BVerfG zur Durchsuchung einer Privatwohnung

BVerfG zur Durchsuchung einer Privatwohnung

Rechtfertigen bloße Vermutungen die Durchsuchung einer Privatwohnung?

Das Lieferantenauto des Restaurants stand in zwei Nächten vor der Wohnanschrift des Beschwerdeführers. Eigentlich nichts Ungewöhnliches – doch die Polizei verdächtigte den Restaurantbetreiber, mit Betäubungsmitteln zu handeln. Reicht das aus, um die Wohnung des Beschwerdeführers zu durchsuchen? Das BVerfG musste entscheiden.

Worum geht es?

Nach § 102 StPO kann bei dem, der als Täter oder Teilnehmer einer Straftat verdächtig ist, eine Durchsuchung der Wohnung durchgeführt werden. Entweder, um die Person zu ergreifen, aber auch dann, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen wird. Mit der zweiten Alternative musste sich das BVerfG nun befassen und stellt klar: Eine Durchsuchung dürfe nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind.

Drogenkurier als Essenslieferant getarnt?

Die Verfassungsbeschwerde, mit der die Verletzung der Wohnung (Art. 13 I GG) gerügt wird, wurde vom Beschwerdeführer B eingelegt, dessen Wohnung von der Kriminalpolizei durchsucht wurde. Angefangen hatte alles allerdings mit Restaurantbetreiber R.

Die zuständige Staatsanwaltschaft ermittelte schon länger gegen R wegen des Verdachts des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. R würde, so der Verdacht der Polizei, die illegalen Substanzen als Essenslieferant getarnt verteilen. Infolge einer Observation des Restaurant-Fahrzeugs stellten die Beamten fest, dass dieses in den Nächten des 09. Novembers und des 21. Novembers 2018 gegenüber der Wohnanschrift des B geparkt wurde – diese soll recht abgelegen gewesen sein. Da das Fahrzeug gegenüber geparkt war, hatten die Beamten den Verdacht, R würde bei B Betäubungsmittel anliefern. B würde auch „in das Schema passen“: Gegen den Beschwerdeführer sei in der Vergangenheit schon mehrfach wegen Betäubungsmitteln ermittelt worden.

Das zuständige AG ordnete auf Antrag der Staatsanwalt Mitte Dezember 2018 die Durchsuchung der Wohnung des B an. Die ermittelnden Beamten suchten insbesondere die vermuteten Betäubungsmittel. Die Durchsuchungsanordnung wurde durch das AG mit den bisherigen Ermittlungen begründet, insbesondere mit den Erkenntnissen einer erfolgten TKÜ im Verfahren gegen den gesondert verfolgten Restaurantbetreiber und den Angaben einer Vertrauensperson der Staatsanwaltschaft. Es bestehe der Verdacht, heißt es, dass der Restaurantbetreiber einen Handel mit Kokain, Amphetaminen und Marihuana in nicht geringer Menge betreibe. Und Beschwerdeführer B – vor dessen Wohnanschrift in zwei Nächten das Fahrzeug geparkt wurde – habe von dem Handel gewusst und auf seinem Anwesen die Betäubungsmittel für R aufbewahrt, um ihn zu unterstützen.

Anschließend wurde der Durchsuchungsbeschluss vollzogen – erfolglos. Es wurden „nur“ 2,2 Gramm Haschisch aufgefunden, aber keine Hinweise auf eine Beteiligung des Beschwerdeführers an den Betäubungsmittelgeschäften des Restaurantbetreibers. Das Ermittlungsverfahren gegen B wurde daher von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

B rügt Verletzung von Art 13 I GG

B sah sich in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 I GG) verletzt. Bei Art. 13 I GG handelt es sich um ein Abwehrrecht gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt – es schützt die räumliche Privatsphäre des Einzelnen und gewährt ihm (umgangssprachlich ausgedrückt), vom Staat „in Ruhe gelassen zu werden“.

Vorab hatte B versucht, sich mit dem Rechtsmittel der Beschwerde aus der Strafprozessordnung zu wehren. Nach § 304 StPO ist die Beschwerde unter anderem gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug erlassenen Beschlüsse zulässig, also auch gegen den getroffenen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts. Doch das Amtsgericht sah die Beschwerde aufgrund der Verdachtslage als unbegründet an. Auch das Beschwerdegericht (das Landgericht) wies die Beschwerde zurück.

BVerfG stellt Anforderungen an Verdachtsgrad

Die Richter:innen aus Karlsruhe sahen das nun anders. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschlüsse würden den Beschwerdeführer B in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 I GG verletzen, heißt es. In seiner Entscheidung betonte das BVerfG die Schwere der Eingriffsintensität einer Durchsuchung und stellte klar, welche Anforderungen an sie zu stellen seien.

Notwendiger Anlass für eine Durchsuchung sei der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde – der sogenannte Anfangsverdacht. Da eine Durchsuchung aber einen schwerwiegenden Eingriff darstelle, müsse der Verdacht auf konkreten Tatsachen beruhen, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausgehen. In der Entscheidung heißt es:

Eine Durchsuchung darf somit nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind.

Kritik aus Karlsruhe

Das Karlsruher Gericht war mit der an diesen Anforderungen gemessenen Verdachtslage nicht einverstanden. Zwar sei eine solche Nachprüfung des Verdachts grundsätzlich nicht Aufgabe des BVerfG, heißt es. Anders sei es aber, wenn die Verdachtsgründe willkürlich oder fehlerhaft erscheinen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhten. Und so sei es hier, entschied das Gericht.

Die Annahme eines Tatverdachts dahingehend, dass B den Restaurantbetreiber im Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unterstütze, sei nicht haltbar. Aus den Beschlüssen des AG und des LG würden keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür hervorgehen, dass der B die Substanzen für den Handel des R bei sich aufbewahrte. Allein auf die Bewegungen und Standzeiten des Fahrzeuges könne der Anfangsverdacht gegenüber B nicht gestützt werden, denn:

Denn die Bewegungen und Standzeiten des Fahrzeugs in den Nächten auf den 9. November und den 21. November 2018 liefern alleine keinen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdeführer Betäubungsmittel, noch dazu größere Mengen, für [den Restaurantbetreiber] aufbewahrt hätte.

Nur geparktes Fahrzeug nicht ausreichend

Das lediglich vor der Wohnanschrift des B geparkte Fahrzeug sei für Karlsruhe damit nicht ausreichend. Das BVerfG wies darauf hin, dass den Ermittlungen zufolge das Fahrzeug auch nur vor der Adresse geparkt wurde. Insbesondere sei etwa der Restaurantbetreiber nicht dabei gesehen worden, wie er die Wohnung des B aufgesucht oder betreten hätte. Es sei noch nicht einmal festgehalten, so das BVerfG, ob er sein Fahrzeug überhaupt verlassen habe oder nicht. Und wenn ja – wohin? Auch wenn die Wohnanschrift des B etwas abgelegen sei, gebe es noch andere Anschriften im Umfeld, die fußläufig erreichbar gewesen wären. Vor allem sei von den Beamten auch nicht beobachtet worden, dass dem B etwas von einer anderen Person übergeben oder zugesteckt worden wäre – vielmehr sei B in den beiden Nächten überhaupt nicht gesehen worden.

Im Ergebnis erschöpfe sich die Begründung des Tatverdachts (und damit der Durchsuchungsbeschluss) auf die nächtlichen Standzeiten des Lieferfahrzeugs in der Nähe beziehungsweise gegenüber der Wohnanschrift des B. Für das BVerfG sei das nicht ausreichend:

Diese Annahme erschöpft sich in einer bloßen Vermutung, die den schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre des Beschwerdeführers nicht zu rechtfertigen vermag.

Die Verfassungsbeschwerde hatte damit Erfolg.