BGH zum Beweisverwertungsverbot bei verdeckten Ermittlern

BGH zum Beweisverwertungsverbot bei verdeckten Ermittlern

Verdeckte Ermittler sind Beamte des Polizeidienstes, die unter einer ihnen verliehenen, auf Dauer angelegten, veränderten Identität (Legende) ermitteln, § 110a I S. 1 StPO. Ihre Befugnisse richten sich nach den allgemeinen Vorschriften § 110c StPO. Macht nun ein Beschuldigter gegenüber einem verdeckten Ermittler eine selbstbelastende Aussage, dann stellt sich die Frage, ob diese später in der Hauptverhandlung verwertet werden darf.

A. Sachverhalt

Gegen A wurde wegen zweifachen Mordes an ihren Kindern, die zum Tatzeitpunkt noch Säuglinge waren, ermittelt. Gem. § 110a StPO hatte man verdeckte Ermittlerinnen auf A angesetzt, die über ein Jahr lang versuchten, der A selbstbelastende Äußerungen zu entlocken. Dabei wurde gezielt ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, welches man u.a. dadurch zu bestärken suchte, dass man A erklärte, sie müsse sich ein Alibi besorgen, welches sie auch gegenüber ihrer Verteidigerin benutzen solle und dass man selbst schon als Zeuginnen ausgesagt habe und bereit sei, ggfs. noch weitere Gefälligkeitsaussagen zu tätigen. Bereits zuvor hatte A allerdings erklärt, ihre Verteidigerin habe ihr geraten, sofort anzurufen, wenn die Polizei komme, nicht mitzugehen und nichts zu sagen. Außerdem erklärte A, sie werde erst alles erfahren, wenn ihre Verteidigerin Akteneinsicht gehabt habe. Zudem könne sie sowieso nur das aussagen, was sie bereits als Zeugin ausgesagt habe.

B. Lösung

Das Landgericht Bochum hatte die Aussage der Ermittlerinnen nicht verwertet. Die darauf gestützte Inbegriffsrüge; § 261 StPO, der Staatsanwaltschaft hatte vor dem BGH (Urt. v. 28.03.2024 – 4 StR 370/23) keinen Erfolg.

Dass der Staat verdeckte Ermittler zur Aufklärung eines Sachverhaltes einsetzen darf, ergibt sich aus § 110a StPO. Die Befugnisse sind in § 110c StPO aber nur ansatzweise durch einen Verweis auf die allgemeinen Gesetze geregelt. Einigkeit besteht dahingehend, dass schwere Grundrechtseingriffe wie z.B. eine Durchsuchung nur „offen“ erfolgen dürfen. Der Beamte darf also nicht unter Ausnutzung seiner Legende die Wohnung des Beschuldigten betreten und diese heimlich gezielt durchsuchen (Bosch JA 2010, 754).

Inwieweit selbstbelastende Angaben des Beschuldigten ermöglicht und später verwertet werden dürfen, ermittelt der BGH anhand der konkreten Umstände. Eine in der Literatur teilweise vertretene Auffassung, wonach die §§ 136 und 136a StPO analog herangezogen werden sollten, lehnt der BGH ab. Beide Normen setzten eine formelle Verhörsituation voraus, die bei einer verdeckten Befragung aber gerade nicht vorliege. Der Beschuldigte solle bei offenen Vernehmungen vor dem Irrtum geschützt werden, wonach er gegenüber amtlichen Auskunftspersonen zur Aussage verpflichtet sei. Diese sich daraus ergebende Zwangssituation liege aber bei einer verdeckten Befragung nicht vor (BGH Beschl. v. 18.05.2010 – 5 StR 51/10).

Orientiert, an dem sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 6 I S. 1 EMRK ergebenden nemo-tenetur-Grundsatzes und dem fair-trail-Prinzip, hat der BGH (BGH Beschl. v. 18.05.2010 – 5 StR 51/10) Regeln aufgestellt, anhand derer ein Beweisverwertungsverbot bestimmt werden kann.

„Ein verdecktes Verhör mit dem Ziel, eine selbstbelastende Äußerung eines noch nicht förmlich vernommenen Beschuldigten herbeizuführen, erscheint als Ermittlungshandlung von nicht unerheblicher Eingriffsintensität. Sie wird auch nicht zu den eigentlichen Aufgaben eines nicht offen ermittelnden Polizeibeamten gerechnet…Zwar sind Verdeckte Ermittler berechtigt, unter Nutzung einer Legende selbstbelastende Äußerungen eines Beschuldigten entgegenzunehmen und an die Ermittlungsbehörden weiterzuleiten. Sie sind aber nicht befugt, in diesem Rahmen den Beschuldigten zu selbstbelastenden Äußerungen zu drängen … In Fällen von Aussagezwang wird in den Kernbereich der grundrechtlich und konventionsrechtlich geschützten Selbstbelastungsfreiheit eines Beschuldigten ohne Rechtsgrundlage eingegriffen. Der gravierende Rechtsverstoß kann nicht anders als durch Nichtverwertung des hierdurch gewonnenen Beweismittels geheilt werden.“

An diesen Grundsätzen orientiert hat der BGH im vorliegenden Fall das Beweisverwertungsverbot bejaht. Von besonderer Bedeutung waren hier die Umstände, unter denen sich die Ermittlerinnen das Vertrauen der A sichern wollten. Der BGH (Urt. v. 28.03.2024 – 4 StR 370/23) führt dazu Folgendes aus:

„Nach dem Inhalt der mitgeteilten Vermerke haben die Ermittlungsbehörden das Schweigerecht der Angeklagten gezielt unterlaufen und gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen. … Bei einer verständigen Würdigung konnte … für die Strafverfolgungsorgane kein Zweifel bestehen, dass die Angeklagte zum damaligen Zeitpunkt dem Rat ihrer Verteidigerin entsprechend entschlossen war, in einer Vernehmung nach § 136 StPO keine Angaben zu machen. Ihre später als möglich in Aussicht gestellte Aussage ist demgegenüber ohne Belang … Auf ihr Schweigerecht musste sich die Angeklagte im hiesigen Kontext auch nicht etwa in einer förmlichen Vernehmung berufen …

Die Entscheidung der Angeklagten für die Inanspruchnahme ihres Schweigerechts haben die Strafverfolgungsorgane durch die Art und Weise der Informationsgewinnung seitens der eingesetzten verdeckten Ermittlerinnen massiv verletzt. Diese haben der Angeklagten unter Ausnutzung des Vertrauens, das im Verlauf des mehr als ein Jahr dauernden, in der Intensität zunehmenden Einsatzes geschaffen worden war, durch beharrliche, quasi-inquisitorische Nachfragen selbstbelastende Äußerungen entlockt, zu denen sie bei einer förmlichen Vernehmung nicht bereit gewesen wäre … Die Missachtung des Rechts der Angeklagten, selbst frei zu entscheiden, ob sie aussagen oder schweigen wolle, wiegt dabei hier umso schwerer, als die verdeckten Ermittlerinnen entgegen dem Rechtsgedanken von § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO auch ihr Verteidigungsverhalten mitsamt dem Vertrauensverhältnis zu ihrer Verteidigerin manipuliert haben. Denn sie gaben ihr auf, gemeinsam mit ihnen in Kenntnis der Wahrheit ein angesichts der objektiven Beweislage angeblich benötigtes „Alibi“ zu konstruieren, welches sie auch gegenüber ihrer Verteidigerin verwenden sollte. Weiter täuschten die verdeckten Ermittlerinnen der Angeklagten vor, bereits selbst in dem betreffenden Ermittlungsverfahren als Zeuginnen ausgesagt zu haben und ggf. noch Gefälligkeitsaussagen tätigen zu wollen. Damit gingen sie deutlich über die mit der gewählten Legendierung (§ 110a Abs. 2 StPO) notwendig verbundenen und deshalb gerechtfertigten Täuschungen hinaus. Die nach alledem unzulässige Beweisgewinnung durch die verdeckten Ermittlerinnen hat wegen des gravierenden Eingriffs in die prozessualen Rechte der Angeklagten ein Beweisverwertungsverbot in dem von der Strafkammer angenommenen Umfang zur Folge.“

Zu beachten ist, dass nach der Widerspruchslösung des BGH (NJW 2018, 2279) in diesem Fall wohl von der Verteidigung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (§ 257 StPO) Widerspruch gegen die Verwertung eingelegt wurde, da andernfalls das Beweisverwertungsverbot gar nicht erst entsteht.

C. Prüfungsrelevanz

Beweisverwertungsverbote tauchen im 1. Staatsexamen immer häufiger in der Zusatzfrage auf. Beherrscht Du dieses Thema, dann kannst Du einen souveränen letzten Eindruck hinterlassen. Im 2. Staatsexamen ist die Kenntnis der wichtigsten Beweisverwertungsverbote essenziell.

Aus diesem Grund wollen wir uns in den Besprechungen immer mal wieder diesem Problem widmen, damit Du bestens vorbereitet bist.

(BGH Urt. v. 28.03.2024 – 4 StR 370/23)

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