Unterlassungsanspruch gegen Abgasbelästigung

Unterlassungsanspruch gegen Abgasbelästigung

Unzulässiges “Warmlaufenlassen” des Motors in Tiefgarage

Wer in einer Tiefgarage den Motor aufgrund Startschwierigkeiten laufen lässt, dürfe das nicht unbegrenzt. Das LG Berlin hat dem Kläger einen solchen Unterlassungsanspruch gegen seinen Nachbarn in einer privaten Tiefgarage zugesprochen.

Worum geht es?

„Abgasskandal“ – aber nicht bei einem großen deutschen Autobauer, sondern in einer gemeinsam genutzten Tiefgarage. In Berlin hat das Landgericht dem Kläger einen Unterlassungsanspruch gegen das Warmlaufen des Motors vom Fahrzeug des Mitbenutzers zugesprochen. Er müsse die dadurch verursachten Abgase nicht unbeschränkt dulden, heißt es. Das Zivilgericht machte bei seiner Entscheidung einen Abstecher in das öffentliche Recht.

Streit um Abgase

Gestritten hatten sich zwei Parteien, die gemeinsam eine private Tiefgarage in Berlin nutzten. Einer von ihnen ließ jedoch den Motor seines Autos regelmäßig bis zu 2 Minuten „warmlaufen“. Dies sei erforderlich, so der spätere Beklagte, da nur so nach mehrmaliger Starthilfe der Motor auch sachgerecht betrieben werden könne. Ohne die zweiminütige Warmlaufzeit würde er ansonsten Schaden erleiden.

Ein anderer Nutzer der Tiefgarage fühlte sich dadurch gestört. Vor dem LG Berlin klagte er auf Unterlassung – mit Erfolg. Das Gericht sprach ihm einen Unterlassungsanspruch aus § 862 I BGB dahingehend zu, dass der Motor nicht länger als 90 Sekunden warmlaufen dürfte.

Kläger = Besitzer, Beklagter = Störer

Die Grundlage für die Entscheidung findet sich im Sachenrecht. Nach § 862 I BGB kann der Besitzer vom Störer die Beseitigung der Störung verlangen, wenn er durch verbotene Eigenmacht im Besitz gestört wird. Darüber hinaus kann der Besitzer auch auf Unterlassung klagen, wenn weitere Störungen wahrscheinlich sind. Und um verbotene Eigenmacht handelt es sich (hier hilft der Blick in die Legaldefinition in § 858 I BGB), wenn der Besitzer unter anderem ohne seinen Willen in seinem Besitz gestört wird – das sei hier der Fall.

Der Kläger erleide nach Auffassung des Gerichts nämlich als Besitzer des Garagenstellplatzes eine Störung durch Immissionen. Eine Besitzstörung sei auch dann gegeben, heißt es in der Entscheidung, wenn der Besitzer bei dem Gebrauch der Sache durch Immissionen i. S. d. § 906 I 1 BGB beeinträchtigt werde. Die wohl berühmtesten Fälle in dieser Kategorie sind solche Streitigkeiten, in denen ein Mieter durch den Zigarettenrauch eines Nachbarn auf dem Balkon gestört wird. Aber auch bei dem „Abgasskandal“ in der Tiefgarage sei der Anwendungsbereich der §§ 862 I, 858 I BGB eröffnet, so das LG Berlin.

Ausflug in die StVO

Weiter führte das Gericht aus, dass der Kläger die Abgase auch nicht unbeschränkt dulden müsse. Für den Umfang einer möglichen Duldungspflicht zogen die Richter und Richterinnen die Maßstäbe des § 906 I BGB heran, wonach Immissionen grundsätzlich so weit hinzunehmen seien, wenn sie den Gebrauch der Sache nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen. Wann hingegen eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt, bestimme sich nach einer verständigen Durchschnittsbetrachtung, bei der sowohl die privaten als auch die öffentlichen Belange berücksichtigt werden müssten. Und wenn es um Fahrzeuge und Abgase gehe, helfe wohl auch ein Blick in die StVO.

Denn das LG Berlin zog als Maßstab für die Bestimmung, wann Abgase eine wesentliche Beeinträchtigung darstellen, die Regelung des § 30 I 2 StVO heran. In der Norm zum Umweltschutz, Sonn- und Feiertagsfahrverbot heißt es an dieser Stelle:

Es ist insbesondere verboten, Fahrzeugmotoren unnötig laufen zu lassen und Fahrzeugtüren übermäßig laut zu schließen.

Hier gehe es – wer hätte es gedacht – nicht um den hinteren Teil der Norm, sondern um das unnötige Laufenlassen des Motors. Besonders interessant: Das LG Berlin betonte, dass die Regelung des § 30 I 2 StVO eine abstrakte Gefährdung beschreibe – es brauche also keine konkrete Beeinträchtigung bestimmter Personen durch die Abgasbelästigung festgestellt werden. In der (verwaltungsrechtlichen) Rechtsprechung komme die Norm insbesondere bei „Autoposer“-Fällen zur Anwendung.

Dass die hier störenden Abgase in einer privaten Tiefgarage und nicht im öffentlichen Straßenverkehr, schade nicht – die StVO könne auch zu diesem zivilrechtlichen Streit herangezogen werden, so das Gericht und verwies auf die ständige BGH-Rechtsprechung. Danach könne die StVO auch für Abgase auf privatem Terrain als Wertungsmaßstab herangezogen werden. Die Tiefgarage müsse sogar besonders berücksichtigt werden. Das LG Berlin argumentierte:

Dabei wiegt der Umstand schwer, dass der Motor […] in einer Tiefgarage lief, in der sich Abgase im Vergleich zur offenen Straße schneller konzentrieren.

Motorprobleme in Entscheidung berücksichtigt

Allerdings dürfte auch das Fahrzeug des Beklagten nicht vergessen werden. Denn „unnötig“ i. S. d. § 30 I 2 StVO sei der Betrieb eines Motors nur dann, wenn dafür kein technischer Grund mehr vorliege. Bei Startschwierigkeiten könnte so ein Grund bestehen – aber nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt. Der Kläger sei nämlich nur so lange zur Duldung des Laufenlassens des Motors und damit der Duldung der Abgase verpflichtet, sofern das Laufenlassen des Motors noch zur Funktionsfähigkeit des Fahrzeugs beiträgt. Gemeint ist damit, den Motor zu starten.

In zeitlicher Hinsicht entschied das Gericht, dass es dem Beklagten unter Betrachtung der widerstreitenden Interessen zuzumuten sei, sein Fahrzeug auch nach einer Starthilfe unmittelbar, aber höchstens 90 Sekunden nach der Zündung des Motors, aus der Tiefgarage herauszufahren.

§ 30 I 2 StVO als „Einfallstor“ ist BGH-Rechtsprechung

Im Ergebnis habe der Kläger also einen auf §§ 862 I, 858 I BGB beruhenden Unterlassungsanspruch, wenn sein Tiefgaragen-Nachbar sein Fahrzeug länger als 90 Sekunden „warmlaufen“ lässt und somit Abgase produziert, die der Kläger nicht dulden müsse. Zu dem Ergebnis kam das Berliner Gericht zum einen durch „basic“-Sachenrecht, aber auch durch die (rechtliche) Wertung von Abgasen im Sinne der StVO und den dadurch anzulegenden Maßstab. Es lehnt sich damit an die Rechtsprechung des BGH an, der schon 1992 entschied:

§ 30 I 2 StVO dient als „Einfallstor“ für die Berücksichtigung der abstrakten Wertungen des öffentlichen Rechts.

(LG Berlin, Urt. v. 23.08.2022 – 67 S 44 / 22)