Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Dauerfesselung
96 Stunden musste ein Häftling fast durchgehend Fesseln tragen. Er sah durch diese Maßnahme seine Persönlichkeitsrechte verletzt und zog mit einer Verfassungsbeschwerde bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dieses hat kürzlich über den Fall entschieden.
Worum geht es?
Der betroffene Insasse wurde nach zehn Jahren Haft im Februar 2020 zur weiteren Sicherungsverwahrung in die nordrhein-westfälische Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl verlegt. Weil er unter gesundheitlichen Beschwerden litt, brachte man ihn zur stationären Behandlung in das Universitätsklinikum Dortmund.
Vor dem Transport ins Krankenhaus bekam der Sicherungsverwahrte armverschränkende Handfesseln angelegt. Diese musste er dann fast während des gesamten Krankenhausaufenthaltes tragen. In der Nacht legten ihm die Beamten zusätzliche Fußfesseln an. Nur während der Operation, die allerdings unter Vollnarkose stattfand, entfernten die Beamten kurzzeitig die Fesseln. Gegen die Fesselungsanordnung zog der Sicherungsverwahrte anschließend vor das Landgericht (LG) in Arnsberg.
LG und OLG sahen kein Rechtsverstoß
Da es sich bei dem Fall um eine Strafvollzugssache handelt, kommt das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) zur Anwendung. Nach § 109 StVollzG kann ein Insasse einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen, wenn er durch eine Maßnahme seine Rechte verletzt sieht. Die Strafvollstreckungskammer als zuständiger Spruchkörper des Landgerichts muss sodann über die Maßnahme der JVA entscheiden, § 110 StVollzG. Der Sicherungsverwahrte gab an, dass er sich während des Aufenthalts im Krankenhaus in seiner Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt gefühlt habe. Vor allem in der Nacht habe die fixierte Haltung zu Schlafstörungen geführt und ihm zeitweise Schmerzen bereitet.
Die Richter sahen die Fesselungsanorderung der JVA jedoch als gerechtfertigt an. Die Fluchtmotivation des Mannes sei nicht ausgeschlossen gewesen da für ihn aufgrund der Sicherungsverwahrung nicht absehbar gewesen wäre, ob und wann diese enden würde. Die stationäre Behandlung wäre deshalb für den Sicherungsverwahrten eine der wenigen in Frage kommenden Flucht Optionen. Die Situation in dem Krankenhaus sei zudem unübersichtlich gewesen und die JVA habe noch keine Erfahrung mit dem Inhaftierten in solchen Situationen machen können. Auch habe der Anstaltsarzt keine medizinischen Bedenken bezüglich der Fesseln geäußert.
Bei der gerichtlichen Entscheidung des LG handelt es sich um einen Beschluss, § 115 StVollzG. Gegen diesen legte der Insasse Rechtsbeschwerde beim Oberlandesgericht ein, § 116 StVollzG. Doch auch die Richter des OLG hielten die Fesselungsanordnung für verhältnismäßig.
BVerfG verweist zurück
Anders beurteilte den Fall nun das Bundesverfassungsgericht. Für die Richter in Karlsruhe habe die Maßnahme den Inhaftierten in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, Art. 2 I GG i.V.m Art. 1 I GG. Hauptkritikpunkt sei vor allem die ungenügende, individuelle Betrachtung der Situation des Sicherheitsverwahrten. Die JVA habe die Fesselungsanordnung pauschal angeordnet, ohne ausreichend den schlechten Gesundheitszustand des Häftlings zu berücksichtigen. Bei einer solchen Anordnung habe es sich um einen gewichtigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Gefangenen gehandelt, so das Bundesverfassungsgericht. Dies erfordere eine differenzierte Betrachtung. Ein Gefangener könne zwar nicht verlangen, dass unbegrenzt personelle und sonstige Mittel aufgewendet werden, um Beschränkungen seiner grundrechtlichen Freiheiten zu vermeiden. Die Dauer der Fesselung überschreite hier jedoch in der vorliegenden Konstellation das verfassungsrechtlich zulässige Maß. Nach Auffassung der Verfassungsrichter hätten die vorinstanzlichen Gerichte prüfen müssen, ob mildere Maßnahmen die Art und Dauer der Fesselung hätten beschränken können.
Das LG Arnsberg muss sich nun noch einmal mit dem Fall befassen und diese Umstände besser würdigen.
(BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Januar 2023, - 2 BvR 1719/21)
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