen bzw. verpflichten und damit öffentlich-rechtlichen („sonderrechtlichen“) Charakter haben.
b) Sachlich zuständig ist im Eilverfahren das Gericht der Hauptsache. Dies wäre bei einer Verpflichtungsklage auf Einstellung in den Vorbereitungsdienst nach § 45 VwGO das Verwaltungsgericht.
Das Verwaltungsgericht ist somit auch im angestrebten Eilverfahren zur Sachentscheidung zuständig.
2. Verfahrensart
Statthafte Verfahrensart könnte ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO sein. Grundsätzlich erfolgt ein Eilverfahren nach dieser Vorschrift, es sei denn, es wird über die Suspendierung eines Verwaltungsaktes oder (gegenläufig) über seine sofortige Vollziehung in einer mehrpoligen Beziehung gestritten (vgl. § 123 Abs. 5 i.V.m. §§ 80, 80a VwGO).
A geht es um die Verpflichtung der Behörde, ihm einstweilen den Vorbereitungsdienst zu ermöglichen. Damit kommt eine „Regelungsanordnung“ nach § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht.
3. Antragsbefugnis
Das „Verbot der Popularklage“, das in § 42 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommt, gilt als allgemeiner Rechtsgedanke in der VwGO auch für Verfahrensarten, die – wie §§ 43 Abs. 1, 80 Abs. 5, 123 Abs. 1 VwGO – dies nicht ausdrücklich erwähnen. Das für die Antragsbefugnis erforderliche subjektive Recht des A leitet sich aus dem im JAG geregelten Zulassungsanspruch und aus Art. 12 Abs. 1 GG ab.
4. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis kann A nicht abgesprochen werden. Er hat mit seinem Zulassungsbegehren bisher keinen Erfolg. Würde man ihn allein auf das Hauptsacheverfahren verweisen, führte das zu einer mit seinen subjektiven Rechten unvereinbaren Verzögerung der angestrebten Berufsaufnahme. Dies begründet nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ein Bedürfnis für das Eilverfahren, auch wenn es dadurch praktisch zu einer Vorwegnahme der Hauptsache kommt.
II. Begründetheit
Das Verwaltungsgericht verpflichtet im Wege der einstweiligen Anordnung die zuständige Landesbehörde zur Übernahme des A in das Ausbildungsverhältnis, wenn ein Anspruch besteht („Anordnungsanspruch“) und die Sache eilbedürftig ist („Anordnungsgrund“). Dabei muss das Gericht vom Sachstand des Eilverfahrens ausgehen (summarische Prüfung), zumal endgültige Erkenntnisse dem Hauptsacheverfahren vorbehalten sind.
1. Anspruchsgrundlage
Anspruchsgrundlage für die Verpflichtung des Landes zur Aufnahme des A in den Vorbereitungsdienst ist das JAG.
2. Anspruchsvoraussetzungen
A hat – formell ordnungsgemäß – einen Antrag an die zuständige Behörde gestellt. Materiell kommt es auf die Vorlage der entsprechenden Zeugnisse an. Der Anspruch ist jedoch ausgeschlossen bei Bewerbern, die die freilich demokratische Grundordnung bekämpfen – unabhängig davon, ob dieser Ausschluss im Gesetz steht oder nicht.
a) Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 05.10.1977 (2 BvL 10/75 = BVerfGE 46, 43) dies als ungeschriebenes Konstitutionsprinzip des Grundgesetzes bezeichnet (zitiert nach juris Rn. 39):
„Es genügt die Feststellung, dass auch eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst außerhalb des Beamtenverhältnisses, einschließlich einer vorübergehenden Beschäftigung im öffentlichen Dienst zum Zwecke der Berufsausbildung, nicht völlig unbeschränkt jedermann zugänglich ist. Ohne dass die Grenze in diesem Verfahren abschließend zu ziehen ist, verbietet es sich jedenfalls, Bewerber, die darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, in die praktische Ausbildung zu übernehmen. Die in diesen Konstitutionsprinzipien unserer Verfassung enthaltenen Wertentscheidungen schließen es aus, dass der Staat seine Hand dazu leiht, diejenigen auszubilden, die auf die Zerstörung der Verfassungsordnung ausgehen. Dies erleidet auch keine Einschränkung durch das Grundrecht des Art 12 GG. Vielmehr ist dieses individuelle Grundrecht eingebettet in die geltende Verfassungsordnung; es wird seinerseits begrenzt durch die Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes.“
b) Das OVG Berlin-Brandenburg (04.06.2024 – OVG 4 S 14/24) leitet daraus ab, dass der Antragsteller A keinen Anspruch auf Zugang zum Referendariat im Bundesland hat, unabhängig davon, ob der Ausschlussgrund in das JAG aufgenommen ist oder nicht:
Rn 19 „Es steht fest, dass der Antragsteller die Verfassungsordnung aktiv bekämpft und auf deren Zerstörung ausgeht. Der Antragsteller ist in führender Funktion bei der Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD) tätig, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes unverändert die freiheitliche demokratische Grundordnung missachtet und nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Mitglieder und Anhänger auf deren Beseitigung ausgerichtet ist (BVerfG, Urteil vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 – juris Rn. 319 ff.). Wie der Antragsgegner zutreffend aufzeigt, hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen die verfassungsfeindlichen Bestrebungen dieser Parteien nicht zuletzt ausdrücklich mit der Betätigung des hiesigen Antragstellers begründet…“.
Damit liegen die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs nicht vor. Der Antrag ist somit unbegründet, ohne dass es eines Eingehens auf den Anordnungsgrund bedarf.
Ergebnis: Der Antrag des A wird abgelehnt.
OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 04.06.2024 (OVG 4 S 14/24)
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