Werden beim ärztlichen Heileingriff chirurgische Geräte verwendet, so stellt sich die Frage, ob z.B. ein Skalpell ein gefährliches Werkzeug gem. § 224 I Nr. 2 StGB ist. Die Rechtsprechung hatte dies in der Vergangenheit – teleologisch einschränkend - aufgrund des fehlenden Angriffs- oder Verteidigungszwecks verneint. Allerdings war diese Rechtsprechung zu § 223a StGB a.F. ergangen. Wie wirkt sich die im Jahr 1998 in Kraft getretene Änderung – § 223a StGB wurde zu § 224 StGB – aus? Der BGH hat sich damit erstmalig im Dezember 2023 befasst.
A. Sachverhalt
A, eine dreifache Mutter, litt an dem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. Diese Erkrankung führte dazu, dass sie in Bezug auf ihre Kinder Krankheitssymptome gegenüber Ärzten und ihrem sozialen Umfeld fingierte oder deutlich dramatisierte, um hierdurch medizinisch nicht indizierte Eingriffe zu veranlassen. In der Folge wollte sie sich als besorgte und aufopferungsvolle Mutter von vermeintlich schwerkranken Kindern gerieren, um auf diese Weise Wertschätzung von Dritten zu erfahren.
Dementsprechend erklärte sie den behandelnden Ärzten ihrer anderthalb Jahre alten Tochter M, sie leide an einer chronischen Verstopfungsproblematik. Die glaubhaften Ausführungen führten dazu, dass Arzt Z an M unter Vollnarkose eine Operation vornahm, bei der die Bauchwand mittels eines Schnitts eröffnet wurde, um M einen künstlichen Darmausgang zu legen.
Bezüglich des Säuglings S täuschte A vor, S leide an Atemproblemen und habe eine Trinkschwäche. Arzt X legte daraufhin unter Vollnarkose mittels eines operativen Eingriffs eine PEG-Sonde, über die der Säugling ernährt werden sollte.
Beide Eingriffe waren potenziell lebensgefährlich, verliefen aber komplikationslos und waren lege artis ausgeführt.
Nachdem A es über geraume Zeit unterließ, den Säugling über die Sonde zu ernähren, sodass dieser massiv unterernährt war, wurde das Krankenhauspersonal skeptisch und es kam zur Aufdeckung des Sachverhalts.
Das Landgericht Paderborn hat A u.a. wegen in mittelbarer Täterschaft begangener gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 5 StGB, 25 I Alt. 2 StGB bestraft.
B. Entscheidung
Der BGH (Beschl. v. 19.12.2023 – 4 StR 325/23) verwarf die Verurteilung aus § 224 I Nr. 5 StGB bejahte aber eine aus § 224 I Nr. 2 StGB.
In einer Klausur würdest Du mit der Strafbarkeit des Arztes beginnen und erst danach die Strafbarkeit der Mutter A prüfen. Starten wir also mit der Strafbarkeit des Z im ersten Handlungsabschnitt, wobei die Ergebnisse auch auf die Strafbarkeit des Arztes X übertragen werden können.
Strafbarkeit des Z gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB
I. Objektiver Tatbestand des § 223 StGB
In dem Eröffnen der Bauchwand könnte eine körperliche Misshandlung und oder eine Gesundheitsschädigung liegen.
Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlempfinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt. Das Auftrennen der Haut und das Durchschneiden von Gewebe und Muskeln kann unproblematisch als körperliche Misshandlung angesehen werden. Die Handlungen führten auch zu einem pathologischen Zustand und damit kausal und zurechenbar zu einer Gesundheitsschädigung.
Da der Eingriff jedoch von einem Arzt im Rahmen einer medizinischen Behandlung durchgeführt wurde, stellt sich die Frage, ob ärztliche Heilbehandlungen nicht im Wege einer teleologischen Reduktion vom Anwendungsbereich des § 223 StGB ausgenommen werden sollten.
Dies wird in der Literatur unter der Voraussetzung, dass die Eingriffe medizinisch indiziert sind und lege artis ausgeführt wurden, überwiegend bejaht, da in diesen Fällen das körperliche Wohl des Patienten entweder erhöht oder aber zumindest bewahrt, nicht jedoch beeinträchtigt werde. Ein Schutz des Patienten vor eigenmächtiger Heilbehandlung soll ausschließlich über §§ 239 und 240 StGB erfolgen (Schönke/Schröder – Sternberg-Lieben § 223 Rn. 30f).
Der BGH verweist auf die erhöhte Schutzbedürftigkeit des Selbstbestimmungsrechts des Patienten und gelangt unter den Voraussetzungen einer rechtfertigenden Einwilligung zur Straflosigkeit des Arztes (BGH NStZ 1996, 34). Da der Gesetzgeber mittlerweile in § 630d BGB festgelegt hat, dass vor der Durchführung eines medizinischen Eingriffs die Einwilligung des Patienten einzuholen ist, sprechen im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsordnung mittlerweile die besseren Gründe für die Lösung des BGH.
Vorliegend war allerdings der Eingriff nicht medizinisch indiziert. Die Indikation wurde lediglich irrig angenommen. Insofern läge auch nach Auffassung der Literatur objektiv eine Körperverletzung vor, wobei jedoch der entsprechende Vorsatz zu verneinen wäre.
II. Objektiver Tatbestand des § 224 I Nr. 2 und 5 StGB
Fraglich ist, ob das bei der Operation verwendete Skalpell ein gefährliches Werkzeug gem. § 224 I Nr. 2 StGB darstellt.
Ein gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Verwendung im Einzelfall dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen (BGH NStZ 2024, 355). Nach dieser Definition müsste das Skalpell ein gefährliches Werkzeug sein.
Allerdings hatte die bisherige Rechtsprechung eine teleologische Restriktion vorgenommen, wenn das Skalpell von einem Arzt im Rahmen einer Operation fachgerecht geführt wird (BGH NJW 1978, 1206). Die Rechtsprechung hat darauf abgestellt., dass es in diesen Fällen am Angriffs- bzw. Verteidigungszweck fehlt, der kennzeichnend für das gefährliche Werkzeug sein sollte.
Dieser Restriktion ist der BGH nun unter Verweis auf die Neufassung der gefährlichen Körperverletzung entgegengetreten.
Um die nachfolgende Argumentation besser verstehen zu können, solltest Du zunächst den Wortlaut des alten § 223a StGB kennen. Dieser lautete wie folgt:
„Ist die Körperverletzung mittels einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs …. begangen, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter zwei Monaten ein.“
Aus dem Wortlaut ergibt sich, dass die „Waffe“ der Oberbegriff war und das Messer sowie das gefährliche Werkzeug nur Spezialfälle der Waffe waren. Dieses Verhältnis hat sich in § 224 I Nr. 2 StGB nun umgekehrt. Nunmehr ist das gefährliche Werkzeug der Oberbegriff und die Waffe der Spezialfall des gefährlichen Werkzeugs.
Der BGH kommt anhand der Auslegungsmethoden zu dem Ergebnis, dass chirurgische Geräte nunmehr gefährliche Werkzeuge seien, wobei er es ohne überzeugende Begründung auf die Fälle beschränkt, in denen der Eingriff – wie vorliegend - nicht medizinisch indiziert ist. Wenn Du Dir die nachfolgend dargestellte Begründung angesehen haben wirst, wirst Du aber zu dem Schluss kommen, dass der BGH wohl auch in den medizinisch indizierten Fällen zur Bejahung des gefährlichen Werkzeugs kommen wird (so auch Schiemann, Anm. zum BGH in NStZ 2024, 358).
Schauen wir uns die Argumentation des BGH (Beschl. v. 19.12.2023 – 4 StR 325/23) einmal näher an:
- Wortlautauslegung / historische Auslegung
„Nach dem Gesetzeswortlaut des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB stellt ein anderes gefährliches Werkzeug kein Beispiel mehr für eine Waffe dar; vielmehr handelt es sich bei einer Waffe – umgekehrt – nunmehr um einen Unterfall eines gefährlichen Werkzeugs … Zwar geht aus der Gesetzesbegründung nicht hervor, was den Gesetzgeber zur Änderung des Wortlauts im Vergleich zu § 223a StGB aF veranlasste; dieser ging – soweit er-sichtlich – wohl davon aus, die bisherigen Merkmale des § 223a StGB in den neugefassten § 224 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 StGB übernommen zu haben…Dies ändert aber nichts daran, dass ein gefährliches Werkzeug nach dem für die Auslegung maßgeblichen Wortsinn, wie er sich aus dem Kontext des Gesetzes erschließt (vgl. BVerfG, NJW 2007, 1666 Rn. 20), nunmehr den Oberbegriff darstellt. In Abgrenzung zur Waffe setzt ein gefährliches Werkzeug danach gerade nicht mehr voraus, generell zum Einsatz als Angriffs- oder Verteidigungsmittel bestimmt zu sein … Dementsprechend können auch Alltagsgegenstände wie beispielsweise eine brennende Zigarette … oder ein „fester Turnschuh“ … als gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu bewerten sein, wenn sie nach der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Unter Zugrundlegung dieser Einstufung von Gegenständen als gefährliche Werkzeuge, nämlich anhand ihrer potenziellen Gefährlichkeit hinsichtlich erheblicher Körperverletzungen, können regelgerecht eingesetzte chirurgische Instrumente nicht mit der Erwägung aus dem Anwendungsbereich von § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB ausgeschlossen werden, es fehle ihnen an der Bestimmung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel.“
- Systematische Auslegung
„Für dieses Auslegungsergebnis streiten zudem gesetzessystematische Erwägungen. Das Tatbestandsmerkmal des „anderen gefährlichen Werkzeugs“ findet sich auch in weiteren qualifizierenden Straftatbeständen (§ 177 Abs. 7 Nr. 1 und Abs. 8 Nr. 1; § 244 Abs. 1 Nr. 1 a); § 250 Abs. 1 Nr. 1 a) und Abs. 2 Nr. 1 StGB). Zwar weisen diese Qualifikationstatbestände keine einheitliche dogmatische Struktur auf, da sie tatbestandlich teilweise bereits das Beisichführen des Tatmittels erfassen, teils aber auch an dessen Verwendung anknüpfen. Ungeachtet dieses Unterschieds besteht in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Einigkeit darüber, dass ein gefährliches Werkzeug in diesen Fällen jedenfalls keine Bestimmung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel voraussetzt; es reicht vielmehr aus, dass der jeweilige Gegenstand objektiv geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen … Mit dieser Rechtsprechung wäre es nicht zu vereinbaren, wenn man chirurgisches Gerät, das bei einem medizinisch nicht indizierten operativen Eingriff zum Einsatz kommt, von vornherein unter Verweis auf dessen fehlenden Charakter als Angriffs- oder Verteidigungsmittel aus dem Anwendungsbereich des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB aus-scheiden würde.“
- Teleologische Auslegung
„Schließlich wird das Auslegungsergebnis auch durch teleologische Erwägungen bestätigt. Sämtliche Begehungsvarianten des § 224 StGB zeichnen sich durch eine besonders gefährliche Begehungsweise aus … Eine solche erhöhte Gefährlichkeit kann gerade auch beim Einsatz von chirurgischem Gerät, das bestimmungsgemäß von einer ärztlichen Behandlungsperson verwendet wird, bestehen. Ob dies der Fall ist, richtet sich – wie auch bei anderen Tatmitteln im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB – nach der objektiven Beschaffenheit des Gegenstandes und der Art seiner Benutzung im Einzelfall. Entgegen teilweise vertretener Ansicht (vgl. Engländer in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 224 Rn. 7; Bergschneider, StraFo 2023, 244) kann eine erhöhte Gefährlichkeit von chirurgischen Instrumenten auch nicht von vornherein mit Blick auf die Sachkompetenz der Behandlungsperson verneint werden.“
Die objektiven Voraussetzungen des § 244 I Nr. 2 StGB liegen damit vor.
Da der Eingriff bei einem Kleinstkind auch potenziell lebensgefährdend war, liegen auch die Voraussetzungen des § 224 I Nr. 5 StGB vor.
III. Subjektiver Tatbestand
Z handelte mit Wissen und Wollen und damit vorsätzlich.
IV. Rechtswidrigkeit
Fraglich ist jedoch, ob Z nicht gerechtfertigt handelte aufgrund einer rechtfertigenden Einwilligung der Mutter als gesetzliche Vertreterin der M.
Die Einwilligung wurde nach entsprechender Aufklärung durch Z von A vor der Tat ausdrücklich erteilt und bestand zum Tatzeitpunkt fort. A war einwilligungsfähig und unterlag weder einer Täuschung noch Drohung oder Zwang. Auch handelte Z in Kenntnis der Einwilligung und aufgrund derselben, weswegen eine rechtfertigende Einwilligung zur Straflosigkeit des Z führt.
Strafbarkeit der A gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5, 25 I Alt. 2 StGB
I. Objektiver Tatbestand der §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB
Im objektiven Tatbestand stellt sich die Frage, ob die Tathandlungen des Z der A über § 25 I Alt. 2 StGB zugerechnet werden können.
Dafür müsste A einen Verursachungsbeitrag geleistet haben, der Täterschaft vermittelt. Die erfundene Krankheitsgeschichte stellt einen solchen Verursachungsbeitrag dar. Dadurch bewirkte A einen Irrtum auf Seiten des Arztes, der annahm, M sei schwer erkrankt und bedürfe eines künstlichen Darmausgangs. In dieser Wissensüberlegenheit der A liegt die Tatherrschaft begründet. Zudem führte sie mit der erteilten Einwilligung zu einem Strafbarkeitsmangel bei Z. Die Handlungen des Z können ihr damit zugerechnet werden.
Die Qualifikationen sind objektiv verwirklicht.
II. Subjektiver Tatbestand
Sie handelte auch mit Wissen und Wollen hinsichtlich der objektiven Voraussetzungen des Grunddelikts und bezüglich der Voraussetzungen des § 224 I Nr. 2 StGB. Nach Auffassung des BGH hat das Landgericht allerdings keinen Nachweis erbracht, dass A auch mit einer der Leben gefährdenden Behandlung gem. § 224 I Nr. 5 StGB gerechnet habe. Dazu führt der BGH (a.a.O.) Folgendes aus:
„Für den Körperverletzungsvorsatz im Sinne von § 224 I Nr. 5 StGB ist neben dem zumindest bedingten Verletzungsvorsatz erforderlich, dass der Täter die Umstände erkennt, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers ergibt. Dabei muss der Täter sie nicht als solche bewerten, jedoch muss die Handlung nach seiner Vorstellung auf Lebensgefährdung „angelegt“ sein … Nach den Feststellungen war der Angeklagten zwar bewusst, dass sie ihre Töchter durch die operativen Eingriffe einer generellen Lebensgefahr aussetzen würde. Insoweit fehlt es allerdings an einem tragfähigen Beleg. Der von der Strafkammer hierzu allein angeführte Umstand, dass die Angeklagte über die Operationsrisiken aufgeklärt worden war, leidet schon für sich genommen unter einem Darlegungsmangel, da der Aufklärungsinhalt in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt wird. Das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB versteht sich vorliegend im Übrigen auch nicht von selbst, weil das festgestellte Handlungsmotiv der Angeklagten, sich anschließend als Mutter von pflegebedürftigen Kindern aufzuwerten, ein Vertrauen auf die erfolgreiche Durchführung der operativen Eingriffe nahelegt. Zudem handelte es sich nach den Urteils-gründen um durch medizinisches Fachpersonal vorgenommene Standardeingriffe.“
Der BGH hat damit in beiden Tatkomplexen eine Strafbarkeit der A gem. §§ 223, 224 I Nr. 2, 25 I Alt. 2 StGB bejaht.
C. Prüfungsrelevanz
Es erstaunt, dass der BGH keine Leitsatzentscheidung aus der vorliegenden Entscheidung gemacht hat, hat er sich doch grundsätzlich zu einem relevanten Aspekt des § 224 I Nr. 2 StGB geäußert. Die vorliegende Entscheidung dürfte Anlass genug sein, in den kommenden Monaten verstärkt Klausuren zu stellen, die sich mit dem ärztlichen Heileingriff befassen. Du solltest mit der vorliegenden Besprechung nun aber gut vorbereitet sein.
(BGH Beschl. v. 19.12.2023 – 4 StR 325/23)
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