Netflix’ Klauseln in der AGB-Kontrolle
Musik- und Video-Streamingdienste sind in unserer Welt mittlerweile allgegenwärtig. Ihre Relevanz lässt sich nicht nur daran festmachen, dass sie Einzug in die deutsche Sprache gefunden haben, wobei hier als prominentes Beispiel „Netflix and Chill“ als moderner Code für die schönste Nebensache der Welt genannt sei. Vielmehr eröffnen sie auch in rechtlicher Hinsicht eine besondere Spielart des Dauerschuldverhältnisses, in dem gängige Schuldrecht AT-Thematiken zu Streitigkeiten führen: So befasste sich das KG Berlin mit der AGB-Prüfung von einem wahren Schwergewicht der Branche.
Sachverhalt
Die Beklagte ist Betreiberin von Netflix, bei dem die angebotenen Dienstleistungen via Abonnements vertrieben werden. Sie verwendete im Rahmen der Ziffer 3.5 ihrer AGB die folgende Klausel, die hier allein streitgegenständlich sein soll:
Änderungen am Preis und Abo-Angebot. Wir sind berechtigt, den Preis unserer Abo-Angebote von Zeit zu Zeit in unserem billigen Ermessen zu ändern, um die Auswirkungen von Änderungen der mit unserem Dienst verbundenen Gesamtkosten widerzuspiegeln. Beispiele für Kostenelemente, die den Preis unserer Abo-Angebote beeinflussen, sind Produktions- und Lizenzkosten, Kosten für die technische Bereitstellung und die Verbreitung unseres Dienstes, Kundendienst und andere Kosten des Verkaufs (z. B. Rechnungsstellung und Bezahlung, Marketing), allgemeine Verwaltungs- und andere Gemeinkosten (z. B. Miete, Zinsen und andere Finanzierungskosten, Kosten für Personal, Dienstleister und Dienstleistungen, IT-Systeme, Energie) sowie staatlich auferlegte Gebühren, Beiträge, Steuern und Abgaben. Alle Preisänderungen gelten frühestens 30 Tage nach Bekanntgabe an Sie. Sie können Ihre Mitgliedschaft jederzeit während der Kündigungsfrist kündigen, um zukünftige Belastungen zu vermeiden.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband hielt diese Klausel für unwirksam und klagte zunächst vor dem LG Berlin, um u.a. eine Untersagung der Verwendung dieser Klausel (gegenüber Verbrauchern) zu erzielen.
Urteil des LG Berlin
Das LG Berlin gab der Klage im Dezember 2021 vollumfänglich statt. Das Gericht sah in der Klausel einen Verstoß gegen § 307 I 1 BGB, da sie bei der gebotenen kundenunfreundlichsten Auslegung jedenfalls so verstanden werden könne, dass die Beklagte den Preis nach freiem Ermessen ändern dürfe. Dies stehe im Widerspruch zu der Billigkeitskontrolle nach § 315 III BGB, weil es aus Sicht eines durchschnittlichen Verbrauchers bereits an der Vereinbarung des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 I BGB fehle.
Die Kammer stützte sich zudem auf einen Verstoß gegen das Transparenzgebot nach § 307 I 2 BGB. Weil die Beklagte einem weltweit agierenden Konzern angehört, sei für den Kunden bereits unklar, welche Kosten den vom Kunden geforderten Preis in welchem Maße beeinflussen würden.
Schließlich kritisierte das Gericht die Unausgewogenheit der Ziff. 3.5: Eine unangemessene Benachteiligung der Kunden ergäbe sich auch daraus, dass die Klausel sich allein auf die Preissteigerung beziehe und eine Preissenkung als Weitergabe von Kosteneinsparungen gerade nicht vorsehe.
Hiergegen wandte sich die Beklagte schließlich mit der Berufung.
Entscheidung des KG Berlin
Der 23. Zivilsenat schloss sich der Vorinstanz im Wesentlichen an, sodass die zulässige Berufung nach ihrer Auffassung in der Sache keinen Erfolg versprach.
Nachdem das Gericht die Anwendbarkeit des deutschen Rechts über das Günstigkeitsprinzip des Art. 6 II 2 Rom-I-VO feststellte, näherte es sich dem zu prüfenden Maßstab des § 307 I 1 BGB über die Feststellungen des BGH zu Klauseln mit einseitigem Preiserhöhungsspielraum.
1. Kein berechtigtes Interesse der Streamingdienstleisterin
Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH seien derartige Klauseln der Verwenderin, die „einen einseitigen Eingriff in den ausgehandelten Vertrag ermöglichen“, am Maßstab des „§ 307 I BGB nur dann zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse der Verwenderin hieran besteht und sowohl Anlass, Voraussetzungen als auch Umfang des Leistungsbestimmungsrechts so hinreichend konkret sind, dass der Kunde eine Entgeltänderung vorhersehen kann“.
Das geforderte rechtliche Interesse vermochte das Gericht gerade nicht zu erkennen. Zwar bestünde bei einem Dauerschuldverhältnis grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran, eine Preisanpassung bei Änderungen der Kosten vorzunehmen und auch Preisanpassungsklauseln seien ein anerkanntes Mittel, um das Preis-Leistungs-Verhältnis bei langfristigen Lieferverträgen im Gleichgewicht zu halten.
Allerdings handele es sich hier um ein Dauerschuldverhältnis, das beiderseitig kurzfristig beendet werden kann, wie es bei Streaming-Anbietern so üblich sei. Damit sei die Konstellation vergleichbar mit kurzfristigen Verträgen mit einer Laufzeit von sechs oder zwölf Monaten, bei der es der AGB-Verwenderin grundsätzlich zumutbar sei, an die ursprüngliche Kalkulation gebunden zu bleiben.
Hierfür spräche nach Auffassung des Senats, dass die Beklagte immer auf der Basis von kurzfristig schwankenden Kundenzahlen kalkulieren müsse, wobei sie in der Lage sei, steigende Kosten schnell mit einer Änderungskündigung weitergeben zu können.
Anders als z.B. im vorherigen Jahrhundert bei Abonnements von Printmedien sei eine Zustimmung zur Preiserhöhung und einer gegebenenfalls erforderlichen Kündigung aus Perspektive der Beklagten auch nicht mit einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand verbunden, sondern könne ohne weiteres mittels E-Mail bzw. direkt bei jeder Nutzung der App oder Desktop-Anwendung realisiert werden. Durch diese Automatisierung sei ein besonderer, unzumutbarer Aufwand für die Beklagte in der heutigen technologisierten Welt nicht erkennbar.
Insgesamt müsse die Entscheidung schließlich auch bei dem schnelllebigen Markt der Streamingdienste weiterhin den Verbrauchern obliegen, inwiefern sie einer Preiserhöhung zustimmen und damit eine Kündigung durch die Beklagte vermeiden oder ob sie die Zustimmung verweigern und die erwartbare Konsequenz der Vertragsbeendigung durch den Streamingdienst hinnehmen.
Kurzgefasst: Das Gericht setzt auch bei Verträgen von Streamingdiensten auf Partizipation der Kunden nach dem Prinzip der wechselseitigen Zustimmung und will so eine mündige Entscheidung der Verbraucher ermöglichen.
2. Mangelnde Wechselseitigkeit bei Kostenänderungen
Auch in Bezug auf das Argument des LG zur Wechselseitigkeit äußerte sich das Berufungsgericht. Es sah hier genauso wie die Vorinstanz einen Verstoß gegen § 307 I 1 BGB, weil die Klausel zwar eine Berechtigung zur Anpassung des Preises bei gestiegenen Gesamtkosten vorsieht, aber die Verwenderin im Gegenzug, nämlich bei nach denselben Maßstäben gesunkenen Kosten, nicht zur Reduzierung des Preises verpflichtet wird. Dieses sogenannte Gebot der Reziprozität werde verletzt, sodass es zu einer Ungleichverteilung der Risiken und Chancen zwischen den Vertragspartnern käme. Ohne die Wechselseitigkeit verfehle das einseitige Preisänderungsrecht gerade seinen Zweck, der darin liegt, die mit dem Vertragsschluss festgelegte Gewinnspanne für den Streamingdienst aufrechtzuerhalten. Die Gewinnspanne solle sich schließlich nicht zugunsten der AGB-Verwenderin bei sinkenden Kosten vergrößern, weil dies das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung in dem Dauerschuldverhältnis andernfalls stören würde.
Das Argument der Beklagten, dass seitens der Kunden ein kurzfristiges Kündigungsrecht bestünde, führe ebenso zu keinem anderen Ergebnis, weil dies nach gefestigter BGH-Rechtsprechung eine Störung des Äquivalenzverhältnisses nicht aufwiegen könne. Schließlich werde der Kunde so „entweder mit der Preiserhöhung oder aber mit der Mühe, sich um eine Beendigung des Vertrags, den er in dieser Form nicht gewollt und nicht abgeschlossen hat“, belästigt.
Mithin hält das KG die Klausel auch aus diesem Grund für unwirksam.
Ausblick
Auch wenn der Streamingdienst ebenfalls in der Berufungsinstanz unterlag und die Revision nicht zugelassen wurde, bleiben Preiserhöhungen vermutlich auf der Tagesordnung. Unter welchen Voraussetzungen eine Preissteigerung rechtlich möglich ist, hat das KG jedenfalls in seiner Entscheidung eindrücklich aufgezeigt.
Bevor Du Dich also Deiner Freizeitgestaltung unter Einbeziehung möglicher Streamingdienste widmest, raten wir Dir zu einer Wiederholung der Einheiten zur AGB-Kontrolle auch wegen ihrer praktischen Bedeutung. Du kannst in der Klausur wertvolle Punkte holen, weil es hier besonders auf einen systematisch sauberen Prüfungsaufbau ankommt.
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