Schuldverhältnis, Schuld und Haftung

Schuldverhältnis, Schuld und Haftung

Begriff des Schuldverhältnisses

Der Begriff des Schuldverhältnisses wird im Gesetz in doppeltem Sinne verwandt.

Unter einem Schuldverhältnis i.w.S. versteht man ein Rechtsverhältnis zwischen mindestens zwei Personen, kraft dessen wenigstens eine (der Schuldner) gegenüber der anderen (dem Gläubiger) zur Leistung (§ 241 I BGB) und/oder zur Rücksicht (§ 241 II BGB) verpflichtet ist.1

In diesem Sinne ist z. B. die Überschrift des zweiten Buches des BGB („Recht der Schuldverhältnisse“) zu verstehen.

Als Schuldverhältnis i.e.S. bezeichnet man das Recht auf eine Leistung (§ 241 I 1 BGB), also den einzelnen schuldrechtlichen Anspruch (vgl. § 194 I BGB).2 Die Leistung kann nicht nur in einem positiven Tun, sondern auch in einem Unterlassen bestehen (§ 241 I 2 BGB).

In diesem Sinne ist z. B. die Überschrift des vierten Abschnitts zweiten Buches des BGB („Erlöschen der Schuldverhältnisse“) zu verstehen. Zahlt etwa der Käufer den geschuldeten Kaufpreis, dann erlischt die Kaufpreisforderung des Verkäufers nach § 433 II BGB (= Schuldverhältnis i.e.S.) durch Erfüllung (§ 362 I BGB), nicht aber der Kaufvertrag (= Schuldverhältnis i.w.S.).

Schuld und Haftung

Unter der „Schuld“ versteht man die Leistungspflicht, also das Leistensollen des Schuldners. Demgegenüber bedeutet „Haftung“ das Unterworfensein des Schuldners unter den zwangsweisen Zugriff des Gläubigers.3

Gegenstand der Haftung kann das gesamte Vermögen des Schuldners oder nur ein Teil seines Vermögens sein. In Ausnahmefällen gibt es auch eine Schuld ohne Haftung.4

Der Regelfall ist die Haftung mit dem gesamten Vermögen (unbeschränkte Vermögenshaftung).

Beispiel: Zahlt der Käufer den nach § 433 II BGB geschuldeten Kaufpreis nicht an den Verkäufer, kann der Verkäufer den Käufer verklagen und sich gegen diesen einen Titel in Gestalt eines Endurteils beschaffen (§§ 704, 300 ZPO). Aus diesem für vorläufig vollstreckbar erklärten oder rechtskräftigen Urteil kann der Verkäufer in das gesamte Vermögen des Käufers vollstrecken. Er kann beispielsweise bewegliche Sachen pfänden (§§ 808, 809 ZPO), eine Forderung des Verkäufers gegen einen Dritten pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen (§§ 829, 835 ZPO) oder die Zwangsversteigerung bzw. Zwangsverwaltung eines Grundstücks des Käufers betreiben (§ 866 I ZPO i.V.m. ZVG).

Ausnahmsweise haftet der Schuldner dem Gläubiger nur mit einem Teil seines Vermögens (beschränkte Vermögenshaftung).

Beispiel: Mit dem Tod des Erblassers geht dessen gesamtes Vermögen, also sowohl dessen Aktivvermögen als auch dessen Schulden, auf den Erben über (§ 1922 I BGB). Der Erbe haftet für die Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 I BGB), und zwar mit seinem gesamten Vermögen, nicht nur mit dem ererbten Vermögen des Erblassers (der Erbschaft, § 1922 I BGB). Die Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten kann aber auf den Nachlass5 beschränkt werden, in dem eine Nachlassverwaltung angeordnet oder das Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet wird (§ 1975 BGB).

Eine Schuld ohne Haftung liegt vor, wenn die Schuld zwar durch den Schuldner erfüllt, die Erfüllung aber vom Gläubiger nicht erzwungen werden kann. Man spricht dann von unvollkommenen Verbindlichkeiten bzw. Naturalobligationen.

Beispiele: Ehevermittlung (§ 656 BGB), Spiel und Wette (§ 762 BGB), Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren (§ 301 III InsO).


  1. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 1 Rn. 2 und § 2 Rn. 1.
  2. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 2 Rn. 2; R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 13.
  3. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 2 Rn. 19.
  4. Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 2 Rn. 20 – 26.
  5. „Nachlass“ ist lediglich ein anderer Begriff für die in § 1922 I BGB definierte „Erbschaft“ (Hk-BGB/Hoeren, BGB, 10. Aufl. 2019, § 1922 Rn. 4).