Diskriminierung des Geschlechts
Die Bahn darf von ihren Kund:innen nicht verlangen, beim Ticket-Kauf zwischen einer Anrede als „Herr“ oder „Frau“ zu wählen. Das OLG Frankfurt a.M. sah darin eine unzulässige Diskriminierung von Personen mit nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit. Die Bahn muss bis zum Jahresende umstellen.
Worum geht es?
Wer sich etwas im Internet bestellt – sei es Essen, einen neuen Gesetzestext oder Klamotten – muss bei seinem Kauf eine Anrede im Formular auswählen. Viele Unternehmen reagieren bereits auf die gesellschaftliche Entwicklung bezüglich einer geschlechtsneutralen Anrede und bieten neben „Herr“ und „Frau“ auch Auswahlmöglichkeiten wie „divers“ oder „keine Angabe“ an. Bei der Deutschen Bahn ist das allerdings noch nicht der Fall, wie das OLG Frankfurt am Main nun festgestellt hat. Das Gericht hat der Klage einer Person des nicht-binären Geschlechts stattgegeben – die Bahn muss umstellen.
Ärger beim Fahrkartenkauf
Die klagende Person besitzt eine nicht-binäre Geschlechtsidentität und ist Inhaberin einer BahnCard. Bereits in den Newslettern der Vertriebstochter der Bahn werde die Person mit der unzutreffenden Bezeichnung „Herr“ adressiert. Darüber hinaus gebe es aber auch Probleme beim Fahrkartenkauf: Im konkreten Fall ging es um eine Online-Buchung eines Tickets von Berlin nach Braunschweig. Sowohl bei der Registrierung als auch beim Kauf gab es für die Anrede jedoch nur zwei Auswahlmöglichkeiten – „Herr“ oder „Frau“, eine Angabe war zwingend erforderlich. Ohne eine Zuordnung war ein Fahrkartenkauf nicht möglich. Die Person hatte daher Klage gegen die Vertriebstochter der Bahn wegen Diskriminierung erhoben. Sie ist der Ansicht, ihr stünden Unterlassungsansprüche sowie ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 5.000 Euro zu.
Vor dem LG Frankfurt a.M. hatte sie damit allerdings nur teilweisen Erfolg. Die erste Instanz bejahte zwar einen Unterlassungsanspruch aus §§ 823 I, 1004 I 2 BGB in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Einen Entschädigungsanspruch lehnte das Gericht hingegen ab. Im Rahmen der Berufung hatte das OLG Frankfurt a.M. nun an beiden Ansprüchen etwas auszusetzen.
Unterlassungsanspruch aus dem AGG
Hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs waren sich die Gerichte im Ergebnis einig, weichen bei der Anspruchsgrundlage aber voneinander ab. Wie aus einer Mitteilung des Gerichts deutlich wird, bedürfe es nach Auffassung der Richter:innen keines Rückgriffs auf die Regelungen der §§ 823, 1004 I 2 BGB. Vielmehr könnte die klagende Person wegen einer unmittelbaren Benachteiligung im Sinne der §§ 3, 19 AGG Unterlassung verlangen, so das Gericht. Sie sei unmittelbar wegen des Geschlechts und der sexuellen Identität benachteiligt.
Im Jurastudium taucht das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) häufig im Arbeitsrecht auf. Schließlich enthält das Gesetz Rechte und Pflichten für Arbeitgeber:innen, aber auch für Arbeitnehmer:innen – zum Beispiel für den Bewerbungsprozess, aber natürlich auch für das Arbeitsverhältnis. Bei bestehenden Arbeitsverhältnissen haben Arbeitnehmer:innen Anspruch auf Schutz vor Benachteiligungen und Diskriminierung aus bestimmten Gründen, die sich in § 1 AGG finden.
Doch das AGG greift nicht nur in arbeitsrechtlichen Konstellationen. In § 19 AGG ist ein allgemeines zivilrechtliches Benachteiligungsverbot normiert, das ebenfalls Benachteiligungen aus bestimmten Gründen, etwa der Rasse, der Religion oder der sexuellen Identität verbietet.
Das OLG führte aus, dass die klagende Person wegen einer unmittelbaren Benachteiligung aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität Unterlassung verlangen könne. Das Merkmal „Begründung eines Schuldverhältnisses“ sei dabei weit auszulegen, so das Gericht:
Es umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte, wenn Menschen mit nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit gezwungen würden, für einen Online-Vertragsschluss zwingend die Anrede „Herr“ oder „Frau“ auszuwählen.
Die Folge: Die Bahn muss nun ihr Online-Buchungssystem umstellen. Weil dafür aber technische Anforderungen erforderlich seien, räumte das OLG Frankfurt a.M. der Bahn eine Frist bis zum Jahresende ein. Die individuelle Kommunikation mit der klagenden Person (etwa die Newsletter) müsse das Unternehmen aber umgehend anpassen.
Entschädigungsanspruch iHv 1.000 Euro
Darüber hinaus hat das OLG Frankfurt a.M. der klagenden Person wegen der Verletzung des Benachteiligungsverbots eine Entschädigung in Geld in Höhe von 1.000 Euro zugesprochen. Es argumentierte, dass die Person einen immateriellen Schaden erlitten habe. Sie erlebe „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, welche zu deutlichen psychischen Belastungen führe.
Die Entschädigung in Geld sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugeführte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe.
AGG: Examensrelevant
Die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. ist nicht nur gesellschaftlich aktuell und spannend, sondern zeigt auch, dass bei der Anwendung des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots sauber gearbeitet und argumentiert werden muss (Begründung eines Schuldverhältnisses umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte).
Ein anderer Fall bezüglich § 19 I AGG hatte es erst letztes Jahr bis nach Karlsruhe geschafft: Unter dem Titel „Mit 44 zu alt für die Party?“ haben wir über einen klagenden (Fast-)Party-Gast berichtet, dem aufgrund seines Alters von der Security der Einlass zu einem Electro-Festival verwehrt wurde. Dies wollte er nicht auf sich sitzen lassen und zog bis vor den BGH. Was die Karlsruher Richter:innen dazu sagten, haben wir in diesem Beitrag für Dich zusammengefasst: Mit 44 zu alt für die Party? BGH entscheidet über Klage wegen “Altersdiskriminierung”
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