Zur Fahruntüchtigkeit infolge Drogenkonsums
Der Tatbestand des § 316 StGB ist – etwa anders 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB – als sog. abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet; eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben anderer Verkehrsteilnehmer bzw. für fremde Sachwerte ist nicht erforderlich. Beruht die drogenbedingte „Fahruntüchtigkeit“ des Täters i.S.d. § 316 StGB nicht bloß auf dem Konsum von Alkohol, sondern – wie hier – auf anderen berauschenden Mitteln, kommt es für die Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit des jeweiligen Handels auf die konkreten Gegebenheiten beim Täter und die Auswirkungen des Drogenkonsum auf seine Fähigkeit, ein Fahrzeug sicher im Straßenverkehr zu führen, an.
A. Sachverhalt
Der unter dem Einfluss von Cannabis und Amphetamin stehende T bewegt seinen Pkw eines Abends im öffentlichen Straßenverkehr. Um sich wegen seiner fehlenden Fahrerlaubnis einer Polizeikontrolle zu entziehen, beschleunigt er das Fahrzeug in der Innenstadt auf bis zu 100 km/h und überholt andere Verkehrsteilnehmer. Durch deren Brems- und Ausweichmanöver können Zusammenstöße verhindert werden. Der T fährt sodann auf die Autobahn auf und dort „Schlangenlinien“, so dass die verfolgenden Polizeibeamten aufschließen können. Nach dem Verlassen der Autobahn überfährt T eine rote Ampel. Er verliert schließlich beim Abbiegen am nächsten Ortseingang die Kontrolle über sein Fahrzeug, das in einem Graben zum Stehen kommt. Wenige Tage später flüchtet T unter den gleichen Umständen erneut vor der Polizei. Hierbei hält er seinen Pkw im Stadtgebiet zunächst an, um den Anschein zu erwecken, dem Anhaltesignal der Polizeibeamten Folge zu leisten. Als auch der Streifenwagen anhält, beschleunigt T sein Fahrzeug. Nach dem Abbiegen in einen Feldweg fährt er sich - der Erwartung der ihm folgenden Polizeibeamten entsprechend - dort fest. Er setzt sodann seinen Pkw an dem stehenden Einsatzfahrzeug vorbei im Vertrauen darauf zurück, dieses nicht zu beschädigen. Es kommt jedoch zu einer Kollision mit der geöffneten Beifahrertür des Streifenwagens. T fährt nach einer kurzen Fahrtstrecke eine Böschung hinunter, wo sich sein Fahrzeug im Bewuchs festsetzt. Die dem T an beiden Tattagen entnommenen Blutproben wiesen jeweils geringe Mengen an THC und an Amphetamin auf.
Wie hat sich T strafbar gemacht?
B. Entscheidung
I. Trunkenheit im Verkehr, § 316 Abs. 1 StGB
T könnte sich – in zwei Fällen – wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er unter dem Einfluss von Cannabis und Amphetamin stehend mit seinem Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr gefahren ist. Nach § 316 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer im Verkehr (§§ 315 bis 315e StGB) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder „anderer berauschender Mittel“ nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen.
1. Objektiver Tatbestand
T ist mit seinem PKW – einem „Fahrzeug“ i.S.v. § 316 Abs. 1 StGB – im „Straßenverkehr“, also einem geschützten Rechtsgut i.S.d. §§ 315 ff. StGB (vgl. etwa § 315c Abs. 1 StGB), gefahren. Dieses hat er auch „geführt“. Ein Fahrzeug wird im Rahmen des § 316 StGB (einem eigenhändigen Delikt) „geführt“, wenn nicht bloß der Motor gestartet, sondern es in Bewegung gesetzt wird. Fahrzeugführer ist dabei diejenige Person, die sich selbst – wie vorliegend der T – aller oder wenigstens eines Teils der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs bedient, die für seine Fortbewegung bestimmt sind, und das Fahrzeug in Bewegung setzt oder es während der Fahrtbewegung lenkt. Fraglich ist aber, ob T „infolge des Genusses anderer berauschender Mittel nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen“.
Die „rauschbedingte Fahruntüchtigkeit“ des Täters setzt – wie bei § 315c Abs. 1 Nr. 1a) StGB – voraus, dass der Fahrzeugführer nicht fähig ist, das Fahrzeug eine längere Strecke so zu steuern, dass er den Anforderungen des Straßenverkehrs – und zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen – so gewachsen ist, wie es von einem durchschnittlichen Fahrzeugführer zu erwarten ist (BGH, Urt. v. 12.9.2019 − 4 StR 146/19 , Rz. 22). Zu unterscheiden ist zwischen der sog. absoluten und der relativen Fahrunsicherheit, die sich aber lediglich in ihrem Nachweis unterscheiden. Relative Fahruntüchtigkeit setzt voraus, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrzeugführers infolge geistiger und/oder körperlicher Mängel soweit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern; dafür ist nicht unbedingt erforderlich, dass sich die körperlichen bzw. geistigen Mängel in Fahrfehlern ausgewirkt haben, vielmehr können u.U. zum Nachweis der Fahrunsicherheit auch sonstige Auffälligkeiten im Verhalten des Fahrzeugführers genügen, sofern sie konkrete Hinweise auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung seiner psychophysischen Leistungsfähigkeit, insbesondere seiner Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit geben (BGH, Urteil vom 15. 4. 2008 - 4 StR 639/07). Eine absolute Fahruntüchtigkeit ist hingegen bei Erreichen bestimmter, auf Erfahrungswissen beruhender und für jedermann geltender Grenzwerte gegeben, bei denen die Fahruntüchtigkeit für jeden Verkehrsteilnehmer im Prozess unwiderleglich vermutet wird. Anders als bei der Blutalkoholkonzentration, bei der das Überschreiten eines Grenzwertes von 1,1 Promille zur unwiderlegbaren Annahme einer (absoluten) Fahruntüchtigkeit führt (BGH, Beschluss vom 28.06.1990 - 4 StR 297/90), kann der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit i.S.d. §§ 315c Abs. 1 Nr. 1a), 316 StGB aber nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden, sondern es bedarf neben dem Blutwirkstoffbefund weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. BGH , Beschluss v. 31.1.2017 – 4 StR 597/16).
Vorliegend ist fraglich, ob die Fahruntüchtigkeit des T tatsächlich festgestellt worden ist. Dazu der BGH:
„1.c.aa) Der Nachweis einer drogenbedingten Fahrunsicherheit im Sinne von § 316 StGB kann - wovon auch das Landgericht ausgegangen ist - nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (st. Rspr.; …). Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen (…).
bb) Das Landgericht scheint in dem grob fehlerhaften und risikoreichen Fahrverhalten des Angeklagten drogenbedingte Ausfallerscheinungen (…) erblickt zu haben. Eine diese Annahme tragende Beweiswürdigung ist den Urteilsgründen jedoch nicht zu entnehmen. Diese wäre aber erforderlich gewesen, denn es versteht sich unter den hier gegebenen Umständen auch nicht etwa von selbst, dass in dem festgestellten Fahrverhalten des [T] eine drogenbedingte Fahrunsicherheit zum Ausdruck gekommen ist. Dabei hätte insbesondere in die Beurteilung einfließen müssen, dass das Fahrverhalten des [T] in beiden Fällen darauf ausgerichtet war, sich von ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen abzusetzen. Die Strafkammer hätte deshalb erörtern müssen, ob und inwieweit die fehlerhafte und riskante Fahrweise des [T] nicht auf seinem Fluchtwillen beruhte (…). Die nicht weiter konkretisierte Feststellung, der [T] sei auf der Autobahn „Schlangenlinien“ gefahren, ist für sich genommen noch nicht geeignet, seine Fahruntüchtigkeit bei der ersten Tat zu belegen, zumal die Strafkammer auch hier einen allein fluchtbedingten Grund für das Fahrverhalten des [T] nicht ausgeschlossen hat.
Auch mit Blick auf die mitgeteilten Blutwerte versteht sich ein Indizwert des Fahrverhaltens des (konsumgewohnten) [T] für seine jeweilige Fahruntüchtigkeit nicht von selbst. Zwar können die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Ausfallerscheinungen umso geringer sein, je höher die im Blut festgestellte Wirkstoffkonzentration ist (…). Dem steht aber entgegen, dass die Strafkammer bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des [T] jeweils nicht von einer „manifesten Intoxikation“ ausgegangen ist (…).“
Nach den bisherigen Feststellungen zum tatsächlichen Geschehen (Sachverhalt) lässt sich demnach nicht abschließend beurteilen, ob die Drogen-Intoxikation des T zum Zeitpunkt der jeweiligen Tatbegehung (THC und Amphetamine) zu einer „Fahruntüchtigkeit“ i.S. von § 316 Abs. 1 StGB geführt hat.
2. Subjektiver Tatbestand
Sollte die „Fahruntüchtigkeit“ des T feststehen, müsste er nach § 316 Abs. 1 StGB zudem vorsätzlich, also mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung, gehandelt haben. Insoweit genügte bedingter Vorsatz (sog. dolus eventualis). Fraglich ist, ob dieser hier nachgewiesen ist. Dazu der BGH:
„3.a) Sollte das neue Tatgericht ebenfalls eine Fahruntüchtigkeit des [T] bejahen, wird es für eine erneute Verurteilung gemäß § 316 Abs. 1 StGB sorgfältiger als geschehen zu prüfen haben, ob er insoweit zumindest mit bedingtem Vorsatz handelte.“
Hinweis: Nach § 316 Abs. 2 StGB genügt für die Strafbarkeit (mit gleicher Strafandrohung) auch fahrlässiges Handeln. Trotz des gleichen Strafrahmens wiegt vorsätzliches Handeln regelmäßig aber schwerer und kann daher bei der konkreten Strafzumessung (§ 46 StGB) zu empfindlicheren Folgen führen. Insoweit ist ferner zu bedenken, dass eine Tat nach § 316 StGB zu den sog. Anlasstaten für die Entziehung der Fahrerlaubnis – einer Maßregel der Besserung und Sicherung – zählt (§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB).
3. Zwischenergebnis
T hat sich (nach jetzigem Stand) nicht wegen Trunkenheit im Verkehr in zwei Fällen strafbar gemacht.
II. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, § 113 Abs. 1 StGB
T hat sich jedenfalls nicht – in zwei Fällen – wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem er sich den polizeilichen Kontrollen durch Wegfahren entzogen hat. Unter „Widerstand“ ist insoweit eine aktive Tätigkeit des Täters gegenüber dem Vollstreckungsbeamten mit Nötigungscharakter zu verstehen, mit der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verhindert oder erschwert werden soll; nach dem Schutzzweck des § 113 StGB muss die Gewalt gegen den Amtsträger gerichtet und für ihn – unmittelbar oder mittelbar über Sachen – körperlich spürbar sein (BGH, Beschl. v. 15.1.2015 − 2 StR 204/14). Das ist bei der bloßen „Polizeiflucht“ nicht der Fall (aaO).
III. Ergebnis
T hat sich (nach derzeitigem Stand) nicht strafbar gemacht.
C. Prüfungsrelevanz
Die Straßenverkehrsdelikte nach den §§ 315 ff. StGB zählen zu den beliebten Prüfungsgegenständen.
Der Tatbestand des § 316 StGB ist – etwa anders 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB – als sog. abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet; eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben anderer Verkehrsteilnehmer bzw. für fremde Sachwerte ist nicht erforderlich. Beruht die drogenbedingte „Fahruntüchtigkeit“ des Täters i.S.d. § 316 StGB nicht bloß auf dem Konsum von Alkohol, sondern – wie hier – auf anderen berauschenden Mitteln, kommt es für die Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit des jeweiligen Handels auf die konkreten Gegebenheiten beim Täter und die Auswirkungen des Drogenkonsum auf seine Fähigkeit, ein Fahrzeug sicher im Straßenverkehr zu führen, an. Es bestehen also keine (wissenschaftlich fundierten) Erfahrungswerte, die Rückschlüsse auf die Annahme einer „Fahruntüchtigkeit“ zulassen.
Selbst wenn also die Wirkstoffkonzentration(en) des/der Betäubungsmittel(s) im Blut durch einen sog. positiven Blut-Wirkstoff-Konzentrationsbefund (BGH, BGH, Beschluß vom 3. 11. 1998 - 4 StR 395–98) nachgewiesen ist (analog der Blutalkoholkonzentration), bedarf es noch weiterer konkreter objektiver Anhaltspunkte für die Annahme der darauf beruhenden „Fahruntüchtigkeit“. Das gilt umso mehr, wenn das Fahrverhalten des Täters – wie in dem hier vom 4. Strafsenat entschiedenen Fall – auch von dem Willen getragen sein kann, vor Polizeibeamten zu flüchten, und es deswegen von außen betrachtet als „riskant“ wirkt. Abweichend davon stellt etwa § 24a Abs. 2 StVG lediglich auf den Nachweis der Substanz im Blut ab. Der Nachweis der Fahruntüchtigkeit kann etwa durch Fahrfehler oder sonstige Auffälligkeiten im Fahrerverhalten geführt werden, wenn diese konkrete Hinweise auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung der psychophysischen Leistungsfähigkeit (Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit) geben können. Die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Ausfallerscheinungen sind umso geringer, je höher die im Blut des Täters festgestellte Wirkstoffkonzentration ist (BGH, a.a.O.). Ein Indiz dafür kann bspw. das Verhalten des Täters bei einer Polizeikontrolle sein (BayObLG, Urteil vom 15.11.1996 - 1 St RR 147/96). Befand sich der Täter – wie hier – auf der Flucht vor der Polizei, muss dies in die Beurteilung des Indizwertes seines Fahrverhaltens einbezogen werden; auch bei einem Täter, der sich seiner Festnahme durch die Polizei entziehen will, kann in einer deutlich unsicheren, waghalsigen und fehlerhaften Fahrweise ein Beweisanzeichen für eine rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit zu sehen sein (BGH , Beschluss v. 31.1.2017 – 4 StR 597/16).
Die lesenswerte Entscheidung des 4. Strafsenats, die der gefestigten Rechtsprechung des BGH zur Fahruntüchtigkeit infolge Drogenkonsums folgt, ist bedeutsam für die Praxis wie für die Ausbildung.
(BGH, Beschluss vom 02.08.2022 – 4 StR 231/22)
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