Stehen Autofahrern Amtshaftungsansprüche wegen einer möglicherweise unzureichenden Umsetzung von Unionsrecht zu?
Während die Ansprüche gegen die Automobilhersteller im Rahmen des „Dieselskandals“ schon umfangreich geklärt wurden, musste der BGH nun entscheiden: Gibt es auch einen Amtshaftungsanspruch gegen den Staat?
Worum geht es?
Erneut mussten sich die Karlsruher Richter mit dem sogenannten „Dieselskandal“ befassen. Allerdings gab es bei der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers einen Unterschied: Seine Klage richtete sich nicht etwa gegen einen Automobilhersteller. Vielmehr nahm der klagende Autofahrer die Bundesrepublik Deutschland aus Amtshaftung in Anspruch.
Bekannter Sachverhalt, anderer Klagegegner
Der Fall des Klägers ähnelt im Kern dem Großteil der Fälle, die im Rahmen des „Dieselskandals“ vor den deutschen Gerichten, bis hin zum BGH, landeten. Der Audifahrer erwarb sein gebrauchtes Fahrzeug im September 2014 zu einem Kaufpreis von rund 35.000 Euro. Dieser Audi A4 ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet, also mit der Technik, die eine unzulässige Abschaltvorrichtung beinhaltete.
Anders als in vielen anderen, klausurrelevanten Entscheidungen, die wir bereits besprochen haben, richtete sich seine Klage allerdings nicht gegen den Hersteller. Stattdessen nahm er den Staat in Anspruch: Der Kläger wirft der beklagten Bundesrepublik Deutschland vor, durch ihre zuständige Typengenehmigungsbehörde (das Kraftfahrtbundesamt) für den vorliegenden Fahrzeugtyp eine fehlerhafte Typengenehmigung erteilt zu haben. Außerdem habe sie eine einschlägige EU-Richtlinie (2007/46/EG) zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Systemen für solche unzureichend umgesetzt und dadurch kein Sanktionssystem geschaffen. In Art. 46 der Richtlinie wird bestimmt, dass die Mitgliedstaaten Sanktionen festlegen, die bei Verstößen gegen die Richtlinie anzuwenden sind.
Dies sei nach Auffassung des Klägers nicht geschehen und daher eine Pflichtverletzung. Durch diese Pflichtverletzung sei er zum Abschluss des Kaufvertrags über seinen gebrauchten A4 gebracht worden – den er sonst nicht geschlossen hätte. Die Beklagte hafte ihm daher aus Amtshaftung auf Schadensersatz.
BGH lehnt Nichtzulassungsbeschwerde ab
Doch der Rechtsstreit des klagenden Audifahrers begann erfolglos. Sowohl das LG Münster als auch das OLG Hamm haben seine Klagen auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht abgelehnt. Weil eine Revision nicht zugelassen wurde, wendete sich der Kläger mit einer Nichtzulassungsbeschwerde an den BGH. Aber in Karlsruhe sah man die zulässige Beschwerde für unbegründet. Schließlich kommt hinzu: Eine Vorlage an den EuGH (Art. 267 I, III AEUV) sei nach Auffassung der Bundesrichter entbehrlich.
Aber der Reihe nach. Der mangelnde Erfolg des Klagebegehrens liege im Schutzzweck der Normen der Richtlinie. In seiner Entscheidung stimmte der BGH der Argumentation des OLG Hamm zu. Das Berufungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass die in Rede stehenden Regelungen die Interessen der Erwerber:innen zum einen hinsichtlich der Gewährleistung der Zulassung und zum anderen hinsichtlich des Fortbestands der Betriebserlaubnis schützen. Das bedeutet: Die Normen aus der Richtlinie seien zwar drittschützend und würden dem oder der Einzelnen Rechte verleihen, dass das Fahrzeug auch im Straßenverkehr zugelassen und die Erlaubnis nicht wieder entzogen werde.
Eine Verletzung dieses Interesses habe der Kläger aber nicht geltend gemacht. Denn sein Audi A4 ist noch zugelassen, die entsprechende Betriebserlaubnis wurde auch nicht entzogen, betonte der BGH. Die Gefahr einer drohenden Betriebsuntersagung sei auch nicht erkennbar.
Wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht kein Schutzzweck
Der Kläger wolle vielmehr als verletztes Schutzgut sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht geltend machen, so der BGH, wozu der Schutz von Käufer:innen vor dem Abschluss eines (so wie hier: ungewollten) Vertrags zähle. Der Kläger habe vorgebracht, davor durch die Bundesrepublik Deutschland nicht geschützt zu sein. Doch dieses Interesse unterfalle nicht dem Schutzzweck der Richtlinie (RL 2007/46/EG). Die Pflichten der Typengenehmigungsbehörde seien auch in sachlicher Hinsicht weiter entfernt als der entsprechende Fahrzeughersteller.
Aufgrund dieser Erwägungen sei eine Vorlage an den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV auch entbehrlich.
Nichtzulassungsbeschwerde in Praxis überwiegend
Im Ergebnis hat der BGH die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet angesehen und zurückgewiesen. In dem Beschluss heißt es:
Die Revision war nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 543 II Nr. 1 ZPO […] zuzulassen.
Die Frage nach der zulässigen Revision ist der Kern dieses Rechtsmittels. Denn Zweck der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO) ist es, die Durchführung eines Revisionsverfahrens zu erreichen, obwohl eine solche vom Berufungsgericht nicht zugelassen wurde. Über sie entscheidet der BGH im Beschlusswege. Und nach Angaben des Karlsruher Gerichts bilden die Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren den ganz überwiegenden Anteil der zivilrechtlichen Verfahren vor dem BGH.
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