Ziel der Gesetzesnovelle 2019 in Thüringen war es, den Anteil von Frauen im Parlament perspektivisch zu erhöhen
Die frühere rot-rot-grüne Regierung in Thüringen machte abwechselnd mit Männern und Frauen besetzte Wahllisten für Parteien zur Pflicht. Das sogenannte Thüringer Paritätsgesetz wurde bereits vom thüringischen Landesverfassungsgericht im Jahr 2020 gekippt. Nun blieb auch eine Beschwerde gegen die Entscheidung beim BVerfG erfolglos.
Worum geht es?
Im Juli 2019 beschloss der Thüringer Landtag auf der Grundlage eines Gesetzesentwurfs der damals regierenden Landtagsfraktionen bestehend aus den Linken, SPD, sowie Bündnis 90/Die Grünen, die “Einführung der paritätischen Quotierung”. Das sogenannte Paritätsgesetz sah in dem neu eingefügten § 29 Abs. 5 vor:
“Die Landesliste ist abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen, wobei der erste Platz mit einer Frau oder einem Mann besetzt werden kann.(…)”
Ziel der Gesetzesnovelle 2019 in Thüringen war es, den Anteil von Frauen im Parlament perspektivisch zu erhöhen. Derzeit liegt er in Thüringen mit 31 Prozent bei weniger als einem Drittel, in anderen Bundesländern ist der Frauenanteil teils noch deutlich geringer. Forderungen nach Quotierungsregeln gab es auch in anderen Ländern immer wieder.
Das Gesetz trat zum 01.01.2020 in Kraft, angewendet wurde es jedoch nie.
Denn die Landtagsfraktion der AfD leitete ein Verfahren zur Überprüfung des umstrittenen Paritätsgesetzes im Wege der abstrakten Normenkontrolle beim Thüringer Landesverfassungsgericht in Weimar ein. Die AfD-Landtagsfraktion beantragte, die Nichtigkeit des Gesetzes wegen Verstoßes gegen die Thüringer Verfassung festzustellen. Das Thüringer Verfassungsgericht erklärte das Paritätsgesetz daraufhin bereits im Sommer 2020 für nichtig. Das Landesverfassungsgericht führte in seiner Entscheidung aus, durch das Gesetz werde in verfassungsrechtlich verbürgte subjektive Rechte eingegriffen, ohne dass dieser Eingriff auf eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung gestützt werden könne. Die Freiheit der Wahl verlange, dass Wahlen nicht durch Zwang und Druck des Staates durchgeführt würden, erklärte der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Stefan Kaufmann damals.
Dieses Urteil wollten einige Thüringer nicht akzeptieren - und reichten 13 Verfassungsbeschwerden beim BVerfG ein, darunter zur Landtagswahl Wahlberechtigte sowie Parteimitglieder und potenzielle Kanditat:innen einer Landesliste.
BVerfG: Verfassungsbeschwerde unzulässig
Mit seinem jüngst veröffentlichten Beschluss bügelte die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs richtete, als unzulässig ab (Beschl. v. 06.12.2021, Az. 2 BvR 1470/20). Sie sei nicht ausreichend begründet worden und genüge somit nicht den Anforderungen einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 23 I 2, § 92 BVerfGG.
In der Begründung wies das BVerfG zunächst darauf hin, dass die Länder unter dem Grundgesetz über eine weitgehende Verfassungsautonomie verfügten. Entscheidungen von Landesverfassungsgerichten könnten dennoch grundsätzlich gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG per Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, da es sich um Akte “öffentlicher Gewalt”, die gemäß Art. 1 III und Art. 20 III GG der Bindung an die Grundrechte und grundrechtsgleichen Gewährleistungen unterliegen. Auch die Verletzung der Prozessgrundrechte einschließlich des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 I 2 GG oder des allgemeinen Willkürverbots sowie die Nichtbeachtung des Gleichberechtigungsgebots gemäß Art. 3 II GG könnten geltend gemacht werden.
Davon ausgehend fehle es an einer ausreichenden Darlegung der Möglichkeit der Verletzung rügefähiger Grundrechte oder grundrechtsgleicher Rechte der Beschwerdeführenden.
Verstoß gegen Art. 38 I 1 GG scheide aus
So scheide ein Verstoß gegen Art. 38 I 1 GG von vornherein aus, da die Norm nur die Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages betreffe. Auch könnten sich die Beschwerdeführenden nicht unmittelbar auf Art. 28 I 2 GG berufen. Bei dieser Norm handele es sich um eine objektivrechtliche Gewährleistung und nicht um ein Grundrecht oder grundrechtsgleiches Recht. Gleiches gelte hinsichtlich einer Verletzung des Demokratiegebots aus Art. 20 I, II GG. Darüber hinaus sei aber auch die Begründung unzureichend, nur die paritätische Vertretung der Bürger:innen genüge den Anforderungen der repräsentativen Demokratie im Sinne dieser Norm.
“Die Möglichkeit einer rügefähigen Verletzung des Rechts auf Gleichberechtigung aus Art. 3 Abs. 2 GG zeigen die Beschwerdeführenden ebenfalls nicht in ausreichendem Umfang auf. Es fehlt insoweit schon an einer substantiierten Auseinandersetzung mit der Frage, ob vorliegend der Grundsatz der getrennten Verfassungsräume des Bundes und der Länder der Überprüfung der Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs am Maßstab des Art. 3 Abs. 2 GG entgegensteht. Darüber hinaus kann den Darlegungen der Verfassungsbeschwerde ein aus Art. 3 Abs. 2 GG abzuleitendes Verfassungsgebot der paritätischen Ausgestaltung des Wahlvorschlagsrechts nicht entnommen werden. Diesbezüglich wird nicht erörtert, ob Art. 3 Abs. 2 GG statt als Auftrag zur Herbeiführung einer mit einem paritätischen Wahlvorschlagsrecht verbundenen Ergebnisgleichheit lediglich als Gewährleistung tatsächlicher Chancengleichheit zu interpretieren ist. Außerdem setzen sich die Beschwerdeführenden nicht mit der Problematik auseinander, ob der Gesetzgeber bei der Durchsetzung des Gleichstellungsauftrags aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG über einen Gestaltungsspielraum verfügt, der einer Verengung des Regelungsgehalts der Norm auf eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Erlass eines paritätischen Wahlvorschlagsrechts entgegenstehen könnte”,
heißt es in der Pressemitteilung des BVerfG.
Nach den Erwägungen der Kammer liege auch kein Verstoß des Thüringer VerfGH gegen das in Art. 3 I GG verankerte Willkürverbot vor. So gehe der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass das Paritätsgesetz in die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie der Freiheit und der Chancengleichheit der Parteien eingreife. Diese Annahme erscheine “verfassungsrechtlich jedenfalls nicht von vornherein unhaltbar”.
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