Regelmäßig kein Schutz durch Art 6 III GG für Pflegeeltern
Die Entnahme eines Kindes aus seinem gewohnten Umfeld ist nicht nur emotional ein schwieriges Thema. Auch auf rechtlicher Ebene stellen sich dabei einige grundrechtliche Fragen, mit denen sich das BVerfG kürzlich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde von Pflegeeltern auseinandersetzen musste. Das Gericht arbeitete die Bedeutung des Familiengrundrechts nach Art. 6 I GG in seinem Beschluss in beispielhafter Weise heraus.
Sachverhalt
Ein im Jahr 2018 geborener Junge lebte seit seinem zweiten Lebensmonat bei Pflegeeltern, weil seine leibliche Mutter suchtmittelabhängig ist. Der Drogenkonsum während der Schwangerschaft führte bei dem Kind zu Entwicklungsverzögerungen in verschiedenen Bereichen. Neben heilpädagogischer Frühförderung und logopädischer Behandlung erhält es als Integrationskind eine 1:1-Betreuung in einem integrativen Kindergarten. Dort hatte er häufig Konflikte mit anderen Kindern, fühlte sich auffällig schnell angegriffen und zeigte Abgrenzungsschwierigkeiten. Daneben gab es auch zwischen dem Kindergartenpersonal und seinen Pflegeeltern wiederholt Auseinandersetzungen.
Dies veranlasste den Vormund des Kindes sowie das Jugendamt im Februar 2023 dazu, den Jungen bei anderen Pflegeeltern unterzubringen, weil sie befürchteten, dass die vorherige Pflegefamilie den gesteigerten Anforderungen der Erziehung in der Zukunft nicht mehr gewachsen sein könnte. Anders als die vormaligen Pflegeeltern weisen die neuen Pflegeeltern nämlich wegen ihres beruflichen Hintergrundes Erfahrungen mit dem Störungsbild des Jungen auf.
Im Ausgangsverfahren versuchten die früheren Pflegeeltern im Wege der einstweiligen Anordnung vergeblich, eine Rückführung des Kindes in ihren Haushalt beziehungsweise seinen Verbleib bei ihnen zu erreichen. Sowohl das Familiengericht als auch das OLG Nürnberg wiesen den Antrag mit der Begründung zurück, dass ein Wechsel der Pflegefamilie zurück zu den früheren Pflegeeltern nur dann möglich sei, wenn eine Kindeswohlgefährdung durch den Wechsel mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Diese Voraussetzung läge indes nicht vor, da gerade ein Gefährdungspotential bei einem Verbleib bei den vorherigen Pflegeeltern bestehe.
Gegen den Beschluss des OLG Nürnberg legten die vormaligen Pflegeeltern Verfassungsbeschwerde ein und rügten unter anderem eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 6 I GG sowie Art. 6 III GG.
Beschluss des BVerfG
Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde der Eheleute bereits nicht zur Entscheidung an, da die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht vorlägen, vgl. § 93a II BVerfGG. Konkret fehle es nach Ansicht des Gerichts an der substantiierten Darlegung einer möglichen Grundrechtsverletzung, sodass die Anforderungen der §§ 23 I 2, 92 BVerfGG nicht erfüllt seien.
Eine Verletzung des Familiengrundrechts gem. Art. 6 I GG sei von den Beschwerdeführern nicht hinreichend dargelegt worden, da die Beschwerdeführer unter anderem den Prüfungsmaßstab des streitgegenständlichen § 1632 IV BGB verkannt hätten. Anders als von den ehemaligen Pflegeeltern angenommen, richte sich ein möglicher Verbleib bei ihnen gerade nicht allein danach, ob eine konkrete Gefährdung des Kindes in ihrem Haushalt ausgeschlossen sei. Stattdessen sei vorliegend im Rahmen einer Prognoseentscheidung abzuwägen, ob eine mögliche Gefährdung durch die Herausnahme aus der alten Pflegefamilie gegenüber einer Gefährdung im Fall des Verbleibs bei ihnen überwiege.
Vor dem Hintergrund, dass sich die Pflegeeltern auf das Familiengrundrecht des Art. 6 I GG stützen können, ihnen aber anders als Eltern regelmäßig nicht der Schutz des Art. 6 II 1 GG zugutekommt, sei die Abwägung des OLG rechtlich nicht zu beanstanden. Nach dem Sinn und Zweck des § 1632 IV BGB soll diese Norm nämlich weniger die Stellung der Pflegeeltern stärken, sondern vornehmlich das Kindeswohl durchsetzen.
Weil die Bindung des Kindes an die früheren Pflegeeltern hierbei zugunsten der Beschwerdeführer zu berücksichtigen sei, dürfe das Kind nur von ihnen getrennt werden, wenn die körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen als Folge der Trennung für das Kind unter Berücksichtigung seiner Grundrechtspositionen hinnehmbar seien. Weil jedoch wegen der vergangenen Ereignisse mit einer Überforderungssituation der Beschwerdeführer hinsichtlich der besonderen Bedürfnisse des Jungen gerechnet werden könne, fiele die Abwägung zulasten der früheren Pflegeeltern aus.
Zusätzlich bestehe schon keine Möglichkeit der Verletzung in dem Elterngrundrecht des Art. 6 III GG. Da die Pflegeeltern nicht das Sorgerecht für den Jungen haben, käme ein Schutz durch Art. 6 III GG ausnahmsweise nur bei besonders ins Gewicht fallenden Umständen in Betracht. Mit der prognostizierten Kindeswohlgefährdung bei einem dauerhaften Verbleib bei den Beschwerdeführern sei eine solche Ausnahme jedoch gerade nicht einschlägig.
Relevanz
Da die Ampel-Koalition in ihrem Koalitionsvertrag die Implementierung von ausdrücklichen „Kinderrechten“ als Ziel festgelegt hat, sollte der Art. 6 GG kein blinder Fleck in der juristischen Ausbildung sein. Unabhängig davon, ob eine Novelle während der Legislaturperiode noch stattfindet und ob diese über den erwarteten Symbolcharakter hinausgehen wird, empfiehlt es sich, diesen Beschluss des BVerfG wegen der rechtspolitischen Relevanz zum Anlass für die Wiederholung der Grundsätze von Art. 6 I GG und Art. 6 III GG zu nehmen. Wie aufgezeigt, bildet das stets betonte Kindeswohl bereits jetzt den maßgeblichen Anknüpfungspunkt.
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