BVerfG: Ist die 2G-Plus-Rege­lung im Bun­destag ver­fas­sungs­widrig?

BVerfG: Ist die 2G-Plus-Rege­lung im Bun­destag ver­fas­sungs­widrig?

Eingriff in das freie Mandat der Bundestagsabgeordneten aus Art. 38 I 2 GG

Aufgrund der sich schnell ausbreitenden Omikron-Variante des Corona-Virus beschloss die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas jüngst eine 2G Plus-Regelung unter anderem für das Plenum und die Ausschusssäle im Bundestag. Sie stützt diese Entscheidung auf ihr Hausrecht nach Art. 40 II 1 GG. Doch ist diese Allgemeinverfügung möglicherweise verfassungswidrig? Oder stellt diese einen Eingriff in das freie Mandat der Bundestagsabgeordneten aus Art. 38 I 2 GG dar?

Worum geht es?

In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens gilt neben einer FFP2-Masken-Pflicht aktuell die 2G Plus Regelung. Danach haben Personen zu bestimmten Räumlichkeiten - wie beispielsweise Restaurants - nur Zugang, wenn sie geimpft oder genesen sind und zusätzlich einen aktuellen Antigen-Schnelltest oder eine sogenannte Booster Impfung vorweisen können.

Am Arbeitsplatz gilt grundsätzlich weitestgehend die 3G Regel. So bislang auch in den Gebäuden des Deutschen Bundestages. Am 11. Januar gab der Bundestag über eine Pressemitteilung bekannt:

“Angesichts der Infektionsgefahren durch die hoch ansteckende Omikron-Variante hat die Bundestagspräsidentin in Absprache mit den Fraktionen eine novellierte Allgemeinverfügung zur Eindämmung der Corona-Pandemie in den Liegenschaften des Bundestages ab Mittwoch, 12. Januar 2022 in Kraft gesetzt. Die Grundlage dafür ist das Hausrecht der Bundestagspräsidentin nach Artikel 40 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz.
(…)In den Bereichen, in denen bisher die 3G-Regel galt (Plenum, Ausschüsse, Veranstaltungen) gilt nun 2G Plus. Das bedeutet, der Zugang ist auf Geimpfte und Genesene beschränkt, die zusätzlich einen aktuellen Antigen-Schnelltest (nicht älter als 24 Stunden) oder eine Auffrischungsimpfung (Booster Impfung) nachweisen müssen. Dies gilt unter anderem für die Pressetribünen im Plenarsaal oder die Zuschauertribünen bei öffentlichen Anhörungen.”

Für Personen, die weder geimpft noch genesen sind, bestehe die Möglichkeit der Teilnahme an Plenar- und Ausschusssitzungen von der Tribüne aus, sofern sie einen aktuellen negativen Antigen-Schnelltest vorweisen könnten, hieß es in einer vorab durch den Direktor des Bundestages an die Mitglieder des Bundestages (MdB) übersandten E-Mail.

Verletzung von Art. 38 I 2 GG?

Bereits unmittelbar nach Inkrafttreten der neuen 2G Plus Regelung wurde diese von verschiedenen Seiten kritisiert. Verfassungsrechtler sahen eine mögliche Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf gleichberechtigte Teilnahme und Mitwirkung an der Arbeit des Bundestages aus Art. 38 I 2 GG.

Denn in Art. 38 I 2 GG heißt es:

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

So hält beispielsweise der Oldenburger Staats- und Medienrechtler Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler die Regelung für materiell verfassungswidrig. Eine Verletzung der grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 38 I 2 GG liege vor. Die “Verbannung” von Abgeordneten auf die Tribüne sei keine Kleinigkeit, sondern erschwere den Kern der Arbeit eines Parlamentariers. Durch die räumliche Distanz sei die Teilhabe an der Möglichkeit der politischen Einflussnahme nur eingeschränkt möglich. Zudem sei die Maßnahme auch unverhältnismäßig. Es gebe mildere und effektivere Mittel zur Sicherstellung der Sicherheit. “Effektive aktuelle negative Tests können gut gewährleisten, dass die Getesteten keine Viruslast tragen und nicht infektiös sind. Das ist bei einer Impfung alleine nicht garantiert,” sagte der Juraprofessor gegenüber dem juristischen Magazin LTO.

Auch an der formellen Verfassungsmäßigkeit der Allgemeinverfügung äußerten Verfassungsrechtler Zweifel. Die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas stützte den Erlass der Änderung auf ihr Hausrecht aus Art. 40 II 1 GG. Das Hausrecht diene jedoch nur dazu, Störungen von außen abzuwehren - für die interne Ordnung der parlamentarischen Beratungen sowie die Teilnahme an Plenar- und Ausschusssitzungen gelte laut dem Regensburger Staatsrechtler Prof. Dr. Thorsten Kingreen hingegen die Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT). Das bedeute, dass für die Einführung der 2G Plus-Regelung der Bundestag nach Art. 40 I 2 GG zuständig sei, und nicht die Bundestagspräsidentin, so der Staatsrechtler.

Bundestagspräsidentin: Allgemeinverfügung verhältnismäßig

Die Bundestagspräsidentin hält die Allgemeinverfügung hingegen für rechtmäßig. Die Regelung sei verhältnismäßig. In der Begründung der Verfügung heißt es, die Maßnahmen seien angesichts der drohenden Gefahr durch die Omikron Virusvariante geeignet, erforderlich und verfassungsmäßig geboten.

“Die Testpflicht für ungeimpfte und nicht genesene Personen sowie Personen, die den Nachweis einer Auffrischimpfung nicht erbringen, hat zur Folge, dass Abgeordneten, die sich keinem Test unterziehen möchten, eine aktive Teilhabe an den Plenarsitzungen verwehrt werden muss. Die Anordnung der Testpflicht bewegt sich somit im Spannungsfeld zwischen dem verfassungsrechtlich durch Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG gewährleisteten Anspruch jedes und jeder Abgeordneten auf gleichberechtigte Teilnahme und Mitwirkung an der Arbeit des Bundestages einerseits und der Sicherstellung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments sowie dem Ziel, der weiteren Ausbreitungen von Infektionen mit dem Coronavirus entgegenzuwirken, andererseits. “

“Nach den derzeitigen Erkenntnissen sind geimpfte oder genesene Personen zwar immer noch wesentlich besser geschützt als nicht immunisierte Personen. Sie können sich aber deutlich leichter als bisher mit der Omikron Variante infizieren und zum Überträger des Virus werden. Eine signifikante Reduzierung der Infektions- und Ansteckungsgefahr lässt sich nach Aussagen des Expertengremiums der Bundesregierung nur mit einer Auffrischimpfung erreichen. Dies bestätigt eine israelische Studie des Weizmann Institute of Science, wonach die Zahl bestätigter Infektionen bei dreifach geimpften Personen über alle Altersgruppen hinweg etwa um den Faktor 10 niedriger war als bei nur zweifach Geimpften. Eine andere Möglichkeit, das Risiko der Verbreitung der Omikron Variante im Plenarsaal zu senken, ist, alle geimpften und genesenen Personen, die keine Auffrischimpfung nachweisen können, einem Test auf eine aktuelle Infektion zu unterziehen. Mitgliedern des Bundestages, der Bundesregierung und des Bundesrates, die weder vollständig geimpft noch genesen sind, wird bei Nachweis eines negativen Testes eine aktive Teilhabe an der Sitzung auf den Tribünen auf gesondert ausgewiesenen Plätzen ermöglicht. Dort kann der pandemiebedingte Mindestabstand von 1,50 Metern verlässlich eingehalten und somit der Gefahr des höheren Infektionsrisikos begegnet werden. Erklärungen und Redebeiträge können über Saalmikrofone abgegeben, Wahlen und Abstimmungen mittels entsprechender Wahlurnen und Kabinen durchgeführt werden, die dort zur Verfügung stehen.”

Klage bereits angekündigt

Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion Stephan Brandner kündigte bereits an, ein Eilverfahren sowie eine Klage beim BVerfG einzureichen. Ob dies der Fall sein wird und wie das BVerfG gegebenfalls entscheiden wird, bleibt mit Spannung abzuwarten.

Schau Dir hier die (prüfungs-)relevanten Lerninhalte zu diesem Thema an: