Wer nicht hinweist, braucht auf den Schaden nicht lange zu warten
Beträchtliche Schlangen an der Gepäckkontrolle und gefühlt ewige Wartezeiten im Abflugbereich – man nimmt doch so einiges für eine schöne Reise in Kauf. Wer jedoch unverrichteter Dinge wieder aus dem Flughafen spaziert, hat wenig Grund, all das im Nachhinein zu romantisieren. Für einen Passagier, der eigentlich nur schleunigst nach Schweden wollte, wurde dies im Herbst 2023 zur Realität.
Der spätere Kläger buchte sich am 08.10.2023 um 12:06 Uhr für satte 499,99 Euro ein Flugticket bei einem Luftfahrtunternehmen. Die Maschine sollte bereits wenig später um 13:10 Uhr nach Stockholm starten. Das tat sie auch nur ohne den Kläger. Er verpasste nämlich den Online-Check-In in der App, der, wie in den AGB vorgesehen, eine Stunde vor Abflug um 12:10 Uhr geschlossen wurde. Dass der Kläger nicht einchecken konnte, lag schlicht und ergreifend daran, dass er seine Buchungsbestätigung erst um 12:09 Uhr per Mail erhielt. Statt nach Schweden richtete der Mann seinen Blick auf die klageweise Geltendmachung seiner Rechte vor dem AG Düsseldorf. Urlaubsstimmung? Fehlanzeige!
Das Urteil vom 17.06.2024 (Az. 37 C 294/24) könnte die gute Laune bei dem Kläger nun wieder entfacht haben. Mit dem ihm zugesprochenen Ticketpreis von 499,99 Euro wären schließlich mehrere Flüge nach Skandinavien bezahlbar, wenn man denn rechtzeitig buchen würde. Zwar verneinte das Gericht einen Anspruch aus der Fluggastrechteverordnung, es sah jedoch die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 280 I BGB i.V.m. § 241 II BGB und § 249 I BGB wegen einer Nebenpflichtverletzung aus dem Luftbeförderungsvertrag für gegeben an. Die Beklagte habe den Fluggast nämlich vor Vertragsschluss darüber aufzuklären, wie viel Zeit noch zum Einchecken verbleibe. Bei eiligen Buchungen könne man vom Passagier schließlich nicht erwarten, dass er die erforderliche Information aus den AGB heraussuche. Andersherum dürfe der Fluggast jedenfalls darauf vertrauen, dass Luftfahrtunternehmen nur solange Tickets verkaufen würden, wie ein Check-In bei gewöhnlichem Lauf der Dinge noch durchführbar sei. Das Gericht ließ sich sogar zu einer konkreten zeitlichen Bezifferung hinreißen: Mindestens 5 Minuten müsse man zugrunde legen, um zunächst die Buchungsbestätigung per E-Mail abzurufen und sich im Anschluss mit den Abläufen des Eincheckens vertraut machen zu können. Wegen des engen Zeitfensters sei die Beklagte folglich dazu verpflichtet gewesen, den Kläger vor Annahme des Buchungsauftrags darauf hinzuweisen, dass der Check-In unmittelbar um 12:10 Uhr enden werde und er sein teures Ticket möglicherweise gar nicht nutzen könne.
Die Kosten des Flugtickets von 499,99 Euro seien zudem ein adäquat kausaler Schaden. Denn hätte die Beklagte ihre Hinweispflicht nicht verletzt, so wäre der Kläger die Verpflichtung zur Zahlung des Flugpreises gar nicht erst eingegangen, weil er den Flug in Kenntnis dieses Risikos nicht gebucht hätte (Stichwort im zweiten Examen: Vermutung beratungsrichtigen Verhaltens bei Unterlassung notwendiger Informationen). Insofern habe die Beklagte den Kunden im Rahmen der Naturalrestitution nach § 249 I BGB so zu stellen, wie er stünde, wenn er den Vertrag mit der Beklagten nicht geschlossen hätte.
Inwieweit die Freude beim Kläger von Dauer ist, wird sich noch zeigen: Denn wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles für die gesamte Flugbranche ließ das Gericht die Berufung nach § 511 IV 1 Nr. 1 1. Alt. ZPO zu. Unabhängig davon, ob der Fall bei den Lesenden nun Fernweh entfacht oder Schadenfreude verursacht hat, dürfte klar sein: Nicht nur die Flugbranche, sondern auch die Prüfungsämter werden ihre Lehren aus dem Fall ziehen.
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