Verfassungsbeschwerden gegen anlasslose Vorratsdatenspeicherung

Verfassungsbeschwerden gegen anlasslose Vorratsdatenspeicherung

Big Brother is watching you?

Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist ein umstrittenes Thema, das in den letzten Jahren immer wieder für hitzige Debatten sorgte. Dabei geht es um die Speicherung von Daten, die bei der Nutzung von Telekommunikationsdiensten anfallen, ohne dass ein konkreter Anlass oder Verdacht vorliegt. Diese Daten enthalten beispielsweise Informationen über die Anrufdauer, den Standort oder die IP-Adresse des Nutzers.

Befürworter argumentieren, dass die Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von schweren Straftaten wie Terrorismus oder Kinderpornografie notwendig sei, während Kritiker vor allem die Einschränkung der Privatsphäre und die mögliche Missbrauchsgefahr durch staatliche Institutionen anprangern. Das Thema gibt immer wieder Anlass für Diskussionen. Erst kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht drei Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich unmittelbar gegen Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und der StPO richteten, die eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsahen. Die Beschwerdeführer rügten die Vorschriften mit der Begründung, sie würden sie in ihren Grundrechten aus Art. 10 Abs. 1 GG (Telekommunikationsfreiheit), Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht in Form der informationellen Selbstbestimmung) und Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) verletzen. Das Gericht stellte jedoch fest, dass die Verfassungsbeschwerden unzulässig seien und somit keine Aussicht auf Erfolg hätten.

Worum geht es?

Das Bundesverwaltungsgericht setzte zuvor die verwaltungsgerichtlichen Verfahren aus, in denen sich Telekommunikationsdiensteanbieter gegen ihre in § 113a Abs. 1 Satz 1 TKG in Verbindung mit § 113b TKG geregelte anlasslose Vorratsdatenspeicherung wehrten.

Der Grund: Es war entscheidungserheblich und bedurfte der Klärung durch den Europäischen Gerichtshof, ob diese Verpflichtung mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist. In seinem Urteil vom 20. September 2022 entschied der EuGH im Wesentlichen, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegen stünde, die eine generelle und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten als Präventivmaßnahme zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Abwehr schwerwiegender Gefahren für die öffentliche Sicherheit vorsehe.

Prägendes Urteil des EuGH vom 20. September 2022

Das Gericht stellte fest, dass zwar Grund zur Annahme einer Änderung der entscheidungserheblichen Sach- und Rechtslage bestehe, die Beschwerdeführer aber der Darlegungslast für das (Fort-)Bestehen der Annahme- und Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht nachgekommen seien. Jedenfalls nach dem Urteil des EuGH vom 20. September 2022 müssen die Beschwerdeführer ihren Vortrag substantiiert ergänzen. Sie müssen darlegen, ob und inwieweit ihr Rechtsschutzbedürfnis weiterhin besteht.

Das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer wurde weiter in Frage gestellt, weil es einer Überprüfung einer nationalen Vorschrift im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde grundsätzlich nicht bedarf, wenn bereits feststeht, dass die Vorschrift unionsrechtswidrig ist und deshalb im Inland nicht angewendet werden darf. Der EuGH hat am 20. September 2022 ein Urteil entschieden, in welchem er feststellt, dass die ePrivacy-Richtlinie mit einer generellen Vorratsdatenspeicherung in Konflikt stehe. Die nationale Regelung ziele darauf ab, schwere Straftaten und Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit präventiv zu bekämpfen. Der EuGH stützt sein Urteil dabei auf verschiedene Artikel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Diese Artikel betreffen die Achtung des Privatleben (Art. 7), den Schutz personenbezogener Daten (Art.8), die Freiheit der Meinungsäußerung (Art.11) und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 52).

Das Telekommunikationsgesetz und die Strafprozessordnung änderten sich seit Juni 2021. Die für den Fall relevanten Bestimmungen finden sich in § 176 Abs. 1 bis 4 und § 177 Abs. 1 TKG sowie in § 100g Abs. 2 und § 100g Abs. 3 in Verbindung mit § 100g Abs. 2 StPO. Aus der Begründung der Verfassungsbeschwerden geht jedoch nicht hervor, inwieweit nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 20. September 2022 noch ein Rechtsschutzbedürfnis für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts besteht.

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Fall der Verfassungsbeschwerden gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung beruhen im Ergebnis auf dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 20. September 2022, der die gesetzliche Verpflichtung der Telekommunikationsdiensteanbieter in Deutschland zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung für unionsrechtswidrig erklärt hat. Das Bundesverfassungsgericht nahm daraufhin drei Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an und stellte fest, dass eine Überprüfung der angegriffenen nationalen Vorschriften nicht erforderlich sei, da bereits feststehe, dass sie unionsrechtswidrig seien und im Inland nicht angewendet werden dürften. Die Urteile unterstreichen, wie wichtig es ist, die Grundsätze des Schutzes der Privatsphäre, des Schutzes personenbezogener Daten, der Meinungsfreiheit und der Verhältnismäßigkeit, wie sie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, bei der Regelung der Erhebung und Vorratsspeicherung von Daten im Zusammenhang mit der Bekämpfung schwerer Kriminalität und der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit zu beachten.

Das kontroverse Thema der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung

“Anlasslose Vorratsdatenspeicherung” ist ein Begriff, der sich auf die Praxis der Sammlung und Speicherung von Daten über Einzelpersonen ohne einen spezifischen Grund oder eine Rechtfertigung für diese Praxis bezieht. Diese umstrittene Praxis wurde in verschiedenen Ländern auf der ganzen Welt eingeführt, darunter auch in Deutschland, wo sie auf erheblichen Widerstand gestoßen ist. Die Befürworter der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung argumentieren, dass sie für die nationale Sicherheit und die Verbrechensbekämpfung notwendig sei. Sie argumentieren, dass der Zugang zu Daten über die Kommunikation und Online-Aktivitäten von Einzelpersonen den Strafverfolgungsbehörden helfen könne, kriminelle Aktivitäten wie Terrorismus, Cyberkriminalität und organisiertes Verbrechen zu identifizieren und zu verhindern.

Die Gegner hingegen argumentieren, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung eine Verletzung der Privatsphäre und der bürgerlichen Freiheiten darstelle. Sie argumentieren, dass es inakzeptabel sei, Daten über unschuldige Personen zu sammeln und zu speichern, denen kein Fehlverhalten vorgeworfen werde und dass das Risiko des Missbrauchs dieser Daten zu hoch sei. Sie weisen auch darauf hin, dass die Wirksamkeit der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung bei der Verhinderung von Straftaten ungewiss sei und dass es andere, weniger invasive Möglichkeiten gebe, die gleichen Ziele zu erreichen.

Insgesamt ist die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nach wie vor ein kontroverses Thema mit Argumenten auf beiden Seiten. Es wirft wichtige Fragen über das Gleichgewicht zwischen nationaler Sicherheit und individueller Privatsphäre sowie über die Grenzen staatlicher Überwachung in einer demokratischen Gesellschaft auf. Aufgrund der Brücke zu den Grundrechten und zu den Grundlagen des EU-Rechts, ist es auch immer wieder Thema von juristischen Klausuren.

(Beschlüsse vom 14.und 15.02.2023 - 1 BvR 141/16, 1 BvR 2683/16, 1 BvR 2845/16)